Originialtitel: Drácula
Produktionsland: USA/Spanien 1931
Regie: George Melford
Darsteller: Carlos Villarías, Lupita Tovar, Barry Norton, Pablo Álvarez Rubio, Eduardo Arozamena
Es war einmal eine Zeit, in der die Bilder, die uns Geschichten erzählten, ihre Geschichten auf einmal mit wirklichen Worten erzählen durften, nicht nur über die Schrift. Es war die Zeit, in der das, was wir hören, auf einmal wichtiger wurde als das, was wir sehen, und die Zeit, in der die Grenze der Sprachen, die zuvor spielerisch überwunden werden konnten, auf einmal hart und fest zwischen uns standen. Es war die Zeit, in der man sich noch davor scheute, Bildern, die in einer bestimmten Sprache mit uns kommunizieren, einfach eine andere Sprache überzustülpen - die Sprache, die jenseits der Grenze gesprochen wurde, damit die, die jenseits der Grenze wohnen, die Bilder verstehen können, die diesseits der Grenze sprechen -, und damit begann, die Bilder einfach zweimal anzufertigen, einmal in dieser Sprache, einmal in jener. DRÁCULA, eine spanischsprachige Fassung von DRACULA, gedreht in den gleichen Kulissen, nach dem gleichen Skript, aber mit anderen Darstellern, ist, in gewisser Weise, die Geschichte dieser Grenze.
Produzent Paul Kohner und Regisseur George Melford sind dem Team um Tod Browning in einem klar im Vorteil gewesen: Die englischsprachige Fassung von DRACULA wurde zwar in den exakt gleichen Sets gedreht wie die der spanischsprachigen, jedoch stets zeitlich vor dieser, was nichts anderes bedeutet als dass Melford/Kohner die Möglichkeit hatten, sich erstmal anzuschauen, wie ihre Kollegen die jeweilige Szene umgesetzt hatten, und danach nach Wegen zu suchen wie man es (noch) besser machen könnte. Dadurch ist ihnen wohl auch nicht verborgen geblieben, dass DRACULA sich an vielen Stellen schlampiger und unprofessioneller als eine von lustlosen Schülern improvisierte Theater-AG-Aufführung gibt. Wirklich eklatante Anschlussfehler oder gar an Nachttischlampenschirme vergessene Pappen muss man in DRÁCULA daher mit der Lupe suchen, und wird sie trotzdem nicht finden. Im Grunde merzen die Verantwortlichen der spanischen Fassung all die Mängel aus, die die englische so sehr verunstalten, einfach dadurch, dass sie konzentriert das bereits vorhandene Material sichten, ausbessern – und dabei höchstwahrscheinlich ziemlich erschreckt darüber gewesen sind, was sie dort alles an Fauxpässen zu Gesicht bekommen haben. Letztlich wirft das die von mir in meiner Kurzkritik zu DRACULA gestellte Frage nur auf noch größere Häufen: Wie kann es denn sein – um noch einmal meine persönliche Nemesis aufzugreifen -, dass eine für die Beleuchtung nutzbringende, an einer Lampe klebende Pappe den finalen Schnitt erreicht, wenn nicht nur das Team des Films, das sie zu verantworten hat, sie eigentlich nicht hätten übersehen können, sondern auch noch das Team eines zweiten Films auf sie aufmerksam geworden sein muss? Oder soll ich mir das so vorstellen, dass Melford und Kohner ihre Kollegen schlicht nicht auf deren Nachlässigkeit hinwiesen, um ihren eigenen DRÁCULA zum mit Abstand gelungeneren werden zu lassen? Es gibt Antworten, die man wohl nie bekommt, und das Rätsel um dieses Stück Pappe werde ich womöglich mit ins Grab nehmen.
Was noch auffällt, wenn man DRACULA und DRÁCULA erstmal unter rein formalen Gesichtspunkten nebeneinanderhält, ist, dass die spanische Version der Geschichte beinahe eine halbe Stunde länger dauert als die US-amerikanische, sprich: DRÁCULA überschreitet mühelos die Neunzig-Minuten-Marke, während DRACULA sich recken und strecken muss, überhaupt auf mehr als siebzig zu kommen – und trotzdem scheint beiden dasselbe Drehbuch zugrunde gelegen zu haben. Bedeuten kann das letztlich nur, dass für DRACULA etliche Szenen einfach erst gar nicht gedreht worden sind, d.h. man das Skript bereits vor Drehbeginn etlichen Kürzungen unterworfen hat – vielleicht aus (Selbst-)Zensurgründen, vielleicht um die Handlung zu straffen -, oder aber, dass DRACULA in einer mittlerweile längst in irgendwelchen Archiven verschollenen Originalfassung, die nie das Auge der Öffentlichkeit erblickte, tatsächlich eine Laufzeit aufgewiesen haben mag, die der von DRÁCULA gleicht. Im Folgenden möchte ich die Szenen, die in der englischen Sprachfassung nicht stattfinden, die aber in der spanischen zu bewundern sind, erstmal in vier Großkategorien einteilen, und diese dann, allerdings mehr oder minder unsystematisch, kurz analysieren/vergleichen. Es sind, meiner Meinung nach: 1. Szenen, die für die Handlung kaum bis gar keine Relevanz besitzen, und hauptsächlich dazu dienen, Atmosphäre zu schaffen, 2. Szenen, die für die Handlung durchaus wichtig gewesen wären, um die Logik nicht allzu sehr wie einen durchlöcherten Lappen aussehen zu lassen, und die aus den verschiedensten Gründen dann doch der Schere zum Opfer gefallen sind, 3. Szenen, die Melford/Kohner anders gelöst haben als Browning/Laemmle, und die aufzeigen, dass den Verantwortlichen der spanischen Fassung durchaus daran gelegen war, eigene Mittel und Wege zur Umsetzung bestimmter Momente zu finden, und nicht bloß stumpf die US-Version eins zu eins zu kopieren, 4. Szenen, die kreative Eigenleistungen der spanischen Fassung darstellen dürften, und sich hauptsächlich in Details manifestieren, die bestimmte Figuren, Ereignisse mehr/anders akzentuieren, und für die es in DRACULA nichts Vergleichbares gibt. Am Ende werde ich dann, was hier schon verraten werden soll, zu dem Schluss kommen, dass DRÁCULA seinem Namensvetter ohne Strich überm ersten A in nahezu sämtlichen Belangen überlegen ist, und, sowohl narrativ wie auch formal, für mich den subjektiv wie objektiv „besseren“ Film darstellt. Kommen wir, wie in jedem ordentlichen Prozess, zur Beweisführung:
Abb.1&2: Bereits die Titeltafeln enthüllen Essentielles: Während der Vorspann der US-Fassung vor einem statischen, immerhin aber das Batman-Logo antizipierenden, Hintergrund abläuft, findet die Verantwortlichenriege in der spanischsprachigen Fassung vor einer echten zuckenden, und im Verlauf des Vorspanns ausgeblasen werdenden, Kerze statt. Besser hätte man die Dichotomie zwischen vitaler, gleichsam genuin kinematographischer Herangehensweise und montonoer, versteifter Abfilmung eines Theaterstücks kaum illustrieren können. Bemerkenswert am Rande: wie tief muss Carl Laemmle geschlafen haben oder wie egal muss ihm dieser Film gewesen sein, dass ihm - und seinen Lakaien - der eklatante Rechtschreibfehler seine Person betreffend entgangen ist? (siehe Abb.1, rechts unten)
Schon gleich zu Beginn, bei Renfiels Kutschfahrt ins Herz der Karpaten, wird deutlich, dass DRÁCULA in der knappen halben Stunde, die er seinem englischsprachigen Beißbruder gegenüber im laufzeittechnischen Vorteil ist, eben nicht etwa nur aus Szenen besteht, in denen seine Protagonisten noch ausführlichere Dialoge als die führen, die einem schon in DRACULA freiwillig ins Bettchen schicken. Die allererste Szene scheint mir in beiden Filmen identisch: die Pferdekutsche rollt durch eine matte-painting-Landschaft davon wie sich irgendein US-amerikanischer Spezialeffektekünstler in den frühen 30ern das rumänische Hinterland vorgestellt hat. Der Schnitt nun aber ins Kutscheninnere zeigt, obwohl die Dialoge scheinbar lediglich vom Englischen ins Spanische übersetzt worden sind, dass die jeweiligen Figuren anders auf ihren Sitzplätzen verteilt worden sind. In Tod Brownings Version präsentiert sich das Ensemble wie folgt: Links vorne sitzt Renfield, neben ihm ein namenloses junges Mädchen, neben diesem wiederum der Einheimische mit dem exponierten Oberlippenbart, der gleich vor den Gefahren der Walpurgisnacht warnen wird, wenn man vorhat, sie ausgerechnet am Borgo-Pass zu feiern. Ihnen gegenüber sind zwei weitere weibliche Figuren platziert: eine korpulenter Dame mit strengem Gesicht sowie, hinten in der Ecke, die großmütterlich gekleidete Frau, bei der es sich um die Nichte von Produzent Carl Laemmle in ihrer größten Sprechrolle handelt, die den Mitreisenden angeregt aus ihrem Reiseführer voller Plattitüden vorliest. Wie wir wissen, wird die wenig ausgebaute Gebirgsstraße und das rasante Tempo, das der Kutscher aus den Pferden herausholt, in ein paar Sekunden dazu führen, dass unsere Vorleserin quer durch den Raum geschleudert wird und dem Schnauzbartträger in die Arme fällt, worauf Renfield den Kutscher ermahnt, dass er doch die Geschwindigkeit ein wenig drosseln solle, und daraufhin zu hören bekommt, weshalb alles ratsam sei, nur das nicht. In der Version, die unter der Regie von George Melford entstand, durchzieht das Kutscheninnere eine Geschlechtergrenze: Links sitzen, nach wie vor, Renfield und der diesmal schnauzbartlose Einheimische, rechts haben sich die drei Frauenfiguren versammelt, jedoch mit dem Unterschied, dass diejenige von ihnen, die an ihrem Reiseführer klebt, nach ganz rechts vorne gerückt wurde, d.h. Renfield direkt gegenüber. Nicht nur scheint es sich auch hier um Carla Laemmle zu handeln – oder man hat eine gefunden, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, und sie ins das gleiche Kostüm gesteckt -, auch bekommen wir deut-licher ihre Broschüre zu sehen, aus der sie auf Spanisch wesentlich länger vorliest als auf Englisch. Aber nicht nur das: dass man die junge Frau vis-à-vis Renfield gruppierte, ist ein Einfall mit Hintergedanken. Gleich zweimal nämlich stürzt sie von ihrem Platz – und diesmal natürlich niemand anderem in die Arme als Renfield, dem das sichtlich nicht allzu unangenehm ist. Melford bringt damit ein, wenn auch hier noch unterschwelliges, Element der Erotik in seinen Film, das bei DRACULA einer Zugeknöpftheit hatte weichen müssen, die vor jedwedem in Stokers Romanvorlage nicht zu leugnendem sexuellem Subtext noch den obersten Knopf der Bluse schließt und zusätzlich einen weiten Mantel darüber streift. Dass Renfield und die namenlose Vorleserin zweimal in direkten körperlichen Kontakt treten, kurz bevor der Einheimische, ebenfalls ausführlicher als in DRACULA, erklärt, in der Walpurgnisnacht sei es üblich, dass die Toten aus ihren Gräbern steigen und sich am Blut der Lebenden ergötzen, mag vielleicht nur eine nette Idee gewesen sein, die Kutschfahrtszene mit etwas Komik zu würzen und unseren Helden für den ersten Akt, Renfield, nicht nur als stummen Zuschauer auftreten zu lassen, sondern gleich aktiv in die Handlung einzubinden, für mich jedoch schwingt da schon etwas von dem vergleichsweise offensiven Umgang mit den erotischen Implikationen der Beiß-und-Saug-Geschichte mit, der sich im weiteren Verlauf der Films noch weiter bestätigen wird.
