Feast of Flesh - Emilio Vieyra (1965)

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Salvatore Baccaro
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Feast of Flesh - Emilio Vieyra (1965)

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Originaltitel: Placer Sangriento

Herstellungsland: Argentinien 1965/67

Regie: Emilio Vieyra

Darsteler: Mauricio de Ferraris, Gloria Prat, Ricardo Bauleo, Alberto Candeau

Nachdem mich letztes Wochenende René Cardonas blutige Affen unverhoffterweise in diesen Zustand entführten, in dem ich zugleich meine, man habe mich heimlich mit effektivsten Drogen vollgepumpt und mich andererseits in einem entlegenen Bergkloster auf die Knie geworfen wähne, um endlich Gott schauen zu können, war ich natürlich gespannt, was denn der zweite Film sein mochte, der, neben besagtem LA HORRIPILANTE BESTIA HUMANA, von dem Label Something Weird als Double-Feature auf DVD gepresst worden ist und offenbar, wenn ich das recht sehe, bereits in den frühen 70ern gemeinsam mit diesem die Grindhouse-Theater der Vereinigten Staaten bereisen durfte. Es handelt sich dabei um den ersten Horrorschocker des vermutlich bis heute bekanntesten und berüchtigtsten argentinischen Bebilderes von Sex und Schauer, nämlich Emilio Vieyra (1920-2010), dessen für Genre-Freunde besonders interessanten Werke vor allem in den Jahren zwischen 1965 und 1971 entstanden sind und solche verheißungsvollen Titel tragen wie LA BESTIA DESNUDA oder SANGRE DE VIRGENES. Vorliegendes Werk, PLACER SANGRIENTO, heruntergekurbelt bereits 1965, veröffentlicht erst zwei Jahre später, stellt damit so etwas wie die Initialzündung zu Vieyras Beschäftigung mit nackter Haut und nackter Gewalt dar, und für mich persönlich die Initiation in das Bahnhofskino Argentiniens, von dessen Existenz ich bislang höchstens intuitiv geahnt habe.

Die englischen Verleihtitel sind einmal mehr allerliebst. FEAST OF FLESH, da hat man doch sogleich schlecht getrickste Gordon-Lewis-Splatter-Szenen vor Augen, während THE DEADLY ORGAN die Frage nahelegt, ob damit am Ende gar der Stachel zwischen den Beinen eines potenten Mannes gemeint ist. Aber weit gefehlt: das englische Wort ORGAN bezieht sich ausnahmsweise tatsächlich auf eine Orgel, an der zu Beginn des Films ein verwunderlicher Geselle sitzt, der dort eine Melodie zum Besten gibt, die den Streifen von der ersten bis zur letzten Sekunde durchziehen wird. Jener Herr, sein Antlitz unter einer scheußlichen Maske verborgen, rein optisch und von seinen Bewegungen her nicht wenig an Christopher Lees Frankensteinmonster-Interpretation erinnernd, ist der unheilstiftende Unhold in PLACER SANGRIENTO, ein Serienkiller, der, man mag es mir glauben oder nicht, junge, unschuldige, meist vollbusige Mädchen mittels eben gehörter für meine Ohren gar nicht mal allzu gruseliger, sondern fast schon idyllisch und friedlich wirkender Orgelmelodie in willenlose Sex-Sklavinnen verwandelt, die, quasi wie unter Hypnose, Nacht für Nacht ihre elterlichen Häuser verlassen, um heimlich zu ihrem Herrn und Meister zu schleichen, der wiederum sich nimmt, was ihm nicht zusteht, und, hat er genug von einer der Grazien, sie mit einer Überdosis Heroin aus dem Leben schneidet, stilecht mitten ins Herz injiziert, unter Zuhilfenahme einer überdimensionalen Spritze. Dass in Argentinien andere Sitten herrschen als anderswo, erkennt man schon daran, dass er, um die Frauen mit seinem Orgel-Hit zu becircen, diese Musik offenbar aus dem Nichts heraus anstimmen lassen kann. Die Orgel, Teil des örtlichen Kirchen-Interieurs, ist bei seinen Attacken meist weit weg, ein etwaiger Plattenspieler wird nie gezeigt, und so müssen wir uns schlicht damit abfinden, dass in Vieyras Welt zum einen Musik weder einen sie speichernden und abspielenden Datenträger benötigt noch eine Live-Intonation, sie ist einfach da, so wie der Wind, unsichtbar, sofort zur Stelle, dem Bösen zu dienen, und außerdem hinnehmen, dass, erklärt wird das nie, eben jene süßen Argentinierinnen - und zwar nur die, auf Männerohren hat die Melodie kaum Auswirkungen - so gestrickt sind, dass ein bisschen Orgelgeklimper ausreicht, sie Anstand und Moral vergessen und für einen maskierten Fremden die Beine spreizen zu lassen. Kein Wunder, dass die Strände um die Kleinstadt, in der unser Film angesiedelt wurde, sich allmählich mit Mädchenleichen füllen. Da kann die Polizeiarbeit munter beginnen und ein smarter Ermittler von irgendwoher eingeflogen werden, um nicht nur der Sache auf den Grund zu gehen, sondern sich zudem in eins der Opfer zu verknallen.

