Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
Moderator: jogiwan
Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
• Gott schützt die Liebenden (Johannes Mario Simmel, 1957)
Berlin im Jahre 1956. Paul Holland liebt Sybille Loredo, die beiden sind seit einem Jahr ein Paar. Da Paul für eine Presseagentur arbeitet, muss er seine Lebensgefährtin immer wieder für einige Zeit verlassen. Als er eines Tages von einer Dienstreise zurückkehrt, wird er nicht freudig am Flughafen erwartet. Umgehend macht er sich auf den Weg zu Sybille, doch diese ist verschwunden. Polizeiliche Ermittlungen sind im Gange, offenbar wurde Sybille entführt, vielleicht sogar getötet!? Paul beginnt auf eigene Faust zu suchen, bald tun sich Abgründe auf ...
Mag sich der Titel des Romans nach Kitsch anhören, bekommen wir es hier dennoch mit einem spannenden Thriller zu tun. Morde, Verrat, Sex und Alkohol, dazu einige Rückblenden in die Zeit des Dritten Reichs. Natürlich auch mit der Frage, wie weit geht Liebe, was kann Liebe ertragen und verzeihen, wie schädlich oder Glück bringend können Gefühle sein? Die Handlung pendelt zwischen Berlin, München, Salzburg, Wien und Nebenschauplätzen.
Simmel zeichnet erneut ein griffiges Bild der Nachkriegszeit in Mitteleuropa, führt einen angeschlagenen Protagonisten zwischen Hoffung und Verzweiflung ins Feld. Schützt Gott tatsächlich die Liebenden? Gibt es Gott überhaupt? Aus meiner Sicht lässt der Autor dem Leser durchaus Raum für eigene Interpretationen. Auf den tatsächlichen Schluss nach dem Ende, kann ich leider wegen massiver Spoilergefahr nicht eingehen.
Schöner und kompakter Roman. Erneut freue ich mich auf Simmels nächstes Werk. "Affäre Nina B." liegt bereit.
Berlin im Jahre 1956. Paul Holland liebt Sybille Loredo, die beiden sind seit einem Jahr ein Paar. Da Paul für eine Presseagentur arbeitet, muss er seine Lebensgefährtin immer wieder für einige Zeit verlassen. Als er eines Tages von einer Dienstreise zurückkehrt, wird er nicht freudig am Flughafen erwartet. Umgehend macht er sich auf den Weg zu Sybille, doch diese ist verschwunden. Polizeiliche Ermittlungen sind im Gange, offenbar wurde Sybille entführt, vielleicht sogar getötet!? Paul beginnt auf eigene Faust zu suchen, bald tun sich Abgründe auf ...
Mag sich der Titel des Romans nach Kitsch anhören, bekommen wir es hier dennoch mit einem spannenden Thriller zu tun. Morde, Verrat, Sex und Alkohol, dazu einige Rückblenden in die Zeit des Dritten Reichs. Natürlich auch mit der Frage, wie weit geht Liebe, was kann Liebe ertragen und verzeihen, wie schädlich oder Glück bringend können Gefühle sein? Die Handlung pendelt zwischen Berlin, München, Salzburg, Wien und Nebenschauplätzen.
Simmel zeichnet erneut ein griffiges Bild der Nachkriegszeit in Mitteleuropa, führt einen angeschlagenen Protagonisten zwischen Hoffung und Verzweiflung ins Feld. Schützt Gott tatsächlich die Liebenden? Gibt es Gott überhaupt? Aus meiner Sicht lässt der Autor dem Leser durchaus Raum für eigene Interpretationen. Auf den tatsächlichen Schluss nach dem Ende, kann ich leider wegen massiver Spoilergefahr nicht eingehen.
Schöner und kompakter Roman. Erneut freue ich mich auf Simmels nächstes Werk. "Affäre Nina B." liegt bereit.
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- karlAbundzu
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
Gerade durch:
Jasper Fforde: Eiswelt
Nun, von dem habe ich jetzt schon einige ROmane durch: Vier aus der Thursday Next Reihe, ein Dragonslayer-Roman, und, bisher am besten: Rot und grau.
Bewegen tut Jasper Fforde sich immer zwischen phantastischen Realismus und Satire, mit einer großen Liebe zu seinen Figuren und einem wunderbaren Humor. Englisch, Douglas Adams und Terry Pratchett sind nicht weit und doch anders.
In diesem Roman ist die Idee, das der Winter immer eine richtige Eiszeit ist, bei der die Menschen Winterschlaf halten. EIn paar Menschen müssen allerdings den Laden am laufen halten. Einer davon ist Chalrie Worthing, der sein erstes Jahr als Winterkonsul antritt. Und in eine Verschwörung hinein kommt. Die Charaktere, die sich im Winter da herumtreiben sind alle skurril und genau gezeichnet. Die Unterschiede zu unserer realen Welt sind schön durchdacht und gut erzählt.
Ein schöner und humorvoller Alternativwelt-Roman, kann ich wärmstens empfehlen.
Jasper Fforde: Eiswelt
Nun, von dem habe ich jetzt schon einige ROmane durch: Vier aus der Thursday Next Reihe, ein Dragonslayer-Roman, und, bisher am besten: Rot und grau.
Bewegen tut Jasper Fforde sich immer zwischen phantastischen Realismus und Satire, mit einer großen Liebe zu seinen Figuren und einem wunderbaren Humor. Englisch, Douglas Adams und Terry Pratchett sind nicht weit und doch anders.
In diesem Roman ist die Idee, das der Winter immer eine richtige Eiszeit ist, bei der die Menschen Winterschlaf halten. EIn paar Menschen müssen allerdings den Laden am laufen halten. Einer davon ist Chalrie Worthing, der sein erstes Jahr als Winterkonsul antritt. Und in eine Verschwörung hinein kommt. Die Charaktere, die sich im Winter da herumtreiben sind alle skurril und genau gezeichnet. Die Unterschiede zu unserer realen Welt sind schön durchdacht und gut erzählt.