Abb.3&4: Eine Kutschfahrt mit leicht unterschiedlicher Personengruppierung. Carl Laemmles Nichte darf allerdings, scheint's, an beiden Reisen teilnehmen und ihre Gefährten mit Reisebroschürenplattitüden langweilen.
Vor allem die Frauenfiguren dienen in DRÁCULA dazu, meine These zu untermauern. Erinnern wir uns an die ausgesprochen atmosphärische Szene bei Tod Browning, in der Draculas drei Bräute sich über den armen Renfield hermachen wollen, dann aber in letzter Sekunde von Lugosi einen Riegel vorgeschoben bekommen, der seinen Gast für sich selbst fordert – was wir dann natürlich auch nicht zu sehen kriegen. Anders verläuft die Szene in DRÁCULA: Nachdem der Graf sich zur Tagesruhe verabschiedet und Renfield in dem ausladenden Schlafgemach alleingelassen hat, wittert der schon, dass es bei seinem Gastgeber nicht mit rechten Dingen zugeht, und begibt sich zum Fenster, wo er ihn dann auch dabei ertappt wie er, ähnlich Graf Orlok in Murnaus NOSFERATU, schon mal damit beschäftigt ist, die Särge mit der für ihn lebensnotwendigen Heimaterde in den Frachtraum der Kutsche zu laden. Als der Graf bemerkt, dass man ihn bespitzelt, fletscht er raubtierhaft die Zähne und jagt Renfield damit vom Fenster fort, jedoch geradewegs in die Arme seiner Bräute, die, ebenfalls schon mit gebleckten Gebissen, angriffslustig in seinem Rücken gewartet haben. Zwar bekommt man in DRÁCULA nicht in den Genuss der überaus stimmigen Bildkomposition, mit der DRACULA den Vampirbräuten ihren Auftritt versüßt hat, dafür ist die kurze Einstellung, die zeigt wie das blutgeile Trio sich über den inzwischen vom mit Komatropfen vermischten Wein ausgeknockten Häusermakler hermacht, um ihm – daran lässt vorliegender Film keinen Zweifel – bis auf den letzten Tropfen auszuschlürfen, ein derart subversives Moment, dass die US-amerikanischen Moralapostel darüber möglicherweise erblindet wären.
Genauso für blinde Augen hätte wohl auch Lupita Tovar, die Darstellerin der Mina – die in Melfords Fassung indes, warum auch immer, Eva heißt – gesorgt. Ein größerer Kontrast zu Helen Chandler, der weiblichen Hauptrolle bei Browning, lässt sich, meine ich, wohl kaum denken. Helen Chandler ist ein sauberes, US-amerikanisches Mädchen par excellence, zugeknöpft bis fast zur Nasenspitze, mit bravem Püppchengesicht und stets darauf bedacht, den Erweisungen der sie umgebenden und lenkenden Männern wie Dr. Seward oder ihrem Verlobten Jonathan Folge zu leisten, kurzum: ein solch zahmes, unschuldiges und sterbenslangweiliges Geschöpf, das sie nicht mal als Halb-Vampirin, wenn sie Harkers Gurgel anpeilt, um zum ersten Mal menschlichen Lebenssaft zwischen die Lippen zu bekommen, irgendetwas Bedrohliches versprüht. Ganz anders liegt der Fall bei Frau Tovar, einer heißblütigen Mexikanerin, die schon in ihrem ganzen Habitus deutlich macht wie groß die Mentalitätsunterschiede zwischen US-amerikanischer Prüderie und lateinamerikanischer Freizügigkeit seinerzeit offenbar gewesen sind. Während Mina Harker noch kurz vorm Zubettgehen angetan ist mit mindestens zwei Kleidungsstücken übereinander, die ihre körperlichen Reizen mehr ver- als enthüllen, trägt Eva Seward oft und gerne Stoffe, so durchscheinend, dass es einem genauen Beobachter nicht schwerfällt, ihre Brustwarzen darunter mehr zu erkennen als zu erahnen. Überhaupt ist Lupita Tovar, einmal ganz abgesehen von ihren physischen Merkmalen, eine wesentlich präsentere Schauspielerin, die, obwohl sie natürlich auch vorrangig eine Opferrolle bekleidet, ihre Figur durchaus so anzulegen versteht, dass sie weit über das nette, liebe Kindchenschema einer Helen Chandler hinauskommt. Bestes Beispiel hierfür ist wohl die bereits angerissene Szene, in der Eva ihren Verlobten, der in vorliegendem Film Juan heißt, auf dem heimischen Balkon becirct, um an sein Hälschen gelangen zu können. In der US-Fassung wird Minas Blutgier vorwiegend mittels eines Zooms ausgedrückt, der ihr Gesicht, während es sich dem Harkers zuwendet, stetig näher rückt. Das ändert natürlich nichts daran, dass dieses Gesicht noch immer eins ist, vor dem man weniger Angst hat als dass man ihm in die Wange kneifen möchte. In DRÁCULA fehlt diese Kamerafahrt, und das aus gutem Grund, denn Lupita Tovar versteht es, allein über ihr Schauspiel die Szene komplett zu beherrschen. Ihrer Eva Seward steht der Wahn-sinn regelrecht ins Gesicht geschrieben. Sie umhalst Juan mit den Armen, wirft ihm irre Blicke entgegen, bricht in ein hysteri-sches Gelächter aus. Dieses erregte Funkeln in ihren Augen, als sie die Stelle seines Halses fixiert, wo ihn ihre Zähnchen penetrieren sollen, steht wohl ziemlich singulär im frühen Horrorkino, und kann sich durchaus bereits mit ähnlichen blutgeilen Mienen in späteren Filmen von, zum Beispiel, Jean Rollin oder Jess Franco messen lassen. Dort, wo Tod Brow-nings Fassung alles daran setzt, irgendwelche sexuellen Konnotationen unter Tische zu kehren, über die danach noch lange Decken ihre Falten werfen dürfen, sind Kohner/Melford, scheint es, in Szenen wie der eben beschriebenen schon beinahe eher darum bemüht, unmissverständlich auf die Freud’schen Analogien hinzuweisen, die zwischen dem Kuss eines Vampirs und einem leidenschaftlichen Oralverkehr bestehen.
Abb.5&6: Von wem würden Sie sich lieber verführen lassen? Kaum zu glauben, aber: in beiden Fällen setzt eine Vampirin zum leidenschaftlichen Biss an.
Aber noch in anderer Hinsicht liefert DRÁCULA ein Novum innerhalb der Filmgeschichte: Meines Wissens dürfte das der erste Horrorfilm sein, in dem wir in Großaufnahmen die Bissspuren eines Blutsaugers an einem weiblichen Hals gezeigt bekommen. In Murnaus NOSFERATU verfügt Max Schreck zwar über imposante Beißerchen, und wir sehen ihn auch im Finale an Ellens Hals geschmiegt wie ein Kind an die Mutterbrust, wirkliche Aufnahmen von den beiden Löchern, die seine Eckzähne hinterlassen hätten, gibt es letztlich, mehr schemenhaft, bei einer Einstellung auf Hutters Kehle zu erahnen, als der sie am Morgen in seinem Taschenspiegel inspiziert und die Schäden der Nacht für Mückenstiche hält. In Tod Brownings DRACULA, in dem Bela Lugosi ja nicht mal sichtbare Mundwerkzeuge hat, um die Kehlen seiner Opfer anzuzapfen, darf man wohl gar nicht danach fragen, irgendwelche vampirversehrten Körper zu erblicken. Möglich wäre es in der US-Fassung jedoch scheinbar zumindest gewesen, denn die Szene in DRÁCULA, in der Lucys Leichnam von einer Gruppe Ärzte untersucht wird, ist wiederum identisch mit ihrem Gegenstück in DRACULA. Der Unterschied: Wo Browning verklemmt wegblendet, geht sie in Melfords Fassung noch weiter, und lässt uns nicht nur verbal teilhaben an der schockierenden Entdeckung der Mediziner, die die Deflorationszeichen in Lucys Haut bemerken, sondern zeigt sie uns in ihrer ganzen Schönheit. Auch das ist symptomatisch für einen Film, der weniger auf falsche Scham bedacht ist als sein US-amerikanisches Pendant, und generell viel eher bereit, so etwas wie wahren Horror auf die Leinwand zu bringen statt eine plüschige, kuschelige Variante desselben.
