The VVitch - Robert Eggers (2015)

Moderator: jogiwan

Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 9574
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: The VVitch - Robert Eggers (2015)

Beitrag von karlAbundzu »

1630, eine Siedler-Familie im Neuen England wird von ihrer Dorfgemeinschaft ausgeschlossen und versucht, sich allein durchzuschlagen. Mit eher wenig Erfolg, die Ernte fault, die Jagd gelingt nicht, im Wald wachsen keine Äpfel, die Ziegen wollen auch nicht so recht. Als dann noch der kleinste von fünf Kindern verschwindet, acht sich Verzweiflng breit
Hui, ein kreuzunheimlicher Film. Hier stimmt sehr viel: Es wird langsam, aber effektiv erzählt: So allzuviel passiert nicht, aber wie sich die Famiie nach und nach selbst zerstört, ist brillant dargestellt, erzählt und gefilmt. Klar, Amerika im 17. Jhd wie wir uns das vorstellen: Nur Grautöne und Sepiafarben, alles sehr dunkel. Dazu kommt halt auch echter Horror: Meines Erachtens ist das Übernatürliche nicht von der Hand zu weisen. Aber eben auch Familienpsychogramm, aber eher nicht Freud: Hier tötet nicht der Sohn den Vater usw. Eher Jung: Das geteilte Trauma, das gemeinsame Unbewußte wird hier nach Außen projeziert, wo es dann auch tatsächlich reale Gestalt annimmt (ist das überhaupt Jung? Meine Psychologiestudien sind ein wenig sehr lang her...) Und dann eben kein Spielberg: In der Not findet die Familie in ihrer Heterpnormativität zusammen: Nein, sie tribt auseinander, schon vorhandene Risse werden zu tiefen Gräben, die nr in Gewaltausbrüchen überwunden werden können, die Religion, gerade auch ohne Gnaden einer größeren Gemeinschaft, ist nur oberflächlicher Kitt, der kaum etwas zusammenhält.
Wie das zum Teil in nur kleinen Blicken und Bewegungen erzählt wird, ist brillant. Dazu ein nervenzerfetzender Score, grrr. Und ein Wald, der eben das andere ist, und das auch zeigt.
Insgesamt nicht ganz so intensiv wie der Leuchtturm, aber intelligent und wirkungsvoll.
Ich vermute, das ich den Northman nicht mehr im Kino schaffen werde, aber auch hier merkt man, das Eggers für das Kino dreht.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Benutzeravatar
Maulwurf
Beiträge: 3305
Registriert: Mo 12. Okt 2020, 18:11
Wohnort: Im finsteren Tal

Re: The VVitch - Robert Eggers (2015)

Beitrag von Maulwurf »

 
The VVitch: A New-England Folktale
The Vvitch: A New-England Folktale
Großbritannien/Kanada/USA 2015
Regie: Robert Eggers
Anya Taylor-Joy, Ralph Ineson, Kate Dickie, Harvey Scrimshaw, Ellie Grainger, Lucas Dawson, Julian Richings, Bathsheba Garnett, Sarah Stephens, Axtun Henry Dube, Athan Conrad Dube, Viv Moore


The Vvitch -  A New-England Folktale.jpg
The Vvitch - A New-England Folktale.jpg (93.59 KiB) 102 mal betrachtet
OFDB

Ein normaler Teenager im Kreise der Familie: Das Mädchen, Thomasin, wächst allmählich zu einer jungen Frau heran, ist nur von kleineren Geschwistern umgegeben, auf die sie auch noch aufpassen muss, und wird zwischen Arbeit und Verantwortung allmählich aufgerieben. Der Vater bevorzugt den erstgeborenen Sohn Caleb, die Mutter gibt Thomasin die Schuld an allem und jedem, die beiden jüngeren Zwillinge Mercy und Jonas hassen Thomasin aus tiefster Seele, und der kleine Sam ist erst frisch geschlüpft und ist der Augapfel von Mama und ältester Tochter. Alles in allem keine gesunde Umgebung um unbeschwert aufzuwachsen …

Wir schreiben das Jahr 16hundertundschnee. Die puritanische Familie ist erst vor kurzem aus England gekommen und wegen individuell ausgelegter Religiosität bereits aus der lokalen Gemeinde hinausgeworfen worden. An einem kleinen und gottverlassenen Fleckchen Erde hat der Vater nun ein Haus gebaut, doch der Mais verdorrt, die Fallen bleiben leer, und so langsam kommt der Hunger immer näher. Mit dem rechten Glauben an Gott mag das ja alles noch bewältigt werden können, aber wie geht man damit um, dass der kleine Sam beim Spielen von einer Sekunde auf die nächste spurlos verschwindet? Dass offensichtlich etwas da draußen im Wald ist, was das Blut eines Säuglings benötigt? Und das der gesamten Familie nicht wohlgesonnen ist …

Eine ruhige und ungesunde Stimmung liegt auf dem kleinen Stück Erde, das so öde und grausam wirkt, als wäre es direkt aus H.P. Lovecrafts Erzählung Die Farbe aus dem All entnommen worden. Die Sonne hat das letzte Mal geschienen als die Siedlung verlassen werden musste, seitdem ist alles grau. Der Morgen ist grau. Der Tag ist grau. Das ganze Leben ist grau, bestehend aus Arbeit und Gebet, Gebet und Arbeit. Nur die Nacht ist nicht grau – Die Nacht ist finster. Die Nacht, und der Wald. Denn im Wald lebt etwas, und das was da lebt ist nicht gottgefällig. Es muss der Teufel sein der die Familie versucht, und nur der Zuschauer weiß, dass dort WIRKLICH etwas existiert. Etwas Böses und Unheimliches. Das den Glauben an den Teufel in der Realität beweist. Und das sich vermeintlich einen Spaß daraus macht, die Familie in ihrem Glauben an Gott zu testen.

