Ruhet in Frieden - Scott Frank (2014)
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Ruhet in Frieden - Scott Frank (2014)
Ruhet in Frieden
(A Walk Among the Tombstones)
mit Liam Neeson, Maurice Compte, Patrick McDade, Luciano Acuna Jr., Hans Marrero, Laura Birn, David Harbour, Adam David Thompson, Boyd Holbrook, Kim Rosen, Dan Stevens, Eric Nelsen, Jon Goracy, Razane Jammal
Regie: Scott Frank
Drehbuch: Scott Frank / Lawrence Block
Kamera: Mihai Malaimare Jr.
Musik: Carlos Rafael Rivera
FSK 16
USA / 2014
Acht Jahre ist es her, dass Matthew Scudder den Polizeidienst quittierte, nachdem er beim Versuch, die Täter eines Überfalls zu stellen, einen unschuldigen Passanten erschoss. Inzwischen verdient er seinen Lebensunterhalt als Privatermittler, hat dem Alkohol entsagt und lebt zurückgezogen. Als Scudder von dem Drogendealer Kenny den Auftrag erhält, die Männer ausfindig zu machen, die seine Frau gekidnappt und brutal ermordet haben, führt ihn der Fall tief in die Unterwelt von New York. Langsam offenbart sich, dass die Entführung nicht die einzige war, sondern Teil einer ganzen Serie äußerst gewalttätiger Straftaten - immer mit tödlichem Ausgang. Scudder sieht sich auf seiner Suche nach Gerechtigkeit gezwungen, selbst die Grenzen des Gesetzes zu überschreiten, während die Täter bereits ihr nächstes Opfer ins Visier nehmen…
Liam Neeson zählt meiner persönlichen Meinung nach mit zu den vielschichtigsten Schauspielern unserer Zeit und hat auch schon mehr als einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt, das er im Prinzip in fast jeder Rolle überzeugen kann. Spätestens seit dem 2008 erschienenen "96 Hours" stellt der Nordire nun jedoch fast ausschließlich sein Können in den Dienst des Action Filmes und hat in dieser Zeit fast schon einen Ikonen Status erreicht, wie es in früheren Zeiten bei Legenden wie Charles Bronson oder auch Clint Eastwood der Fall war. Das mag sicherlich nicht jedem gefallen, doch immerhin können sich die meisten Filme des Briten jederzeit sehen lassen und bieten zudem äußerst kurzweilige und actionreiche Unterhaltung für Fans des Genres. Der vorliegende "Ruhet in Frieden" schlägt da ein wenig aus der Reihe und entpuppt sich vielmehr als relativ ruhig erzählter Thriller, der zudem auch mit diversen Elementen des Dramas ausgestattet ist. Regisseur Scott Frank setzt hier weniger auf grandiose Action Kost und serviert hier vielmehr eine Detektiv Geschichte in bester Oldschool Manier, die phasenweise ziemlich dreckig und düster daher kommt.
Zeitlich ist das Szenario Ende der 90er Jahre angesiedelt und das Ambiente dieser Zeit wurde auch verhältnismäßig gut eingefangen. Neeson selbst spielt einen ehemaligen Cop und Ex-Alkoholiker, der mittlerweile ohne Lizenz als Privatdetektiv arbeitet und dabei als einerseits recht mürrischer und am Leben gescheiterter Mann auf den Plan tritt, auf der anderen Seite jedoch auch hinter seiner rauen Schale einen deutlich erkennbaren weichen Kern hat. Bei seinem neuen Auftrag wird er mit dem Drogen Milieu konfrontiert und gerät dabei mitten in eine brutale Mordserie hinein, die allerdings schon nach einer relativ kurzen Zeitspanne sowohl die Täter, als auch deren Motive aufzeigt. Darin liegt eventuell die einzige Schwäche dieses extrem stimmigen Thrillers, denn da der Zuschauer frühzeitig die Identitäten der Killer und auch deren Beweggründe kennt, baut sich nicht unbedingt ein so straff gezogener Spannungsbogen auf, wie man ihn sich eventuell gewünscht hätte. Auf diesen Aspekt hat Scott Frank aber auch keinesfalls sein Hauptaugenmerk gelegt, denn der Fokus des Geschehens liegt vielmehr auf den moralischen Gesichtspunkten, die durch die Ereignisse immer stärker in den Vordergrund gerückt werden. Immer klarer kristallisiert sich dadurch der Begriff von Gerechtigkeit heraus und zwangsläufig stellt sich damit auch die Frage, wie man diese am besten erlangen kann. Nicht nur die Hauptfigur hat sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, denn auch der Betrachter ist hin und her gerissen zwischen einer gesetzestreuen Linie und dem puren Rachegedanken.
