Tag der Gesetzlosen - André de Toth (1959)

Moderator: jogiwan

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Maulwurf
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Tag der Gesetzlosen - André de Toth (1959)

Beitrag von Maulwurf »

 
Tag der Gesetzlosen
Day of the outlaw
USA 1959
Regie: André de Toth
Robert Ryan, Burl Ives, Tina Louise, Alan Marshal, Venetia Stevenson, David Nelson, Nehemiah Persoff, Jack Lambert, Frank DeKova, Lance Fuller, Elisha Cook Jr., Dabbs Greer


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Der Wind heult über das kleine Kaff, irgendwo tief im winterlichen Wyoming. Zwei Männer reiten durch den tiefen Schnee, bleiben an einem Karren stehen, und unterhalten sich darüber was passieren wird, wenn der Besitzer des Karrens den geladenen Stacheldraht tatsächlich spannen sollte. Sie reiten weiter in den Ort, wo sie mit eben diesem Karrenbesitzer, dem Farmer Crane, einen scharfen Disput haben. Crane will sein Farmland vor den Rindern des einen Mannes, Blaise Starrett, schützen. Starrett wiederum, der den Ort in den vergangenen 20 Jahren von einem Räuberschlupfwinkel zu einem respektablen Dörfchen geschossen hat, der seit 20 Jahren mit Colt und Fäusten für Ordnung sorgt, und gewohnt ist dass sich alles nach ihm richtet, Starrett besteht darauf, dass er das freie Land als Lohn für sein aufopferungsvolles Leben sehen kann. Danach trifft Starrett Cranes Frau, Helen, mit der er vor kurzem eine Affäre hatte, bis Helen sich für ihren farblosen und ungeliebten Mann entschieden hat. Starrett kehrt den harten Loner heraus, bis es kurz vor der entscheidenden Explosion zwischen einem früheren Westmann und einem kleinen und dummerweise bewaffneten Farmer steht.

Doch was hier in vielen Worten geschildert wird ist tatsächlich nur die Exposition dieses Ausnahme-Westerns. Denn in dem Augenblick, in dem die Kontrahenten zu ihren Waffen greifen wollen, stürmt ein Haufen Männer den Saloon. Räuber, von der Kavallerie verfolgt, ausgehungert nach Frauen und nach Whisky. Ihr Anführer, der frühere Captain Bruhn, hat seine Leute sehr gut im Griff, aber er hat eine Kugel in der Lunge und wird nicht mehr lange leben. Und seine Männer sind sehr hart, sehr geil, und sehr wild. Der einzige der sich ihnen entgegenstellt ist Starrett. Ausgerechnet Starrett, der hier in dem Ort gar nicht mehr gut gelitten ist. Und der doch bereit ist, sich für die ihn zunehmend ausgrenzenden Bürger zu opfern.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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Maulwurf
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Re: Tag der Gesetzlosen - André de Toth (1959)

Beitrag von Maulwurf »

Gegen Ende der 50er-Jahre stand der US-amerikanische Western allmählich mit dem Rücken zur Wand. Die meisten Geschichten schienen erzählt zu sein, die ewig gleichen Abläufe (abgesehen von einigen ziemlich guten anderen Storylines) kannte man allmählich auswendig, und die vielmals fließbandartig abgelieferten B-Western konnten einfach nicht der Weisheit letzter Schluss sein wenn es darum ging, neue Zuschauerschichten zu erreichen. Eine Zeit, in welcher der psychologische Western seine stärksten Momente feierte. Stories wie aus den Noirs der filmischen Großstadt-Konkurrenz und, im günstigsten Fall, feine Dramen unter der Oberfläche von Schießpulver und Pferdeoper gingen eine außerordentliche Symbiose ein. TAG DER GESETZLOSEN fällt genau in diese Kategorie, und ist sowohl als Drama wie auch als Western ein herausragender Film.