Ein schöner und humorvoller Alternativwelt-Roman, kann ich wärmstens empfehlen.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
• Affäre Nina B. (Johannes Mario Simmel, 1958)
Robert Holden lebt in Düsseldorf und ist völlig abgebrannt. Da kommt ihm der Job als Chauffeur gerade recht, er heuert beim millionenschweren Unternehmer Julius Brummer an. Holden bekommt diese Chance, obwohl Brummer offenbar Kenntnis von der Vergangenheit seines neuen Angestellten hat, Robert hat eine mehrjährige Gefängnisstrafe verbüßt. Schnell wird klar, Brummer ist alles andere als ein Saubermann, hat mit vielen Feinden und Neidern zu ringen. Robert Holden gerät in den Strudel der Ereignisse, verliebt sich überdies in Nina, die grazile Gattin seines Arbeitgebers. In Roberts Gedanken reift bald ein mörderischer Plan ...
Erneut verknüpft Simmel Liebesdrama und Kriminalfall. Wir tauchen auf reizvolle Art in die zweite Hälfte der Fünfziger ein. In Deutschland blüht das Wirtschaftswunder, die düstere Vergangenheit scheint lange her und fast vergessen, bricht jedoch ab und an unangenehm hervor. Wobei hier vor allem bei einem "Nebenbösewicht" die Nazivergangenheit ins Spiel kommt, bei Brummer hingegen sind es andere Umtriebe. Die Liebesgeschichte zwischen Robert und Nina mutet eine Spur schwachbrüstiger an, als man es aus den vorherigen Werken Simmels kennt. So klingt der Roman letztlich unerwartet -aber gelungen- aus.
Fünf Simmel am Stück, fünf schöne Romane. Als nächster Simmel steht "Es muss nicht immer Kaviar sein" auf dem Speiseplan. Jenes Werk sorgte endgültig für den großen Durchbruch des Autors und wurde mehrfach verfilmt. Auch "Affäre Nina B." kam zu diesen Ehren, inszeniert von Robert Siodmak, mit Nadja Tiller, Walter Giller und Pierre Brasseur sehr ansprechend besetzt. Leider in Deutschland bisher leider nicht angemessen ausgewertet, schade.
Freue mich sehr auf den nächsten Simmel. Damit es keine "Fließbandleserei" wird, werde ich allerdings zunächst einen Roman eines anderen Verfassers einschieben.
Robert Holden lebt in Düsseldorf und ist völlig abgebrannt. Da kommt ihm der Job als Chauffeur gerade recht, er heuert beim millionenschweren Unternehmer Julius Brummer an. Holden bekommt diese Chance, obwohl Brummer offenbar Kenntnis von der Vergangenheit seines neuen Angestellten hat, Robert hat eine mehrjährige Gefängnisstrafe verbüßt. Schnell wird klar, Brummer ist alles andere als ein Saubermann, hat mit vielen Feinden und Neidern zu ringen. Robert Holden gerät in den Strudel der Ereignisse, verliebt sich überdies in Nina, die grazile Gattin seines Arbeitgebers. In Roberts Gedanken reift bald ein mörderischer Plan ...
Erneut verknüpft Simmel Liebesdrama und Kriminalfall. Wir tauchen auf reizvolle Art in die zweite Hälfte der Fünfziger ein. In Deutschland blüht das Wirtschaftswunder, die düstere Vergangenheit scheint lange her und fast vergessen, bricht jedoch ab und an unangenehm hervor. Wobei hier vor allem bei einem "Nebenbösewicht" die Nazivergangenheit ins Spiel kommt, bei Brummer hingegen sind es andere Umtriebe. Die Liebesgeschichte zwischen Robert und Nina mutet eine Spur schwachbrüstiger an, als man es aus den vorherigen Werken Simmels kennt. So klingt der Roman letztlich unerwartet -aber gelungen- aus.
Fünf Simmel am Stück, fünf schöne Romane. Als nächster Simmel steht "Es muss nicht immer Kaviar sein" auf dem Speiseplan. Jenes Werk sorgte endgültig für den großen Durchbruch des Autors und wurde mehrfach verfilmt. Auch "Affäre Nina B." kam zu diesen Ehren, inszeniert von Robert Siodmak, mit Nadja Tiller, Walter Giller und Pierre Brasseur sehr ansprechend besetzt. Leider in Deutschland bisher leider nicht angemessen ausgewertet, schade.
Freue mich sehr auf den nächsten Simmel. Damit es keine "Fließbandleserei" wird, werde ich allerdings zunächst einen Roman eines anderen Verfassers einschieben.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
• Rock Star (Jackie Collins, 1988)
Kris Phoenix, Bobby Mondella und Rafealla sind Stars der Musikbranche. In unterschiedlichen Genres unterwegs, gibt es dennoch zahlreiche Berührungspunkte. 1987 kreuzen sich ihre Wege erneut, auf dem rauschenden Fest eines verhassten Plattenbosses. Es soll ein unvergesslicher Abend für die drei Musiker werden ...
Jackie Collins lässt uns die Protagonisten ihres Romans ab den sechziger Jahren begleiten, zwischendurch gibt es immer wieder Sprünge in die Gegenwart des Jahres 1987. In kurzen Kapiteln werden wichtige Punkte in den Leben und Karrieren angerissen, begleiten wir Kris, Bobby und Rafealla durch Höhen und Tiefen.
Freilich suhlt sich das Werk in Klischees. Sex, Drogen und andere Schweinereien sind omnipräsent. Collins bedient sich eines simplen Stils und driftet häufig recht vulgär durch das Treiben. Den Leser führt die Reise durch fasziniernde Jahrzehnte und begehrenswerte (?) Schauplätze. Der Klimax findet in der Gegenwart statt, kommt für meinen Geschmack aber eine Spur zu dünn daher. Auf den letzten Seiten saust die Kitsch-Keule auf uns herab. Hat mich nicht gestört, mag an zunehmender Altermilde liegen.
