Deliria-Italiano

Wer KINO DES UTOPISCHEN oder von mir aus auch SAGENHAFTE WELTEN gelesen hat, der wird hier nix Neues erfahren. Den Sci-Fi-Frischlingen wird hingegen ein locker-flockiger Einstieg (der nicht die erste Abbiegung nutzt, um in einer Bleiwüste zu versacken) in die Welt der Sci-Fi-Lichtspiele offeriert, Was mit Georges Méliès beginnt, endet mit Scott´s BLADE RUNNER. Die filmwissenschaftliche Schiene wird nicht, das Filmhistorische ausreichend bedient. Der Schreibstil ist neutral, halt nicht zu aufdringlich und nicht zu distanziert.

karlAbundzu hat geschrieben: ↑Mi 18. Mai 2022, 09:57 Stephen Moss: Über die Schwalben

Ein Engländer begleitet die Rauchschwalben über das Jahr. Die erstaunlichen Vogel leben ja nur in Frühjahr und Sommer, denn wenn der Herbst naht, ziehen sie auf die Südseite unserer Kugel, bis nach Südafrika.
Neben Informationen über das Tier gibt es Abgrenzungen zu ähnlichen Vögeln, Anmerkungen zur Geschichte der kulturellen Bedeutung in verschiedenen Ethnien und persönlichen Anekdoten.
Solche Bücher gibt es in England schon einige, und da sich die Hobby - Ornithologie sich auch hier immer mehr verbreitet, wird so etwas zum Glück auch mal übersetzt.
Und Schwalben sind halt wunderschöne vögel, leider sind sie aus der Stadt verschwunden. Bei jedem Landausflug halte ich Ausschau und erfreue mich an ihren Flugkünsten.
Gut illustriert ist es auch.

Auf dem Land zumindest nicht!
Neulich fand ich in einer Auto-SB-Waschanlage meiner Kleinstadt unter der Decke der hinten geschlossenen Halle ein Nest mit regem Betrieb. Hat mich sehr gefreut!

Geballte Ladung Infos, die sehr hilfreich sind, um einen Western besser einzuordnen. Es war mir ein (Lese)Vergnügen.

Der Weg von EMELKA zu BAVARIA. Krisen, Nationalsozialismus, das Ausweichen nach Cinecitta. Das sind äußerst spannende, aber eher oberflächlich angesprochene Themen. Etwas mehr Tiefe hätte nicht schaden können. Ansonsten wird über Stars sowie Drehabläufe berichtet. Ich hatte das Buch flink ausgelesen, da es einerseits zahlreiche Bilder inkludiert und andererseits nun wirklich keine über die Maßen positionierte Konzentrationsgabe fordert.

Das Buch inkludiert die Lebensläufe von 25 bekannten Filmmusikkomponisten sowie eine chronologisch gegliederte Übersicht ihrer Filmmusikkompositionen. Interessant wird es, wenn die Komponisten über ihre Erfahrungen und Arbeitsweisen berichten. Das Filmwissenschaftliche wird dabei weniger beachtet. Einzig Fred Steiner spricht auf die Theorie des Films an (er beruft sich auf Schriften von Kracauer) und bemängelt die dereinst minder vorhandene Themenliteratur. Ich vermute, dass das heute etwas besser ausschaut.

Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne
Das aktuelle Buch des Nobelpreisträgers.
In einer leicht dystopischen nahen Zukunft bekommen Teenager künstliche Freund*innen, damit sie diese Zeit in Begleitung überstehen.
Wir erleben die Geschichte einer dieser KFs mit. Und zwar von ihrer Aufstellung im Laden bis zu ihrem Verblassen. Und konsequent aus ihrer Sicht. Wie sie die Zeit im Shop mit anderen verbringt, wie sie von einem Mädchen ausgesucht wird, die spezielle Situation bei der Familie. Sie entwickelt dabei ihre eigene Philosophie und Rituale.
Dabei werden viele soziale Themen gestreift. Vereinsamung, auseinander driften der Gesellschaft, Einfluss der sozialen Medien usw.
Das ist großartig und unaufdringlich geschrieben, hat mich fasziniert.
Wer auf realistische Sci Fi mit philosophischen Anteil steht, sollte mal reinschauen.

Berlin Visionen.
Filmwissenschaftliches Buch über Berlin seit 1980.
Insgesamt 23 Aufsätze, aufgeteilt in fünf lose Themenbereiche. Bei so vielen Autoren schwankt natürlich Anspruch und Herangehensweise, das meiste hat jedoch Hand und Fuß.
Wirklich umfassende Betrachtung, an dem ich nur Kleinigkeiten auszusetzen hätte. Schön auch, das gen chronologischen Ende mit Babylon Berlin und 4 Blocks Serien mit rein genommen werden. Um so mehr vermisst man aber die drei Damen vom Grill.
Empfehlung.

