Swang Song - Todd Stephens (2021)

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Salvatore Baccaro
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Swang Song - Todd Stephens (2021)

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Originaltitel: Swan Song

Produktionsland: USA 2021

Regie: Todd Stephens

Darsteller: Udo Kier, Jennifer Coolidge, Linda Evans, Michael Urie, Roshon Thomas, Eric Eisenbrey, Tom Bloom, Annie Kitrall


Gestern auf dem Braunschweiger Filmfest gesichtet:

Vor vielen Jahren hat sich Pat Pitsenbarger als Starfriseur einer Kleinstadt in Ohio einen Namen gemacht. Nun, mit fast 80, lebt er allein und verlassen in einem Altersheim. Sein Leben scheint abgeschlossen und spielt sich, wenn er sich nicht gerade mit den Krankenschwestern kabbelt, die ihm das Rauchen abgewöhnen wollen, hauptsächlich in wehmütigen Erinnerungen ab: Seine große Liebe David, der Anfang der 90er an AIDS verstorben ist; seine Zeit als Drag Queen „Mr. Pat“ im lokalen Schwulenclub; und natürlich die wundervollen Momente, wenn seine Hände nahezu magisch die Frisuren stilbewusster Damen und Herren in Form brachten. Eines Tages wird die Monotonie seiner Tage, die im Grunde bloß noch auf sein einsames Ableben zusteuern, von der Nachricht durchbrochen, dass eine seiner einstigen Kundinnen verstorben sei, - und diese hat in ihrem Testament vermerkt, dass niemand anderes als Pat ihren Leichnam für die Beerdigung herrichten soll. Nach anfänglichem Hadern begreift Pat doch, dass dies wahrscheinlich die letzte Gelegenheit sein wird, noch einmal sein vorheriges Leben zu rekapitulieren, sich den eigenen Dämonen und vor allem dem Schmerz über den Verlust seines Liebsten zu stellen, dessen Grab er nie einen Besuch abgestattet hat. Mit dem bisschen Geld, das er unter der Matratze versteckt hält, und mehreren Packungen Zigaretten schleicht Pat sich aus dem Seniorenstift und beginnt eine Odyssee in die eigene Vergangenheit, bei der er früheren Weggefährten, liebenswerten Zufallsbekanntschaften und vor allem sich selbst begegnet…

Meine erste Assoziation: Wie sehr dieser Film in seinen Grundzügen doch Michael Sarnoskis PIG ähnelt! In diesem ebenfalls 2021 veröffentlichten Drama nämlich ist es Nicolas Cage, den ein Schicksalsschlag – (die Entführung seines geliebten Trüffelschweins) – dazu zwingt, sich aus seiner Waldhütte in die große Stadt zu begeben, wo er sich, wie Pat Pitsenbarger in vorliegendem Werk, mit all den Verlusten, all dem Unverdauten seines zurückliegenden Lebens auseinandersetzen muss. Wo PIG indes sehr zurückhaltend erzählt wird, sich selbst Cage weitgehend seines berühmten Overactings enthält, fährt SWAN SONG schon in seinen ersten fünf Minuten die volle Dröhnung Sentimentalität und Tränendrüsenkitzelei auf, dass man sich fragt, wie der Streifen das in seinen fast zweistündigen Laufzeit überhaupt noch steigern will. Sowohl musikalisch wie formal wird in vielen Momenten außerordentlich dick aufgetragen: Kaum Platz zum Entfalten eigener Emotionen lassen einem die zart getupften Klaviermelodien, die man so oder so ähnlich in den besonders emotional aufgeladenen Sequenzen jeden beliebigen Mainstream-Melodramas in die Ohren geschmiert bekommen könnte, und die arg prätentiösen Bilder von weinenden Augen in Großaufnahmen, geküsst werdenden Grabsteinen, verwaschenen Rückblenden in glücklichere Zeiten, lassen dem Offensichtlichen nun wirklich keine andere Wahl, als unübersehbar zu sein. Auf Dauer strapaziös empfand ich zudem Stephens Ambitionen, jeden einzelnen Augenblick seines Films zu etwas Preziösem, zu etwas Kostbarem hochzustilisieren: Bei seinem Strolchen durch die ehemalige Heimstadt hüpft Pitsenbarger mit einer Kindergruppe Springseil, trifft er ehemalige Kundinnen seines Friseursalons, die ihm aus Dankbarkeit, dass er ihnen einst die Haare blond gefärbt hatte, teure Designerklamotten schenken, philosophiert mit einem alten Freund, der noch immer auf den Öffentlichen Toiletten hinterm Glory Hole sitzt und auf Schwänze wartet, über die großen Fragen des Seins, - was an sich ja alles gar nicht verkehrt wäre, wenn der Film es nicht permanent als etwas ausstellen würde, das mich unbedingt direkt ins Herz treffen und zum Ergriffen-Sein animieren muss. An der recht schematisch, recht überraschungsarm verlaufenden Story können dann auch ein, zwei skurrilere Einfälle nicht viel ändern, zumal ja auch viele Plotentwicklungen wie Pitsenbargers Verwandlung in „Mr. Pat“ nach vielen Jahren ungefähr so unerwartet daherkommen wie ein Shoot-Out am Ende eines Westerns.

Entscheidendes Plus von SWANG SONG ist freilich jener Grund, weshalb ich mir den Film überhaupt angeschaut habe: Udo Kier, immerhin Jahrgang 1944, verkörpert Pat Pisenbarger in einer Weise, die einen auch die konventionellste, rührseligste Inszenierung vergessen lassen kann. Mit dem richtigen Maß aus Flamboyanz und kleinen Gesten konzentriert er sämtliche Figuren, Situationen, Themen des Films wie ein Fixstern um sich, - sodass man in einer Szene gar den Eindruck gewinnt, dem Barmann eines Schwulenclubs sei nur deshalb ein Smartphone in die Hand gedrückt worden, auf dem er permanent herumtippt, damit es nicht allzu sehr ins Auge sticht, wie sehr Kier den gesamten intradiegetischen Raum erfüllt, wie sehr SWAN SONG im Prinzip eine One-Man-Show dieses wundervollen Schauspielers ist, wie viel fader das Ganze ausgefallen wäre, wenn nicht diese Ausnahmeerscheinung im Mittelpunkt stehen würde. Es ist dann doch ziemlich süß, Udo Kier mit einem Kronleuchter auf dem Kopf bei einer Drag Show zu erleben, oder dabei zu sein, wie er, als ihn ein Jüngling beim Umknicken festhält, bei der ersten Berührung durch Männerhände fast aus der Haut fährt, oder ihn in seinem zunehmend schriller und schillernder werdenden Outfit bei Raubzügen im örtlichen Supermarkt zu begleiten, wo er sich, da seine komplette Kohle für Glimmstängel draufgegangen ist, mit den nötigen Frisierutensilien für die anstehende Leichenverschönerung eindeckt. Im Hinblick auf Udo Kier wäre SWAN SONG sicherlich ein glorreicher Schwanensang, sollte er danach nie wieder einen Film drehen; im Hinblick auf Todd Stephens würde ich dann doch eher dazu raten, die Emotionsschienen für seinen nächsten Film um einige Kilometer zu schleifen.
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