Zunächst war ich etwas skeptisch, ob mir die knapp über 450 Seiten wirklich Freude bereiten würden. Nach und nach tauchte ich in das Treiben ein, nicht wirlich tief, dazu bleibt Collins schlicht zu oberflächlich. Der Stoff würde sich vermutlich gut als Miniserie machen, vorzugsweise mit fettem Budget und bekannten Gesichtern. Netflix, bitte übernehmen!
Kris Phoenix, Bobby Mondella und Rafealla sind Stars der Musikbranche. In unterschiedlichen Genres unterwegs, gibt es dennoch zahlreiche Berührungspunkte. 1987 kreuzen sich ihre Wege erneut, auf dem rauschenden Fest eines verhassten Plattenbosses. Es soll ein unvergesslicher Abend für die drei Musiker werden ...
Jackie Collins lässt uns die Protagonisten ihres Romans ab den sechziger Jahren begleiten, zwischendurch gibt es immer wieder Sprünge in die Gegenwart des Jahres 1987. In kurzen Kapiteln werden wichtige Punkte in den Leben und Karrieren angerissen, begleiten wir Kris, Bobby und Rafealla durch Höhen und Tiefen.
Freilich suhlt sich das Werk in Klischees. Sex, Drogen und andere Schweinereien sind omnipräsent. Collins bedient sich eines simplen Stils und driftet häufig recht vulgär durch das Treiben. Den Leser führt die Reise durch fasziniernde Jahrzehnte und begehrenswerte (?) Schauplätze. Der Klimax findet in der Gegenwart statt, kommt für meinen Geschmack aber eine Spur zu dünn daher. Auf den letzten Seiten saust die Kitsch-Keule auf uns herab. Hat mich nicht gestört, mag an zunehmender Altermilde liegen.
Zunächst war ich etwas skeptisch, ob mir die knapp über 450 Seiten wirklich Freude bereiten würden. Nach und nach tauchte ich in das Treiben ein, nicht wirlich tief, dazu bleibt Collins schlicht zu oberflächlich. Der Stoff würde sich vermutlich gut als Miniserie machen, vorzugsweise mit fettem Budget und bekannten Gesichtern. Netflix, bitte übernehmen!
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Dennis Diel / Marco Matthes – Gonzo. Die offizielle und autorisierte Biografie von Matthias Röhr
Die knapp 400 Seiten umfassende Biografie des Gitarristen Matthias „Gonzo“ Röhr erschien als Paperback im Jahre 2019 im Hannibal-Verlag. Gonzo schrieb nicht selbst, sondern stand Dennis Diel und Marco Matthes Rede und Antwort, die aufmerksam zuhörten, mitschrieben und das Ergebnis anschließend von Gonzo autorisieren ließen. Es ist die erste Buchveröffentlichung der beiden.
Auch auf die Gefahr hin, den einen oder anderen zu überraschen: Ich halte große Stücke auf Gonzos Gitarrenspiel; er war derjenige, der in den rauen, chaotischen und nicht immer wohlüberlegten Anfangszeiten (um es vorsichtig auszudrücken…) der bis heute nicht unumstrittenen Band Böhse Onkelz den Unterschied machte und sich feine Melodien aus dem Ärmel schüttelte, wo der Rest der hiesigen Konkurrenz noch eher schrubbte und schrammelte. Seither hat er sich immer weiterentwickelt, über Metal-Riffs und Soli hin zu einem eigenständigen Hardrock-Stil, der zahlreiche internationale Einflüsse aufgreift und verarbeitet.
Im von Gonzo geschriebenen Vorwort des in achtzehn Kapitel aufgeteilten Buchs fragt er allen Ernstes, ob es tatsächlich genügend zu erzählen gebe. Das ist entweder ein Understatement-Versuch oder aber ein Indiz für meine Theorie, dass den Onkelz bis auf Stephan ihre Bedeutung für so viele Fans gar nicht vollumfänglich bewusst ist. Im anschließenden Prolog reißt Diel, ausgehend von der Beschreibung eines Moments während eines Konzert auf Schalke, kurz seine eigene Entdeckung der Band an und skizziert, nicht frei von Pathos, eben jene Bedeutung derselben, verteilt Medien-, System- und Gesellschaftsschelte und stimmt auf den Inhalt ein.
Jedes Kapitel beginnt mit einer ganzseitigen Schwarzweiß-Illustration, wobei Gonzo (oder einer der Autoren?) gleich im ersten dem Gerücht anheimfällt, beim Bandnamen Kiss handle es sich um eine Abkürzung von „Knight in Satan’s Service“. Laut Kiss-Bandmitgliedern sei dies völliger Unfug, der im US-Bible-Belt kolportiert worden sei und sich anschließend weiterverbreitet habe. Aber das nur am Rande. Man erfährt von Gonzos ersten musikalischen Schritten mit den Bands Headliner und Sinner – und wie er wirklich zu seinem Spitznamen kam. Headliner-Bandkollege Norbert kommt ebenso zu Wort wie Gonzos jüngerer Bruder Martin. Musikalisch war Gonzo seinerzeit noch sehr ‘60er-Jahre-sozialisiert, wurde dann aber vom Virus der nach Deutschland schwappenden Punk-Welle infiziert. Ein einschneidendes Erlebnis war der folgenschwere Umzug mit seiner Familie aus einer Mittelstandsgegen in die Frankfurter Bonames-Ghettos. Sein jüngerer Bruder Karsten wurde dort depressiv und drogenabhängig. Die Böhsen Onkelz lernte er als Gast bei deren ersten Gig im Bockenheimer Jugendzentrum kennen – und gründete daraufhin erst einmal seine eigene Band Antikörper.