Ab.7&8: Der erste männliche und der erste weibliche von Vampirfangzähnen versehrte Hals der Filmgeschichte: Rechts inspiziert Hutter in Murnaus NOSFERATU, was mit seiner Gurgel über Nacht geschehen ist, und links hat die arme Lucy in vorliegendem Film wegen akuter Anämie leider keine Chance mehr, selbst ihre Kehle zu untersuchen, und muss das den Herren der Wissenschaft überlassen.
Eine weitere Szene nämlich, die ich bei Brownings DRACULA, da ich einfach nicht anders konnte als sie mit einer ähnlichen in NOSFERATU zu vergleichen, erheblich kritisiert habe, wird in DRÁCULA fast schon musterhaft gelöst. In der englischsprachigen Fassung leidet die Fahrt über den Atlantik unter einer Montage, die dermaßen unzusammenhängend ausgefallen ist, dass ich mich noch immer darüber wundere wie die es nur in den fertigen Film geschafft hat. Im Prinzip werden da zwei Dinge miteinander zu verbinden versucht, die schlicht überhaupt nicht zusammenpassen. Zum einen haben wir die offenkundig in der ruhigen, betuchten Atmosphäre einer Studiokulisse gedrehten Dialogszene zwischen Dracula und Renfield, die angeblich unter Deck der Vesta stattfinden sollen. Keiner der beiden ist sonderlich aufgebracht, eher macht das Ganze – einmal abgesehen von Dwight Fryes over-acting - den Eindruck einer förmlichen Unterredung darüber, wie es weitergehen soll, wenn man erstmal Fuß auf britisches Festland gesetzt hat. Dem entgegenstehen aber all die Szenen, die an Bord des gleichen Schiffes spielen sollen. Die stammen, wie in meiner Kurzkritik zu DRACULA erwähnt, aus einem Stummfilm von 1925 namens THE STORM BREAKER, und präsentieren uns ein Schiff, das mit Mann und Maus gegen den drohenden Untergang kämpft, derart heftig wütet der Sturm, dem es hilflos ausgeliefert ist. Die Grundbedingungen bei DRÁCULA sind ähnliche: Auch Melford mixt Aufnahmen aus THE STORM BREAKER in seinen Film hinein, begeht jedoch nicht den Fehler, ausgerechnet die übelsten Sturmszenen zu verwenden. Stattdessen konzentriert er sich auf einige wenige Aufnahmen von Matrosengestalten und kombiniert diese überaus geschickt mit einer Szenen, die deutlich macht, dass Murnaus NOSFERATU damals tatsächlich bei den Universal-Verantwortlichen als Inspirationsquelle ganz oben gestanden haben muss. Zu Großaufnahmen weiterer entsetzt guckender Matrosengesichter, die indes offensichtlich nicht aus THE STORM BREAKER kommen, sondern von Melford selbst gedreht worden sind, erhebt sich Conde Drácula aus dem Schiffsrumpf, indem er langsam und mit ausdrucksstarken Händen die Luke anhebt – auf der übrigens eine der waschechten Ratten sitzt, über die in der US-Fassung, erneut aus Zensurgründen, nur geredet, die aber nicht gezeigt werden durfte -, und sich dann ebenso langsam und ausdrucksstark aufrichtet, um über die verbliebenen Bordmitglieder herzufallen. Bis in Details gleicht die Einstellung des aus dem Schiffsrumpf wie aus einem Sarg sich erhebenden Graf derjenigen in Murnaus Film, die Graf Orlok in einer absolut identischen Situation vorführt, und in ihrer minimalistischen Art und Weise, die sich eben einfach auf ein paar Gesichtsportraits und das überzeugende Schauspiel des Dracula-Darstellers Carlos Villarías beschränkt, stellt sie spielerisch so ziemlich alles in den Schatten, was dem Team um Tod Browning zur gleichen Zeit zur gleichen Drehbuchseite eingefallen ist – oder eben nicht eingefallen ist.
Abb.9&10: Szenen der reinen Atmosphäre: Links schenkt uns der Film den gespenstischen Anblick eines Walpurgisfeuers, an dem die Kutsche gemächlich vorbeirollt. Die beinahe schon obszöne Großaufnahme von Draculas blutgeilen Augen rechts, die dabei derart nahe herangerückt werden, dass sie beinahe die Intimität von pulsierenden Geschlechtsorganen bekommen, ist nur eine von vielen Einstellungen gleicher Art, wofür DRÁCULA mit Sicherheit ein heißer Anwärter auf den Lucio-Fulci-Preis für die inflationärsten Augen-Großaufnahmen wäre.
Überhaupt sollten endlich mehrere Worte über Carlos Villarías verloren werden, ein gebürtiger Spanier, der zwar in den 30ern und 40ern zahllose Filme gedreht hat, von denen mir persönlich allerdings niemals einer untergekommen ist. Ja, ich gebe zu: auf manchem Screenshot mag er ungefähr so angsteinflößend wirken wie ein Rosettenmeerschweinchen, mit seinen Pausbäckchen und seinem Teddybär-Gesichtchen, und einer zumindest imposanten, eigenartigen Erscheinung wie Bela Lugosi nicht mal ein stilles Wasser reichen dürfen. Es stimmt: Lugosi mit seinem exotischen Charme, seinem gewöhnungsbedürftigen Englisch, seiner elitär-aristokratischen Theatralik verkörpert den Grafen Dracula ganz anders als Villariás das tut. Zum Zeitpunkt als DRACULA entsteht, ist er routiniert in der Rolle, die er schon unzählige Male auf Bühnenbrettern gegeben hat. Gerade das ist es aber vielleicht, was ihm manchmal im Weg steht, und ihn daran hindert, eine wirklich frische Vorstellung abzuliefern, ein Vorteil, den Villariás dann, trotz seiner, wenn man will, nachteiligen Physis, durchaus für sich ausnutzen kann – zumal er selbst aus seinen Pausbäckchen und seinem Bärchengesicht mehr herausholt als man zunächst erwarten würde. Villarías Dracula-Darstellung könnte man möglicherweise am besten wie folgt zusammenfassen: Nach außen hin gibt der Graf sich harmlos, putzig, fast schon unscheinbar, dann aber, wenn es darauf ankommt, zum Beispiel wehrlose Seefahrer zu schröpfen, oder sich in Lucys oder Evas Zimmer zu manifestieren, erwacht in dem vermeintlich freundlichen Adligen das Raubtier. Wo Bela Lugosi für mich manchmal fast schon Mitleid erweckt, weil er auf mich wirkt wie ein impotenter Greis, der alle Kräfte mobilisiert, um wenigstens einmal noch zum Orgasmus zu kommen – sein irgendwie gequälter Gesichtsausdruck in den Großaufnahmen kurz vor den off-screen-Bissen spricht in dieser Hinsicht Bände für mich -, strotz Villarías nicht nur vor Gesundheit, sondern weist auch in vielen Szenen ein viel nuancierteres, detailfreudigeres Spiel auf als der möglicherweise schon viel zu stark mit seiner Rolle verwachsene ungarische Kollege. Ich möchte als Beispiel nur einmal die Spiegelszene anführen, in der, wir erinnern uns, die US-Fassung Harker, Van Helsing und Seward dem Grafen mittels eines Zigarettenetuis auf die Schliche kommen lässt, in dessen Glas sich nur die Reflektion Minas sehen lässt, und von Draculas Spiegelbild jede Spur fehlt. Um dem Vampir unter die Nase zu reiben, dass er enttarnt worden ist, bittet Van Helsing ihn, nachdem man Mina zu Bett geschickt hat, zu sich, und hält ihm das entlarvende Spiegelglas vors Gesicht. Lugosis Reaktion wirkt wie einstudiert: Er zuckt zurück, zieht eine Grimasse, schlägt seinem Kontrahenten das Etui schon im nächsten Moment aus den Händen. Anders verfährt – und das ist typisch für sein Schauspiel in DRÁCULA – Don Villarías: Van Helsing hat das Etui bereits geöffnet, hält es ihm hin und trotzdem blickt der Conde Drácula noch nicht in es hinein, weil er wohl ahnt, dass ihm sein Feind eine Falle zu stellen beabsichtigt. Erst langsam senken seine Augen sich in das Kästchen, wo er zunächst natürlich nichts Verdächtiges feststellt, denn als seit Jahrhunderten Untoter ist es ihm ja vertraut, in einem Spiegel nicht die eigene Fratze, sondern das Nichts zu sehen. Erneut erst langsam dämmert ihm, in was für er einen Hinterhalt er da getapst ist – man kann das schön Stück für Stück in seiner Miene nachverfolgen -, und er rastet endlich sogar noch heftiger aus als Lugosi, haut Van Helsing das Etui herunter, dass es in einen Haufen Scherben zerbirst. Man mag für Lugosi Sympathien hegen, die aufzutreiben ich nicht ganz imstande bin, und man mag Villarías wegen der erwähnten Teddybärhaftigkeit skeptisch gegenüberstehen, doch in einer Szene wie dieser erweist sich das Spiel des Spaniers als wesentlich psychologisch ausgefeilter, nachvollziehbarer, man könnte sagen: menschlicher als das vielleicht zu sehr am Drehbuch klebende und zu routinierte eines Bela Lugosi. Villarías nutzt, was auf einer Theaterbühne nicht primär notwendig ist, selbst die minimalsten mimischen und gestischen Komponente, um seinem Grafen Leben einzuhauchen, während ich bei Lugosi oft den Eindruck habe, dass er auch vor einer Filmkamera so agiert, als seien es lediglich meterweit entfernte Theaterbesucher, die ihm zusehen, und die irgendwelche Feinheiten seines Spiels aufgrund der räumlichen Distanz sowieso nicht bemerken würden.
