Blind Husbands - Erich von Stroheim (1919)

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Salvatore Baccaro
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Blind Husbands - Erich von Stroheim (1919)

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Originaltitel: Blind Husbands

Produktionsland: USA 1919

Regie: Erich von Stroheim

Cast: Erich von Stroheim, Francelia Billington, Sam De Grasse, T.H. Gibson-Gowland, Valerie Germonprez, Jack Perrin


Der die Bedürfnisse von Heimatfilm-Aficionados am meisten befriedigende Film der diesjährigen Bonner Stummfilmtage dürfte wohl Erich von Stroheims Regie-Debüt BLIND HUSBANDS aus dem Jahre 1919 sein.

Der, wie er in einem Zwischentitel vorgestellt wird, weltberühmte Chirurg Dr. Robert Armstrong gastiert mit seiner Frau auf einer Urlaubsreise gen Italien in einem schmucken Dolomitendorf. Während der Arzt seine Zeit damit verbringt, den ganzen Tag liegend oder sitzend irgendwelche Fachbücher zu verschlingen, langweilt sich seine Angetraute Margaret förmlich zu Tode. Nicht nur leidet die junge Frau aber unter der Teilnahmslosigkeit Roberts ihr gegenüber, der sie weder besonders zu Kenntnis zu nehmen geschweige denn sie sexuell zu begehren scheint, sondern vor allem darunter, dass sie ihr gesamtes Denken und Fühlen allein auf ihren Ehemann ausgerichtet hat: Sämtliche anderen Vergnügen, denen sie in dem Ferienresort hätte nachgehen können, verpuffen angesichts der Tatsache, dass sie diese ohne ihren Geliebten hätte unternehmen müssen. Dementsprechend sitzt Margaret die meiste Zeit an Roberts Seite und wirft ihm sehnsüchtige Blicke zu, wenn dieser mit anderen US-Touristen am Frühstückstisch über gewichtige wissenschaftliche Fragen diskutiert oder einmal mehr seine Nase in einen seiner zentnerschweren Folianten versenkt. In dieses emotionale Vakuum prescht im Schweinsgalopp der österreichische Offizier Erich von Steuben hinein, der im selben Gasthof wie die Armstrongs residiert und keine Gelegenheit auslässt, die lokale Damenwelt erst mit oberflächlichen Schmeicheleien zu verführen, und sie sodann mit gebrochenem Herz sitzenzulassen. Margaret indes triggert seinen Ehrgeiz: Um ins Bett der Ehefrau eines renommierten Mediziners steigen zu können, muss der blasierte Leutnant wesentlich mehr Tricks und Kniffe aufwenden als bei einem einfältigen Bauernmädchen, das ihm folgt wie ein Hund, wenn er bei einem abendlichen Fest nur mit dem kleinen Finger schnippt. Zunächst verbittet Margaret sich die offensiv-zudringlichen Annäherungsversuche des Militärs, beziehungsweise hofft darauf, dass Robert angesichts der Avancen von Steubens endlich aus seiner Lethargie erwacht, ein Machtwort spricht und begreift, dass es manchmal nur eines Blickes oder einer kleinen Geste bedarf, um etwas, das einem teuer ist, zu verlieren. Mit der Zeit aber, als Robert auf keinen ihrer subtilen Hilfeschreie nach Zärtlichkeit und Zuwendung reagiert, zudem völlig blind zu sein scheint für die Dinge, die der Österreicher in Bezug auf Margaret im Sinn hat, und das Dorf gar für einen Tag und eine Nacht verlässt, um als Arzt die Rettungsaktion eines verunglückten Bergsteigertrios zu begleiten, ist unsere Heldin den „Aufmerksamkeiten“ von Steubens mehr und mehr in einer Mischung aus Begierde und Hilflosigkeit ausgeliefert…

