Long Pigs - Nathan Hynes / Chris Power (2007)

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sergio petroni
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Long Pigs - Nathan Hynes / Chris Power (2007)

Beitrag von sergio petroni »

LONG PIGS

Bild

Originaltitel: Long Pigs

Herstellungsland-/jahr: KAN 2007

Regie: Ntahan Hynes, Chris Power

Darsteller: Anthony Alviano, Jean-Marc Fontaine, Paul Fowles, Shane Harbinson, Roger King,
Kelly McIntosh, Brad Mittelman, John Terranova, Vik Sahay, Barbara Walsh, Al Bernstein,
Phyllis Cooper, ...

Story: Two documentary filmmakers chronicle the daily life of a serial killer in the pseudodocumentary chiller Long Pigs. You wouldn't know it by looking at him, but Anthony McAlistar (Anthony Alviano) is a multiple murderer that likes to feast on his victims' human remains. Fortunately for him, he's able to tell his story when a couple of documentarians decide to exploit the murderer for their own fascinating film project, but are they prepared for the bloody reality set to unfold before their cameras?
(quelle: rottentomatoes.com)
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
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Salvatore Baccaro
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Re: Long Pigs - Nathan Hynes / Chris Power (2007)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Erinnert sich noch jemand an die belgische Mediensatire und Mockumentary C’EST ARRIVÉ PRÈS DE CHEZ VOUS von Rémy Belvaux, André Bonzel und Benoît Poelvoorde aus dem Jahre 1992? Falls ja, wird es nichts Neues sein, wenn ich ins Gedächtnis rufe, dass in deren Mittelpunkt ein gewisser Ben steht, der aus keinem anderen Motiv als der Lust zum Töten eine Existenz als Serienkiller führt, und bei seinen Gräueltaten von einem für uns meist unsichtbaren Filmteam begleitet wird, das ihn, zunächst, bloß bei seinen Taten zu dokumentieren gedenkt, um daraus eine aufsehenerregende Reportage zu stricken, letztlich aber immer tiefer in den Strudel aus sinnloser Gewalt gerät, für die richtigen Schock-Bilder schließlich zum Komplizen Bens wird, und selbst über Leichen zu gehen beginnt. C’EST ARRIVÉ PRÈS DE CHEZ VOUS ist eine bitterböse, zynische Analyse einer von jeglicher Humanität und jeglichem Altruismus losgekoppelten Medienwelt, deren Protagonisten, ähnlich wie die Truppe um Alan Yates in CANNIBAL HOLOCAUST, irgendwann, wenn die Realität nicht mehr genügend spekulativen Sprengstoff liefert, eigenmächtig eingreifen, um sie hin zum Schlimmeren, sprich: Sendefähigerem zu verändern. Nicht Ben ist das eigentliche Monstrum in Belvauxs, Bonzels und Poelvoordes Film, sondern die Maschinerie, die sich seiner bedient, um ihm zum Lieferanten möglichst heftiger visueller Impressionen zu machen, und diese dann gewinnbringend in einen ökonomischen Zirkel zu integrieren.

