Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

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Salvatore Baccaro
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Gestern mit dem Deliria-eigenen Braumeister im Kino besehen.

Warmherzig. Sonnig. Siebzigerig. Bedacht auf Nuancen, auf Leerstellen, auf das Zwischenzeilige. Organisch wachsend. Soghaft. Liebenswert-verschrobene Figuren. Schauspielerische Höchstleistungen von den bislang im Acting-Fach kaum bis gar nicht in Erscheinung getretenen Hauptfiguren. Schöner Soundtrack, schöne Bilder, schönes Wechselspiel aus Ernst und Witz.

Dennoch: Irgendwie war mir die Story zu episodisch, zu määandernd, - teilweise wirkt es tatsächlich, als würde man von einem Kapitel zum nächsten hüpfen, ohne Überleitung dazwischen. Außerdem wird noch jedes so grimmige Thema mit einem lächelnden Schleifchen versehen: Da kämpft eine junge Frau um Eigenständigkeit in einem patriarchalen, orthodox-jüdischen Haushalt; da scheint ein Restaurantbetreiber seine wechselnden japanischen Gattinnen nicht anders zu behandeln als wechselnde Einrichtungsgegenstände; da gibt es übergriffige Toxic Masculinity und kaschierte Homosexualität, um den eigenen Wahlkampf als Bürgermeister nicht zu gefährden, und ein Hollywood-System, das ganz den Goldenen Jahren nachhängt, und jedweden Blick für die Gegenwart verloren hat - und all das serviert der Film uns in demselben gutgelaunten, augenzwinkernden, lichtdurchfluteten Tonfall, ohne dass es jemals im Verlauf der über zwei Stunden zu einem ernstzunehmenden Konflikt kommen würde, - was für die Figuren freilich toll ist, denn denen wünscht sicher niemand die Pest an den Hals, jedoch mich über die angesprochene Laufzeit hinweg dann doch gerade im letzten Drittel nicht unbedingt mehr bei der Stange halten konnte.

Demgegenüber aber einige wundervoll eingefangene Momente der Zwischenmenschlichkeit: Ein Telefon"gespräch", bei dem keine der beteiligten Parteien über Minuten hinweg ein Wort herausbringt; eine Autofahrt mit leerem Tank die Hollywood Hills hinab; eine gemeinsame Nacht auf einem Wasserbett, in der die Hand zwar nach dem Objekt der Begierde ausgestreckt, dieses dann aber doch nicht berührt wird, - da erzählt Andersons Film im Grunde sehr viel, ohne etwas direkt auszusprechen, und davon hätte es gerne mehr sein können...
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McBrewer
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von McBrewer »

Salvatore Baccaro hat geschrieben: Mo 31. Jan 2022, 14:40
McBrewer hat geschrieben: Mo 31. Jan 2022, 13:52 Zeit habe ich, aber nur kein Kino in unmittelbarer Nähe, daher entweder nach Magdeburg oder Braunschweig ins Kino fahren...müssen
Dann gib mal Bescheid, falls Letzteres.. ;-)
Ja, das hatte letztens sehr gut geklappt das wir uns in der Löwenstadt zum Kinofilm schauen getroffen haben. :prost:

Und Licorice Pizza schaut in seinen schönsten Momenten wirklich wie die kleine Schwester von "Once upon a time in Hollywood" aus, sonnendurchflutete Bilder, 70iger Flair überall,
Von der Story her hatte mich das ganze auch ein wenig an Wes Andersons "Rushmore" erinnert, junger, aber recht Reifer Teenager verliebt sich in ältere Frau & kämpft um deren Liebe.
Trotz der geschilderten Schönheit gibt es aber leider auch etwas Leerlauf & so recht wissen auch die Hauptcharaktere nicht ihre Gefühle einzuordnen: mögen sie nun den anderen oder nicht? oder doch? Das ist nicht immer nachvollziehbar.
So gehören die Auftritte von Bradley Cooper , Sean Penn & Tom Waits mit zu den Höhepunkten.
Und natürlich das tolle Schauspiel von Cooper Hoffman sowie die Bezaubernde Alana Haim, deren komplette Familie sogar mitspielt.

