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Darsteller: Gretchen Lodge, Johnny Lewis, Alexandra Holden, Ken Arnold, Brandon Thane Wilson, Tony Ellis, Daniel Ross, Lauren Lakis, Tara Garwood, Todd Ryan Jones, Mark Redfield, Alexis Savage u. A.
Direkt nach der Hochzeit zieht das frisch vermählte Pärchen in das Haus der verstorbenen Eltern der Gattin. Während Gatte Tim (Johnny Lewis) als Fernfahrer oft unterwegs und selten daheim ist, bleibt Ehefrau Molly (Gretchen Lodge) dadurch meist nächtelang allein. Als wäre das nicht bereits genug für die junge Dame, beginnt sie auch noch eine Stimme im Haus zu hören. Ihr Mann hält dies jedoch eher für Einbildung und sieht sich wenig später sogar darin bestätigt, als er herausfindet, dass Molly wieder Drogen nimmt. Deshalb will er unbedingt, dass sie sich in ärztliche Behandlung begibt. Das Ehepaar hat seine erste schwere Krise und scheint daran kaputtzugehen. Aber sind es wirklich nur die Drogen, die Molly diese Stimme hören lässt oder ist es etwa der Geist des verstorbenen Vaters, der in den Nächten durch die Wohnung streift?
Der kubanische Filmemacher Eduardo Sánchez, der 1999 mit seinem in Zusammenarbeit mit Daniel Myrick entstandenen „Blair Witch Project“ einen der Überraschungserfolge des phantastischen Films für sich verbuchen konnte, meldete sich nach drei weiteren Filmen in den 2000ern mit dem US-Horror-Drama „Lovely Molly“ 2011 im aktuellen Jahrzehnt zurück. Sánchez setzte dabei auf eine Mischung aus Found-Footage-Look und professioneller Filmkameraführung.
Molly (Gretchen Lodge) hat den Berufsfernfahrer Tim (Johnny Lewis, „Tödlicher Anruf“) geehelicht, gemeinsam bezieht man das Haus Mollys verstorbener Eltern in einer abgelegenen Gegend am Waldrand. An ihre Kindheit hat sie kaum positive Erinnerungen, denn sowohl sie als auch ihre ältere Schwester Hannah (Alexandra Holden, „Dead End“) wurden von ihrem Vater missbraucht. Hannah wehrte sich eines Tages beherzt und tötete ihren Erzeuger. Molly verfiel dem Heroin, hat ihre Sucht jedoch scheinbar überwunden. In der Abgeschiedenheit und Einsamkeit – Tim ist häufig tagelang außer Haus – aber kehren Mollys Kindheitstraumata zurück. Damit nicht genug, scheint es in dem unheimlichen Haus zu spuken. Ist der ruhelose Geist ihres Vaters hinter ihr her? Mollys Persönlichkeit verändert sich, sie wird zunehmend aggressiv – gegen sich und andere…
„Nimmst du wieder Drogen?“
Die weinende, verzweifelte Frau aus der Heimvideoaufnahme, die sich ein Messer an den Hals hält, entpuppt sich als die titelgebende Molly. Der nach diesem Prolog einsetzende Vorspann wurde mit weiteren Amateuraufnahmen, nämlich von Mollys Hochzeit ein Jahr zuvor, unterlegt. Was zwischen diesen beiden Aufnahmen geschehen ist, wird fortan im eigentlichen Film erörtert. Da Molly ständig versucht ist, gewisse Ereignisse auf Video festzuhalten, schwanken Optik und Perspektive des Films zwischen gewohnter Filmkamera und Sánchez‘ speziellem Steckenpferd, der von seinen Protagonisten selbst angefertigten Amateuraufnahmen. Letztere besitzen durch ihre Datumeinblendungen zudem dokumentierenden Charakter.
Der Alarm im Haus wird aufgelöst, doch es ist kein Einbrecher zu entdecken. Als die Kamera dazu betätigt wird, datiert diese auf den 4. Oktober 2011. Molly ist allein im großen Haus; eine lange Spannungsszene endet damit, dass als Schreckeffekt an der Gartentür gerüttelt wird – effekthascherisch mit überlautem Ton. Diese Szenen markieren den Beginn des Spuks, dem sich zunächst vornehmlich Molly ausgesetzt sieht und der gewohnte Haunted-House-Motive aufgreift. Molly hört zudem Kindergewimmer und andere unheimliche Geräusche, in der Konsequenz schleichen Molly und/oder Tim ständig mit oder ohne Taschenlampe durchs Haus. Aus zu diesem Zeitpunkt noch unerfindlichen Gründen filmt Molly auch die Nachbarn durch Fenster. Als Tim eines Abends nach Hause kommt, sitzt sie nackt und apathisch auf dem Bett und sagt, er sei nicht tot, was sie offenbar auf ihren Vater bezieht, dessen Geist sie im Haus zu vernehmen glaubt. Das Blättern in einem alten Fotoalbum bringt weitere Erinnerungen zurück, die sie nicht verkraftet, so dass sie wieder zu ihrem Fixerbesteck greift. Auch die Arbeit in einer Wäscherei bietet nicht genügend Ablenkung, denn auch dort vernimmt sie mysteriöse Stimmen und scheint schließlich sogar von einem Unsichtbaren vergewaltigt zu werden. Aufgrund des Überwachungsvideomitschnitts muss sie zum Rapport beim Chef. Der Film gibt sich indes noch recht zurückhaltend und blendet meist ab, wenn Molly etwas zustößt – ohne dem Zuschauer den jeweiligen Ausgang zu verraten. Molly spricht in ihre Kamera, filmt gar einen tatsächlichen Einbruch und versteckt sich im Schrank.