Abb.11&12: Carlos Villarías, der erste spanischsprachige Vampir. Schön verdeutlicht Abb.11, was ich mit der ihm immanenten Teddybärhaftigkeit gepaart mit der Ruchlosigkeit eines Raubtiers meine, während Abb.12 verdeutlicht, was ich damit meine, dass die Verantwortlichen der spanischen Fassung zum Frühstück nicht auf die nötige Portion Kontinutität verzichtet haben: Während Bela Lugosi als sein eigener Kutscher in der US-Fassung es nicht für nötig hält, sich irgendwie zu maskieren und damit vor Renfield zu kaschieren, dass er selbst es ist, der ihn zu seinem eigenen Schloss bringen wird, hat Villariás, deutlich angelehnt an Graf Orlok, seine Pausbäckchen sinnvollerweise zumindest zum Teil verhüllt bekommen.
Aber auch die übrigen Darsteller der spanischen Fassung können nicht nur ausnahmslos mit ihren US-amerikanischen Kollegen mithalten, sondern diese noch übertreffen. Dwight Frye, über dessen, sagen wir, exzentrisches Schauspiel als Renfield ohne Sinn und Verstand ja in den letzten Dekaden der Filmgeschichte schon oft genug eimerweise Häme ausgegossen worden ist – und den ich persönlich eigentlich niemals als so unangenehm empfunden habe -, findet sein Pendant in einem gewissen Pablo Álvarez Rubio, der ihm, wie das bei Villarías und Lugosi der Fall ist, aufgrund gewisser kleiner Details in vielen Szenen regelrecht die Schau stiehlt. Da wäre zum Beispiel eine Szene, in der Renfield kurz davor steht, vor Van Helsing und Seward auszuplaudern, was er über die wahre Natur des neuen Nachbarn aus Transsilvanien weiß, und dann, als sich dieser ihm per Fledermausflug zurück ins Gedächtnis ruft, mit den Beinen in ein scheinbar unkontrolliertes Zittern verfällt, das mehr von echter Panik als bloßem Chargieren hat. Eine weitere schlicht unglaubliche – und in der US-Fassung kaum denkbare – Szene ist eine kurz darauffolgende, die illustriert wie der Graf seinem unfreiwilligen Helfersheller seinen Willen aufzwingt. Wie Renfield in seiner Psychiatriezelle fehlt und bettelt, Dracula solle ihn aus seiner Gewalt entlassen, und wie der, draußen im Garten stehend, ihn einfach nur mit seinen mentalen Riesenkräften fixiert und damit seinen Verstand penetriert, das trägt schon Züge einer Vergewaltigung, und wirkt im Film heftiger als ich es mit Worten nachzeichnen könnte. Außerdem verkommt Renfield nicht wie bei Browning nach der vorzüglichen ersten Viertelstunde zu einer Randfigur, sondern bleibt unter der Regie von Melford eine Van Helsing und Harker ebenbürtige Hauptrolle. Genauso wie Draculas Hypnosetätigkeiten in DRÁCULA eine wesentlich größere Rolle spielen – so macht er auch eine Krankenschwester, die Eva betreuen soll, zu seiner Komplizin -, so erfahren wir in vorlie-gendem Film viel mehr über die Gewissensbisse, die Renfield neben denen an seinem Hals plagen, über seine Affinität für Spinnen, Fliegen und anderes Getier, das ihm in die Zelle krabbelt, und hat am Ende, wenn er durch Draculas Hand stirbt, folgerichtig viel mehr Mitleid mit dem armen Kerl, der noch kurz vor seinem Tod um sein Seelenheil bangt. Bezeichnend ist ein Versprechen, das Van Helsing ihm zuvor geleistet hat: er wird ihn, sollte er sterben, in geweihter Erde bestatten. Genau damit endet DRÁCULA dann auch: wir sehen wie Harker seine gerettete Liebste aus Carfax Abby führt und Van Helsing bleibt neben Renfields Leichnam stehen, um ihm, wie er sagt, seinen letzten Dienst zu erweisen. Melford/Kohner verpulvern die Figur, mit der sie ihren Film eröffnet haben, nicht etwa im weiteren Verlauf als Kanonenfutter, sondern halten ihr bis zuletzt die Treue, was DRÁCULA ein irgendwie tröstlicheres, humaneres Finale verleiht.
Abb.13-15: Süße Tierchen dürfen in DRÁCULA freilich auch nicht fehlen - und tatsächlich hat man, wie man sieht, ähnliche Szenen verwendet wie die der US-Fassung. Gürteltiere haben in die spanischzüngische Version aus unerfindlichen Gründen leider keinen Zutritt bekommen, dafür dürfen wir aber eine waschechte Schiffsratte bewundern, natürlich das überlebensgroße Rieseninsekt, das einem später in Argentos DRACULA 3D wiederbegegnen wird, und das putzigste Opossum Rumäniens, das, seiner Natur gemäß, ausgesprochen putzig von einem Sarg purzelt.
In gewisser Weise könnte man das Gesagte für sämtliche Figuren durchexerzieren: Van Helsing, verkörpert durch Eduardo Arozemena, wirkt menschlicher als Van Helsing, verkörpert durch Edward Van Sloan, weil er nicht, wie dieser, den Film über wie ein Fels in der Brandung steht, sondern in einer Szene sogar beinahe den hypnotischen Kräften Draculas erliegt. Der spanische Van Helsing findet im spanischen Grafen einen ernstzunehmenden Gegner, während es bei Browning doch eher den Anschein hat, dass Dracula von Anfang an dem selbstsicheren Professor gegenüber im Nachteil steht. Der Charakter der Lucy ist weiter ausgearbeitet, vor allem was ihr Nachleben betrifft. In DRACULA verschwindet sie einfach irgendwann aus dem Film und das Publikum bleibt ratlos, was nun eigentlich aus dem Mädchen geworden ist, das es immerhin zuletzt dabei gesehen hat wie es Säuglinge aus der Wiege stibitzte, um an ihnen ihren Durst zu stillen. Anders bei DRÁCULA, wo sogar ihre Pfählung durch Van Helsing und Harker thematisiert wird. Zu sehen bekommen wir die zwar auch nicht, doch immerhin wie die beiden Männer nach geleisteter Arbeit aus dem Friedhof treten. Letztendlich ist der comic-relief-Anteil in DRÁCULA deutlich größer als in seinem US-amerikanischen Bruder, der die belustigenden Potentiale vom Pfleger Renfields und der gerne aus dem Stand heraus in Ohnmacht sinkenden Hausmagd höchstens anreißt, wohingegen Melfords Fassung sie gerne zelebriert – jedoch glücklicherweise nie in einem Maße, dass es unangenehm werden würde. Zuletzt, um meiner Lobhudelei eigenhändig einen Riegel vorzuschieben, kann man die fundamentalen Inszenierungsstile von Browning und Melford wundervoll in genau der Szene begreifen, die ich in meiner Besprechung zu DRACULA regelrecht zerrupft habe: Es handelt sich um den in der US-Fassung etwa zehn Minuten dauernden Aufenthalt in der Wohnstube der Sewards, wo zwar einiges passiert und im Prinzip alle wichtigen Charaktere auftauchen und abgehen, die aber letztlich nicht anders gefilmt ist, als habe Browning den Auftrag erhalte, ein Bühnenstück so statisch wie möglich für die Leinwand zu adaptieren. In DRÁCULA dauert die Szene, aufgrund der bereits fehlenden Drehbuchstraffung, sogar noch länger, nämlich etwa von der fünfundvierzigsten Minute bis zur einhundertdritten, d.h. knapp acht Minuten haben die Figuren mehr Zeit, sich in ausufernden Dialoge zu verlieren, das Seward-Wohnzimmer zu benutzen, um auf ihr wie auf einer Bühne herumzulaufen, und mich in einen Zustand zu versetzen, irgendwo zwischen tödlicher Langeweile und echter Leichenstarre - theoretisch zumindest, denn, wen wird das an dieser Stelle jetzt noch wundern?, trotz des immensen Zugewinns an Laufzeit hat mich die Szene in DRÁCULA nicht annähernd derart ermüdet wie dieselbe beim US-amerikanischen Bruder. Woran das gelingt? Nun, man könnte es vielleicht in der einfachen, auch für den gesamten Film anwendbaren, Formel zusammenfassen: George Melford übersetzt seinen Stoff von einem Medium in ein anderes. In einem Theaterkontext gibt es bestimmte zu beachtende Parameter, und in einem Spielfilm andere, und beide sind manchmal kongruent, manchmal nicht. Die US-Fassung scheint dieses Grundlagenwissen nicht zu kennen. Sie springt mit dem Drehbuch um, als sei es völlig egal, ob ein Publikum nun eine Leinwand vor der Nase hat oder eine Theaterbühne. Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Übersetzen eines Textes aus einer Sprache in eine andere: Tod Brownings Fassung übersetzt Wort für Wort, grammatikalisch und syntaktisch richtig, doch meist ohne darauf zu achten, dass die Übersetzung auch in der neuen Sprache einigermaßen wohlklingt – ganz im Gegenteil zu George Melfords Fassung, die vor filmspezifischen Mitteln strotzt, und, in der oben erwähnten Szene, beispielweise ihre Schauspieler nicht nur auf der imaginären Horizontallinie zwischen Publikum und Bühne entlangwandern lässt, sondern sie auch mal nach hinten, nach vorne bewegt, und damit der Seward-Wohnstube eine räumliche Tiefe verleiht, die ihr in der englischsprachigen Version gänzlich fehlt, oder aber seine Schauspieler dazu animiert, nicht steif ihre Dialoge aufzusagen, sondern die bereits skizzierten mimischen und gestischen Details einfließen zu lassen, um den illusionistischen Eindruck, den einem ein Spielfilm normalerweise verleihen sollte, zu verstärken, oder aber solche den Bühnenraum allzu deutlich umreißenden off-screen-Beobachtungen zu streichen wie die Harkers, dass er da einen Wolf durch den Garten rennen sehe, worauf sich der Zuschauer fast automatisch fragt: wieso er den denn nun nicht auch sehen darf?
