Arlington Road - Mark Pellington (1999)

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Maulwurf
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Arlington Road - Mark Pellington (1999)

Beitrag von Maulwurf »

 
Arlington Road
Arlington Road
USA 1999
Regie: Mark Pellington
Tim Robbins, Jeff Bridges, Joan Cusack, Hope Davis, Robert Gossett, Mason Gamble, Spencer Treat Clark,
Stanley Anderson, Viviane Vives, Lee Stringer, Darryl Cox, Loyd Catlett


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Der Universitätsprofessor Michael Faraday lernt durch ein Unglück seinen Nachbarn, den Bauingenieur Oliver Lang kennen. Faradays Frau, eine FBI-Agentin, wurde vor 3 Jahren bei einem schlecht koordinierten Einsatz getötet, und seither ist er mehr oder weniger alleinerziehender Vater, mit ein wenig Unterstützung einer seiner Studentinnen. Da er neben der Trauer über den Verlust seiner Frau auch mit seinem Lehrfach recht ausgelastet ist, freut er sich umso mehr, dass die Nachbarn seinen 9-jährigen Sohn gemeinsam mit ihrem eigenen Sohn betreuen, und ihm so einfach ein wenig mehr Luft zum Atmen bleibt. Nach den vielen Schatten der letzten Jahre könnte das Leben endlich ein wenig angenehmer werden, aber bedingt durch die Spezialisierung seines Lehrfaches, Amerikanische Geschichte mit besonderem Schwerpunkt auf Bürgerrechten und Extremismus, fallen ihm im Nachbarhaus schnell Ungereimtheiten auf. Lang bekommt Briefe von einer Uni, auf der er nach eigener Aussage niemals war. Die Baupläne in seinem Büro schauen nach allem möglichen aus, aber niemals nach einem Einkaufszentrum. Und sein Name, das kann Faraday recht schnell recherchieren, ist falsch. Unter seinem ursprünglichen Namen wurde Lang mit 16 Jahren mal als Bombenleger verhaftet …

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Aus heutiger Sicht ein sehr dankbares Sujet, dass Drehbuchautor Ehren Kruger (heißt der wirklich so?) da geschrieben hat, denn ARLINGTON ROAD ist vor dem September 2001 entstanden, und konzentriert sich darum eben gerade nicht auf den vermeintlich naturgegebenen Extremismus dunkelhäutiger Ausländer. Im Gegenteil untersucht der Film vielmehr, wieso weiße und gebildete Männer Rechtsextremisten werden und Terroranschläge ausüben. Na gut, untersuchen ist da wahrscheinlich das falsche Wort, vorstellen trifft es wohl besser. Denn der Film liefert keine Antworten auf die gestellten Fragen, und er lässt den Zuschauer in einer nebulösen und klandestinen Stimmung zurück. Eine Stimmung, die sicher viele kennen, die sich mit Ereignissen wie dem Bombenattentat auf das Bundesgebäude in Oklahoma City 1995 beschäftigen. Oder dem Anschlag auf das Oktoberfest in München 1980. Beiden Anschlägen ist gemein, dass die Behörden immer von einem Einzeltäter ausgingen, und Vermutungen über eine Gruppe oder gar ein Netzwerk von Attentätern immer ignorierten. In Deutschland ging diese Taktik erst bei der Mordserie des NSU nach hinten los, und auch da erst sehr viele Jahre nach deren Abschluss …

So oder so rutscht der Zuschauer hier unmerklich in ein Geflecht von Angst und Terror. Wie aus dem freundlichen und offenen Nachbarn ein Mensch mit Geheimnissen wird, ein Fragezeichen mit weißen Flecken in seinem Lebenslauf, und erst sehr spät die wahre Natur Langs zum Vorschein kommt, das ist mit großer Liebe zum Detail und viel Zeit dargestellt. Überzeugend werden einzelne Mosaiksteine aneinandergepasst, und wir folgen Faraday in diesem Puzzlespiel bis zum bitteren Ende, ohne dass wir jemals selber mehr wissen als Faraday. Auch für den Zuschauer bleibt dieser Nebel da, der die Sicht auf die Hintergründe versperrt, und nur andeutet, dass hinter Lang eventuell(!) noch ganz andere Personen stecken könnten.

Eine Verschwörung mit dem Ziel, einen demokratischen Staat von innen heraus zu zerstören. Daniel Harrichs DER BLINDE FLECK fällt einem dazu ein, oder auch Damiano Damianis ICH HABE ANGST, beide unter dem Oberbegriff des Paranoia-Thrillers zusammengefasst. Die Perfidie, mit der Faraday hier aber in das Netz eingewoben wird, die erinnert aber vielmehr an Alan J. Pakulas ZEUGE EINER VERSCHWÖRUNG, und setzt auf die vorhandene Spannung durch die politische Komponente noch einmal oben einen drauf. Bei aller Unlogik und allem Risiko, welches der tatsächliche Plan mit sich führt, ist die Auflösung von ARLINGTON ROAD doch ein böser Schlag unter die Gürtellinie. Und ein Tritt vor das Schienbein aller Ermittlungsbehörden, die sich so gerne das Leben leichtmachen und auf den Einzeltätertheorien beharren.

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ARLINGTON ROAD lässt sich, ich erwähnte es, Zeit für diese Geschichte. Trotz hochrangigem Cast, und auch wenn die ersten Hinweise relativ früh fallen, so ist der Film dennoch alles andere als ein gängiger Mainstreamfilm mit Blockbuster-Allüren. Stattdessen wird auf die Macht des Wortes Wert gelegt, werden Rückblenden auch mal wie früher als Diavortrag getätigt, ist die Erzählweise im besten Sinne altmodisch. Diese Langsamkeit nutzt Regisseur Mark Pellington dazu, seinen Figuren ein wenig Tiefe zu geben, sie mit Charaktereigenschaften auszustatten anstatt mit Onelinern, und dem friedlichen Leben in der (amerikanischen) Vorstadt zu huldigen - Nur, um diese Szenarien später dann genüsslich und voller Hinterfotzigkeit zu dekonstruieren. Das Treffen zwischen Faradays Freundin Brooke und der Nachbarin etwa lässt sich an Abgründigkeit kaum überbieten. Und an Konsequenz ebenfalls nicht …

Auch wenn sich vor allem zum Showdown hin Logiklöcher in der Größe der NSU-Ermittlungspannen auftun, so tut das der Spannung und der Bosheit keinen Abbruch. Es gibt keine wilden Schießereien, nur anderthalb Explosionen können begutachtet werden, und irgendwie macht Pellington einfach alles anders, als es im gängigen US-Kino mittlerweile üblich ist. Sehr zum Vorteil der Geschichte und des Thrills, was dann im Ergebnis zu einer starken Mixtur aus Unterhaltung und Anspruch führt. Sehr sehenswert!

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8/10
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