Murders in the Rue Morgue - Robert Florey

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Salvatore Baccaro
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Murders in the Rue Morgue - Robert Florey

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Herstellungsland: USA 1932

Regie: Robert Florey

Darsteller: Bela Lugosi, Leon Ames, Sidney Fox, Bert Roach

Obwohl ich auf meiner filmischen Weltreise nun schon seit geraumer Zeit an der Küste Brasiliens gestrandet bin, von der aus ich Entdeckungsstreifzüge in die feucht-finsteren Dschungelwälder unternehme, um wahre Filmschätze wie Peixotos LIMITE, die Schauerstücke Mojica Marins‘ oder – ganz aktuell – die im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos machenden Werke des womöglich international bekanntesten brasilianischen Regisseurs Glauber Rocha aus den Tiefen der Erde zu graben, fand ich doch kürzlich einmal genügend Müßiggang, dass ich auf ein Gebiet ausschwenkte, das kulturell wesentlich näher an dem liegt, in dem ich gerade diese Zeilen schreibe. MURDERS IN THE RUE MORGUE nämlich ist ein US-amerikanischer Horrorschocker aus dem Jahre 1932, gedreht im Fahrwasser der Kassenschlager DRACULA und FRANKENSTEIN, mit denen die Universal-Filmstudios sich, wie man weiß, ihren Platz in den Annalen der Filmgeschichte sicherten. Dieser Film, mit Bela Lugosi als zugkräftigem Bösewicht, ansonsten von mir völlig unbekannten Schauspielergesichtern bevölkert, war dann indes, wie man liest, nicht wirklich eine an den Kinokassen einschlagende Bombe, sondern, kommerziell gesehen, mehr ein laues Lüftchen, immerhin scheint es aber einen der wichtigsten amerikanischen Regisseure aller Zeiten, den großen Ed Wood jr., nach eigener Aussage reichlich Inspiration geliefert zu haben.

Der Titel ist natürlich von Poe stibitzt, das Filmchen an sich, dessen Laufzeit mit viel Mühe auf gerade mal eine knappe Stunde kommt, hat mit der literarischen Vorlage aus dem Jahre 1841 dann allerdings nicht mehr als ein paar grobe Koordinationspunkte gemein. Poe, da wird mir jeder beipflichten, der den amerikanischen Autor genauso glühend verehrt wie ich, hat mit MURDERS IN THE RUE MORGUE wohl die erste wirklich moderne Detektivgeschichte der Weltliteratur geschaffen. Sein Held Auguste Dupin, eine Art Vorläufer von Sherlock Holmes und allen ähnlich gelagerten Ermittlerfiguren, die ohne besondere Gadgets, allein mit der Schärfe ihres Verstandes, komplizierteste Kriminalfälle entwirren, und der nach dem Doppelmord in der Rue Morgue noch in zwei weiteren Kurzgeschichten, THE MYSTERY OF MARIE ROGÊT sowie THE PURLOINED LETTER, mit analytischen Meisterleistungen glänzen durfte, verfügt zwar nicht über einen gigantischen Polizeiapparat, auch nicht über ausgefeilte technische Mittel, sondern verschreibt sich ganz der deduktiven Methode, nach der eben jene Lösung eines Problems die richtige sein muss, die übrigbleibt, nachdem alle übrigen aus Gründen der Logik ausgeschlossen worden sind- sollte sie auch noch so haarsträubend und unglaublich klingen. Dupin, der in allen drei short stories nicht selbst zu Wort kommt, sondern – eine weitere Analogie zu dem, was Doyle später populär machen sollte – von einem zurückhaltend beobachtenden Ich-Erzähler bei der Entfaltung seines Spürsinns beschrieben wird, bewegt sich in einer zwar komplexen, zunächst unverständlichen Welt, die allerdings allein durch die Kraft des menschlichen Verstandes letztlich doch in ihre Bestandteile zerlegt und erklärt werden kann. Sicherlich ist Poe nicht der erste Schriftsteller gewesen, der eine Privatperson mit ungewöhnlicher Begabung auf Verbrecherjagd schickte – man denke nur an E.T.A. Hoffmanns FRÄULEIN VON SCUDERI aus dem Jahre 1819, das in eine ähnliche Kerbe schlägt -, gerade im Vergleich mit dem Hoffmannschen Text fällt allerdings der Minimalismus auf, mit dem Poe seine gesamte Erzählung, ohne großartige Abschweifungen und Hinzufügungen, auf die Gedankengänge Dupins konzentriert, die schließlich zur Aufklärung des rätselhaften Mordes an zwei Frauen, Mutter und Tochter, in der programmatisch benannten Rue Morgue führen. So ist es nur verständlich, dass bei Poe der eigentliche Kriminalfall Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist. Über den Ich-Erzähler, Dupin und die übrigen involvierten Figuren, die sowieso eher Schemen bleiben, erfahren wir so gut wie gar nichts. Alles Private wird ausgeklammert, nur dann erwähnt, wenn es direkt mit dem Mordfall in Zusammenhang steht. Bezeichnend ist auch, dass in Poes Text jedwede Knalleffekte naturgemäß ausbleiben. Als Dupin die Bühne betritt, ist der Mord längst geschehen, und die Frage, warum er geschehen ist und wer ihn begangen hat, scheint zweitrangig gegenüber den detaillierten Beschreibungen, wie genau das Gehirn des Privatermittlers funktioniert und mit welchen Kapriolen es ihn auf die richtige Fährte bringt.

