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Originaltitel: Meat
Produktionsland: USA 1976
Regie: Frederick Wiseman
Darsteller: Rinder & Schafe
Frederick Wiseman, Jahrgang 1930, entscheidet sich nach einem Jurastudium, anschließender Rechtsanwaltstätigkeit in Paris sowie einer Berufung zum Professor für Recht und Medizin an die Universität von Boston Ende der 60er dafür, Dokumentarfilmer zu werden, und legt gleich mit seinem Debut TITICUT FOLLIES 1967 eines der kraftvollsten und kontroversesten Werke seiner Zeit vor. Gedreht in einer Anstalt für als unzurechnungsfähig erklärte Straftäter entwickelt sich der Film über Jahrzehnte hinweg nicht nur selbst zum Objekt mehrerer Zensurprozesse – der Allgemeinheit wird TITCUT FOLLIES erst Anfang der 90er zugänglich gemacht! -, sondern gibt außerdem den thematischen und stilistischen Weg vor, den Wiseman mit seinen Dokumentarfilmen auch in den folgenden Dekaden konsequent weitergehen wird. Was Wiseman interessiert, das sind Institutionen, mittels derer Gesellschaften sich selbst propagieren und persiflieren – sei es nun auf eine offen aggressive oder eine abfedernde, verstecktere Art und Weise. Quasi allen seinen Filmen wie HIGH SCHOOL (1968), HOSPITAL (1970) oder SINAI FIELD MISSION (1978) kann man allein an ihren Titeln wie an besonders transparenten Nasenspitzen ablesen, was wohl die Basis bieten wird für Wisemans nüchterne Studien über die Ausübung von Macht innerhalb des (US-amerikanischen) Spätkapitalismus. Dabei kommt Wiseman völlig ohne Kommentare, ohne Effekte, ohne Elemente der Inszenierung oder Dramatisierung aus. Er lässt die Welt sprechen, und fängt im Grunde – wie die Akteure des Direct Cinema, dem er oft und gerne zugerechnet wird – nur ein, was sie an Halbsätzen, gestammelten Wörtern oder auswendiggelernten Erklärungen von sich gibt.
Dass MEAT sich mit der industriellen Fleischindustrie beschäftigt, dürfte nach dieser Vorrede (und bei dem Titel) kaum noch verwundern. Wisemans Kamera begleitet in dem knapp zweistündigen, herb schwarzweißen Film sowohl eine Gruppe Rinder als auch eine Gruppe Schafe – (für die es im Englischen den irgendwie faszinierenden Begriff „livestock“ gibt) – von der Farm, in der sie aufgewachsen sind, übers Schlachthäuser bis zu den Supermärkten, wo sie bzw. Teile von ihnen in Plastik eingeschweißt die Regale bereichern. MEAT ist dabei zyklisch aufgebaut: Zweimal verfolgt Wiseman den gleichen Prozess. Erst mit dem Hornvieh, dann mit den Wollträgern. Auch um zu zeigen, wie monoton und institutionalisiert die Fleischgewinnung abläuft. Es ist immer dasselbe: Blökend wird die Herde in Transporter getrieben. Ihr Blöken endet spätestens in Konfrontation mit den Bolzenschussgeräten. Die Schlachtung verläuft ohne Emotionen. Zumal die Schlachter reichhaltige Unterstützung durch herzlose Maschine erhalten. Vieles wird ausgewertet, manches als Abfall ausgesondert. Am Ende sitzen Verantwortliche des jeweiligen Konzerns, der mit den Rindern und Schafen als ökonomischen Faktoren jongliert, in einem sterilen Büro, und diskutieren über die Optimierung ihrer Vermarktungsstrategien. Musik hört man keine. Ein potentieller Kommentator hüllt sich in Schweigen. Wir sind allein mit der Wirklichkeit wie sie sich Wisemans Linse darbietet.
