…Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (1973)

Moderator: jogiwan

purgatorio
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Re: …Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (19

Beitrag von purgatorio »

…JAHR 2022… DIE ÜBERLEBEN WOLLEN (SOYLENT GREEN, USA 1973, Regie: Richard Fleischer)

SOYLENT GREEN führt in eine Welt ein, die trotz Verschmutzung, Hitze und Nahrungsmangel hoffnungslos überbevölkert ist (egal wo man auch hin will, man muss eigentlich immer über dutzende Obdachlose klettern – da ist es schon ziemlich bedrückend wie routiniert hier alle mit diesem Szenario umgehen). Die Menschenmassen sind in gigantischen Städten gebündelt, eine Fahrt aufs Land ist strengstens verboten. All dies vermittelt bereits das tolle, gesellschafts- und technologiekritisch angelegte Intro, welches die Marschrichtung der Rahmenhandlung vorgibt. Diese wird auch glaubhaft gehalten, so können das Setting per se und das gezeichnete Bild der Gesellschaft im Film durchaus überzeugen. Erklärungsbedarf hätte allerdings bei den Inventar-Frauen bestanden. Welche äußeren Umstände ihren Willen zum Wiederstand gebrochen haben, so dass sie zum Nutzobjekt, einem Möbelstück gleich, degradiert werden konnten, bleibt leider ungeklärt. Das hinterlässt natürlich einen bitteren Beigeschmack, da hier eher ein streng maskulines Phantasieprodukt denn das Ergebnis einer als realistisch zu erwarteten Entwicklung in der Soziologie dargestellt wird. Dennoch gefallen die häufig recht ansehnlich-tiefen Ausschnitte der Damen, die bunten Kleider, die ausgefallenen und kitschigen Wohnungsdesigns der Reichen. Die wilden 70er als Zukunftsprophetie – kann man machen (obwohl ein Football-Helm als Riot-Uniform und Müllfahrzeuge zur Aufstandbeseitigung schon recht albern wirken). So ist trotz diverser Schwächen im Grundaufbau, in der Logik und bzgl. der Glaubwürdigkeit aus heutiger Sicht SOYLENT GREEN dennoch als eine Art zeitloses, filmisches Plädoyer zu bezeichnen, dass nach wie vor Aktualität besitzt und mahnend den Finger erhebt. Und immerhin lieferte SOYLENT GREEN einen globalen Lieblings-Spoiler und genießt absoluten Kultstatus.

Trotz der eigentlich guten, wenn auch spannungsarm und holprig erzählten Geschichte mag sich mir der Kultstatus nicht gänzlich erschließen. Denn an Identifikationspotenzial und Bezugspersonen mangelt es diesem Film. So konsumiert man ihn immer als Beobachter von außen und lässt die Geschichte lediglich an sich vorbeiziehen. Erst das Outro gibt den Kelch ab, indem derselbe Film, der auch beim kontrollierten Freitod in staatlichen Behörden läuft, mit klassischer Musik unterlegt den Abspann bebildert. Nur leider wird man als Rezipient nicht nach seiner Lieblingsfarbe gefragt. Dennoch wird hier in Kombination mit der bitteren Erkenntnis des Finales zum Nachdenken angeregt.

Als größten Minuspunkt muss ich jedoch den Hauptcharakter anführen. Mag das furchtbar chauvinistische und arrogante Gehabe hier und dort zwar auch den ein oder anderen Lacher provozieren (er nimmt beispielsweise einem Mädchen die Zigarette weg und nimmt einen tiefen Zug - diesen kommentiert er anschließend mit: „Genug Geld müsste man verdienen dann würde ich jeden Tag zwei bis drei davon rauchen!“), ist es doch im Gros der Laufzeit ein richtiges Ärgernis. Charlton Heston lässt hier nahezu unerträglich das Arschloch heraushängen. Hier hätte mir eine ganz andere, wesentlich subtilere Charakterzeichnung des Protagonisten wesentlich besser gefallen. Die Lebensumstände allein können doch kaum so einen egomanischen Arsch hervorbringen – hoffe ich. So bleibt die Frage, ob Heston sich und seiner Unart die Rolle zu Eigen machte oder ob sie ihm auf den Leib geschrieben wurde – als passend für die Geschichte kann sie jedenfalls nicht gewertet werden. Und leider wird eben darum auch das Finale zu einem Egotrip voller Melodramatik.

So bleibt zu konstatieren, dass SOYLENT GREEN ein reichlich spannungsarmer, wenn auch nicht uninteressanter Film ist, der durch seinen zähen Erzählfluss und seinen unerträglichen Hauptcharakter aber dem Zuschauer einige Anstrengungen abverlangt. Einen kleinen Kultbonus für meinen Lieblings-Spoiler gibt’s dennoch oben drauf: 6/10 Punkten
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
purgatorio
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Re: …Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (19

Beitrag von purgatorio »

Diese tolle Fake-Werbeanzeige muss ich unbedingt noch nachreichen:

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Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
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buxtebrawler
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Re: …Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (19

Beitrag von buxtebrawler »

@purgschi: Für beides :thup:
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: …Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (1973)

Beitrag von Tomaso Montanaro »

Ein paar schöne Screenshots vom Screenshot-Quiz:

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Re: …Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (1973)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Finally!