Weitgehend ohne die zeittypischen pathetischen Auswüchse, mit denen die Traumfabrik ihre Melodramen in den 1910ern und 1920ern zu kontaminieren pflegte, inszeniert Erich von Stroheim seinen abgründigen Bergfilm in einem realistischen Modus, der heute noch zu verblüffen vermag: Die Detailverliebtheit ist zwar noch nicht so obsessiv wie in seinen späteren, häufig von den Produzenten neugeschnittenen, zensierten oder gleich komplett in die Tonne geworfenen Meisterwerken, dennoch erwacht der Handlungsschauplatz förmlich greifbar vor unseren Augen zum Leben, mit all seinen Bildstöcken und Wandkruzifixen, mit seinen massigen, treuherzigen Bernhardinern, mit seiner kontrastreichen Fülle aus Luxusmode der US-Touristen und der einfachen Tracht der örtlichen Bevölkerung, mit seinen überteuerten Holzschnitzereien, angeblich aus Oberammergau, mit seinen erhaben-ängstigend ins Tal blickenden Berggipfeln. Tatsächlich sind die Bilder ausnahmslos zum Niederknien: Komponiert wie Gemälde transportieren sie vordergründig zwar alpinen Heiamtkitsch, hinter dessen unschuldiger Miene jedoch lauert stets etwas Unheilvolles, das sich, bis zum Finale, nie so recht hinter den filigranen Schnitzwerken der Hausfassaden oder den wie gemalt wirkenden schneebedeckten Gipfeln hervorwagen möchte. All die malerischen, tatsächlich in Südtirol eingefangenen Schauplätze, die sich gemächlich und größtenteils ohne expressive Schauwerte entfaltende Handlung, die Personen mit ihren unterdrückten oder offen ausgelebten Leidenschaften – all das verblasst allerdings beinahe vor der schauspielerischen Leistung des mittdreißigjährigen Erich von Stroheims in der Rolle von Steubens: Den sicher nicht zufällig seinen eigenen Vornamen tragenden Antagonisten konzipiert Stroheim auf eine Weise, dass zwischen Bedrohung und Lächerlichkeit stets nur ein äußerst schmaler Grat klafft: Wenn von Steuben sich in Verführungs-, wenn nicht gar Vergewaltigungsabsicht des Nachts Margarets Stube nähert, wirkt sein raubkatzenschleichender Gang durch die dunklen Flure fast wie eine Vorwegnahme ähnlicher Streifzüge, die Max Scheck ein paar Jahre später in Murnaus NOSFERATU unternehmen wird, und wenn sein lüsternes Gesicht, eine phallische Zigarre im Mundwinkel, in einem Alptraum Margarets vor kompletter Dunkelheit mitten in die Kamera feixt, dann erinnert die Figur erst recht an ein hünenhaftes Monstrum aus einem Horrorfilm. Demgegenüber stehen dann aber Szenen, in denen Stroheim genüsslich entlarvt, was für ein affektierter, feiger, im Grunde hohler Charakter dieser aufgeblasene Leutnant doch eigentlich ist, (und damit auch all das, was er repräsentiert): Bevor er sich aufmacht, Margaret in ihrem Schlafzimmer zu „beglücken“, unterzieht er sich erstmal einer ausgiebigen Körperpflegeprozedur, inklusive Eau de Cologne hinter die Öhrchen und einem Kamm, mit dem er sein (überschaubares) Haupthaar am Hinterkopf in die perfekte Form bürstet, - eine Szene, die gerade durch die dem Film eigene Subtilität an Komik gewinnt. Besonders witzig ist es auch, wenn von Steuben durch den Ort stolziert, als würde er eine Militärparade anführen, und die örtlichen Kinder ihm in Scharen hinterherlaufen und seinen Stechschritt nachäffen.

BLIND HUSBANDS stellt nicht nur eines der ungewöhnlichsten Erstlingswerke der mir bekannten Hollywood-Historie dar, sondern ebenso den Auftakt zu einem der ungewöhnlichsten, wenn auch tragischsten Oeuvres der Filmgeschichte: Bei BLIND HUSBANDS; der sich bei einer moderaten Länge von etwa hundert Minuten einpendelt, hat Produzent Carl Laemmle nur dahingehend eingegriffen, dass er den ursprünglichen Titel THE PINNACLE verwarf; sämtliche späteren Werke Stroheims werden indes entweder bloß in verstümmelten Fassungen in die Kinos gebracht oder Stroheim gleich noch während der Dreharbeiten gefeuert und durch andere Lohnarbeiter-Regisseure ersetzt, weswegen uns Sternstunden der Kinematographie wie QUEEN KELLY oder GREED heute bloß in Versionen vorliegen, die Stroheims Ursprungsintentionen (und seiner Megalomanie) nur wenig gerecht werden. Welch Glück immerhin, dass BLIND HUSBANDS Zahn der Zeit und Produzentenscheren widerstanden hat...
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