Doch ausgerechnet die zentrale Szene ist in der deutschen Kinofassung geschnitten. Unter dem Messer des Viehdoktors erzählt Bruhn, wie ein einziges Wort das Leben eines Mannes verändern kann. Rückzug hätte er befehlen sollen, und Feuer hat er befohlen. Heute ist er auf der Flucht vor seinen früheren Kameraden, und wir können nur erahnen um was es bei der Geschichte von früher geht, aber selbst diese Ahnung jagt Schauer über den Rücken.
Rückzug oder Angriff, das ist die Entscheidung vor der auch Starrett steht, nachdem er begriffen hat, dass er, wenn er Crane tötet, den er als „mickrigen Piesepampel“ bezeichnet, dass er dann in diesem Ort kein Bein mehr auf den Boden bekommen wird. Wenn er angreift, also Crane zu einem für diesen aussichtslosen Duell zwingt, muss er flüchten wie Bruhn. Wenn er sich zurückzieht, dann kann er auch weiterhin in der Gemeinschaft leben. Für seine Nachbarn das Gesicht wahren, für sich selber aber das Gesicht verlieren und nie mehr in den Spiegel schauen können. Diese Erkenntnis wird auch sein Leben verändern, und beim Aufbruch aus dem Ort, wenn Starrett die Gesetzlosen aus dem Ort führen will und Bruhn bereits weiß dass sie alle in den sicheren Tod reiten werden, deutet Starret Bruhn gegenüber auch diese Zusammenhänge an. Er fragt Bruhn, ob er hier auf die Soldaten warten und elendig verrecken will, oder ob er in den Bergen als freier Mann sterben will. Die gleiche Entscheidung, die er für sich selbst getroffen hat.

TAG DER GESETZLOSEN ist ein oft merkwürdig distanzierter Film, der die standardisierten Vorgaben eines Western bewusst bricht. Bei der Prügelei zwischen Starrett und Tex wechselt die Kamera öfters in die Totale, und setzt die kleinen Menschlein in eine schier endlose und grausam wirkende Umgebung. Anstatt nah beim Kampf zu sein und die Kontrahenten dynamisch zu filmen, sehen wir die Umgebung des Ortes und des Kampfplatzes. Eine Umgebung der anzusehen ist, dass sie sich um die kleinlichen Händeleien der Menschen keinen Deut schert. Am Ende des Films werden wir lernen, dass der wahre Feind nicht der Mensch gegenüber ist, sondern die Natur. Und als Starrett nach der Prügelei noch den Rest bekommt, da verweigert sich die Kamera diesem Massaker gleich ganz und bleibt in der Totalen. Eine Actionszene, die ohne Action inszeniert wird, und trotzdem funktioniert: Das Wesentliche wird gezeigt, und es wird gleichzeitig in einen größeren Kontext gesetzt, um einen Zusammenhang zum letzten Drittel zu bilden …
Auch der Schluss verweigert sich den gängigen Wildwest-Schemata. Es gibt kein spannendes Duell zwischen dem Guten und dem Bösen, ja dem überlebenden Bösen wird nicht einmal ein letzter Schuss gegönnt – Er stirbt vorher, von der Kälte und der Grausamkeit der Natur schachmatt gesetzt.

Spannend, dass de Toth in der ersten Stunde keinen Score einsetzt. Nur der Wind und die Geräusche der Menschen dienen als Untermalung dieses Kammerspiels. Erst im letzten Drittel, wenn die Männer aufbrechen in die Wildnis, kommt Musik zum Einsatz. Dissonant und die Abschiedsszene perfekt untermalend zuerst, dann symphonisch und großartig, aber niemals großartig im Sinne eines, sagen wir, Dimitri Tiomkin, sondern düster und elegisch. Die Härte eines Bergwinters in Wyoming illustrierend. Eine Wildheit aufzeigend, von der sich viele Menschen im Film längst entfernt haben, und die sie versuchen mit Stacheldraht zu zähmen. Sie von sich fernzuhalten.
Dabei ist der Umstand spannend, dass auch Bruhns‘ Männer einen Tag und eine Nacht brauchen um in der Wildnis zugrunde zu gehen, während der alte Westmann Starrett die Schneehölle in den Bergen überlebt. Die degenerierten Banditen sterben, und der knorrige Held bleibt am Leben. Fast wie eine Art Heldengesang, obwohl der Film die meiste Zeit über den genau anderen Weg einschlägt.