Bald jedoch folgten der Einstieg bei den damals noch völlig dilettantischen Onkelz und nicht lange darauf die Metamorphose vom Punkrocker zum Skinhead, der nächsten Jugendsubkultur, die von England aus Deutschland erreichte. Unabhängig davon stets allgegenwärtig: die Gewalt. Gonzo behauptete sich auf hartem Pflaster. Während des Wehrdienstes wurde er Matrose bei der Marine. Interessantes Detail: Der damals für die Subkultur so wichtige Song „Stolz“ wurde von Gonzos englischer Freundin Michelle geschrieben und von Gonzo ins Deutsche übersetzt. Positive Einflüsse auf Gonzo hatten Trimmi, ein enger Vertrauter der Band, sowie seine spätere Ehefrau Verena, die ebenfalls zu Wort kommt. Die Onkelz landen beim Ein-Mann-Label „Metal Enterprises“ und kommen damit vom Regen in die Traufe. Ein schöner Diss gegen die Nazideppen-Band Kahlkopf darf dabei nicht fehlen. Seinen Horizont erweitert Gonzo auf einer fünfwöchigen USA-Reise mit Onkelz-Bandkopf Stephan und dessen Frau Pia im Frühjahr 1988.
Unschöne Kapitel sind Onkelz-Frontmann Kevins beginnende Drogenabhängigkeit und Trimmis Tod. Die Band wechselt erfolgreich zu Bellaphon und spielt für diese auch ihr erstes Livealbum „Live in Vienna“ ein. Köstlich sind dabei die Anekdoten aus Wien, davon hätte man gern mehr gelesen – generell hätte etwas mehr Humor dem Buch sicherlich nicht geschadet. Leider endet die Erzählung noch vorm Gig abrupt. Gonzo scheint dem Livealbum – meinem damaligen Einstieg ins Œuvre der Band – nicht sonderlich viel Bedeutung beizumessen. Zugegeben: Angesichts der Qualitätssteigerungen auf späteren Livezeugnissen kann man es ihm nicht verdenken. Meine Auffassung, dass die Band mehr als die Summe ihrer Teile ist, bestätigt er dafür indirekt. Mittlerweile schreiben wir Anfang der 1990er, weitere Stationen des Buchs sind – natürlich – die nächsten Alben, der Charterfolg, die Pressekonferenz mit Cohn-Bendit, die (Jahre zu spät kommenden) Vorwürfe aus Politik und Medien, die die Band zusammenschweißen, und leider auch die zunehmenden Probleme mit Kevin. Erfreulicher als diese: Die Virgin-Phase, die Hochzeit und der Nachwuchs. Und Platz 1 sowie Gold binnen 48 Stunden für das Album „Viva los tioz“.
Da findet sich wieder ein interessantes nerdiges Detail: Mit dem Mix der „Terpentin“-Single ist er unzufrieden. Nicht klar wird, ob dies das ganze Album betrifft – vermutlich ja, der Mix ist schließlich identisch, nur das Mastering evtl. nicht, oder? Die Band hat es jedenfalls endgültig geschafft und zieht kollektiv nach Dublin um, spielt Open Airs mit ihren Vorbildern Rose Tattoo und schreitet zu den Aufnahmen zum „bösen Märchen“. Nach Jahren voller Ablehnung kommt es doch noch zu einer Zusammenarbeit mit MTV, was sich als Fehler entpuppt. Kevin baut seinen ersten schweren, folgenreichen Autounfall, auf Ibiza nimmt man den Gegenpol zum „bösen Märchen“, das sommerliche „Dopamin“, auf, Kevin jedoch schwächelt auf der Tour 2002 zunehmend. Er begibt sich in Entzug und Therapie, aber der Gig im Vorprogramm der Rolling Stones war zu viel für ihn – er vermasselt ihn. Ibiza hingegen hat Gonzo so gut gefallen, dass er dorthin mit seiner Familie umzieht.
Mittlerweile ist der Wälzer verdammt interessant geworden, zumal man sich nun in einem Zeitraum befindet, der von Edmund Hartschs offizieller Band-Biographie „Danke für nichts“ aufgrund ihres Erscheinungsdatums nicht mehr abgedeckt wird. Teils sehr schwierige Themen wie der Entschluss, die Band aufzulösen, werden beackert, sowie das Abschiedsalbum „Adios“ und die zugehörige Tour; Details des Streits zwischen Gonzo und Stephan, zweier starrköpfiger Alphatiere, kommen ans Licht, und Gonzo zweifelt, ob es richtig war, mit der Auflösung eine solch endgültige Entscheidung getroffen zu haben. Mit dem zweitägigen Abschiedsfestival auf dem Lausitzring lässt man’s aber noch mal richtig krachen. Nach dem Split war sogar ein Bandprojekt zusammen mit Kevin und internationalen Musikern geplant, das Kevin aber letztlich absagte.
Weitere Veränderungen im Hause Röhr standen an: Grundstückskauf und Hausbau in Uruguay (!) und die Arbeit am Weltmusik(!)-Soloalbum. Schön, hier seine Begeisterung nachlesen zu können – über die Arbeit mit renommierten internationalen Musikern und die völlige musikalische Freiheit nach Abstreifen des Onkelz-Korsetts. Es folgt die erste Solotour durch Deutschland, bei der man wesentlich kleinere Brötchen backt, und auf seinem zweitem Soloalbum übernimmt er anstelle Charly Huhns gar den Gesang. Mit dem dritten Album leitet er mehr oder weniger überraschend die Rückkehr zum Deutschrock ein, auch die seit dem Onkelz-Split von der Musikindustrie hofierten Kopisten blieben ihm nicht verborgen…
Beispielsweise die Italiener Frei.Wild. Wären gern Deutsche, sind nicht mal Österreicher und nerven trotzdem mit idiotischen nationalistischen Texten über ihr verficktes privilegiertes Südtirol. Insbesondere deren Sänger wanzt sich in der Onkelz-losen Zeit wohl arg an Gonzo heran; dessen Aufdringlichkeit lässt sich zumindest gut zwischen den Zeilen herauslesen. Gonzo freundet sich mit ihm an und arbeitet tatsächlich mit ihm zusammen, was mich damals ziemlich angekotzt hat. Sicher, Gonzo kennt ihn persönlich, ich nicht, aber sein Umgang mit Philipp Burger und Frei.Wild wirkt auf mich sehr naiv und die Band wie ein Versuch, auszutesten, was man Deutschrock-Fans eigentlich so alles vorsetzen kann. All ihre Widersprüche muss man nicht verstehen und auch nicht gutheißen, dass ein Gonzo sich zu Burger herabließ. Zumindest bringt dieses Buch ein wenig Licht in jenes Kapitel und erläutert Hinter- und Beweggründe.
