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Originaltitel: La Mujer del Puerto
Produktionsland: Mexiko 1934
Regie: Arcady Boytler / Raphael J. Sevilla
Darsteller: Andrea Palma, Domingo Soler, Antonio Polo, Fabio Acevedo
Was für ein beschissener Tag! Der Vater der jungen Rosario, seines Zeichens Angestellter in einer Sargzimmerei, liegt krank mit einem Husten nieder, der sich alles andere als gesund anhört, in der Kasse sind nur noch ein paar Münzen, und die größte von denen fordert auch noch der herbeigerufene Arzt, der indes nichts weiter tut als desinteressiert irgendein Rezept auszufüllen. Vor der Wohnung des alleinstehenden Mannes und seiner Tochter scharen sich schon die Nachbarhyänen zusammen, drei alte Frauen, die nichts Besseres zu tun haben als sich über Rosarios Liaison mit einem jungen Galan die Mäuler zu zerreißen, der nur einen Stock über ihr wohnt. Neuen Zündstoff bekommt der Tratsch und Klatsch, als Rosario ihn in den Armen einer anderen erwischt, die er offenbar auf dem überall in der Stadt tobenden munteren Karnevalstreiben aufgegabelt hat. Da Rosario von ihm nun nicht mehr auf Geld hoffen kann, das sie dringend braucht, um die überlebenswichtigen Medikamente für ihren Vater zu kaufen, schaut sie bei dessen Chef vorbei. Geld nur gegen die Stillung seiner unlauteren Begierden, lautet die Devise, mit der er die verzweifelte junge Frau entlässt, die noch nicht ahnt, dass inzwischen zu Hause Vater und treuloser Liebhaber in Streit geraten sind, was ersteren durch einen Treppensturz endgültig das Leben kostet. Ja, was für ein beschissener Tag!, der damit endet, dass Rosario die Leiche ihres toten Vaters durch die hellerleuchteten Gassen zum Friedhof begleitet, und zu allem Überfluss noch in einen volltrunkenen Faschingsumzug gerät, der den Sarg mit Luftschlangen und Konfetti bewirft. Dabei ist das erst der Anfang eines Leidenswegs, der Rosario in der Folge, völlig verarmt, völlig verlassen, als Hafendirne enden lassen wird…
Ich bin immer wieder erstaunt, auf was für Perlen man, nichts Gutes ahnend, zuweilen in den Annalen der Filmgeschichte stößt. LA MUJER DEL PUERTO, ein früher mexikanischer Tonfilm mit Prostituiertenthematik, das klingt zumindest auf dem Papier nach altbackenem Melodrama, entpuppt sich in Wirklichkeit allerdings als einer der schonungslosesten, nahezu nihilistischsten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe, und den man, wenn überhaupt, am ehesten noch mit den Werken Bunuels vergleichen kann, die der ehemalige Surrealist in den 40ern und 50ern in Lateinamerika inszeniert hat, und die, obwohl sie die Absurdität seiner früheren und späteren Filme weitgehend vermissen lassen, immer wieder in Situationen kippen, die so grotesk sind, dass man, obwohl es mehr Grund gäbe entsetzt oder traurig zu sein, es unwillkürlich mit den eigenen zuckenden Mundwinkeln zu tun bekommt. LA MUJER DEL PUERTO, der in zwei Teile zerfällt, etwa die erste halbe Stunde, die sich ganz auf jenen Tag konzentriert, an dem Rosarios Niedergang seinen Anfang nimmt, und die übrigen fünfundvierzig Minuten, die, beinahe dokumentarisch, von ihrem Alltag im Hafenbordell berichten, teilt mit eben jenen oft unterschätzten Dramen Bunuels, dass in schöner Regelmäßigkeit abstruse Ereignisse in die geradlinige Handlung einbrechen, um den Effekt immerhin leichter Irritation zu erzielen. In LA MUJER DEL PUERTO ist das vor allem die oben schon beschriebene, schlicht unglaubliche Szene, in der Rosarios einsamer Leichenzug in das Partygelage maskierter Karnevalsteilnehmer gerät. Schier endlos dauert dieser Zusammenprall, bei dem Rosario schluchzend und flehend den Sarg ihres Vaters verteidigt, und die Feierenden, komplett unberührt von ihrem Verhalten, sie wie eine Bande Teufel in einem Rausch umtanzt, in dem sie jegliche Moral verloren zu haben scheinen.
Ansonsten haben die beiden Regisseure, von denen keiner am Ende seines Lebens auf eine schmale Filmkarriere hat zurückblicken müssen, ein phantastisches Gespür für poetische Bildkompositionen – man denke nur an das im Gegenlicht aufgenommene Bild von Eselchen, Sarg und Rosario vor den Toren des Landfriedhofs -, für eine relativ rasante Schnitttechnik, die die besten Ideen von Griffith und Eisenstein vereint, und vor allem im ersten Teil großartig darin ist, Spannung dadurch aufzubauen, dass sie sämtliche Geschehnisse permanent parallel zueinander setzt, und für ein versiertes Spiel mit Licht und Schatten, das die Bordellflure schon fast wie eine kleine Vorhölle wirken lässt. Während der erste Teil durchaus als eigenständiger Kurzfilm darüber durchgehen könnte, wie schnell einem manchmal das Glück verpufft, und einer nach abwärts führenden Spirale gleicht, auf der die einzelnen Schicksalsschläge Rosarios wie höhnisch grinsende, tiefschwarze Perlen aufgereiht sind, besticht der zweite, längere Teil weniger durch seine Story oder seine Figuren, sondern das Kreieren einer Atmosphäre kompletter Hoffnungslosigkeit, die zumindest auf mich reichlich bedrückend gewirkt hat. Im Prinzip wird nur gezeigt, was in so einem Hafenfreudenhaus gemeinhin so vor sich geht, wenn eine Mannschaft zeitweise gestrandeter Soldaten es aufsucht, um die langen Monate auf See durch etwas Sex und Suff aus dem Gedächtnis zu werfen. Man macht Frauen betrunken, schläft mit ihnen, wird selbst betrunken, und irgendwann torkeln durch die klaustrophobischen Gänge nur noch besoffene Seemänner und Huren. Die Krone bekommt das Ganze aufgesetzt, indem das laue Happy-End, das ich irgendwie dann doch in einem kommerziellen Film der frühen 30er erwartet hätte, nicht nur ausbleibt, sondern Rosario unbedingt noch mit ihrem eigenen, seit Ewigkeiten aus den Augen verlorenen Bruder schlafen, diesen schließlich erkennen und sich aus Selbstekel darüber in die Fluten des Meeres stürzen muss. Was für ein beschissenes Leben!, sollte nach der letzten Szene, die Rosarios Bruder weinend an der Küste zeigt, über dem Abspann stehen. Es gibt Filme, die so trist sind, dass sie einen zerstören können. Das kann dann nur noch durch bebilderte Selbstmorde wie Philippe Garrels L’ENFANT SECRET getoppt werden.