Warum so viele Sätze über einen Film, um den es heute gar nicht gehen sollen? Nun, weil LONG PIGS, inszeniert von Chris Power und Nathan Hynes, über weite Strecken wirkt wie ein Remake des belgischen Streifens fünfzehn Jahre zuvor. Auch hier wird ein Killer bei der Arbeit von zwei Jungfilmern, den Regisseuren selbst, bei der oft blutigen Arbeit begleitet, und auch hier stellt sich alsbald zwischen Täter und Dokumentierenden eine zwischenmenschliche Nähe ein, die die Grenze, wo die Komplizenschaft anfängt und die Professionalität aufhört, brüchig werden lässt, und auch hier ist das Ganze offensichtlich als medienkritischer Kommentar gemeint, der nicht mit dem schwärzesten Humor geizt, und sich ästhetisch und formal im Übrigen als vermeintlich authentisch verkauft: Obligatorisch ist die Texttafel zu Beginn, laut der alles, was wir im Folgenden sehen werden, actual footage sei. Im Gegensatz zu dem motivationslos metzelnden Ben in C’EST ARRIVÉ PRÈS DE CHEZ VOUS hat Anthony, wie der Serienmörder hier heißt, jedoch einen eindeutigen Grund, weshalb er Menschen entführt und in seinem Keller abschlachtet: Er ist, was er gleich am Anfang im Interview mit Hynes und Power erklärt, Kannibale aus Überzeugung. Es gibt nichts, was dem leidenschaftlichen Jäger so gut schmeckt wie Menschenfleisch. Ausgebildet als Schlachter, kann er seine Opfer dementsprechend fachmännisch – Fritz Haarmann lässt grüßen – zu Wurst oder Steaks verarbeiten. Schon in der ersten Viertelstunde werden wir Zeuge, wie solch eine Prozedur abläuft: Eine Prostituierte wird von Anthony und den Filmemachern in dessen Haus gelockt, dort betäubt, ausgeweidet, zerhackstückt, und schließlich von allen drei vor laufender Kamera verspeist – wobei Hynes und Power zugeben müssen, dass Anthony mit seinen Schwärmereien über die Köstlichkeit von Menschenfleisch nicht übertrieben hat. Mal von seinem etwas eigenwilligen kulinarischen Geschmack abgesehen, ist Anthony allerdings ein recht normaler, fast schon langweiliger Typ, der sich in seiner Freizeit am liebsten mit den Kumpels zum Bowling trifft, ab und zu seine Mutter im Pflegeheim besucht, und abends mit Bier vorm Fernseher sitzt – was, wie man sich denken kann, die von dem ebenfalls Anthony mit Vornamen heißenden Darsteller Alviano verkörperte Figur nur umso interessanter bzw. fürchterlicher macht.

Ein weiterer Unterschied zwischen LONG PIGS und seinem Vorbild ist die ästhetische Gestaltung. C’EST ARRIVÈ PRÈS DE CHEZ VOUS war ja in einem Schwarzweiß gedreht, das allein schon dazu führt, eine gewisse Distanz zwischen Betrachter und Betrachtetem zu schaffen, und dazu tendiert, noch das übelste Treiben auf der Leinwand ansatzweise zu ästhetisieren. LONG PIGS verzichtet darauf ganz. Der Film schaut genauso aus wie das, was er sein soll: Rohmaterial einer Dokumentation über einen Kannibalen, gedreht von zwei unerfahrenen Typen, voller Wackelkamera-Attacken, noch nicht montiert, mit verrauschter Tonspur. Gerade dadurch erhält LONG PIGS aber eine Optik, die ziemlich gut darin ist, vor allem seine physischen Gräuel so realistisch wie möglich darzustellen. Herzstück für alle Gorebauern wird die Szene sein, in der Anthony eins seiner Opfer en detail auseinandernimmt. Obwohl im Zeitraffer abgespielt, dauert sie immer noch mehrere Minuten, und zeigt aus einer statischen Kameraposition, wie der Kannibale eine Frauenleiche nach allen Regeln der Kunst ausbluten lässt, halbiert, sie ihrer Eingeweide entledigt – und da die Spezialeffekte, die Power und Hynes zur Verfügung gestanden haben, entweder brillant gewesen sind oder ihre fehlende Brillanz brillant kaschiert worden ist, fällt es nicht schwer, diese Schlachtung für bare Münze zu nehmen. Hinzukommt, dass sich die Handlung – im Gegensatz zum belgischen Vorgänger – eigentlich immer völlig glaubwürdig entwickelt. Da gibt es keine groteske Überspitzung, keine Gewaltspirale, die sich allzu sehr ins Monströse steigern würde. Nicht zuletzt gründet der realistische Eindruck aber auch in den Interview-Szenen, die Power und Hynes immer wieder zwischen die Szenen mit Anthony schneiden. Ein Polizeibeamter und eine Psychologin sitzen dort vor der Kamera, und verlautbaren Allgemeines über Psyche und Sozialverhalten von Serienkillern – die ganze Bandbreite von sexuellem Missbrauch in der Kindheit, daraus entstandenen Sexualobsessionen und das Fehlen eines sozialen Umfelds, allesamt Dinge, die, soweit wir das erfahren, ironischerweise auf unseren Anthony nicht zutreffen.