Stellt man MEAT dem wohl bekanntesten (und heftigsten) Schlachthausfilm der Kinogeschichte gegenüber – Georges Franjus LE SANG DES BÊTES von 1948 – kann man vielleicht am besten ermessen, worin nun gerade die Qualitäten von Wisemans reduzierter Herangehensweise an Phänomene der Industriegesellschaft liegen. Auch Franju verzerrt den Alltag, den er in einem Pariser Schlachthaus vorfindet, im eigentlichen Sinne nicht, doch sucht er mit einem surrealistischen Gestus bewusst nach Bildern, die nicht bloß allein aufgrund ihres bloßen Inhalts entsetzen, verunsichern, verblüffen, sondern weil in ihnen Dinge aufeinandertreffen, von denen es der menschlichen Logik schwerfällt, sie überhaupt zusammenzudenken. Dass einer schwangeren Kuh während der Schlachtung ein Embryo ausgerissen wird. Dass eine Gruppe Kälber geköpft auf ihren (Toten-)Bahren vor sich hin zucken bis das Leben in Form der allerletzten Konvulsion endlich aus ihnen verschwunden ist. Vor allem aber, dass gleich außerhalb der Schlachthausmauern das Pariser Leben pulsiert und Liebespärchen dicht an der Brücke vorbeiflanieren, über die Tag für Tag so und so viele Rinder, Schafe, Schweine in ihre persönliche Hölle getrieben werden. Das alles sind für Franju interessante Beobachtungen, denen sein literarischer, manchmal beinahe zynischer Kommentar noch eine zusätzliche Irritationsebene einschreibt. LE SANG DES BÊTES ist vergleichbar mit den großartigen Photos, die Eli Lotar 1928 in einem Schlachthaus bei La Vilette geschossen hat: Seine berühmte Reihe von Kälberfüssen, die ihre Schlächter fein säuberlich an einer der Mauern des Schlachthausgebäudes aufgereiht haben, mag der Photograph tatsächlich so vorgefunden haben, doch greift er freilich in die Selbst-Inszenierung der Realität dennoch durch die Wahl einer bestimmten Kamera-Perspektive, einer bestimmten Schwarzweiß-Körnung und überhaupt seiner Entscheidung für ein solch subversives Sujet ein.
Auch in MEAT lässt sich eine Handvoll solcher (surrealer) Schock-Bilder finden, nur wirken sie nicht, als habe Wiseman nach ihnen gesucht, sondern, als seien sie von selbst auf ihn zugekommen, und hätten sich ostentativ seiner Kamera präsentiert. Zudem wirken sie allesamt nur halb so entsetzlich wie das, was Franju, immerhin drei Jahrzehnte zuvor, noch in einem weitaus wenig industrialisierten Schlachthauskontext an direkten Interventionen von menschlichen Händen in tierische Körper hatte auf Zelluloid bannen können. Dominierend in MEAT ist ein Schrecken ganz anderer Art: Der Prozess des Schlachtens ist inzwischen selbst einer Schlachtung zum Opfer gefallen, sprich: in tayloristischem Sinne sind am Verwerten einer Schafsherde so viele Menschen involviert, so viele Arbeitsschritte zwischen Ausgangs- und Endprodukt geschaltet, so viele Maschinen für die schmutzigeren Aspekte des Vorgangs entwickelt worden, dass niemand der Beteiligten besagten Prozess in seiner Gänze über-blicken kann (und soll). Genauso wenig wie ich als Supermarktkunde, der sich ein Filetstück aus der Tiefkühltruhe holt, irgendetwas darüber weiß (und wissen will), wie dieses Filetstück nun eigentlich dorthin gekommen ist und wie das Schäfchen ausgeschaut hat, dem es einmal ein Teil seines Körpers gebildet hat, genauso wenig kann der Arbeiter im Schlachthaus, der einzig zuständig ist, die am Fließband an ihm vorbeirauschenden gehäuteten und ausgeweideten Körper in zwei Hälften zu zerteilen, ermessen, wo dieses Schaf den Großteil seines Lebens verbracht oder wie viele Kinder es geboren hat, und genauso wenig wird demjenigen, der die Herde anfangs in den sie abtransportienden LKW scheucht, jemals die Information zuteil, ob denn das Schaf, das ihm immer auffiel, weil es einen markanten schwarzen Fleck unterhalb des linken Auges hatte, wirklich auf einem Festtagsteller einer amerikanischen Vorzeigefamilie oder, weil sein Fleisch niemand rechtzeitig kauft, in der Mülltonne für abgelaufene Lebensmittel landen wird.