Es war einmal eine Zeit, in der viele Schätze, die es zu heben gelohnt hätte, es allein deshalb nie über die Grenze schafften, weil sie ihre Geschichten in einer Sprache erzählten, die diesseits der Grenze nicht verstanden werden wollte. Es war die Zeit, in der einige Wenige, die diese Schätze trotzdem ahnten, von ihnen reden gehört hatten, sie aus der Ferne funkeln sahen, begannen, sich Bilder von ihnen zu machen, die hatten aussehen sollen wie sie selbst. Es war die Zeit, in der diese Bilder, von weit her geschossen, die Sprache lernen mussten, die diesseits der Grenze gesprochen wurde, und, beherrschten sie sie fehlerfrei, in ihr auftraten, und zu Schätzen wurden, die man herumreichte, und die jeder berühren wollte, und die bald abgenutzt waren, stumpf, nicht mehr funkelten, während die jenseits der Grenze noch immer ihre Leuchtsignale für diejenigen herüberschickten, die wussten, in welche Windrichtung sie den Kopf zu drehen hatten.
Produzent Paul Kohner und Regisseur George Melford sind dem Team um Tod Browning in einem klar im Vorteil gewesen: Die englischsprachige Fassung von DRACULA wurde zwar in den exakt gleichen Sets gedreht wie die der spanischsprachigen, jedoch stets zeitlich vor dieser, was nichts anderes bedeutet als dass Melford/Kohner die Möglichkeit hatten, sich erstmal anzuschauen, wie ihre Kollegen die jeweilige Szene umgesetzt hatten, und danach nach Wegen zu suchen wie man es (noch) besser machen könnte. Dadurch ist ihnen wohl auch nicht verborgen geblieben, dass DRACULA sich an vielen Stellen schlampiger und unprofessioneller als eine von lustlosen Schülern improvisierte Theater-AG-Aufführung gibt. Wirklich eklatante Anschlussfehler oder gar an Nachttischlampenschirme vergessene Pappen muss man in DRÁCULA daher mit der Lupe suchen, und wird sie trotzdem nicht finden. Im Grunde merzen die Verantwortlichen der spanischen Fassung all die Mängel aus, die die englische so sehr verunstalten, einfach dadurch, dass sie konzentriert das bereits vorhandene Material sichten, ausbessern – und dabei höchstwahrscheinlich ziemlich erschreckt darüber gewesen sind, was sie dort alles an Fauxpässen zu Gesicht bekommen haben. Letztlich wirft das die von mir in meiner Kurzkritik zu DRACULA gestellte Frage nur auf noch größere Häufen: Wie kann es denn sein – um noch einmal meine persönliche Nemesis aufzugreifen -, dass eine für die Beleuchtung nutzbringende, an einer Lampe klebende Pappe den finalen Schnitt erreicht, wenn nicht nur das Team des Films, das sie zu verantworten hat, sie eigentlich nicht hätten übersehen können, sondern auch noch das Team eines zweiten Films auf sie aufmerksam geworden sein muss? Oder soll ich mir das so vorstellen, dass Melford und Kohner ihre Kollegen schlicht nicht auf deren Nachlässigkeit hinwiesen, um ihren eigenen DRÁCULA zum mit Abstand gelungeneren werden zu lassen? Es gibt Antworten, die man wohl nie bekommt, und das Rätsel um dieses Stück Pappe werde ich womöglich mit ins Grab nehmen.
Was noch auffällt, wenn man DRACULA und DRÁCULA erstmal unter rein formalen Gesichtspunkten nebeneinanderhält, ist, dass die spanische Version der Geschichte beinahe eine halbe Stunde länger dauert als die US-amerikanische, sprich: DRÁCULA überschreitet mühelos die Neunzig-Minuten-Marke, während DRACULA sich recken und strecken muss, überhaupt auf mehr als siebzig zu kommen – und trotzdem scheint beiden dasselbe Drehbuch zugrunde gelegen zu haben. Bedeuten kann das letztlich nur, dass für DRACULA etliche Szenen einfach erst gar nicht gedreht worden sind, d.h. man das Skript bereits vor Drehbeginn etlichen Kürzungen unterworfen hat – vielleicht aus (Selbst-)Zensurgründen, vielleicht um die Handlung zu straffen -, oder aber, dass DRACULA in einer mittlerweile längst in irgendwelchen Archiven verschollenen Originalfassung, die nie das Auge der Öffentlichkeit erblickte, tatsächlich eine Laufzeit aufgewiesen haben mag, die der von DRÁCULA gleicht. Im Folgenden möchte ich die Szenen, die in der englischen Sprachfassung nicht stattfinden, die aber in der spanischen zu bewundern sind, erstmal in vier Großkategorien einteilen, und diese dann, allerdings mehr oder minder unsystematisch, kurz analysieren/vergleichen. Es sind, meiner Meinung nach: 1. Szenen, die für die Handlung kaum bis gar keine Relevanz besitzen, und hauptsächlich dazu dienen, Atmosphäre zu schaffen, 2. Szenen, die für die Handlung durchaus wichtig gewesen wären, um die Logik nicht allzu sehr wie einen durchlöcherten Lappen aussehen zu lassen, und die aus den verschiedensten Gründen dann doch der Schere zum Opfer gefallen sind, 3. Szenen, die Melford/Kohner anders gelöst haben als Browning/Laemmle, und die aufzeigen, dass den Verantwortlichen der spanischen Fassung durchaus daran gelegen war, eigene Mittel und Wege zur Umsetzung bestimmter Momente zu finden, und nicht bloß stumpf die US-Version eins zu eins zu kopieren, 4. Szenen, die kreative Eigenleistungen der spanischen Fassung darstellen dürften, und sich hauptsächlich in Details manifestieren, die bestimmte Figuren, Ereignisse mehr/anders akzentuieren, und für die es in DRACULA nichts Vergleichbares gibt. Am Ende werde ich dann, was hier schon verraten werden soll, zu dem Schluss kommen, dass DRÁCULA seinem Namensvetter ohne Strich überm ersten A in nahezu sämtlichen Belangen überlegen ist, und, sowohl narrativ wie auch formal, für mich den subjektiv wie objektiv „besseren“ Film darstellt. Kommen wir, wie in jedem ordentlichen Prozess, zur Beweisführung:
Abb.1&2: Bereits die Titeltafeln enthüllen Essentielles: Während der Vorspann der US-Fassung vor einem statischen, immerhin aber das Batman-Logo antizipierenden, Hintergrund abläuft, findet die Verantwortlichenriege in der spanischsprachigen Fassung vor einer echten zuckenden, und im Verlauf des Vorspanns ausgeblasen werdenden, Kerze statt. Besser hätte man die Dichotomie zwischen vitaler, gleichsam genuin kinematographischer Herangehensweise und montonoer, versteifter Abfilmung eines Theaterstücks kaum illustrieren können. Bemerkenswert am Rande: wie tief muss Carl Laemmle geschlafen haben oder wie egal muss ihm dieser Film gewesen sein, dass ihm - und seinen Lakaien - der eklatante Rechtschreibfehler seine Person betreffend entgangen ist? (siehe Abb.1, rechts unten)
Schon gleich zu Beginn, bei Renfiels Kutschfahrt ins Herz der Karpaten, wird deutlich, dass DRÁCULA in der knappen halben Stunde, die er seinem englischsprachigen Beißbruder gegenüber im laufzeittechnischen Vorteil ist, eben nicht etwa nur aus Szenen besteht, in denen seine Protagonisten noch ausführlichere Dialoge als die führen, die einem schon in DRACULA freiwillig ins Bettchen schicken. Die allererste Szene scheint mir in beiden Filmen identisch: die Pferdekutsche rollt durch eine matte-painting-Landschaft davon wie sich irgendein US-amerikanischer Spezialeffektekünstler in den frühen 30ern das rumänische Hinterland vorgestellt hat. Der Schnitt nun aber ins Kutscheninnere zeigt, obwohl die Dialoge scheinbar lediglich vom Englischen ins Spanische übersetzt worden sind, dass die jeweiligen Figuren anders auf ihren Sitzplätzen verteilt worden sind. In Tod Brownings Version präsentiert sich das Ensemble wie folgt: Links vorne sitzt Renfield, neben ihm ein namenloses junges Mädchen, neben diesem wiederum der Einheimische mit dem exponierten Oberlippenbart, der gleich vor den Gefahren der Walpurgisnacht warnen wird, wenn man vorhat, sie ausgerechnet am Borgo-Pass zu feiern. Ihnen gegenüber sind zwei weitere weibliche Figuren platziert: eine korpulenter Dame mit strengem Gesicht sowie, hinten in der Ecke, die großmütterlich gekleidete Frau, bei der es sich um die Nichte von Produzent Carl Laemmle in ihrer größten Sprechrolle handelt, die den Mitreisenden angeregt aus ihrem Reiseführer voller Plattitüden vorliest. Wie wir wissen, wird die wenig ausgebaute Gebirgsstraße und das rasante Tempo, das der Kutscher aus den Pferden herausholt, in ein paar Sekunden dazu führen, dass unsere Vorleserin quer durch den Raum geschleudert wird und dem Schnauzbartträger in die Arme fällt, worauf Renfield den Kutscher ermahnt, dass er doch die Geschwindigkeit ein wenig drosseln solle, und daraufhin zu hören bekommt, weshalb alles ratsam sei, nur das nicht. In der Version, die unter der Regie von George Melford entstand, durchzieht das Kutscheninnere eine Geschlechtergrenze: Links sitzen, nach wie vor, Renfield und der diesmal schnauzbartlose Einheimische, rechts haben sich die drei Frauenfiguren versammelt, jedoch mit dem Unterschied, dass diejenige von ihnen, die an ihrem Reiseführer klebt, nach ganz rechts vorne gerückt wurde, d.h. Renfield direkt gegenüber. Nicht nur scheint es sich auch hier um Carla Laemmle zu handeln – oder man hat eine gefunden, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, und sie ins das gleiche Kostüm gesteckt -, auch bekommen wir deut-licher ihre Broschüre zu sehen, aus der sie auf Spanisch wesentlich länger vorliest als auf Englisch. Aber nicht nur das: dass man die junge Frau vis-à-vis Renfield gruppierte, ist ein Einfall mit Hintergedanken. Gleich zweimal nämlich stürzt sie von ihrem Platz – und diesmal natürlich niemand anderem in die Arme als Renfield, dem das sichtlich nicht allzu unangenehm ist. Melford bringt damit ein, wenn auch hier noch unterschwelliges, Element der Erotik in seinen Film, das bei DRACULA einer Zugeknöpftheit hatte weichen müssen, die vor jedwedem in Stokers Romanvorlage nicht zu leugnendem sexuellem Subtext noch den obersten Knopf der Bluse schließt und zusätzlich einen weiten Mantel darüber streift. Dass Renfield und die namenlose Vorleserin zweimal in direkten körperlichen Kontakt treten, kurz bevor der Einheimische, ebenfalls ausführlicher als in DRACULA, erklärt, in der Walpurgnisnacht sei es üblich, dass die Toten aus ihren Gräbern steigen und sich am Blut der Lebenden ergötzen, mag vielleicht nur eine nette Idee gewesen sein, die Kutschfahrtszene mit etwas Komik zu würzen und unseren Helden für den ersten Akt, Renfield, nicht nur als stummen Zuschauer auftreten zu lassen, sondern gleich aktiv in die Handlung einzubinden, für mich jedoch schwingt da schon etwas von dem vergleichsweise offensiven Umgang mit den erotischen Implikationen der Beiß-und-Saug-Geschichte mit, der sich im weiteren Verlauf der Films noch weiter bestätigen wird.