Bild Bild]

Bild Bild

VVITCH ist kein Horrorfilm im landläufigen Sinne, dafür ist er erheblich zu ruhig und zu langsam. Der Soundtrack besteht aus Anrufungen der griechischen Nekromantiegöttin Hekate genauso wie aus kurzen symphonischen Momenten. Die Kamera saugt sich geradezu an den Gesichtern der Schauspieler fest und erforscht ihre Regungen. Ihre Ängste. Ihre Sorgen. Minutenlange Szenen werden ohne Schnitt mit der Kamera auf einem einzigen Gesicht gespielt, ja geradezu erlebt, und die dadurch entstehende Intensität zieht den Zuschauer tief in die Handlung hinein. Er fühlt die wenigen kleinen Freuden und den häufigen Ärger von Thomasin hautnah mit, er kann ihre Wut nachempfinden, wenn die Mutter sie ausschimpft für etwas, was der Vater getan hat, der das vor der Mutter aber nicht zugeben mag. Er spürt ihren Zorn, wenn die Zwillinge sie auslachen und als Hexe beschimpfen, und der Zorn zu tiefer Angst wird. Der Zuschauer erfährt aber auch das zwiespältige Verhältnis zum Wald. Der Wald bietet Nahrung, und er bietet Holz für Feuer. Aber tief in seinem Inneren beschützt er auch das Böse. Beim Anblick dieses Waldes kann man verstehen, warum unsere Vorfahren so eine Angst hatten und den Wald mystifizierten. Dies ist kein fröhlicher Laubwald mit Sonnenschein, Vögelchen und Wanderwegen. Dies ist ein dunkler, trister und böser Ort. Ein Ort, an dem der Tod regiert, und alles in der Umgebung wird von ihm beherrscht.

Die Schauspieler sind begnadete Mimen, denen jede Regung der Seele anzusehen ist, und die Totenstille und die gelegentlichen Soundcollagen untermalen diese Regungen perfekt. Die Stimmung pendelt zwischen Verlorenheit und Trotz, zwischen unendlicher Furcht und der Liebe zu Gott. Erst zum Ende wird erkannt, dass Gott vielleicht zwischen den Menschen im Gelobten Land wandelte, aber nicht unbedingt auch in Neu-England. VVITCH erinnert in manchen Momenten an HÖRE DIE STILLE, der zwar ein ganz anderes Sujet beinhaltet, aber die gleichen verlorenen und ängstlichen Menschen in einer Begegnung mit dem Tod zeigt. VVITCH ist gleich und doch anders, er nährt die Urangst vor dem Unaussprechlichen und dem Unbekannten. Ein ruhiger und langsamer Film, der in einer lauten und schnellen Zeit von bedrohlichen und düsteren Dingen erzählt. Ein grauer Film in einer bunten Zeit. Ein beeindruckender und nachdrücklicher Film.

Bild Bild

Bild] Bild

7/10

------

Dies ist nicht der Soundtrack zu VVITCH, aber er klingt so, und er fühlt sich so an:
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Benutzeravatar
fritzcarraldo
Beiträge: 4398
Registriert: Sa 22. Okt 2016, 22:39
Wohnort: Bremen
Kontaktdaten:

Re: The VVitch - Robert Eggers (2015)

Beitrag von fritzcarraldo »

Black Philip rises again.
The VVitch
Download (7).jpeg
Download (7).jpeg (5.81 KiB) 67 mal betrachtet
OmU
The VVitch war tatsächlich bisher an mir vorbeigegangen. Umso schöner war es natürlich, den Film sogar jetzt noch im Kino sehen zu können.
Wobei es wohl technische Probleme gab und der Projektor nochmal gestartet werden musste und dann wohl einige Einstellungen nicht stimmten. So erfuhr ich, dass der Film leider nur in Mono lief und wir dann doch einiges vom tollen Sounddesign verpasst haben, was den Kinobesuch aber dann insgesamt doch nur sehr wenig schmälerte.
Irgendwann ist man dann gefangen in der Welt der Pilger um 1600, die sich in der neuen Welt schwer tun und fast nichts außer ihrem Glauben haben, der sie hier, so scheint es, mächtig in die Irre führt. Oder hat er keine Chance gegen Satan und sein Hexenwerk? Ist es der Wahnsinn verstärkt durch Religiosität oder ist wirklich eine Hexe am Werk? Das muss sich jeder selbst beantworten.
Was bleibt sind unfassbar schöne Bilder, die in gewissen Momenten an Gemälde erinnern. Und natürlich die fantastische Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy,
die ich ja auch gerade in Eggers tollem THE NORTHMAN bewundern durfte und die, so hört man, auch in seinem Nosferatu-Remake dabei sein wird.
"Das ist nicht möglich!"
"Aber notwendig!"

(Interstellar)

"J&B straight and a Corona!"
(Patrick Bateman, American Psycho)

https://www.latenight-der-fussball-talk.de
Benutzeravatar
karlAbundzu
Beiträge: 9574
Registriert: Fr 2. Nov 2012, 20:28
Kontaktdaten:

Re: The VVitch - Robert Eggers (2015)

Beitrag von karlAbundzu »

Meine DVD - Sichtung ist ja erst ein paar Monate her, war noch sehr präsent. Da möchte ich auch gar nix hinzufügen. Im Kino natürlich viel eindringlicher und wirkungsvoller. Heftig.

Diesmal sind mir die Anspielungen an Grimms Märchen noch mehr ins Auge gesprungen: Rotkäppchen, Der Böse Wolf, Schneewittchen....
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
Antworten