Auf seinem ersten deutschsprachigen Soloalbum war Gonzo noch mit seinem Gesang unzufrieden (ich ebenfalls, gelinde gesagt), das zweite schrieb er zusammen mit Burger. Bei der Buchlektüre ist mein Eindruck, dass so wie Frei.Wild das Methadon für manch Onkelz-Fan war, Burger Gonzos Songwriting-Substitut für Stephan Weidner war. Beruhigend bei alldem:
„Es gab zwar Überschneidungen zwischen Südtirol und Frankfurt, besonders der Umgang mit den Künstlern durch die (mediale) Öffentlichkeit war, aus der Ferne betrachtet, ähnlich. Dennoch, mindestens so deutlich wie die Parallelen schrien einen die Unterschiede zwischen beiden Bands förmlich an.
Dass die Onkelz jeglichen Patriotismus ab 1985 abgelegt hatten, war sicherlich der offensichtlichste. Aber auch, dass sich Matthias, Stephan, Kevin und Pe [die Onkelz – Anm. bux] nicht als konservative Menschen sahen, die konservative Werte vertraten.
Es gab innerhalb der Onkelz zwar mitunter abweichende Meinungen zu bestimmten politischen Themen, und der eine mochte und konnte sich mehr mit seinen kulturellen und nationalen Wurzeln identifizieren als der andere, aber ihr generelles Weltbild war ein progressives und weltoffenes.“ (S. 348)
Gonzo ist mittlerweile zurück nach Deutschland gezogen, wo der sog. Deutschrock boomt, an dem in diesem Buch immer mal wieder Kritik laut wird. Zum Beispiel:
„Fragwürdige Rumpeltruppen, die das ,Deutsch‘ vor dem ,Rock‘ tatsächlich zu ernst nahmen, wurden über soziale Netzwerke immer größer. Dass deren musikalische und textliche Qualität nicht proportional zu ihrer Popularität mitwuchs, verstand sich von selbst.“ (S. 349)
Nicht nur deshalb scheint es logisch, dass die Band letztlich doch wieder zusammenkommt. Minutiös schildert Gonzo das Zustandekommen der Reunion, seinen Umgang mit Pes initiativer E-Mail und was er dabei fühlte, welche Überlegungen er anstrengte. Er lässt die Leserinnen und Leser an der Planung, bei der die Band das Publikumsinteresse zunächst vollends unterschätzt, ebenso teilhaben wie am Siegeszug mit den gigantischen Open-Air-Festivals, spricht hinsichtlich des Orchester-Klassik-Projekts mit anschließender Tour durch die Orchestersäle von einer weiteren Traumerfüllung und beschreibt die Entstehung des Reunion-Albums „Memento“ sowie die zugehörige Tour, gefolgt von den eigenen „Matapaloz“-Festivals und Stadionauftritten. Das Buch schließt mit der Band auf dem Zenit ihres Erfolgs.
Ich habe jetzt doch sehr ausführlich den Inhalt wiedergegeben (vielmehr grob umrissen, u.a. um später möglichst rasch ohne Griff ins Regal nachvollziehen zu können, was das Buch enthält und mir zumindest erwähnenswert erscheint), komme nun aber zum Fazit. Zunächst einmal das leidige Thema Rechtschreibung, Fehler und Lektorat, erfahrungsgemäß bei Büchern aus kleinen Verlagen oder auch schlicht bei jungen oder unerfahreneren Autoren manchmal so’ne Sache. Achtung also, jetzt folgt der Klugscheißmodus: Das Kleidungsstück heißt Parka, nicht Parker, Assis sind Assistenten, Asoziale hingegen kürzt man „Asis“ ab (zugegeben: sehr verbreiteter Fehler), die Naziterror-Band hieß Skrewdriver (mit k, nicht mit c) und das ‘83er-Demotape war das dritte (es sei denn, die dilettantischen Proberaummitschnitte aus dem ersten Tape werden nicht mehr mitgezählt). Klugscheißmodus aus. Mehr habe ich – bis auf die Kiss-Falschinfo (s.o.) – nicht gefunden. Nicht nur in dieser Hinsicht geht der Daumen hoch, denn die Schwarte ist auch stilistisch wirklich gut geschrieben; das Team um dieses Buch verstand sein Handwerk. Auch die sich über einige Seiten in der Buchmitte erstreckende Fotostrecke ist gelungen, bietet sie doch viel exklusives Bildmaterial.
Kern des Buchs ist natürlich sein Textinhalt. Aus diesem hätte ich gern mehr darüber erfahren, weshalb ausgerechnet die Frankfurter Punkszene im Vergleich zu anderen Städten eine Weile derart anfällig für die Indoktrination von Rechtsaußen war. Dies bleibt auch hier weitestgehend unbeantwortet. Gonzo bestätigt das Bild eines echtes Musiknerds und nennt beispielsweise Fleetwood Macs „Rumours“ als eines seiner Lieblingsalben (was den einen oder anderen überraschen dürfte). Erfreulich ist der offene Umgang mit falschen Entscheidungen und Fehlern. Die Autoren lässt er unabhängig davon gern auch mal über sich schreiben, was für ein toller und integrer Typ er sei, was er selbst wohl kaum so hätte schreiben können, ohne völlig eingebildet zu wirken. Sonderlich intim wird's nicht, wozu auch passt, dass das Buch stets – außer bei Zitaten – in dritter Person geschrieben ist. Wichtig war ihm offenbar die Selbstdarstellung als Hasser aufgezwungener political correctness und mahnender Zeigefinger in der Musik, der rebellischen, sich mit Politik und ihren Folgen auseinandersetzenden Songtexten aber überhaupt nicht abgeneigt ist, dem bei Gruppenzwang und von außen an ihn herangetragenen Forderungen aber übel wird. So weit, so nachvollziehbar und rock’n’roll. Letztlich ist’s mir aber zu viel der Unpolitisch-Litanei – denn, mal ehrlich: Wer, wenn nicht Links, tritt denn bitte wirklich nach oben statt nach unten?