Erst nach und nach begreifen wir, unter welchem Vorwand Power und Hynes diese Autoritäten zum Zwiegespräch gebeten haben. Es handelt sich um den Fall eines vor Jahren verschwundenen Mädchens, der siebenjährigen Ashley. Man kann sich denken, wer für die Entführung des Kindes verantwortlich ist, und in wessen Magen es landete. Mit diesem Subplot ist dann auch endgültig Schluss mit Lustig, und LONG PIGS wird zu einem Film, der einem die Kehle mit Klößen verstopfen kann. Wenn Anthony davon erzählt, wie das einzige Kind, das er jemals gegessen hat, geschmeckt habe, wie er es anstellte, um Ashley bei ihrer Schlachtung so wenig Angst und Schmerzen wie möglich zu bereiten, und dass er, zugebenermaßen wenig überzeugend, behauptet, er habe kein schlechtes Gewissen deswegen, es sei eben bad luck, für die Kleine wie für ihre Eltern, dann ist das schon Tobak, den ich als viel beklemmender empfunden habe als die ausgedehnten Metzelszenen im Keller des Kannibalen. Auch das lässt sich aber noch steigern: Hynes und Powers besuchen den Vater von Ashley. Der hofft immer noch darauf, seine Tochter irgendwann in die Arme schließen zu können, denn da seine Frau bereits vor Ashleys Verschwinden an Krebs gestorben ist, bildet das den einzigen Grund für ihn zum Weiterleben. Als die Kamera für einen Moment zur Seite schwenkt, stellen wir fest, dass der Tonmann bei dieser Aufnahme niemand anderes als Anthony ist. Sein beunruhigter, unsicherer Blick in die Linse, während der Vater zum tausendsten Mal einen Appell loslässt, der Entführer solle ihm sein Kind zurückbringen, sagt mehr als jedes Wort, und sorgt für die wohl emotionalste Szene in LONG PIGS. Am großartigsten aber ist wohl das eskalierende Ende, das dann doch die selbstironischen Trümpfe des Films offen auf den Tisch legt: Anthony tötet Power, Hynes flüchtet. Ganz zuletzt wird uns zusammenfassend berichtet, was aus den Protagonisten später noch geworden ist. Hynes verbüßt eine kurze Haftstrafe, wird dann zum Medienstar, und von Ashleys Vater bei einer Pressekonferenz erschossen. Anthony indes sitzt lebenslänglich hinter Gittern, verfasst dort aber vegetarische Kochbücher, die internationale Erfolge einheimsen. LONG PIGS endet mit einem Radiointerview, das Anthony über seine kulinarische Läuterung gibt.

C’EST ARRIVÈ PRÈZ DE CHEZ VOUS ist, meiner Meinung nach, die bessere Alternative, wenn man sich einen Film dieser Machart und dieses Sujets anschauen möchte, trotzdem bietet auch LONG PIGS genügend Gänsehaut-Szenen, genügend selbstreflexives Potential und genügend intelligente satirische Spitzen, dass er weit mehr ist als eine reine Schlachtplatte. Zugleich ist er mir dann aber doch zu epigonenhaft, als dass ich auch nur versucht wäre, ihn in eine Reihe von Filmen wie der mehrfach erwähnten belgischen Mockumentary, einem moralisierenden Werk wie Hanekes FUNNY GAMES, oder gar CANNIBAL HOLOCAUST zu stellen. Eine nette Ergänzung, die mir für einige Minuten (der Ashley-Plot) wirklich wehgetan hat.
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Arkadin
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Re: Long Pigs - Nathan Hynes / Chris Power (2007)

Beitrag von Arkadin »

Salvatore Baccaro hat geschrieben:, die mir für einige Minuten (der Ashley-Plot) wirklich wehgetan hat.
Tat mir auch beim Lesen schon sehr weh.
Früher war mehr Lametta
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