Somit bleibt Licorice Pizza für mich zwar hinter den Meisterwerken Boogie Nights, Magnolia & There will be blood zurück, agiert aber in meiner Rangliste solide im Oberen Mittelfeld und natürlich vor Inherent Vice
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von buxtebrawler »

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von buxtebrawler »

Erscheint voraussichtlich am 30.06.2022 bei Universal auf Blu-ray und DVD:

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Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von buxtebrawler »

Die halbtotale Erinnerung

US-Regisseur Paul Thomas Andersons („Inherent Vice – Natürliche Mängel“) jüngster abendfüllender Spielfilm ist die für seine Verhältnisse überraschend unsperrige und leichtfüßige Coming-of-Age-Liebeskomödie „Licorice Pizza“, ein ‘70er-Jahre-Throwback, der im November 2021 in den US-Kinos startete und es im Januar 2022 nach Deutschland schaffte. Er basiert auf den Erinnerung seines Freunds Gary Goetzmans; der Titel ist einer in den 1970ern in den USA verbreiteten Schallplattenladenkette entlehnt (schwarze Vinyl-Schallplatte = „Lakritzpizza“), die im Film allerdings keinerlei Rolle spielt.

Das San Fernando Valley in Los Angeles im Jahre 1973: Gary Valentine (Cooper Hoffman) ist 15 Jahre jung, ein beliebter Kinderdarsteller aus dem Film „Unter einem Dach“ (angelehnt an den Film „Deine, meine, unsere“) um eine kinderreiche Patchwork-Familie und bereits ein geschäftstüchtiger Jungunternehmer, der eine eigene PR-Agentur betreibt, für die auch seine Mutter arbeitet. Entsprechend selbstbewusst tritt er seiner moppeligen und pickligen Erscheinung zum Trotz gegenüber Alana Kane (Alana Haim) auf, als er sie zu einem Rendezvous einzuladen versucht. Alana ist bereits zehn Jahre älter, verdingt sich als Fotoassistentin und fällt ihm auf, als in seiner Schule Jahrbuchfotos geschossen werden. Widerwillig lässt sich die ebenfalls nicht auf den Mund gefallene Alana auf das Treffen ein, wobei man sich miteinander anfreundet. Als Gary zusammen mit dem „Unter einem Dach“-Team zu einer Fernsehaufzeichnung nach New York eingeladen wird, begleitet Alana ihn als Aufpasserin, da seine Mutter unabkömmlich ist. Dort lernt Alana Garys Schauspielkollegen Lance (Skyler Gisondo, „Halloween“ (2007)) kennen, doch das erste gemeinsame Abendessen mit Alanas orthodox-jüdischen Eltern überstehen die geknüpften zarten Bande nicht. Stattdessen laufen sich der unter Liebeskummer leidende Gary und die um ihren eigenen Platz im Leben kämpfende Alana sich wieder über den Weg. Und wieder. Und wieder…

Um eine höchstmögliche Authentizität zu erlangen, hat Anderson seinen Film auf 35-mm-Material und mit Kameralinsen aus dem Analogzeitalter gedreht. Dieser Drang zur Unverfälschtheit spiegelt sich auch in den ungeschminkten Darstellern der Hauptrollen wider, die tatsächlich wie echte Menschen mit ihren Makeln und ihrer „Unvollkommenheit“ aussehen – und nicht wie Hollywood-Schönheiten, die echte Menschen spielen. Das geht so weit, dass Alana auch im wahren Leben Alana heißt, der Nachname ihrer Rolle an den Klang ihres realen Nachnamens angelehnt wurde und ihre Familie größtenteils von ihrer tatsächlichen Familie gespielt wird (wie Philip Seymour Hoffmans Sohn Cooper debütiert auch Haim hier in einem abendfüllenden Spielfilm; bekannter ist sie als Teil des Popmusik-Trios „Haim“, in dem sie zusammen mit ihren Schwestern musiziert und für die Anderson bereits Musikvideos drehte).