Die Stirn runzeln dürfte die Leserschaft vielleicht auch angesichts der heftigen Absage an die Musikindustrie, derer Gonzo und seine Band selbst ein millionenschwerer Teil sind. Dazu muss man wissen, dass das letzte Label die Virgin war und die Band seither komplett auf eigenen Beinen steht, wenn man so will also die größte Indie-Band Deutschlands ist. Dass das Tuch zwischen Gonzo und Stephan derart zerrissen war, war mir vor der Lektüre nicht bewusst. Der Anlass – ein Artikel im Fanclub-Magazin – scheint etwas eskaliert zu haben, dessen Ursache vermutlich in den Egos jener beiden Alphamännchen zu suchen ist. Dieses Buch bringt Licht ins Dunkel, ohne es vollständig auszuleuchten. Die „Onkelz wie wir…“-Neuaufnahme erwähnt Gonzo mit keiner Silbe, sie fiel wohl noch in die Phase der völligen Funkstille. Ob und wenn ja, wie man tatsächlich ohne jeden persönlichen Kontakt zueinander daran gearbeitet hat, wäre interessant gewesen.
All dies ändert nichts daran, dass es sich um ein lesenswertes Buch handelt. Man muss kein Fan Gonzos oder der Onkelz sein, ein gewisses Interesse sollte ausreichen. Wer als Anhängerin oder Anhänger der Immer-schon-gewusst- oder der Verschwörungstheorienfraktion erwartet, hier nun endlich unumstößliche Belege für die politische Rechtsauslegung Gonzos und der ganzen Band zu finden, wird ebenso wenig fündig wie der/die Romantiker(in), der/die vielleicht gehofft hatte, hier aus jedem Kapitel subkulturelle, antikapitalistische Ideale tropfen zu sehen. Stattdessen ist Gonzo wie so viele große Musiker, die gut von ihrer Musik leben können, einerseits auffallend „normal" und im Alltag vermutlich gedanklich in erster Linie mit seiner Familie beschäftigt oder auch damit, in welchem Winkel der Erde man vielleicht ein neues Grundstück oder ein neues Haus erwerben sollte, andererseits – und das ist das Schöne – noch immer leidenschaftlich mit den kreativen Prozessen der Erschaffung neuer, den eigenen Ansprüchen gerecht werdender Musik beschäftigt. Nicht zuletzt: Keine Alkohol- oder Drogenabhängigkeiten, stattdessen – neben einer unvergleichlichen künstlerischen Karriere – eine intakte Familie mit Kindern. Das gelingt längst nicht jedem, schon gar nicht denjenigen, die aus dieser Szene kommen, und bekanntermaßen ja auch nicht jedem seiner Bandkollegen. Chapeau, Gonzo!
Weiß man aber wie ich mit den Solo- und den Band-Alben seit der Reunion nicht mehr so viel anzufangen, ist man dem ganzen Onkelz-Zirkus vielleicht auch schon länger entwachsen, stürzt man sich sicherlich nicht gleich wie ein Fanboy auf das Buch, sondern wartet, bis es, ähm, gut abgehangen ist. Und wenn man partout keine Zeit für seine Rezension findet, kann es zusätzlich eine gefühlte Ewigkeit dauern, bis diese endlich fertig ist. Dafür fällt sie dann eben etwas länger aus. Wer’s kürzer und vorurteilsbeladener mag, kann ja auf die Kritik im Ox zurückgreifen…
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE

Wolfgang Sperzel – Sperz beiseite!
Das dritte Album des deutschen Funny-Comiczeichners Wolfgang Sperzel umfasst erneut rund 50 Seiten im Softcover und erschien im Jahre 1993 im Semmel-Verlach (Neuauflagen bei dessen Nachfolger Achterbahn). Es handelt sich um kein Comicalbum im klassischen Sinne, sondern um eine Zusammenstellung jener Arbeiten, die Sperzel seinerzeit für Werbekunden gezeichnet hatte.
„Sperz beiseite!“ enthält sowohl farbige als schwarzweiße Arbeiten, leider erneut keine Seitenzahlen, aber einen selbstironischen Vorwort-Comic, in dem Sperzel einen Vorgesetzten des Verlags zu Wort kommen lässt und in dem er auch sein Maskottchen, die Rüsselzwergsau, unterbringt. Komplett ohne Text kommt eine sechsseitige irre Kettenreaktion – seine Spe(r)zialität – auf dem Bau aus, die als Pointe eine Endlosschleife suggeriert. Drollig sind die Kalendermotive für die Hamburg-Münchener. Für Modelleisenbahn-Hersteller Märklin fertigte er diverse tolle Arbeiten an und druckte hier u.a. seine Lokomotivskizzen ab. Wer der Auftraggeber war, steht jeweils dabei, so auch bei seinen Mensch- und Tierkarikaturen, die häufig als Wimmelbilder angelegt sind. Auch ein Schallplattencover hat er gestaltet. Am unteren Seitenrand beginnt mittendrin eine witzige, den Alltag in einer Druckerei karikierende Geschichte, die sich bis zum Schluss durchzieht. Das Album schließt mit einem Kurzporträt Sperzels.
Damals, also 1993, hätte ich vermutlich keine 19,80 DM hierfür ausgeben wollen; heute erfreue ich mich umso mehr an diesen liebevoll konzipierten und gezeichneten Beispielen für gelungene Werbung, wie es sie heutzutage leider kaum noch gibt. Als Kind hatte mich so etwas immer sehr angesprochen und das ist auch heute noch so. Danke, dass du die oft so dröge Werbewelt ein bisschen bunter und lustiger gemacht hattest, Wolfgang!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
Hui, was für eine lange, ausführliche Buchbesprechung, der man richtig anmerkt, wieviel Herzblut drinsteckt. Kompliment!buxtebrawler hat geschrieben: ↑Di 1. Apr 2025, 18:47
Dennis Diel / Marco Matthes – Gonzo. Die offizielle und autorisierte Biografie von Matthias Röhr
...