Die überwiegend starken Eindrücke, weche die Filmbücher aus dem Heyne-Verlag bei mir hinterlassen haben, können die Musikbücher nicht betätigen. So ist auch das Buch über THE WHO sehr grob gestrickt. Man erfährt einiges über die phasenweise miserablen Finanzen der Band und das finanzielle Goldstück TOMMY. Aber leider wenig über die Arbeitsweisen und Techniken der Band. Die Anekdoten über Keith Moon lockern das mittelprächtige Büchlein etwas auf.
Eigentlich habe ich Lesestoff für zwischendurch erwartet. Teeniehaftes Geschwurbel über Kleidung und Chartmucke, der im Buch thematisierten 1950er, 1960er und 1970er. Doch gelegentlich kommt es dann doch anders als man es in seiner großkotzigen Phantasie ausmalt. Raoul Hoffmann ist ein Autor, der einen guten Schreibstil besitzt und eifrig recherchiert hat, um eine spannende Abhandlung vom Rock´n´Roll bis zur elektronischen Musik zu verfassen. Nebstdem widmet er ein Kapitel dem Drogenkonsum in der Musikszene. Und zwar nicht mit erhobenen Zeigefinger oder im Vorurteil- respektive Verurteilungsstil der Generation von Auschwitz (Studenten und Langhaarige sind alle drogenabhängig), sondern fortwährend sachlich. Viel Infos für kleines Geld, denn das Buch lässt sich für ca. 3 Euro inc. Versandosten bei Booklooker schießen.

Hollywood - Babylon
Teil 1
Skandalgeschichten aus Hollywood aus der Sicht von Kenneth Anger.
Nicht durchgängig gut beleumundetes Buch, dennoch sehr interessant. Kenneth Anger erzählt vom alten Hollywood & mir persönlich ist dabei völlig egal wie genau dabei vorgegangen worden ist. Anger's Gossip - Pulp ist sehr unterhaltsam und die wirklich, reine & echte Wahrheit ist mir schnuppe!
Teil 2 liegt hier auch rum und wird demnächst gelesen.

Rolf Thissen legt mit SEX VERKLÄRT los wie vor 2 Monaten der FC St. Pauli beim FC Schalke 04. Anstelle der beiden schnellen Sankt Paulianer Hütten definiert Thissen dito treffsicher die wesentlichen Gründe, warum in der Stummfilmzeit Aufklärungsfilme geschaffen wurde, kommt anschließend auf das Enneagramm zu sprechen und erklärt, warum man mit den damit verbundenen Klassifizierungen pfleglich umgehen sollte. Anschließend zentralisiert der Autor den Aufklärungsfilm in der Weimarer Republik. Was mir die Gelegenheit gab, einen Film wie ANDERS ALS DIE ANDEREN mit Conrad Veit kennen zu lernen. Die lichtspielerischen Aufklärer der Stummfilmzeit und ihr Schockpotential lieferten mir spannende Leseminuten. Nach dem Sprung zum Tonfilm flacht das Buch m.E. etwas ab, denn die Inhaltsangaben und das Zitieren der zeitgenössischen Kritik wirken auf Dauer erschöpfend. Über die REPORT-Filme wird leider nur sporadisch berichtet. Trotz der genannten Defizite sehe ich SEX VERKLÄRT frelich als eine Bereicherung. Sollte man in der Sammlung haben!

Steve Jones: Lonely Boy

Der Gitarrist der Sex pistols erzählt sein Leben nach. Von Anfang bis Ende. Bis auf ein paar abschweifungen stringent chronologisch.
Und da ich einiges aus der Zeit vor den Pistols und einiges aus der Zeit danach ( finde ich ja immer am spannendsten) nicht wusste, war es informativ.
Leider geht Jones selten in die Tiefe. Obwohl allerlei heftiges passierte: Missbrauch im Kindesalter, allerlei Süchte, kleptomanie, Analphabetismus, und das aneignen aller möglichen Jugendkulturen. Die er allerdings rein ästhetisch bzw nur an den Klamotten fest macht. Passt zu der Oberflächlichkeit. Dazu kommen oft Andeutungen, bei der ich dachte, jetzt müsste man Insider sein oder so. Unangenehm. Er propagiert Klartext, hält es aber selbst nicht ein.
Dazu macht er einen durchaus unsympatischen Eindruck.
Wie aus sowas eine TV Serie über die Pistols entstehen kann, die wirklich sehr kurz abgehandelt werden, ist mir schleierhaft.
Bzw. Ist wohl ein buy in, holt sich halt den Gitarristen als Authenzitätsbeweis dazu...

Vivien Goldman: Die Rache der She -Punks
Eine feministische Geschichte des Punks. Und Punk wird hier weit gefasst, sowohl regional ( das geht von Indonesien und Russland bis zu den üblichen Zentren) als auch ästhetisch. Also hier ist Punk eher der Spirit, also kommen neben den offensichtlichen Slits, Raincoats, Pussy Riot auch Sandra Izsadora, neneh Cherry und Grace Jones vor.
Sortiert ist es nach Themen, und den Themen zugeordneten Songs. Die ich mir bei der Lektüre als playlist gab und viel entdeckte.
Die Autorin war ja als Journalistin und Musikern früh in der Szene dabei und ist nun im akademischen als Punk - Professorin. Aber das Buch ist nicht akademisch. Man spürt, wie Goldman die einzelnen Künstlerinnen auch abfeiert, doch gleichzeitig deren jeweiligen höchst unterschiedliche Ansätze nicht gegeneinander wertend beschreibt. Und auch die Umstände immer mitnimmt. Indonesien 90er mit umerziehungslager für Punks ist halt etwas anderes als LA 2000. Und beides meldet sich zu Recht zu Wort.
Tolles Buch. Viel gelernt, viel drüber nachgedacht.