Daraus bezieht "Ruhet in Frieden" dann auch seine volle Intensität und Kraft, die sich ganz unweigerlich auch auf einen selbst überträgt. Vergessen ist die teilweise vorhandene Vorhersehbarkeit der Abläufe und man konzentriert sich ganz automatisch auf die einzelnen Charaktere, die bis auf Scudder (Neeson) allerdings keine allzu ausführliche Beleuchtung erfahren. Meiner Meinung nach hat Frank diesen Schachzug jedoch ganz bewusst eingebaut und den Großteil seiner Figuren etwas schwammig in der Darstellung gehalten, denn so entsteht eine leicht geheimnisvolle Note im Bezug auf die jeweiligen Akteure, die das Interesse des Zuschauers bis zum Ende oben halten. Das mag ein jeder anders sehen und letztendlich ist es natürlich reine Geschmackssache, doch dem gewonnenen Gesamtbild ist dieser Umstand sicher nicht abträglich. Man muss die ruhige und eher bedachte Erzählung auf sich einwirken lassen und vor allem die sehr gelungene Atmosphäre in sich aufsaugen, dann dürfte "Ruhet in Frieden" als wirklich gelungenes Thriller/Drama auf einen einwirken, in dem temporeiche Action Passagen eher wie ein Fremdkörper erscheinen würden. So wurde dann auch bis auf einige wenige Momente darauf verzichtet und die vorhandenen Sequenzen sind auch nicht unbedingt mit einem höheren Härtegrad ausgestattet. Dieser entfaltet sich aber dennoch im Kopf des Betrachters, denn die unzähligen Andeutungen von körperlicher und seelischer Gewalt verfehlen keinesfalls ihre äußerst intensive Wirkung, so das der Film in dieser Beziehung definitiv seine Spuren hinterlässt.
Wie immer liegt es im Auge des jeweiligen Betrachters, doch mich persönlich konnte dieses Werk absolut überzeugen. Während viele der letzten Filme mit Liam Neeson immer nach dem gleichen Schema aufgebaut waren, stellt die vorliegende Produktion doch eine recht willkommene Abwechslung dar und zeigt den Mimen einmal nicht in der Rolle des unbesiegbaren Action Helden, dem anscheinend nichts und niemand etwas antun kann. Gleichzeitig handelt es sich um eine weitaus charismatischere Performance des Mimen, der hier auch in schauspielerischer Hinsicht wieder etwas mehr von seinem Können in die Waagschale werfen kann. Hart und mürrisch, aber auch verletzbar und nachdenklich, so gestaltet sich die Figur, die von einem glänzend aufgelegten Neeson absolut erstklassig verkörpert wird. Von mir gibt es jedenfalls eine dicke Empfehlung an all jene, die einen Film nicht ausschließlich nach der enthaltenen Action, sondern auch aufgrund vorhandener inhaltlicher Tiefe beurteilen.