Das Positivste vorweg: die Optik von PLACER SANGRIENTO ist ein Fest, zwar nicht des Fleisches oder der Fleischeslust, aber der kontrastreichen, kinematographischen Schwarzweißmalerei, deren Ästhetik den Film so veredelt, dass im Grunde kein Bild frei ist von dieser düsteren Noir-Atmosphäre, bei der Schatten noch richtige Schatten sind, und das Tageslicht nicht allzu gern gesehen wird. Ansonsten entpuppt sich PLACER SANGRIENTO als recht betucht, behäbig inszenierter Gruselkrimi wie man ihn vielleicht mit einigen der zeitgleich in Italien entstandenen, noch in den Kinderholzschuhen klappernden Früh-Gialli, mit denen er die Vorliebe für vermummte Killer teilt, oder den zeitgleich in Deutschland entstandenen Edgar-Wallace-Thrillern vergleichen könnte, deren angenehm altbackene visuelle Komponente man hier wiederfinden kann. Obwohl unser mordender Lüstling in vielen Belangen schon gar solche Slasher-Antagonisten wie Michael Myers antizipiert – gerne taucht er dort auf, wo man ihn am wenigsten vermutet, und kann sich spielend innerhalb von Sekunden in Luft auflösen, zudem ist die Maske freilich, muss man gestehen, ziemlich eighties -, kann man PLACER SANGRIENTO unterm Strich dann doch eher mit dem Stempel der Harmlosigkeit auf den Pelz rücken. Blut fließt nicht in Strömen, die Sexdarstellungen überschreiten nie ein noch gerade so züchtiges Maß, die Art und Weise wie die hauptsächlich aus Ermittlungen und Fahndungen bestehende Geschichte sich entwickelt, kommt ohne großartigen Spannungsbogen aus und lässt vor allem solchen comichaften Irrsinn wie ihn LA HORRIPILANTE BESTIA HUMANA kennzeichnet fast völlig außen vor, wenn man mal von den oben angedeuteten Logiklöchern absieht, in die der Film jedoch wie beiläufig tritt und sich nicht von seinem Kurs abbringen lässt, der nunmal der eines typischen whodunit-Rätselratens ist: unzählige Verdächtige werden einem in der verhältnismäßig knappen Laufzeit vorgestellt, sodass wir zusammen mit dem Inspektor uns den Kopf zerbrechen dürfen, wessen Nase uns am wenigsten passt und wer daher der Meuchler sein muss. Dass in all dem indes wenig Aufregung schlummert, beweis allein schon wie leicht es dem Maskenmann fällt, sich frei um sein Anwesen herum zu bewegen, immer wieder ungestört Mädchen zu kidnappen, ohne dass ihm bei den sorglosen Streifzügen auch nur einmal jemand begegnen würde, der ihn dingfest machen könnte. Hinzukommen weitere Relikte einer Zeit, die gefühlte Jahrhunderte vergangen ist, beispielweise dass sämtliche sexuell anziehend inszenierten Herren dieses Films schätzungsweise mindestens zwanzig Jahre älter und fünfzig Kilo schwerer sind als die Mädchen an ihrer Seite oder die, die sie mittels ihres Charmes an ihre Seite zu heften versuchen, oder der wissenschaftlich reichlich verquere Umgang mit Drogen, wenn unser Hauptheld zwischendurch den spontanen Einfall hat, ein dem Maskierten entronnenen Opfer LSD einflössen, das in Argentinien so etwas wie ein Wahrheitsserum gewesen zu sein scheint. Zaghaft wird die Subkultur der Mitt-60er beleuchtet, Homosexualität, freie Liebe, jugendfrohe Partys, die trotz allem keusch und bieder daherkommt.

Aber das klingt nun alles viel zu negativ. PLACER SANGRIENTO mag kein Feuerwerk sein, dem man sich bereitwillig als Ketzer an den Hals wirft, so wie es, um es nochmals zu wiederholen, Cardonas Affenfilm für mich gewesen ist, Spaß kann man mit diesem im wahrsten Sinne des Wortes sinnfreien Spektakel sicherlich aber doch haben, vor allem eben, wenn einem die Vorstellung behagt, ein normaler Wallace-Krimi der Schwarzweißphase würde mit lupenreinem Trash der surrealsten Sorte gekreuzt werden. It will blow your mind!, verspricht die Ankündigung auf der DVD-Hülle. Das kann ich nicht bestätigen, jedoch: einen deftigen Luftzug habe ich durchaus in meinem Mittelhirn gespürt.
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