Das Buch würde ich nicht lesen, dazu ist die Band mir nicht wichtig genug bzw. mein Fandom nicht groß genug. Trotzdem war dein Artikel hochinteressant für mich.
Die Relevanz der Onkelz für die deutsche Skinhead-Szene und später allgemein Rockszene ist sicherlich kaum abzuschätzen, ob einem das nun gefällt oder nicht. Und wenn sich heute, wie vergangenes Jahr in Bremen passiert, immer noch Leute entblöden, ein Konzert der Band verhindern zu wollen, kann man sich nur wundern.
Was einem sofort ins Ohr sticht, ist die weit überdurchschnittliche musikalische Qualität, selbst schon bei den frühen Veröffentlichungen. Beachtlich, wenn man das mit dem typischen einfach gestrickten Rumpelpunk anderer deutscher Oi!-Bands der Achtziger vergleicht. Klar war mir bewusst, was für ein toller Gitarrist Gonzo ist, näher beschäftigt habe ich mich mit seiner Person jedoch nie, allein schon, weil Weidner immer als offizielles Sprachrohr der Gruppe omnipräsent war.
Einige Details ordne ich sicherlich etwas anders ein als du, auch aufgrund unser unterschiedlichen Prägung. Kahlkopf waren verdammte Hohlbirnen, die der deutschen Skinhead-Szene durch ihre Existenz gewiss mehr geschadet als genutzt haben, d’accord, aber Frei.Wild mir schlicht nie wichtig genug, um mich mit ihnen zu beschäftigen. Dass andere Musiker versuchen würden, die durch die Auflösung der Onkelz entstandene Leerstelle zu füllen, ist jedoch logisch.
Auf einen von dir angesprochenen Aspekt möchte ich gerne ausführlicher eingehen, die angebliche Anfälligkeit Frankfurts für rechte Tendenzen.
Ende der Siebziger sah es in deutschen Großstädten so aus, dass die 68er-Protestgeneration der Spießergesellschaft ihren weitgehend tolerierten Freiraum abgehandelt hatte. Jugendzentren, politische Buchläden, Teestuben usw. waren fest in der Hand ehemaliger Revoluzzer, die einen weniger radikalen Weg als die RAF oder 2. Juni eingeschlagen hatten, sondern es sich mit ihrer nun etablierten Situation gutgingen ließen. Die plötzlich auftauchenden neuen Rebellen der ersten und zweiten Punk-Generation, also 1977-1981, wurden mit großem Misstrauen, mehr noch, purer Abneigung beobachtet und man machte ihnen das Leben möglichst schwer. Unter diesem Aspekt ist verständlich, dass die größten Feinde der jungen Punks direkt nach den Bullen meistens die Hippies waren. Der Onkelz-Song auf dem zweiten Soundtracks-Sampler ist das perfekte Abbild dieser Zeit, denn in Frankfurt waren die Gräben wohl besonders tief. Ich besitze ein kleines Ego-Fanzine der damaligen Szene, in der diverse Protagonisten mit Foto und Kommentar vorgestellt werden und ausnahmslos alle geben an, dass sie Hippies hassen! Und womit kann man einen Linken besonders gut provozieren und ärgern? Eben! Viel von dem rechten Gehabe, auch der ersten Skinhead-Generation ab 1981/82, bei der es sich durchweg um Ex-Punks handelte, war reine Provokation ohne ideologischen Hintergrund.
Dass es auch anders gegangen wäre, beweisen die skandinavischen Länder, wo es nicht nur eine friedliche Koexistenz zwischen der politischen Linken und der Punkszene gab, sondern durchaus auch teilweise die Infrastruktur, wie Labels oder Vertriebe, gemeinsam genutzt wurde und sich Bands sogar gegenseitig musikalisch befruchteten.
In Deutschland nahezu undenkbar! Hippies und Punks waren Feinde! Punkt!
Das änderte sich erst ab 1982, wo durch die einsetzende NDW lange verkrustete Grenzen aufbrachen und die linke Szene plötzlich erkannte, dass mit der neuen Musik auch Geld zu verdienen ist. Traurig, aber wahr!
Dass dann mit der zweiten Skinhead-Generation ab 1983, die zum Teil bereits aus Fußballfans, Hools und Direkteinsteigern ohne Punk-Vergangenheit bestand, viele auch ideologisch tatsächlich in die rechte Ecke drifteten, ist eine andere Geschichte. Einer so einflussreichen Band auf die Skin-Szene, womit ich zum Ausgangspunkt, den Onkelz, zurückkehre, darf man sicherlich ankreiden, dass sie viel zu naiv und ungeschickt ohne Bewusstsein für ihre Funktion als Aushängeschild agiert haben. Aber so war es nunmal, Fehler wurden, auch von anderen, reichlich begangen.
Soweit ein kleiner Ausflug in eine prähistorische Zeit, der dich hoffentlich nicht allzu sehr gelangweilt hat und danke für die Buchbesprechung.
Diktatur der Toleranz
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
Die Zeit listete den Film in einem Jahresrückblick als einen der schlechtesten des Kinojahres 2023. Besonders bemängelt wurden dabei die Sexszenen, die von der Rezensentin als „pornografisch“ und „lächerlich“ bezeichnet wurden.
- Dick Cockboner
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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
Ich spinne mal etwas off- topic weiter.FarfallaInsanguinata hat geschrieben: ↑Do 3. Apr 2025, 16:15 Dass andere Musiker versuchen würden, die durch die Auflösung der Onkelz entstandene Leerstelle zu füllen, ist jedoch logisch.
Die Leerstelle, die durch den Bruch der BO mit ihrer rechtsradikalen Klientel bzw. ihrer späteren Auflösung entstand, wurde vor allem durch Musikmanager/ Produzenten (hier Egoldt/ Lemmer) versucht zu füllen. Die Kuh wurde weiter erfolgreich abgemolken.