Fazit:
Ein riesiges Action Spektakel und ein unverwundbarer Held, das sind eigentlich zwei Dinge die einen Film mit Liam Neeson in den letzten Jahren ausgezeichnet haben. Beides bekommt man hier nicht geboten und wahrscheinlich ist "Ruhet in Frieden" gerade aus diesem Grund in seiner Wirkung so absolut überzeugend. Natürlich muss sich jeder sein eigenes Bild davon machen, doch verpassen sollte man dieses Werk auf keinen Fall.
8/10
Big Brother is watching you
Re: Ruhet in Frieden - Scott Frank
Ruhet in Frieden
A walk among the tombstones
USA 2014
Regie: Scott Frank
Liam Neeson, Dan Stevens, David Harbour, Boyd Holbrook, Ólafur Darri Ólafsson, Astro, Mark Consuelos,
Adam David Thompson, Sebastian Roché, Laura Birn, Maurice Compte, Patrick McDade
OFDB
A walk among the tombstones
USA 2014
Regie: Scott Frank
Liam Neeson, Dan Stevens, David Harbour, Boyd Holbrook, Ólafur Darri Ólafsson, Astro, Mark Consuelos,
Adam David Thompson, Sebastian Roché, Laura Birn, Maurice Compte, Patrick McDade
OFDB
Eigentlich ist das eine recht geschickte Geschäftsidee: Die Frau eines Großdealers entführen und gegen Geld wieder freilassen. Man kann davon ausgehen, dass der Dealer nicht die Polizei einschaltet, und das Geschäft in Ruhe über die Bühne gehen kann. Allerdings ist dies nur die halbe Wahrheit – In Wirklichkeit haben die Typen, die hinter der Entführung stehen, niemals die Absicht gehabt, die Frau wieder freizulassen. Im Gegenteil wird sie noch während der Entführung getötet, und das in einem Stil, für den das Wort Bestialisch nicht mal ansatzweise eine Beschreibung ist.
Der Dealer, Kenny Kristo, engagiert über seinen drogenabhängigen Bruder den Ex-Cop und ohne Lizenz ermittelnden Privatdetektiv Scudder. Und Scudder findet bald heraus, dass Kenny nicht der einzige ist, dessen Frau entführt und viehisch abgeschlachtet wurde. Scudder kennt viele Leute in New York, und weil es ihn offiziell kaum gibt, und weil Scudder jeden ernst nimmt, mit dem er zu tun hat, haben die Leute im Umkehrschluss auch Vertrauen zu Scudder. Und melden sich bei ihm, wenn wieder eine Frau entführt wird. Dieses Mal ist es die 14-jährige Tochter eines Russen. Scudder stellt ein „Team“ zusammen, bestehend aus einem halbwüchsigen Straßenjungen, einem Dealer und einem Junkie. Und geht damit gegen zwei kranke Irre vor, die entführte Frauen stückchenweise über die Stadt verteilen …
Klingt irgendwie … krank …, diese Inhaltsangabe. Da könnte man einen Slasher draus machen, einen bluttriefenden und effektstrotzenden SAW-Nachzügler, oder halt einfach einen ekelhaften und völlig verschmodderten Film. Und was macht Regisseur Scott Frank? Da möchte ich mich aus meinem Text zu Franks Erstling DIE REGELN DER GEWALT von 2007 selber zitieren: „Mir gefällt, wie Scott Frank sich die Zeit nimmt um die Charaktere einzuführen, die Geschichte von Grund auf aufzubauen, und einfach Wert legt auf klassisch-altmodisches Storytelling. Mir gefällt, wie die Schauspieler [..] mit ihren Rollen verwachsen und das Leben am Rand der Gesellschaft so natürlich darstellen, als würde es kein anderes geben. [..] Ein ruhiges und sich geschickt steigerndes Krimi-Drama, das mit einer unglaublichen Logik zielsicher auf einen bleihaltigen Schluss hinsteuert.“ Der Schluss ist hier allerdings nicht bleihaltig sondern vielmehr gewalttätig, was zu RUHET IN FRIEDEN auch erheblicher besser passt. Aber sonst sehe ich in diesen beiden Filmen einen Regisseur am Werk, der fast unter dem Radar ruhige und gleichzeitig gewaltstrotzende Großstadtdramen mit einer Selbstverständlichkeit inszeniert, die einen staunen lässt. Liam Neeson läuft durch die Straßen, er redet, er schaut seinen Liam Neeson-Blick, er läuft, er redet … Und dabei steigt ganz unmerklich die Spannung, sammeln wir gemeinsam mit ihm Bruchstücke von Informationen, die ganz allmählich den Blick auf ein Verbrechen lenken, dessen Monstrosität schaudern lässt. Auch ganz ohne blutige Details, und gerade deswegen. Niemand muss sehen, wie Leila Alvarez wirklich zu Tode gekommen ist – Das, was wir sehen, und was damit das Kopfkino auslöst, das reicht vollkommen zum Fürchten.