Hauptbestandteil der Handlung ist die Entwicklung der Beziehung Alanas und Gary zueinander, vor dem Hintergrund der Selbstfindung Alanas. Diese wundert sich über sich selbst, darüber, dass sie mit dem oftmals noch recht kindischen Gary und dessen Freunden lieber etwas unternimmt als mit Gleichaltrigen, und hadert damit, dass sie weder beruflich noch in Bezug auf eine libidinöse Beziehung bisher so wirklich ein Bein auf die Erde bekommen hat. Die Komik des Films ist frei von Slapstick und Klamauk, setzt stattdessen auf komische Situationen, gepfefferte Dialoge, die Karikatur populärkultureller Persönlichkeiten und die Absurdität zumindest von Teilen des Zeitgeists.

Doch bei allem Humor bleibt der Ernst nicht ausgespart: Neben kleineren zwischenmenschlichen Dramen zwischen Alana und Gary findet sich dieser u.a. in der Ölkrise, die über die USA hereinbricht, und im Wahlkampf des jungen Demokraten Joel Wachs (Benny Safdie, „Pieces of a Woman“), dessen Team sich Alana anschließt. Dieser wird bespitzelt, um etwas Despektierliches über ihn herauszufinden, was indirekt auf die verbreitete Homophobie der damaligen Zeit anspielt. Barbra Streisands Friseur Jon Peters wird von Bradley Cooper („Hangover“) als fieser Kotzbrocken verkörpert, der jedoch sein Fett wegbekommt. Sean Penn („Dead Man Walking – Sein letzter Gang“) mimt Jack Holden, offenbar eine Persiflage auf William Holden, der sich mit Alana und Tom Waits („Rumble Fish“) nur noch in Filmzitaten unterhält und betrunken einen Motorradstunt hinlegt. Dieser wird jedoch von einer irrwitzigen Rückwärtsfahrt durch die Hollywood Hills mit einem Transporter ohne Sprit im Tank getoppt. Zum Zeitgeist wiederum zählt, dass Wasserbetten der letzte Schrei waren und Flipperautomaten legalisiert wurden, beides wurde hier sehr eindringlich filmisch verarbeitet.

Angesichts der grundsätzlichen Schwere von Themen wie Ölkrise, orthodox-religiöses Elternhaus, Wahlkampf mit schmutzigen Methoden, aber auch Gewaltandrohungen und -ausbrüchen, einer Verhaftung Garys und einem offenbar frei herumlaufenden Mörder dürfte es Teile des Publikums irritieren, dass „Licorice Pizza“ sein Gewicht nicht entsprechend verlagert und etwas aus diesem Portfolio des Schreckens eskalieren lässt. Stattdessen bleibt er fokussiert auf Alanas und Garys Gefühlswelt. Beide bleiben nicht untangiert von diesen Ereignissen, allzu großen Einfluss haben sie aber nicht auf sie – denn es gibt da etwas, das für sie viel bedeutender ist. Zudem scheint mir diese Herangehensweise ein bewusstes Spiel Andersons mit der Verklärung der eigenen Phase des Heranwachsens zur „guten, alten Zeit“ zu sein, in der wer weiß was auf der Welt los sein konnte, individuelle positive Erfahrungen wie verrückte, aber erfolgreich gemeisterte Stationen des Erwachsenwerdens die Erinnerung aber dominieren.