Aber, wie gesagt, Wiseman prangert nicht an, er erhebt keinen moralischen Zeigefinger, er redet nicht auf mich ein, was ein besseres Leben wäre, für mich, für die Schafe, für uns alle. Alles, was er tut, ist, die Kamera laufen zu lassen, zu beobachten, mit einer sich nicht ablenken lassenden Präzision. MEAT ergibt dadurch eine Fläche frei für Interpretationen, für autobiographische Erinnerungen, für Affirmationen und für Subversionen, je nach dem Standpunkt des Betrachters – und wenigstens für mich, der einen Teil seiner Kindheit in einem kleinen Dorf verbracht hat, wo jeder noch das Tier gekannt hat, das dann irgendwann in seinem Magen gelandet ist, und der seit fünfzehn Jahren keinen Bissen Fleisch mehr auch nur mit der Zungenspitze angetippt hat, und der noch immer in jedem Großraumsupermarkt völlig überfordert ist von der Synthese aus Überangebot, psychologischen Tricks und entwaffnendem muzak, ist MEAT, meine ich, gerade wegen des Fehlens einer militaristischen Agenda ein wesentlich wirksamerer Film als ein beliebiges bewusst zum Schock reizendes PETA-Video.
Dass MEAT sich mit der industriellen Fleischindustrie beschäftigt, dürfte nach dieser Vorrede (und bei dem Titel) kaum noch verwundern. Wisemans Kamera begleitet in dem knapp zweistündigen, herb schwarzweißen Film sowohl eine Gruppe Rinder als auch eine Gruppe Schafe – (für die es im Englischen den irgendwie faszinierenden Begriff „livestock“ gibt) – von der Farm, in der sie aufgewachsen sind, übers Schlachthäuser bis zu den Supermärkten, wo sie bzw. Teile von ihnen in Plastik eingeschweißt die Regale bereichern. MEAT ist dabei zyklisch aufgebaut: Zweimal verfolgt Wiseman den gleichen Prozess. Erst mit dem Hornvieh, dann mit den Wollträgern. Auch um zu zeigen, wie monoton und institutionalisiert die Fleischgewinnung abläuft. Es ist immer dasselbe: Blökend wird die Herde in Transporter getrieben. Ihr Blöken endet spätestens in Konfrontation mit den Bolzenschussgeräten. Die Schlachtung verläuft ohne Emotionen. Zumal die Schlachter reichhaltige Unterstützung durch herzlose Maschine erhalten. Vieles wird ausgewertet, manches als Abfall ausgesondert. Am Ende sitzen Verantwortliche des jeweiligen Konzerns, der mit den Rindern und Schafen als ökonomischen Faktoren jongliert, in einem sterilen Büro, und diskutieren über die Optimierung ihrer Vermarktungsstrategien. Musik hört man keine. Ein potentieller Kommentator hüllt sich in Schweigen. Wir sind allein mit der Wirklichkeit wie sie sich Wisemans Linse darbietet.
Stellt man MEAT dem wohl bekanntesten (und heftigsten) Schlachthausfilm der Kinogeschichte gegenüber – Georges Franjus LE SANG DES BÊTES von 1948 – kann man vielleicht am besten ermessen, worin nun gerade die Qualitäten von Wisemans reduzierter Herangehensweise an Phänomene der Industriegesellschaft liegen. Auch Franju verzerrt den Alltag, den er in einem Pariser Schlachthaus vorfindet, im eigentlichen Sinne nicht, doch sucht er mit einem surrealistischen Gestus bewusst nach Bildern, die nicht bloß allein aufgrund ihres bloßen Inhalts entsetzen, verunsichern, verblüffen, sondern weil in ihnen Dinge aufeinandertreffen, von denen es der menschlichen Logik schwerfällt, sie überhaupt zusammenzudenken. Dass einer schwangeren Kuh während der Schlachtung ein Embryo ausgerissen wird. Dass eine Gruppe Kälber geköpft auf ihren (Toten-)Bahren vor sich hin zucken bis das Leben in Form der allerletzten Konvulsion endlich aus ihnen verschwunden ist. Vor allem aber, dass gleich außerhalb der Schlachthausmauern das Pariser Leben pulsiert und Liebespärchen dicht an der Brücke vorbeiflanieren, über die Tag für Tag so und so viele Rinder, Schafe, Schweine in ihre persönliche Hölle getrieben werden. Das alles sind für Franju interessante Beobachtungen, denen sein literarischer, manchmal beinahe zynischer Kommentar noch eine zusätzliche Irritationsebene einschreibt. LE SANG DES BÊTES ist vergleichbar mit den großartigen Photos, die Eli Lotar 1928 in einem Schlachthaus bei La Vilette geschossen hat: Seine berühmte Reihe von Kälberfüssen, die ihre Schlächter fein säuberlich an einer der Mauern des Schlachthausgebäudes aufgereiht haben, mag der Photograph tatsächlich so vorgefunden haben, doch greift er freilich in die Selbst-Inszenierung der Realität dennoch durch die Wahl einer bestimmten Kamera-Perspektive, einer bestimmten Schwarzweiß-Körnung und überhaupt seiner Entscheidung für ein solch subversives Sujet ein.