Die Situation eskaliert, als Pastor Bobby (Field Blauvelt, „Invasion“) sie für ein Gespräch aufsucht. Molly gibt sich ihm gegenüber ordinär und obszön, setzt sich anschließend einen Druck. Immer häufiger filmt sie die Nachbarin, verfolgt sie bisweilen regelrecht – und ein toter Hirsch in der Kellerdecke verbreitet immer schlimmeren Gestank im Haus. Sie redet mit ihrem Vater, dessen Anwesenheit sie sich längst sicher ist, und beißt Tim die Lippe ab. Der Fall scheint klar: Mollys unbewältigtes Kindheitstrauma vom Missbrauch durch ihren Vater bricht nach dem Einzug ins Elternhaus nach und nach durch und macht sie zu einem unzurechnungsfähigen psychischen Wrack, das gefährlich für sich und andere ist. Sie versteckt sich im Wald und filmt ihre sie suchende Schwester, der sie lautstarke Vorwürfe macht, nachdem sie sie gefunden hat. (Achtung, Spoiler!) Die überraschende Wendung, dass Tim Molly mit der Nachbarin betrügt, erklärt dann endlich ihr Interesse für sie und setzt die finale Abwärtsspirale in Gang, in der der Film so richtig aufdreht, wenn Molly einen nach dem anderen abschlachtet – dokumentiert in unappetitlichen Bildern.
Das etwas bedeutungsschwangere Ende deutet dann an, dass es sich um wirklichen Spuk gehandelt habe, was mich zunächst sehr irritiert hat, war ich doch lange Zeit davon ausgegangen, dass „lediglich“ Mollys Psyche ausgetickt ist. Tatsächlich hätte es diesen Ausflug in die Phantastik nicht gebraucht. Andererseits wäre mir „Lovely Molly“ als Dokumentation eines traumabedingten psychischen Verfalls und Amoklaufs ein paar Nummern zu arg, zu dick aufgetragen gewesen. Das hätte möglicherweise im Rahmen eines Slashers funktioniert, für eine um Realitätsnähe bemühte Mischung aus Haunted-House-Horror und Psycho-Drama hätte ich es als unpassend empfunden. Nun versucht Sánchez aber eben, seinen Film aber als „echten“ Horrorfilm zu definieren und erweitert ihn ähnlich wie bei den viralen „Blair Witch Project“-Kampagnen seinerzeit um – von mir nicht gesehenes, da mir der Film lediglich als Stream vorgeführt wurde – dokumentarisches Bonusmaterial, das im Prinzip erst die ganze Vorgeschichte erzählt: Das Haus sei bereits seit Jahrhunderten ein Spukhaus und es sei das Haus gewesen, das Mollys Vater erst zum Kinderschänder machte – und somit vermutlich eben auch Tim zum Ehebrecher und Molly zur Mörderin. Zudem wird bestimmte, im Film nur scheinbar eine Nebenrolle gespielt habende Symbolik erläutert. Zugegeben, wohlgemerkt ohne das Material gesehen zu haben: Diese Vorstellung lässt die Handlung dann doch ein wenig, nun, „schlüssiger“ erscheinen. Wiederum spricht es gegen den Film, dass er ohne begleitendes Material anscheinend nicht vollständig funktioniert.
Davon losgelöst betrachtet bleibt ein etwas langatmiger, ein unnötiges Geheimnis aus Mollys Vorgeschichte machender Spukhausstreifen mit ausgeprägter psychologischer Komponente, die gegen Ende über den Haufen geworfen wird. Der Found-Footage-Anteil stört weitaus weniger als die Unentschlossenheit über weite Strecke und die Geheimniskrämerei irgendwo zwischen Subgenre-Standards und dem x-ten „Paranomal Activity“-Aufguss. Wettgemacht wird indes viel durch die guten darstellerischen Leistungen allen voran der Debütantin Gretchen Lodge, die ihrer Rolle eine glaubwürdige Ambivalenz und Tiefe verleiht und in ihrer Natürlichkeit z.B. auch in einer spontanen Sex am Morgen zeigenden Szene ebenso eine gute Figur macht wie in Momenten des ohnmächtigen Ausgeliefertseins. Tatsächlich überträgt sich bisweilen das Gefühl auf den Zuschauer, ganz nah an der Figur zu sein, ohne ihr helfen zu können, selbst wenn es theoretisch möglich wäre. Leider vollkommen realer Horror und verdammt gruselig: Johnny Lewis erlitt noch 2011 einen Motorradunfall, bei dem er sich schwere Kopfverletzungen zuzog und soll im darauffolgenden Jahr seine Vermieterin ermordet und anschließend Suizid begangen haben.
Mit einer Bewertung des Films tue ich mich schwer und möchte es zunächst bei einer glatten Durchschnittsnote mit leichter Tendenz nach oben belassen.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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