Valentine Penrose - Die blutige Gräfin Erzsébet Báthory (1962)

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Salvatore Baccaro
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Valentine Penrose - Die blutige Gräfin Erzsébet Báthory (1962)

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Literaturtipp der Woche: Die fiktionale Biographie, die die surrealistische Dichterin Valentine Penrose (1898-1978) über die sogenannte "Blutgräfin" (aka Massenmörderin) Elisabeth Báthory (1560-1614) im Jahre 1962 unter dem Originaltitel "Erzsébet Báthory la Comtesse sanglante" verfasst hat. (Deutsch erschienen ist der Text als "Die blutige Gräfin Erzsébet Báthory" beim Verlag der Europäischen Bücherei Hieronimi, Bonn 1965, und seitdem leider nicht mehr neu aufgelegt worden.)

Penrose ist vor allem mit Gedichten und Collagewerken im Stil Max Ernsts in Erscheinung getreten, (am bekanntesten wahrscheinlich „Dons de Féminines“ aus dem Jahre 1951, ein Ikonotext, der Collagen und Gedichte miteinander verschränkt, und in dem die offen bisexuell lebende Penrose ihre Beziehung zur ebenfalls französischstämmigen Dichterin und Malerin Alice Rahon verarbeitet.) „La Comtesse sanglante“ wiederum ist Penroses einziger längerer Prosatext, und trifft offenkundig den Nerv der Zeit, wenn man bedenkt, dass im Laufe der 60er und 70er Jahre zahllose Filme die Leinwände heimsuchen, die sich, mehr oder weniger exploitativ, mit Mensch und Mythos Bathory auseinandersetzen, - darunter beispielweise die BATHORY-Episode in Walerian Borowczyks avantgardistisch-softpornographischem Portmanteau-Film CONTES IMMORAUX (1974), wo die Titelfigur von Picasso-Tochter Paloma verkörpert wird, die Hammer-Horror-Produktion COUNTESS DRACULA aus dem Jahre 1971 mit Ingrid Pitt in der Hauptrolle, oder aber spanische Schauerschocker wie León Klimovskys LA NOCHE DE WALPURGIS (1971), wo in Form einer wiedererwachenden Vampirgräfin zumindest implizit auf die Thematik angespielt wird.

Zunächst, in einer glühend heißen Regiobahn sitzend, empfand ich Penroses Prosa ja sehr hermetisch, ihre Entscheidung, beliebige Zeitsprünge zu vollführen, literarisch motivierte innere Monologe Bathorys mit seitenlangen Ausführungen zu geschichtlichem Background und osteuropäischer Folklore und (zunächst) deplatziert wirkenden Exkursen zu Alchemie, Magie, Okkultismus zu mixen, regelrecht strapaziös. Seite für Seite kristallisieren sich jedoch immer mehr die Kernthemen heraus, die die Autorin auf den historisch verbürgten Fundamenten der Biographie unserer frauenfolternden Gräfin Mauerstück für Mauerstück zu errichten versucht: Die Stoßrichtung des Buches gewann für mich Konturen wie etwas, das sich langsam unter einer Lache langsam verdampfenden Blutes hervorschält.

Im Großen und Ganzen wirkt es, als ob Penrose so etwas anstrebte wie ein feministisch grundiertes Gegenstück zu Georges Batailles Transgressions-Theorien, - eine Idee, die schon deshalb naheliegt, da Bataille in einer Fußnote seines letzten Werks, dem Bildband „Les Larmes d’Eros“ von 1961 erwähnt, dass Penrose gerade an einem Buch über die Blutgräfin schreibe, (ergo: Die haben offenkundig in Kontakt gestanden haben müssen.) (Interessanterweise spart Bataille Bathory in seiner Kultur- und Kunstgeschichte des Konnexes zwischen Sex und Gewalt ansonsten gänzlich aus; sein Steckenpferd ist eher der spätmittelalterliche Knabenmörder Gilles de Rais, dem er 1959 gar ein eigenes Werk widmet, und den auch Penrose im letzten Drittel ihres Buchs heranzieht, um Bathory von diesem abzugrenzen.) Ansonsten sind Penroses Einflüsse augenscheinlich vor allem die sadomasochistischen Gräuelphantasien des Marquis de Sade und die Female Gothic einer Anne Radcliffe: Extremer Sado-Sex sowie verschlungen-labyrinthische Schauerromantikschlösser kommen in ihrer poetischen Prosa deshalb genauso prominent vor wie endlose Beschreibungen historischer Konflikte zwischen Katholizismus und Protestantismus, (da zuweilen vermutet wurde, all die Grausamkeiten Bathorys seien pure Erfindung, und die Gräfin selbst ein Bauernopfer besagter Machtkonflikte der christlichen Konfessionen), der Ahnengalerie Elisabeths, die quasi im Detail durchforstet wird, um uns beiläufig ein Sozio- und Psychogramm ihrer adligen Familie zu liefern, sowie profunde, wenn auch zuweilen wie surreale Einsprengsel daherkommende Ausschweifungen zum ungarischen Volksglaube voller Kobolde, Hexen, Werwölfe, zu alchemistischen Praktiken, zu völlig nebensächlichen Gegenständen/Ereignissen/Personen, die scheinbar grund- und sinnlos (sprich: surrealistisch) unter Penroses Feder geraten.

Besonders affiziert hat mich, dass die wirklich sehr eklig zu lesenden Foltersequenzen sozusagen en passant eingestreut werden in wunderschön lyrisch-naturmystische Passagen, in sachlich anmutende Betrachtungen zu den politischen Begebenheiten im Ungarn des frühen 17. Jahrhunderts, in Szenen, die die Ich-Perspektive Elisabeths einnehmen, und sie quasi als Über-Menschin zeichnen, die, als sei sie tatsächlich eine Heroine de Sades à la Juliette, von ihren frei flottierenden Lüsten in einen Status jenseits von Gut und Böse erhoben wird: Kein Tier, kein Mensch, sondern etwas, das an einer Souveränität teilhat, die weit über den üblichen Lebewesen steht, (erneut ein Fingerzeig in Richtung Bataille.) Dadurch verstören die zuweilen wirklich ausgesprochen drastischen Schilderungen noch viel mehr, dass sie nur ein Partikel von vielen sind, sie völlig unvermittelt an Stellen in den Texten einbrechen, wo man am wenigsten mit ihnen rechnet, Penrose sie mit einer gewissen Dezenz behandelt, die mir reines Kalkül zu sein scheint, um Szenen, wo Mädchen in Winterlandschaften so lange mit Wasser übergossen werden bis sie Eiszapfen gleichen, wo Nadeln unter Fingernägel geschoben werden, wo das Blut nur so fontänengleich aus durchschnittenen Hälsen und zerpeitschten Rücken spritzt, zu Klößen zu formen, die lange noch im Magen liegen, (und das vor allem, wenn man in völlig überfüllten, aufgrund Hitzeeinwirkung heillos verspäteten S-Bahnen sitzt.) Und nach all diesem Gemetzel serviert die Autorin am Ende gar ein Kapitel, das mich beinahe zu Tränen rührt: Die zur Strafe in ihrer eigenen Burg lebendig eingemauerte Gräfin, wie sie hoch zum einzigen Lichtspalt ihrer verschlossenen Fenster schaut, um die dort nistenden und nach Friedhof riechenden Fledermäuse zu bespitzeln!

Welch eindringliche Melange aus Gothic Horror, Geschichtsstunde, Gewaltporno und Großer Kunst™!
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