Ende der 80er entstand ja geradezu ein regelrechter Hype um die Düsseldorfer Band "Störkraft", die waren wie die Onkelz, nur besser, da politisch viel eindeutiger und szenerelevanter. (Das ist nicht meine Meinung, sondern meine Wahrnehmung, war ich doch damals ca. 15 Jahre alt und hatte auf die Scheiße gar keinen Bock, viele meiner damaligen Freunde allerdings um so mehr


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Re: Die gemütliche DELIRIA-LITERATUR-LOUNGE
Vielen Dank!FarfallaInsanguinata hat geschrieben: ↑Do 3. Apr 2025, 16:15 Hui, was für eine lange, ausführliche Buchbesprechung, der man richtig anmerkt, wieviel Herzblut drinsteckt. Kompliment!
Das Buch würde ich nicht lesen, dazu ist die Band mir nicht wichtig genug bzw. mein Fandom nicht groß genug. Trotzdem war dein Artikel hochinteressant für mich.
Klar, aber es waren nicht nur die Bands. Als sich die Onkelz aufgelöst hatten, haben sich gewisse Teile der Musikindustrie auf Frei.Wild gestürzt, um eine Art "Ersatzprodukt" zu haben. Dass es sich dabei gerade auch um jene Musikindustrieteile handelte, die nur wenige Jahre vorher die Onkelz noch boykottierten, ist mal wieder ein schönes Indiz für die Heuchelei jener Branche. Und auch, wenn diese Band weder für dich noch für mich wichtig ist, waren das offenbar finanziell sehr lukrative Coups und die Tirolerhut-Möchtegern-Onkelz wurden verdammt populär.FarfallaInsanguinata hat geschrieben: ↑Do 3. Apr 2025, 16:15 (...) aber Frei.Wild mir schlicht nie wichtig genug, um mich mit ihnen zu beschäftigen. Dass andere Musiker versuchen würden, die durch die Auflösung der Onkelz entstandene Leerstelle zu füllen, ist jedoch logisch.
Auf angelesenem Wissen, persönlichen Gesprächen und eigenen Erfahrungen beruhend stimme ich dir weitestgehend zu. In Frankfurt aber scheinen die von dir beschriebene erste und zweite Generation sich in Sachen politischer Verwirrtheit (um's vorsichtig auszudrücken) recht bald nicht mehr viel genommen zu haben, denn da ging's dann - so mein Kenntnisstand - ziemlich schnell nicht mehr darum, linke Spießer und Hippies zu provozieren, sondern um Eintritte in Parteien und so'ne Scheiße. Ist aber ein Thema für sich und hat mit Gonzo nun auch wirklich nichts mehr zu tun (mit Leuten aus dem damaligen Band-Umfeld aber - immer vorausgesetzt, meine Quellen stimmen - durchaus). Will hier aber auch nichts miteinander vermischen, das machen andere schon genug.FarfallaInsanguinata hat geschrieben: ↑Do 3. Apr 2025, 16:15 Auf einen von dir angesprochenen Aspekt möchte ich gerne ausführlicher eingehen, die angebliche Anfälligkeit Frankfurts für rechte Tendenzen.
Ende der Siebziger sah es in deutschen Großstädten so aus, dass die 68er-Protestgeneration der Spießergesellschaft ihren weitgehend tolerierten Freiraum abgehandelt hatte. Jugendzentren, politische Buchläden, Teestuben usw. waren fest in der Hand ehemaliger Revoluzzer, die einen weniger radikalen Weg als die RAF oder 2. Juni eingeschlagen hatten, sondern es sich mit ihrer nun etablierten Situation gutgingen ließen. Die plötzlich auftauchenden neuen Rebellen der ersten und zweiten Punk-Generation, also 1977-1981, wurden mit großem Misstrauen, mehr noch, purer Abneigung beobachtet und man machte ihnen das Leben möglichst schwer. Unter diesem Aspekt ist verständlich, dass die größten Feinde der jungen Punks direkt nach den Bullen meistens die Hippies waren. Der Onkelz-Song auf dem zweiten Soundtracks-Sampler ist das perfekte Abbild dieser Zeit, denn in Frankfurt waren die Gräben wohl besonders tief. Ich besitze ein kleines Ego-Fanzine der damaligen Szene, in der diverse Protagonisten mit Foto und Kommentar vorgestellt werden und ausnahmslos alle geben an, dass sie Hippies hassen! Und womit kann man einen Linken besonders gut provozieren und ärgern? Eben! Viel von dem rechten Gehabe, auch der ersten Skinhead-Generation ab 1981/82, bei der es sich durchweg um Ex-Punks handelte, war reine Provokation ohne ideologischen Hintergrund.
(...)
Dass dann mit der zweiten Skinhead-Generation ab 1983, die zum Teil bereits aus Fußballfans, Hools und Direkteinsteigern ohne Punk-Vergangenheit bestand, viele auch ideologisch tatsächlich in die rechte Ecke drifteten, ist eine andere Geschichte. Einer so einflussreichen Band auf die Skin-Szene, womit ich zum Ausgangspunkt, den Onkelz, zurückkehre, darf man sicherlich ankreiden, dass sie viel zu naiv und ungeschickt ohne Bewusstsein für ihre Funktion als Aushängeschild agiert haben. Aber so war es nunmal, Fehler wurden, auch von anderen, reichlich begangen.
Soweit ein kleiner Ausflug in eine prähistorische Zeit, der dich hoffentlich nicht allzu sehr gelangweilt hat und danke für die Buchbesprechung.
Fehler gestehe ich jedem, insbesondere aufbegehrenden adoleszenten Jugendlichen, zu und möchte weder als Moralapostel noch sich selbst für fehlerfrei haltender, eingebildeter Schmock rüberkommen. Und natürlich langweilen mich deine historischen Ausführungen keineswegs.
Freut mich, dass dir die Buchrezension gefallen hat. An der saß ich nach Feierabend immer mal ein bisschen, und das hat sich gezogen wie Kaugummi...
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!