Abb.3&4: Eine Kutschfahrt mit leicht unterschiedlicher Personengruppierung. Carl Laemmles Nichte darf allerdings, scheint's, an beiden Reisen teilnehmen und ihre Gefährten mit Reisebroschürenplattitüden langweilen.
Vor allem die Frauenfiguren dienen in DRÁCULA dazu, meine These zu untermauern. Erinnern wir uns an die ausgesprochen atmosphärische Szene bei Tod Browning, in der Draculas drei Bräute sich über den armen Renfield hermachen wollen, dann aber in letzter Sekunde von Lugosi einen Riegel vorgeschoben bekommen, der seinen Gast für sich selbst fordert – was wir dann natürlich auch nicht zu sehen kriegen. Anders verläuft die Szene in DRÁCULA: Nachdem der Graf sich zur Tagesruhe verabschiedet und Renfield in dem ausladenden Schlafgemach alleingelassen hat, wittert der schon, dass es bei seinem Gastgeber nicht mit rechten Dingen zugeht, und begibt sich zum Fenster, wo er ihn dann auch dabei ertappt wie er, ähnlich Graf Orlok in Murnaus NOSFERATU, schon mal damit beschäftigt ist, die Särge mit der für ihn lebensnotwendigen Heimaterde in den Frachtraum der Kutsche zu laden. Als der Graf bemerkt, dass man ihn bespitzelt, fletscht er raubtierhaft die Zähne und jagt Renfield damit vom Fenster fort, jedoch geradewegs in die Arme seiner Bräute, die, ebenfalls schon mit gebleckten Gebissen, angriffslustig in seinem Rücken gewartet haben. Zwar bekommt man in DRÁCULA nicht in den Genuss der überaus stimmigen Bildkomposition, mit der DRACULA den Vampirbräuten ihren Auftritt versüßt hat, dafür ist die kurze Einstellung, die zeigt wie das blutgeile Trio sich über den inzwischen vom mit Komatropfen vermischten Wein ausgeknockten Häusermakler hermacht, um ihm – daran lässt vorliegender Film keinen Zweifel – bis auf den letzten Tropfen auszuschlürfen, ein derart subversives Moment, dass die US-amerikanischen Moralapostel darüber möglicherweise erblindet wären.
Genauso für blinde Augen hätte wohl auch Lupita Tovar, die Darstellerin der Mina – die in Melfords Fassung indes, warum auch immer, Eva heißt – gesorgt. Ein größerer Kontrast zu Helen Chandler, der weiblichen Hauptrolle bei Browning, lässt sich, meine ich, wohl kaum denken. Helen Chandler ist ein sauberes, US-amerikanisches Mädchen par excellence, zugeknöpft bis fast zur Nasenspitze, mit bravem Püppchengesicht und stets darauf bedacht, den Erweisungen der sie umgebenden und lenkenden Männern wie Dr. Seward oder ihrem Verlobten Jonathan Folge zu leisten, kurzum: ein solch zahmes, unschuldiges und sterbenslangweiliges Geschöpf, das sie nicht mal als Halb-Vampirin, wenn sie Harkers Gurgel anpeilt, um zum ersten Mal menschlichen Lebenssaft zwischen die Lippen zu bekommen, irgendetwas Bedrohliches versprüht. Ganz anders liegt der Fall bei Frau Tovar, einer heißblütigen Mexikanerin, die schon in ihrem ganzen Habitus deutlich macht wie groß die Mentalitätsunterschiede zwischen US-amerikanischer Prüderie und lateinamerikanischer Freizügigkeit seinerzeit offenbar gewesen sind. Während Mina Harker noch kurz vorm Zubettgehen angetan ist mit mindestens zwei Kleidungsstücken übereinander, die ihre körperlichen Reizen mehr ver- als enthüllen, trägt Eva Seward oft und gerne Stoffe, so durchscheinend, dass es einem genauen Beobachter nicht schwerfällt, ihre Brustwarzen darunter mehr zu erkennen als zu erahnen. Überhaupt ist Lupita Tovar, einmal ganz abgesehen von ihren physischen Merkmalen, eine wesentlich präsentere Schauspielerin, die, obwohl sie natürlich auch vorrangig eine Opferrolle bekleidet, ihre Figur durchaus so anzulegen versteht, dass sie weit über das nette, liebe Kindchenschema einer Helen Chandler hinauskommt. Bestes Beispiel hierfür ist wohl die bereits angerissene Szene, in der Eva ihren Verlobten, der in vorliegendem Film Juan heißt, auf dem heimischen Balkon becirct, um an sein Hälschen gelangen zu können. In der US-Fassung wird Minas Blutgier vorwiegend mittels eines Zooms ausgedrückt, der ihr Gesicht, während es sich dem Harkers zuwendet, stetig näher rückt. Das ändert natürlich nichts daran, dass dieses Gesicht noch immer eins ist, vor dem man weniger Angst hat als dass man ihm in die Wange kneifen möchte. In DRÁCULA fehlt diese Kamerafahrt, und das aus gutem Grund, denn Lupita Tovar versteht es, allein über ihr Schauspiel die Szene komplett zu beherrschen. Ihrer Eva Seward steht der Wahn-sinn regelrecht ins Gesicht geschrieben. Sie umhalst Juan mit den Armen, wirft ihm irre Blicke entgegen, bricht in ein hysteri-sches Gelächter aus. Dieses erregte Funkeln in ihren Augen, als sie die Stelle seines Halses fixiert, wo ihn ihre Zähnchen penetrieren sollen, steht wohl ziemlich singulär im frühen Horrorkino, und kann sich durchaus bereits mit ähnlichen blutgeilen Mienen in späteren Filmen von, zum Beispiel, Jean Rollin oder Jess Franco messen lassen. Dort, wo Tod Brow-nings Fassung alles daran setzt, irgendwelche sexuellen Konnotationen unter Tische zu kehren, über die danach noch lange Decken ihre Falten werfen dürfen, sind Kohner/Melford, scheint es, in Szenen wie der eben beschriebenen schon beinahe eher darum bemüht, unmissverständlich auf die Freud’schen Analogien hinzuweisen, die zwischen dem Kuss eines Vampirs und einem leidenschaftlichen Oralverkehr bestehen.
Abb.5&6: Von wem würden Sie sich lieber verführen lassen? Kaum zu glauben, aber: in beiden Fällen setzt eine Vampirin zum leidenschaftlichen Biss an.
Aber noch in anderer Hinsicht liefert DRÁCULA ein Novum innerhalb der Filmgeschichte: Meines Wissens dürfte das der erste Horrorfilm sein, in dem wir in Großaufnahmen die Bissspuren eines Blutsaugers an einem weiblichen Hals gezeigt bekommen. In Murnaus NOSFERATU verfügt Max Schreck zwar über imposante Beißerchen, und wir sehen ihn auch im Finale an Ellens Hals geschmiegt wie ein Kind an die Mutterbrust, wirkliche Aufnahmen von den beiden Löchern, die seine Eckzähne hinterlassen hätten, gibt es letztlich, mehr schemenhaft, bei einer Einstellung auf Hutters Kehle zu erahnen, als der sie am Morgen in seinem Taschenspiegel inspiziert und die Schäden der Nacht für Mückenstiche hält. In Tod Brownings DRACULA, in dem Bela Lugosi ja nicht mal sichtbare Mundwerkzeuge hat, um die Kehlen seiner Opfer anzuzapfen, darf man wohl gar nicht danach fragen, irgendwelche vampirversehrten Körper zu erblicken. Möglich wäre es in der US-Fassung jedoch scheinbar zumindest gewesen, denn die Szene in DRÁCULA, in der Lucys Leichnam von einer Gruppe Ärzte untersucht wird, ist wiederum identisch mit ihrem Gegenstück in DRACULA. Der Unterschied: Wo Browning verklemmt wegblendet, geht sie in Melfords Fassung noch weiter, und lässt uns nicht nur verbal teilhaben an der schockierenden Entdeckung der Mediziner, die die Deflorationszeichen in Lucys Haut bemerken, sondern zeigt sie uns in ihrer ganzen Schönheit. Auch das ist symptomatisch für einen Film, der weniger auf falsche Scham bedacht ist als sein US-amerikanisches Pendant, und generell viel eher bereit, so etwas wie wahren Horror auf die Leinwand zu bringen statt eine plüschige, kuschelige Variante desselben.
Ab.7&8: Der erste männliche und der erste weibliche von Vampirfangzähnen versehrte Hals der Filmgeschichte: Rechts inspiziert Hutter in Murnaus NOSFERATU, was mit seiner Gurgel über Nacht geschehen ist, und links hat die arme Lucy in vorliegendem Film wegen akuter Anämie leider keine Chance mehr, selbst ihre Kehle zu untersuchen, und muss das den Herren der Wissenschaft überlassen.