Oder anders ausgedrückt: Wird man in dieser persönlichkeitsprägenden Phase durch Ereignisse wie die oben genannten zwar durchaus behindert, wird sie einem aber nicht grundlegend genommen, verhindern sie keine nostalgischen Rückblicke. Wer also meint, es gehe in „Licorice Pizza“ letztlich um nichts, irrt gewaltig: Für Alana und Gary geht es um alles! Haim und Hofman glänzen in ihren Rollen, wie es für Debütant(inn)en alles andere als an der Tagesordnung ist; möglicherweise kommt es ihnen zugute, dass sie sich bereits kannten und Alana, so liest man, als dessen Babysitterin tatsächlich auf ihn achtzugeben hatte. Die Kameraarbeit mit ihren herrlichen Fahrten ist ebenfalls eine Klasse für sich, das Ambiente ist sonnig, die Geschichte zärtlich und herzlich erzählt, die musikalische Untermalung stimmig, hörenswert und zeitgenössisch – mit Ausnahme des von Chris Norman und Suzi Quatro gesungenen Hits „Stumblin' In“, das erst fünf Jahre später veröffentlicht wurde.

„Licorice Pizza” ist ein hintersinniger Herzwärmer, der aufgrund seines Handlungsorts und seines karikierenden Humors hin und wieder an Tarantinos „Once Upon a Time… in Hollywood“ erinnert, sich jedoch nicht auf den Filmbetrieb fokussiert und die reale Historie nicht umschreibt. Welch zumindest in Teilen windiger und dadurch tendenziell unsympathischer Geschäftemacher Gary eigentlich ist, scheint jedoch niemand zu bemerken, weshalb mir nicht ganz klar ist, inwieweit diese Wirkung intendiert ist oder ob nur ich das so empfunden habe. Das hat etwas von einer naiv anmutenden, unreflektierten Darstellung des „amerikanischen Traums“, entspricht womöglich aber auch schlicht dem damaligen Zeitgeist. Nichtsdestotrotz: Ein wunderbares zelluloidgewordenes Stück fremder persönlicher Erinnerung, in der man auch als Spätgeborener gern mitschwelgt, und zugleich die Geschichte einer ungewöhnlichen zwischenmenschlichen Beziehung.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Flipper waren illegal? :shock:
My conscience is clear

(Fred Olen Ray)
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buxtebrawler
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben: Do 17. Mär 2022, 18:43 Flipper waren illegal? :shock:
:nick:

:arrow: https://ichi.pro/de/die-zeit-als-die-us ... 8731058556
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Blap
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von Blap »

Endlich geschaut und für gut befunden. Dicke Empfehlung.
Das Blap™ behandelt Filme wie Frauen
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karlAbundzu
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Re: Licorice Pizza - Paul Thomas Anderson (2021)

Beitrag von karlAbundzu »

Blu
Frühe Liebe in den 70ern.
Boy meets Girl. Er sehr jung, aber schon erfolgreich, einerseits als TV Darsteller, aber auch als Kleinunternehmer, sie auf der Suche und dem Versuch, sich in einer sexistischen Welt zu behaupten, in der die Revolution nicht passierte. Und daher passt ihre Grundwut, dann noch gespiegelt in ihren beiden Schwestern. Die eine cool, klug und immer kiffend, die andere neidisch und anklagend. Alle drei mit Ü20 noch behütet bei den Eltern wohnend, da nicht verkuppelt.
Wir folgen dem Weg der erwachenden Liebe mit den üblichen Umwegen. Neu ist nicht die Story, anders aber die beiden Charaktere und die Erzählweise. Episodisch angelegt, sich nicht dauernd in witzigen oder schelmischen Dialogen aufhaltend, doch auch sehr viel Zeit nehmend, mit einer Grundwärme.
Vielleicht das gleiche Universum wie Tarantinos Once Upon, aber anderer Planet, Nähe sah ich eher zu The Graduate . Auch dort wird sich Zeit gelassen und nicht alles mit Dialogen, Witz und Ideen zugebaut.
Die Musikauswahl dann auch mal andere, nicht so abgespielte Songs (bis auf Bowies Life in Mars).
Wirklich schöner Liebesfilm.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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