Würde man MURDERS IN THE RUE MORGUE demnach so dicht wie möglich am Originaltext verfilmen, käme dabei wohl sicherlich kein Film heraus, der ein von DRACULA und FRANKENSTEIN bereits zum Schlottern gebrachtes, auf Horror eingestimmtes Publikum der frühen 30er sonderlich hinter dem Ofen hervorgelockt hätte. Nach Stoker und Shelley brauchte man aber wohl einen weiteren prominenten, als literarisches Mäntelchen verwendbaren Namen, mit dem man den nächsten Terrorfilm stempeln wollte, um die Zuschauer mit Bekanntem zu ködern, selbst wenn das Endresultat und das Lockmittel höchstens entfernt noch etwas miteinander zu tun haben sollten. So viel sei gleich gesagt: wer die Kurzgeschichte Poes kennt und sich den Film von Robert Florey ansieht, wird seinen Augen kaum trauen mögen. Wahnsinnige Doktoren, die Prostituierte entführen, ihnen wahlweise Affenblut injizieren oder sie gar mit einem Affenmenschen namens Erik zu paaren gedenken, um, soweit ich das verstanden habe, eine neue Affenmenschenherrenrasse zu begründen – LA BESTIA IN CALORE lässt grüßen! – findet man bei Poe ebenso wenig wie klischeehaft-oberflächliche Liebesplänkeleien oder spektakuläre Verfolgungsjagden zwischen Affen und Menschen quer über die Dächer des mitternächtlichen Paris. Überhaupt wirkt MUDERS IN THE RUE MORGUE wie ein Film, bei dem die Verantwortlichen nicht recht gewusst zu haben scheinen, worauf sie mit ihm nun eigentlich hinauswollten, Versatzstücke kreisen umeinander und mögen sich nie so recht zu einem homogenen Ganzen zusammenzufügen, dabei bleibt das Werk aber für meinen Geschmack noch zu klar im Kopf, um wirklich in jene surreale Gefilde abzudriften, wie sie der oben erwähnte Luigi-Batzella-Film beispielweise abgrast, was allerdings nicht heißen soll, dass ich mich nicht auf gewisse Weise köstlich darüber amüsiert habe, wie man hier den unmöglichen Spagat versucht, Poes Story vom rasiermesserliebenden Orang-Utan mit der kruden Mär vom mysteriösen Dr. Mirakel (!) zu verbinden, der selbstverständlich von einem wie immer ausdrucksstark mit den Augen rollenden Lugosi verkörpert wird, und vom wirren Drehbuch den Auftrag bekommt, Camille, die Verlobte unseres Helden, des Medizinstudenten Dupin, als Braut für seinen treuen Gefährten auszugucken, dem angeblich irgendwo zwischen homo sapiens und reinem Menschenaffen angesiedelten Erik, der zumeist von einem in einem nun wirklich zum Schreien komischen Gorilla-Kostüm agierenden Komparsen verkörpert wird, bei den relativ wahllos in die Handlung eingestreuten, mattei-artigen close-ups jedoch ein herkömmlicher Schimpanse sein darf, dessen Bedrohlichkeitspotential sich nur knapp über dem eines handelsüblichen Chinchillas bewegt.