Eine weitere Szene nämlich, die ich bei Brownings DRACULA, da ich einfach nicht anders konnte als sie mit einer ähnlichen in NOSFERATU zu vergleichen, erheblich kritisiert habe, wird in DRÁCULA fast schon musterhaft gelöst. In der englischsprachigen Fassung leidet die Fahrt über den Atlantik unter einer Montage, die dermaßen unzusammenhängend ausgefallen ist, dass ich mich noch immer darüber wundere wie die es nur in den fertigen Film geschafft hat. Im Prinzip werden da zwei Dinge miteinander zu verbinden versucht, die schlicht überhaupt nicht zusammenpassen. Zum einen haben wir die offenkundig in der ruhigen, betuchten Atmosphäre einer Studiokulisse gedrehten Dialogszene zwischen Dracula und Renfield, die angeblich unter Deck der Vesta stattfinden sollen. Keiner der beiden ist sonderlich aufgebracht, eher macht das Ganze – einmal abgesehen von Dwight Fryes over-acting - den Eindruck einer förmlichen Unterredung darüber, wie es weitergehen soll, wenn man erstmal Fuß auf britisches Festland gesetzt hat. Dem entgegenstehen aber all die Szenen, die an Bord des gleichen Schiffes spielen sollen. Die stammen, wie in meiner Kurzkritik zu DRACULA erwähnt, aus einem Stummfilm von 1925 namens THE STORM BREAKER, und präsentieren uns ein Schiff, das mit Mann und Maus gegen den drohenden Untergang kämpft, derart heftig wütet der Sturm, dem es hilflos ausgeliefert ist. Die Grundbedingungen bei DRÁCULA sind ähnliche: Auch Melford mixt Aufnahmen aus THE STORM BREAKER in seinen Film hinein, begeht jedoch nicht den Fehler, ausgerechnet die übelsten Sturmszenen zu verwenden. Stattdessen konzentriert er sich auf einige wenige Aufnahmen von Matrosengestalten und kombiniert diese überaus geschickt mit einer Szenen, die deutlich macht, dass Murnaus NOSFERATU damals tatsächlich bei den Universal-Verantwortlichen als Inspirationsquelle ganz oben gestanden haben muss. Zu Großaufnahmen weiterer entsetzt guckender Matrosengesichter, die indes offensichtlich nicht aus THE STORM BREAKER kommen, sondern von Melford selbst gedreht worden sind, erhebt sich Conde Drácula aus dem Schiffsrumpf, indem er langsam und mit ausdrucksstarken Händen die Luke anhebt – auf der übrigens eine der waschechten Ratten sitzt, über die in der US-Fassung, erneut aus Zensurgründen, nur geredet, die aber nicht gezeigt werden durfte -, und sich dann ebenso langsam und ausdrucksstark aufrichtet, um über die verbliebenen Bordmitglieder herzufallen. Bis in Details gleicht die Einstellung des aus dem Schiffsrumpf wie aus einem Sarg sich erhebenden Graf derjenigen in Murnaus Film, die Graf Orlok in einer absolut identischen Situation vorführt, und in ihrer minimalistischen Art und Weise, die sich eben einfach auf ein paar Gesichtsportraits und das überzeugende Schauspiel des Dracula-Darstellers Carlos Villarías beschränkt, stellt sie spielerisch so ziemlich alles in den Schatten, was dem Team um Tod Browning zur gleichen Zeit zur gleichen Drehbuchseite eingefallen ist – oder eben nicht eingefallen ist.
Abb.9&10: Szenen der reinen Atmosphäre: Links schenkt uns der Film den gespenstischen Anblick eines Walpurgisfeuers, an dem die Kutsche gemächlich vorbeirollt. Die beinahe schon obszöne Großaufnahme von Draculas blutgeilen Augen rechts, die dabei derart nahe herangerückt werden, dass sie beinahe die Intimität von pulsierenden Geschlechtsorganen bekommen, ist nur eine von vielen Einstellungen gleicher Art, wofür DRÁCULA mit Sicherheit ein heißer Anwärter auf den Lucio-Fulci-Preis für die inflationärsten Augen-Großaufnahmen wäre.
Überhaupt sollten endlich mehrere Worte über Carlos Villarías verloren werden, ein gebürtiger Spanier, der zwar in den 30ern und 40ern zahllose Filme gedreht hat, von denen mir persönlich allerdings niemals einer untergekommen ist. Ja, ich gebe zu: auf manchem Screenshot mag er ungefähr so angsteinflößend wirken wie ein Rosettenmeerschweinchen, mit seinen Pausbäckchen und seinem Teddybär-Gesichtchen, und einer zumindest imposanten, eigenartigen Erscheinung wie Bela Lugosi nicht mal ein stilles Wasser reichen dürfen. Es stimmt: Lugosi mit seinem exotischen Charme, seinem gewöhnungsbedürftigen Englisch, seiner elitär-aristokratischen Theatralik verkörpert den Grafen Dracula ganz anders als Villariás das tut. Zum Zeitpunkt als DRACULA entsteht, ist er routiniert in der Rolle, die er schon unzählige Male auf Bühnenbrettern gegeben hat. Gerade das ist es aber vielleicht, was ihm manchmal im Weg steht, und ihn daran hindert, eine wirklich frische Vorstellung abzuliefern, ein Vorteil, den Villariás dann, trotz seiner, wenn man will, nachteiligen Physis, durchaus für sich ausnutzen kann – zumal er selbst aus seinen Pausbäckchen und seinem Bärchengesicht mehr herausholt als man zunächst erwarten würde. Villarías Dracula-Darstellung könnte man möglicherweise am besten wie folgt zusammenfassen: Nach außen hin gibt der Graf sich harmlos, putzig, fast schon unscheinbar, dann aber, wenn es darauf ankommt, zum Beispiel wehrlose Seefahrer zu schröpfen, oder sich in Lucys oder Evas Zimmer zu manifestieren, erwacht in dem vermeintlich freundlichen Adligen das Raubtier. Wo Bela Lugosi für mich manchmal fast schon Mitleid erweckt, weil er auf mich wirkt wie ein impotenter Greis, der alle Kräfte mobilisiert, um wenigstens einmal noch zum Orgasmus zu kommen – sein irgendwie gequälter Gesichtsausdruck in den Großaufnahmen kurz vor den off-screen-Bissen spricht in dieser Hinsicht Bände für mich -, strotz Villarías nicht nur vor Gesundheit, sondern weist auch in vielen Szenen ein viel nuancierteres, detailfreudigeres Spiel auf als der möglicherweise schon viel zu stark mit seiner Rolle verwachsene ungarische Kollege. Ich möchte als Beispiel nur einmal die Spiegelszene anführen, in der, wir erinnern uns, die US-Fassung Harker, Van Helsing und Seward dem Grafen mittels eines Zigarettenetuis auf die Schliche kommen lässt, in dessen Glas sich nur die Reflektion Minas sehen lässt, und von Draculas Spiegelbild jede Spur fehlt. Um dem Vampir unter die Nase zu reiben, dass er enttarnt worden ist, bittet Van Helsing ihn, nachdem man Mina zu Bett geschickt hat, zu sich, und hält ihm das entlarvende Spiegelglas vors Gesicht. Lugosis Reaktion wirkt wie einstudiert: Er zuckt zurück, zieht eine Grimasse, schlägt seinem Kontrahenten das Etui schon im nächsten Moment aus den Händen. Anders verfährt – und das ist typisch für sein Schauspiel in DRÁCULA – Don Villarías: Van Helsing hat das Etui bereits geöffnet, hält es ihm hin und trotzdem blickt der Conde Drácula noch nicht in es hinein, weil er wohl ahnt, dass ihm sein Feind eine Falle zu stellen beabsichtigt. Erst langsam senken seine Augen sich in das Kästchen, wo er zunächst natürlich nichts Verdächtiges feststellt, denn als seit Jahrhunderten Untoter ist es ihm ja vertraut, in einem Spiegel nicht die eigene Fratze, sondern das Nichts zu sehen. Erneut erst langsam dämmert ihm, in was für er einen Hinterhalt er da getapst ist – man kann das schön Stück für Stück in seiner Miene nachverfolgen -, und er rastet endlich sogar noch heftiger aus als Lugosi, haut Van Helsing das Etui herunter, dass es in einen Haufen Scherben zerbirst. Man mag für Lugosi Sympathien hegen, die aufzutreiben ich nicht ganz imstande bin, und man mag Villarías wegen der erwähnten Teddybärhaftigkeit skeptisch gegenüberstehen, doch in einer Szene wie dieser erweist sich das Spiel des Spaniers als wesentlich psychologisch ausgefeilter, nachvollziehbarer, man könnte sagen: menschlicher als das vielleicht zu sehr am Drehbuch klebende und zu routinierte eines Bela Lugosi. Villarías nutzt, was auf einer Theaterbühne nicht primär notwendig ist, selbst die minimalsten mimischen und gestischen Komponente, um seinem Grafen Leben einzuhauchen, während ich bei Lugosi oft den Eindruck habe, dass er auch vor einer Filmkamera so agiert, als seien es lediglich meterweit entfernte Theaterbesucher, die ihm zusehen, und die irgendwelche Feinheiten seines Spiels aufgrund der räumlichen Distanz sowieso nicht bemerken würden.
Abb.11&12: Carlos Villarías, der erste spanischsprachige Vampir. Schön verdeutlicht Abb.11, was ich mit der ihm immanenten Teddybärhaftigkeit gepaart mit der Ruchlosigkeit eines Raubtiers meine, während Abb.12 verdeutlicht, was ich damit meine, dass die Verantwortlichen der spanischen Fassung zum Frühstück nicht auf die nötige Portion Kontinutität verzichtet haben: Während Bela Lugosi als sein eigener Kutscher in der US-Fassung es nicht für nötig hält, sich irgendwie zu maskieren und damit vor Renfield zu kaschieren, dass er selbst es ist, der ihn zu seinem eigenen Schloss bringen wird, hat Villariás, deutlich angelehnt an Graf Orlok, seine Pausbäckchen sinnvollerweise zumindest zum Teil verhüllt bekommen.