Bild

https://soylent.com/products/soylent-green-squared

:-o


Den Film hab ich gestern geschaut, allerdings dazu keine grünen Kekse, sondern Rindersteaks gegessen. :cool:

Tatsächlich fällt mein Urteil über den Film heute zwiespältiger aus. Als dystopische Warnung dürfte er seinerzeit durchaus tauglich gewesen sein, und, keine Frage, Themen wie Naturzerstörung, Überbevölkerung und Erderwärmung haben natürlich keineswegs an Relevanz verloren. Der Dürresommer 2022 könnte aufzeigen, was uns da noch bevorsteht. Dass im realen Jahr 2022 aber auch ein Krieg massive Auswirkungen auf die weltweite Nahrungsmittelverteilung haben würde, konnte 1973 natürlich niemand vorhersehen. Aber: Für einen Film, der 2022 spielen soll, sieht alles aus, als wäre es 1973. Und die Dystopie erscheint mir in sich nicht schlüssig.

Gut, lassen wir einfach mal offen, warum sich in New York 40.000.000 Menschen ballen, für die es weder Wohnung noch ausreichend Nahrung gibt. Sehr viele Menschen also, für die es allein ums pure Überleben geht. Und in der Situation steht dann eine Gouverneurswahl an? Ein Akt der Demokratie, in dem der Amtsinhaber Santini (!) zur Wiederwahl ansteht? Und es gibt noch eine Polizei, die zumindest den Anschein erwecken will, Morde aufzuklären? Während Thorn in einer Bruchbude ohne Strom lebt und der Lieutenant sogar noch eine Uhr besitzt (allerdings defekt)? In der alles verrottet ist mit Ausnahme der modernen Einschläferungsfabriken? Sorry, unter den Umständen wäre auch ein derartiges Mindestmaß an öffentlicher Sicherheit nicht mehr existent.

Dass sich reiche Menschen in gated Communities abschotten, ist ja auch real geworden. Wenn aber selbst in einem derartigen Wohnkomplex für die Superreichen es keine Ersatzteile mehr für das Alarmsystem gibt, dann muss ja auch das technische Know-how verloren gegangen sein. Und es hat in den 50 Jahren keinerlei technische Entwicklungen gegeben? Thorn ruft das Revier von einer Telefonzelle aus an? Come on!

Und der finale Twist, wenn Thorn das Geheimnis um Soylent Green entdeckt? Für den Zuschauer von 1973 sicherlich schockierend, aber ich würde da einfach mal die Behauptung wagen, dass dies für die meisten Menschen im Film diese Entdeckung vollkommen bedeutungslos ist, die froh sind, in einer überfüllten Kirche unterzukommen, und nicht bis übermorgen zu verhungern. Erst kommt das Fressen, dann die Moral...

Im übrigen sollte doch auch dem Zuschauer klar sein, dass man gewiss nicht Richard Fleischer als Regisseur angeheuert hätte, wenn die grünen Kekse wirklich aus Plankton hergestellt würden... :kicher: :palm: :oops:

Doch, ich mag den Film durchaus, aber ich wünschte, er wäre besser. Freilich, wenn der alte Sol Roth noch einmal Naturaufnahmen sieht, Thorn dort überhaupt erst versteht, was die Menschheit verloren hat (und wenn berücksichtigt, dass dies tatsächlich Edward G. Robinsons letzte Rolle war), dann ist das wirklich beeindruckend.
My conscience is clear

(Fred Olen Ray)
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Re: …Jahr 2022… die überleben wollen - Richard Fleischer (1973)

Beitrag von buxtebrawler »

Diese Doku lief gestern auf Arte und ist noch bis zum 27.03.2023 in der Mediathek verfügbar:

Der Ökothriller Soylent green - Alarmstufe rot aus Hollywood

Richard Fleischers "… Jahr 2022 … die überleben wollen" gilt als Meilenstein des Science-Fiction-Films. Der Film mit dem Originaltitel "Soylent Green" (1973) ist das erste Science-Fiction-Drama, in dem es um eine vom Menschen selbst verantwortete Klima- und Umweltkatastrophe geht. Die Doku zeichnet die abenteuerliche Entstehung dieses Kultfilms nach.

Richard Fleischer traf in vielerlei Hinsicht den Nagel auf den Kopf: Er widersprach der gesellschaftlichen Euphorie der späten 60er Jahre massiv und erkannte, dass die Umweltfrage in den folgenden Jahrzehnten eine zentrale Rolle spielen würde. Vor allem aber verknüpfte der Regisseur die Umweltproblematik mit der Frage der sozialen Ungleichheit, was „… Jahr 2022 … die überleben wollen“ auch zu einem wichtigen politischen Film macht.
Eine Szene der Dokumentation beginnt in einer apokalyptischen Landschaft – der sogenannten Cancer Alley, einem 140 Kilometer langen, dicht mit petrochemischen Industrieunternehmen bestandenen Streifen zwischen New Orleans und Baton Rouge im US-Bundesstaat Louisiana.
Die Gegend sieht aus, als hätte Fleischer sie einst als Drehort gewählt. Die hier lebenden Menschen besitzen gegenüber dem nationalen Durchschnitt ein um 50 Prozent höheres Risiko, an Krebs zu erkranken. Robert Taylor, einer der Protagonisten, drückt es so aus: „Wir werden nicht mehr gebraucht.“
Nicht mehr gebraucht von den großen Unternehmen und einigen mächtigen Volksvertretern, die ihnen nahestehen. Nicht mehr gebraucht von allen, die das System am Laufen halten und davon profitieren, während der Rest der Bevölkerung versucht, in einer Welt zu überleben, die kurz vor dem Kollaps steht. 2022 ist jetzt. Gibt es noch eine Chance?

Quelle / VIdeo:
:arrow: https://www.arte.tv/de/videos/106690-00 ... hollywood/
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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