Anders als bei Poe zieht Erik, von Dr. Mirakel als willenloses Werkzeug gesteuert, schon vor dem Mord in der Rue Morgue durch das Paris der 1840er Jahre, entführt leichte Mädchen, die dann von Lugosi in dessen Geheimlabor zu Experimenten herangezogen werden, von denen zumindest eins mich doch recht darin beeindruckte, wie kaltblütig Florey es in Szene gesetzt hat. Die gekidnappte Prostituierte, zur Bewegungsunfähigkeit gefesselt, muss es über sich ergehen lassen, dass Dr. Mirakel ihr eine ordentliche Portion Affenblut in die Venen spritzt, wild dabei schreiend, sich loszureißen versuchend, und stirbt schließlich, von ihrem Peiniger zunächst unbemerkt, der dann beinahe wehmütig aufgrund des ausbleibenden Kreischens zu ihr tritt und ihren Tod diagnostiziert. Diese Szene steht indes in keinem großen Zusammenhang zu der restlichen Handlung, die hauptsächlich Dupin folgt, der beschließt, auf eigene Faust herauszufinden, was hinter den in der Stadt grassierenden Prostituiertenmorden steckt, und dafür selbst vor der Bestechung eines Gerichtsmediziners nicht zurückschreckt. Anders als Poes Held ist der Dupin der Universal Studios jedoch alles, nur kein analytischer Denker. Seine Ermittlungen beziehen sich einzig und allein auf Labortätigkeiten, deren Basis naturwissenschaftliches Wissen bilden, und werden außerdem wie beiläufig behandelt, da Florey und sein Team es viel wichtiger finden, die love story zwischen ihm und Camille l’Espanaye, deren Namen man immerhin bei Poe entlehnte, in süßlichsten Farben zu schildern. Dass Dupin am Ende auf die Idee kommt, den ihm sowieso schon verdächtigen Dr. Mirakel und seinen Affen hinter den Verbrechen zu vermuten, hat nichts mit gesteigertem kriminalistischem Gespür zu tun, es ist einzig seinem Mikroskop zu verdanken, das ihm bei eingehender Sichtung der ihm quasi unter der Hand zugespielten Frauenleichen das in diesen nach wie vor befindliche Affenblut verrät.