Aber auch die übrigen Darsteller der spanischen Fassung können nicht nur ausnahmslos mit ihren US-amerikanischen Kollegen mithalten, sondern diese noch übertreffen. Dwight Frye, über dessen, sagen wir, exzentrisches Schauspiel als Renfield ohne Sinn und Verstand ja in den letzten Dekaden der Filmgeschichte schon oft genug eimerweise Häme ausgegossen worden ist – und den ich persönlich eigentlich niemals als so unangenehm empfunden habe -, findet sein Pendant in einem gewissen Pablo Álvarez Rubio, der ihm, wie das bei Villarías und Lugosi der Fall ist, aufgrund gewisser kleiner Details in vielen Szenen regelrecht die Schau stiehlt. Da wäre zum Beispiel eine Szene, in der Renfield kurz davor steht, vor Van Helsing und Seward auszuplaudern, was er über die wahre Natur des neuen Nachbarn aus Transsilvanien weiß, und dann, als sich dieser ihm per Fledermausflug zurück ins Gedächtnis ruft, mit den Beinen in ein scheinbar unkontrolliertes Zittern verfällt, das mehr von echter Panik als bloßem Chargieren hat. Eine weitere schlicht unglaubliche – und in der US-Fassung kaum denkbare – Szene ist eine kurz darauffolgende, die illustriert wie der Graf seinem unfreiwilligen Helfersheller seinen Willen aufzwingt. Wie Renfield in seiner Psychiatriezelle fehlt und bettelt, Dracula solle ihn aus seiner Gewalt entlassen, und wie der, draußen im Garten stehend, ihn einfach nur mit seinen mentalen Riesenkräften fixiert und damit seinen Verstand penetriert, das trägt schon Züge einer Vergewaltigung, und wirkt im Film heftiger als ich es mit Worten nachzeichnen könnte. Außerdem verkommt Renfield nicht wie bei Browning nach der vorzüglichen ersten Viertelstunde zu einer Randfigur, sondern bleibt unter der Regie von Melford eine Van Helsing und Harker ebenbürtige Hauptrolle. Genauso wie Draculas Hypnosetätigkeiten in DRÁCULA eine wesentlich größere Rolle spielen – so macht er auch eine Krankenschwester, die Eva betreuen soll, zu seiner Komplizin -, so erfahren wir in vorlie-gendem Film viel mehr über die Gewissensbisse, die Renfield neben denen an seinem Hals plagen, über seine Affinität für Spinnen, Fliegen und anderes Getier, das ihm in die Zelle krabbelt, und hat am Ende, wenn er durch Draculas Hand stirbt, folgerichtig viel mehr Mitleid mit dem armen Kerl, der noch kurz vor seinem Tod um sein Seelenheil bangt. Bezeichnend ist ein Versprechen, das Van Helsing ihm zuvor geleistet hat: er wird ihn, sollte er sterben, in geweihter Erde bestatten. Genau damit endet DRÁCULA dann auch: wir sehen wie Harker seine gerettete Liebste aus Carfax Abby führt und Van Helsing bleibt neben Renfields Leichnam stehen, um ihm, wie er sagt, seinen letzten Dienst zu erweisen. Melford/Kohner verpulvern die Figur, mit der sie ihren Film eröffnet haben, nicht etwa im weiteren Verlauf als Kanonenfutter, sondern halten ihr bis zuletzt die Treue, was DRÁCULA ein irgendwie tröstlicheres, humaneres Finale verleiht.
Abb.13-15: Süße Tierchen dürfen in DRÁCULA freilich auch nicht fehlen - und tatsächlich hat man, wie man sieht, ähnliche Szenen verwendet wie die der US-Fassung. Gürteltiere haben in die spanischzüngische Version aus unerfindlichen Gründen leider keinen Zutritt bekommen, dafür dürfen wir aber eine waschechte Schiffsratte bewundern, natürlich das überlebensgroße Rieseninsekt, das einem später in Argentos DRACULA 3D wiederbegegnen wird, und das putzigste Opossum Rumäniens, das, seiner Natur gemäß, ausgesprochen putzig von einem Sarg purzelt.
In gewisser Weise könnte man das Gesagte für sämtliche Figuren durchexerzieren: Van Helsing, verkörpert durch Eduardo Arozemena, wirkt menschlicher als Van Helsing, verkörpert durch Edward Van Sloan, weil er nicht, wie dieser, den Film über wie ein Fels in der Brandung steht, sondern in einer Szene sogar beinahe den hypnotischen Kräften Draculas erliegt. Der spanische Van Helsing findet im spanischen Grafen einen ernstzunehmenden Gegner, während es bei Browning doch eher den Anschein hat, dass Dracula von Anfang an dem selbstsicheren Professor gegenüber im Nachteil steht. Der Charakter der Lucy ist weiter ausgearbeitet, vor allem was ihr Nachleben betrifft. In DRACULA verschwindet sie einfach irgendwann aus dem Film und das Publikum bleibt ratlos, was nun eigentlich aus dem Mädchen geworden ist, das es immerhin zuletzt dabei gesehen hat wie es Säuglinge aus der Wiege stibitzte, um an ihnen ihren Durst zu stillen. Anders bei DRÁCULA, wo sogar ihre Pfählung durch Van Helsing und Harker thematisiert wird. Zu sehen bekommen wir die zwar auch nicht, doch immerhin wie die beiden Männer nach geleisteter Arbeit aus dem Friedhof treten. Letztendlich ist der comic-relief-Anteil in DRÁCULA deutlich größer als in seinem US-amerikanischen Bruder, der die belustigenden Potentiale vom Pfleger Renfields und der gerne aus dem Stand heraus in Ohnmacht sinkenden Hausmagd höchstens anreißt, wohingegen Melfords Fassung sie gerne zelebriert – jedoch glücklicherweise nie in einem Maße, dass es unangenehm werden würde. Zuletzt, um meiner Lobhudelei eigenhändig einen Riegel vorzuschieben, kann man die fundamentalen Inszenierungsstile von Browning und Melford wundervoll in genau der Szene begreifen, die ich in meiner Besprechung zu DRACULA regelrecht zerrupft habe: Es handelt sich um den in der US-Fassung etwa zehn Minuten dauernden Aufenthalt in der Wohnstube der Sewards, wo zwar einiges passiert und im Prinzip alle wichtigen Charaktere auftauchen und abgehen, die aber letztlich nicht anders gefilmt ist, als habe Browning den Auftrag erhalte, ein Bühnenstück so statisch wie möglich für die Leinwand zu adaptieren. In DRÁCULA dauert die Szene, aufgrund der bereits fehlenden Drehbuchstraffung, sogar noch länger, nämlich etwa von der fünfundvierzigsten Minute bis zur einhundertdritten, d.h. knapp acht Minuten haben die Figuren mehr Zeit, sich in ausufernden Dialoge zu verlieren, das Seward-Wohnzimmer zu benutzen, um auf ihr wie auf einer Bühne herumzulaufen, und mich in einen Zustand zu versetzen, irgendwo zwischen tödlicher Langeweile und echter Leichenstarre - theoretisch zumindest, denn, wen wird das an dieser Stelle jetzt noch wundern?, trotz des immensen Zugewinns an Laufzeit hat mich die Szene in DRÁCULA nicht annähernd derart ermüdet wie dieselbe beim US-amerikanischen Bruder. Woran das gelingt? Nun, man könnte es vielleicht in der einfachen, auch für den gesamten Film anwendbaren, Formel zusammenfassen: George Melford übersetzt seinen Stoff von einem Medium in ein anderes. In einem Theaterkontext gibt es bestimmte zu beachtende Parameter, und in einem Spielfilm andere, und beide sind manchmal kongruent, manchmal nicht. Die US-Fassung scheint dieses Grundlagenwissen nicht zu kennen. Sie springt mit dem Drehbuch um, als sei es völlig egal, ob ein Publikum nun eine Leinwand vor der Nase hat oder eine Theaterbühne. Es ist vielleicht vergleichbar mit dem Übersetzen eines Textes aus einer Sprache in eine andere: Tod Brownings Fassung übersetzt Wort für Wort, grammatikalisch und syntaktisch richtig, doch meist ohne darauf zu achten, dass die Übersetzung auch in der neuen Sprache einigermaßen wohlklingt – ganz im Gegenteil zu George Melfords Fassung, die vor filmspezifischen Mitteln strotzt, und, in der oben erwähnten Szene, beispielweise ihre Schauspieler nicht nur auf der imaginären Horizontallinie zwischen Publikum und Bühne entlangwandern lässt, sondern sie auch mal nach hinten, nach vorne bewegt, und damit der Seward-Wohnstube eine räumliche Tiefe verleiht, die ihr in der englischsprachigen Version gänzlich fehlt, oder aber seine Schauspieler dazu animiert, nicht steif ihre Dialoge aufzusagen, sondern die bereits skizzierten mimischen und gestischen Details einfließen zu lassen, um den illusionistischen Eindruck, den einem ein Spielfilm normalerweise verleihen sollte, zu verstärken, oder aber solche den Bühnenraum allzu deutlich umreißenden off-screen-Beobachtungen zu streichen wie die Harkers, dass er da einen Wolf durch den Garten rennen sehe, worauf sich der Zuschauer fast automatisch fragt: wieso er den denn nun nicht auch sehen darf?
Es war einmal eine Zeit, in der viele Schätze, die es zu heben gelohnt hätte, es allein deshalb nie über die Grenze schafften, weil sie ihre Geschichten in einer Sprache erzählten, die diesseits der Grenze nicht verstanden werden wollte. Es war die Zeit, in der einige Wenige, die diese Schätze trotzdem ahnten, von ihnen reden gehört hatten, sie aus der Ferne funkeln sahen, begannen, sich Bilder von ihnen zu machen, die hatten aussehen sollen wie sie selbst. Es war die Zeit, in der diese Bilder, von weit her geschossen, die Sprache lernen mussten, die diesseits der Grenze gesprochen wurde, und, beherrschten sie sie fehlerfrei, in ihr auftraten, und zu Schätzen wurden, die man herumreichte, und die jeder berühren wollte, und die bald abgenutzt waren, stumpf, nicht mehr funkelten, während die jenseits der Grenze noch immer ihre Leuchtsignale für diejenigen herüberschickten, die wussten, in welche Windrichtung sie den Kopf zu drehen hatten.