Und so, wie sich die Dorfbewohner allmählich von der Natur entfremden, so wird auch die Entfremdung zwischen Starrett und den Ortsbewohnern gleich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen charakterisiert: Starrett betritt den Saloon, und die Gruppe der anderen Männer wird im Spiegel gezeigt. Noch deutlicher kann die Grenze nicht verlaufen. Gleichzeitig aber weicht de Toth diese Grenze wieder auf: TAG DER GESETZLOSEN wurde in schwarzweiss gedreht, wie um extra darauf hinzuweisen, dass die Welt nicht nur aus schwarz und weiß besteht. Durch die Kontrastarmut regieren die Grautöne, und im Film sind auch viele Charaktere vorhanden die weder schwarz noch weiß sind, sondern eben grau. Starrett, der diese Stadt befriedet hat, dessen Zeit nun aber vorbei scheint, die Zeit des Faustrechts und der Gewalt. Crane, der das Recht auf sein Farmland in Anspruch nimmt, aber genauso wie Starrett eigentlich nur in Frieden wirtschaften, die Natur bezwingen will. Bruhn, der ein guter Soldat sein wollte, und nun ein harter Anführer einer Gruppe Banditen ist. Gene, der junge Gesetzlose, der Mitleid mit den Einwohnern hat, und gar nicht der harte Hund ist als der er zuerst scheint …

Es ist aber auch noch eine andere Interpretation möglich. Starrett hat den Ort vor 20 Jahren befriedet. Mit Colt und mit den Fäusten hat er das Gesindel verjagt, und einen bewohnbaren Ort daraus gemacht. Aber nun ist Starrett das alte Eisen, das die Freiheit der Prärie benötigt. Starrett hat Chaps an und weiß seine Waffe zu benutzen, während die anderen Leute im Ort Anzug tragen, Kaffee trinken, und ihre Waffe eher zur Zierde umgehängt haben. Der Einbruch von Bruhn und seinen Männern in diese scheinbare Idylle zeigt Starrett, was für ein Mensch er geworden ist. Ein Ewiggestriger, der sich durch Gewalt und Widerstand definiert. Helens Worte am ersten Abend, auf die er sich bezieht wenn er erklärt, warum er die Banditen in die Bergen führen will, und damit seinen eigenen Tod in Kauf nimmt, sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die Erkenntnis, das er sich von Bruhns‘ Männern nur deswegen unterscheidet, weil er an einem Ort geblieben ist, anstatt durch die Gegend zu ziehen. Gleichwohl ist die Beziehung zu seinem Freund Dan, der ihm damals geholfen hat das Gesindel zu verjagen, wie eine alte Ehe. Kein freundliches Wort, knappe Anweisungen, man versteht sich auch blindlings. Man ist zusammen durch die Hölle gegangen, aber irgendwann hat man sich dann doch voneinander entfremdet.

TAG DER GESETZLOSEN ist flüchtig betrachtet ein ungemein spannender und packender Western mit einer überhaupt-nicht-08/15-Handlung. Aber das, was hier beim genaueren Betrachten alles geschieht, die psychologischen Abgründe die sich hier durch einfache erzählerische Mittel auftun, das ist ganz großes und dramatisches Kino in seiner stärksten Form. Wer immer denkt, dass Western die immergleiche Geschichte mit den immergleichen Bildern erzählen, hier kann er eines besseren belehrt werden.

8/10
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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