Was zudem auffällt – neben der Tatsache, dass der Film durchaus vorhandenes Schauerpotential durch pseudo-komische Szenen unterwandert, von denen ich mir kaum vorstellen kann, dass selbst jemand vor knapp achtzig Jahren über die lauen Witzchen wirklich herzhaft hatte lachen können -, ist, wie sehr MURDERS IN THE RUE MORGUE sich schon von Beginn an als eine nur halbherzig verschleierte Kopie des expressionistischen Stummfilmklassikers DAS CABINET DES DR. CALIGARI entpuppt. Caligaris Zombie Caesare einfach durch einen Typ in lausigem Gorilla-Outfit ersetzend und sogar das Finale des Robert-Wiene-Streifens mit nahezu identischen Einstellungen kopierend – wobei MURDERS IN THE RUE MORGUE hier wiederum gar den erst zwei Jahre später in den Kinos erscheinenden KING KONG antizipiert -, scheint der Film gar keinen Hehl daraus machen zu wollen, wie sehr er seinem Vorbild verpflichtet ist. Dass Karl Freund, noch in Weimarer Zeit als Kamera-Entfessler zu Ehren gekommen, zudem alles daran setzt, das Werk auch rein optisch dem anzugleichen, was etwa zehn Jahre früher im Deutschen Reich Alpträume generierte, stellt MURDERS IN THE RUE MORGUE für mich zwischen die beiden Stühle, auf denen plumpes Plagiat und huldigende Hommage sitzen. Gerade Karl Freunds stellenweise immer noch wildeste Fahrten vollführende Kamera ist es dann neben dem unleugbaren Trash-Appael des Films, was mich davon abhält, ihn gänzlich zu zerreißen. Eine weitere Szene, die im Nachhinein betrachtet reichlich deplatziert daherkommt, und unser junges Liebespärchen nicht etwa beim hemmungslosen Herumknutschen, sondern beim züchtigen Schaukeln (!) zeigt, ist einfach traumhaft gefilmt. Freund hat seine Kamera dabei so angebracht, dass sie sich direkt vor dem schaukelnden Mädchen befindet. Bei jedem Stoß, den ihr Galan ihr versetzt und der sie in die Luft wirbelt, gleitet die Kamera ihr voran, starr auf ihren Körper gerichtet, der nach einer Weile fest fixiert wirkt, sodass es die Welt um sie herum zu sein scheint, die in trunkenem Schleudern begriffen ist. Hübsch fand ich zudem die NOSFERATU-Anspielung, in der Erik, beim Eindringen in Camilles Schlafstübchen die Rolle des Vampris übernehmen darf, mit dem Unterschied, dass es nicht die Klauen Graf Orloks sind, die sich als Schatten über dem Bett der schlafenden Schöne zusammenbrauen, sondern eben die Pranken eines dann doch recht putzigen Äffchens. Leider kann MURDERS IN THE RUE MORGUE, wie oben schon angedeutet, auch, dem Zeitgeist geschuldet, ätzend konventionell sein, schafft es aber immerhin durch seine kompakte Laufzeit, stetig zu unterhalten und hat mir beispielweise - möge man mir nun SAKRILEG! ins Gesicht schreien wie man will - besser gefallen als Tod Brownings angeblich so meisterhafte DRACULA-Verfilmung.
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buxtebrawler
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Re: Murders in the Rue Morgue - Robert Florey

Beitrag von buxtebrawler »

Ist mutmaßlich am 08.11.2019 bei Ostalgica als Blu-ray/Doppel-Audio-CD-Kombination erschienen:

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Extras:
- Audiokommentar mit Bodo Traber, Matthias Künnecke und Gerd Naumann
- Bildergalerie
- Bonusfilm "Death Kiss" englisch mit deutschen Untertiteln
- Original Trailer
- Programmvorschau
- Szenenanwahl

Informationen zum Hörspiel:
Edgar Allan Poe - Der Doppelmord in der Rue Morgue
Sprecher: Frank Glaubrecht, Volker Brandt, Gerd Baltus, Christian Rode,F.J. Steffens, Pia Werfel, Jürgen Neumann, Nicholas Böll
Laufzeit 106 Minuten

Bemerkungen:
- Verpackung: Amaray 3er Box mit Schuber (partielle Lackierung) in DVD Größe. Amaray mit zusätzlichem Wendecover
- Deutsche Blu-Ray Premiere
- Limited Edition – 1000 Stück
- Blu-Ray und 2 Audio CDs mit Hörspiel
- Booklet (16 Seiten)

Quelle: https://www.ofdb.de/view.php?page=fassu ... &vid=98323
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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