Auch in MEAT lässt sich eine Handvoll solcher (surrealer) Schock-Bilder finden, nur wirken sie nicht, als habe Wiseman nach ihnen gesucht, sondern, als seien sie von selbst auf ihn zugekommen, und hätten sich ostentativ seiner Kamera präsentiert. Zudem wirken sie allesamt nur halb so entsetzlich wie das, was Franju, immerhin drei Jahrzehnte zuvor, noch in einem weitaus wenig industrialisierten Schlachthauskontext an direkten Interventionen von menschlichen Händen in tierische Körper hatte auf Zelluloid bannen können. Dominierend in MEAT ist ein Schrecken ganz anderer Art: Der Prozess des Schlachtens ist inzwischen selbst einer Schlachtung zum Opfer gefallen, sprich: in tayloristischem Sinne sind am Verwerten einer Schafsherde so viele Menschen involviert, so viele Arbeitsschritte zwischen Ausgangs- und Endprodukt geschaltet, so viele Maschinen für die schmutzigeren Aspekte des Vorgangs entwickelt worden, dass niemand der Beteiligten besagten Prozess in seiner Gänze über-blicken kann (und soll). Genauso wenig wie ich als Supermarktkunde, der sich ein Filetstück aus der Tiefkühltruhe holt, irgendetwas darüber weiß (und wissen will), wie dieses Filetstück nun eigentlich dorthin gekommen ist und wie das Schäfchen ausgeschaut hat, dem es einmal ein Teil seines Körpers gebildet hat, genauso wenig kann der Arbeiter im Schlachthaus, der einzig zuständig ist, die am Fließband an ihm vorbeirauschenden gehäuteten und ausgeweideten Körper in zwei Hälften zu zerteilen, ermessen, wo dieses Schaf den Großteil seines Lebens verbracht oder wie viele Kinder es geboren hat, und genauso wenig wird demjenigen, der die Herde anfangs in den sie abtransportienden LKW scheucht, jemals die Information zuteil, ob denn das Schaf, das ihm immer auffiel, weil es einen markanten schwarzen Fleck unterhalb des linken Auges hatte, wirklich auf einem Festtagsteller einer amerikanischen Vorzeigefamilie oder, weil sein Fleisch niemand rechtzeitig kauft, in der Mülltonne für abgelaufene Lebensmittel landen wird.
Aber, wie gesagt, Wiseman prangert nicht an, er erhebt keinen moralischen Zeigefinger, er redet nicht auf mich ein, was ein besseres Leben wäre, für mich, für die Schafe, für uns alle. Alles, was er tut, ist, die Kamera laufen zu lassen, zu beobachten, mit einer sich nicht ablenken lassenden Präzision. MEAT ergibt dadurch eine Fläche frei für Interpretationen, für autobiographische Erinnerungen, für Affirmationen und für Subversionen, je nach dem Standpunkt des Betrachters – und wenigstens für mich, der einen Teil seiner Kindheit in einem kleinen Dorf verbracht hat, wo jeder noch das Tier gekannt hat, das dann irgendwann in seinem Magen gelandet ist, und der seit fünfzehn Jahren keinen Bissen Fleisch mehr auch nur mit der Zungenspitze angetippt hat, und der noch immer in jedem Großraumsupermarkt völlig überfordert ist von der Synthese aus Überangebot, psychologischen Tricks und entwaffnendem muzak, ist MEAT, meine ich, gerade wegen des Fehlens einer militaristischen Agenda ein wesentlich wirksamerer Film als ein beliebiges bewusst zum Schock reizendes PETA-Video.