Zwar scheint die eine oder andere kleine Episode überflüssig, und sind nicht alle Gespräche immer zielführend, aber im Gesamtbild ergänzt sich das alles zu einem großen und schmutzigen Gemälde einer großen und schmutzigen Stadt, in der viele Menschen leben und dies vor allem nebeneinander her. Wenn man sich dieses Gemälde dann genauer anschaut fällt auf, dass der Film sehr viel mit der Vorspiegelung von Tatsachen, mit Lügen und mit Scheingebilden zu tun hat: Der Detektiv der so tut als ob er ein Cop wäre, der aber nicht einmal eine Lizenz zum privaten Schnüffeln hat. Die Dealer die so tun als wären sie Bauunternehmer oder Schauspieler (und im Grunde ihres Herzens beide gutbürgerlich sind). Der taffe Straßenjunge TJ der so tut als ob er der megacoole Gangstarapper ist, und hinter dessen rauer Schale sich viel Talent und noch viel mehr Angst versteckt. Die Killer die so tun als ob sie DEA-Agenten seien. Jeder hat seine Fassade, und jeder meint, dass er sein wahres Ich verbergen muss. Der Titel, A WALK AMONG THE TOMBSTONES, könnte sich also auch auf diese steinernen Mienen beziehen, auf diese Fassaden die etwas Kaltes und Abweisendes darstellen sollen, während doch tatsächlich in jedem Menschen die Gefühle brodeln. Scudder kommt nicht so richtig damit klar, dass er einmal aus Versehen ein Kind erschossen hat. Die Dealer kommen nicht damit klar, dass ihre Familienangehörigen entführt und zerstückelt werden. Und Peter, der kleine Bruder von Kenny Kristo, kommt mit seinem ganzen Leben nicht klar und ist an der Nadel gelandet, trotz allerbester Grundvoraussetzungen. Als echter Straßenjunge hat TJ wahrscheinlich am meisten Übung darin, sein wahres Ich zu verschleiern, und seine Angst zu übertünchen. Die Angst, im Regen zu stehen, und an seiner seltenen und brandgefährlichen Krankheit zu sterben …
Scudder bewegt sich souverän zwischen all diesen Grabsteinen menschlicher Existenz, und gerade diese Souveränität ist das was den Film ausmacht. Es gibt der Handlung bei all ihrer Kälte eine menschliche Note, Scudder scheint wie der einzige Mensch zwischen Toten. Oder eben zwischen Grabsteinen. Und jeder, mit dem er spricht, taut ein kleines bisschen auf, und jeder sieht ein wenig von seiner Fassade bröckeln, von seinem eigenen Grabstein absplittern. Das ist, neben der coolen und spannenden Krimihandlung das Schöne an diesem Film – Dass er seine wenigen Knalleffekte gekonnt und zielsicher verteilt, und dazwischen eine richtige Geschichte erzählt. Eine Kunst, die in den 2010-er Jahren der Filmgeschichte allmählich immer seltener wird …
7/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi