Transformers: The Premake - Kevin B. Lee (2014)

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Salvatore Baccaro
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Transformers: The Premake - Kevin B. Lee (2014)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Originaltitel: Transformers: The Premake

Produktionsland: USA 2014

Regie: Kevin B. Lee
Bislang sind wir uns kaum über den Weg gelaufen, Michael Bay und ich. Alles, was ich über ihn weiß, oder über ihn zu wissen glaube, kenne ich daher bloß aus zweiter Hand, und dass er jemals von meiner Existenz erfahren hat, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Die Stationen seiner Karriere, die mir präsent sind, obwohl ich, glaube ich, niemals einen Film gesehen habe, bei dem er entweder Regie geführt oder den er als Produzent begleitet hat, lauten wie folgt: Ende der 80er macht Bay sich mit Werbespots und Musikvideos, unter anderem für Coca-Cola und Meat Loaf, einen Namen, bevor er Mitte der 90er, preisgekrönt, ins kommerzielle Spielfilmfach wechselt. Es entstehen Werke, deren Titel jeder kennt, weil sie beim zeitgenössischen Publikum extrem hohe Zuschauerzahlen verbuchen konnten, die aber, scheint es, bei der zeitgenössischen Kritik nur Negativlorbeeren einfuhren: Für das Katastrophen-Szenario ARMAGEDDON (1998) und das Zweite-Weltkriegs-Spektakel PEARL HARBOR (2001) gewann Bay gar eine Nominierung für die legendäre Goldene Himbeere. Anfang der 2000er Jahre gründet Bay schließlich eine eigene Produktionsfirma, die sich eines Ziels verschrieben hat, dessen eigentlicher Sinn und Zweck mir immer noch schleierhaft ist: Welcher Genre-Fan braucht denn nun wirklich ernsthaft Neuaufgüsse solcher Horrorklassiker wie TEXAS CHAINSAW MASSACRE oder NIGHTMARE ON ELM STREET? Dem Klingeln von Bays Kasse sind derartige Projekte aber sicherlich genauso zuträglich wie die TRANSFORMERS-Reihe, für die er ab 2007 verantwortlich zeichnet. Im Fahrwasser einer beispiellosen Marketing-Kampagne, bei denen ich Staubsauger oder Hundefutter im TRANSFORMERS-Stil gar nicht für abwegig halten würde, und unterstützt von solchen illustren Firmen wie General Motors oder auch gleich den Streitkräften der Vereinigten Staaten höchstselbst bringt es die Reihe bis 2014 auf insgesamt drei Fortsetzungen und Umsätze in Billiardenhöhe. Soweit ich das mitbekommen habe, scheiden sich an TRANSFORMERS die Geister: Für die einen sind die Filme der Triumph der Hirnlosigkeit, substanzlose Materialschlachten, nur dazu da, das Publikum gar nicht erst auf die Idee zu bringen, über wirklich relevante Dinge nachzudenken, und für die andern wiederum der Triumph des Blockbuster-Kinos Hollywoods, ein Feuerwerk an leichtbekömmlicher Unterhaltung unter Aufbietung sämtlicher ökonomischer Ressourcen, nur dazu da, dem Publikum eine Flucht aus dem oft so tristen oder schlimmen Alltag zu ermöglichen.

Wozu dieser lange Exkurs zu Michael Bay und seine, wie ich sie einmal laienhaft nennen würde, Automobil-Roboter? Weil Kevin B. Lee TRANSFORMERS: AGE OF EXTINCTION als Ausgangsbasis seiner nur wenige Monate nach dem US-Kinostart des Bay-Vehikels im Internet veröffentlichten sechsundzwanzigminütigen Dokumentation TRANSFORMERS: THE PREMAKE nutzt – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Für seinen Film hat Lee nicht weniger als 355 Youtube-Videos zusammengegossen wie in einem Schmelztiegel. Sie zeigen die Dreharbeiten zum vierten TRANSFORMERS-Teil, meist aus inoffiziellen Quellen, d.h. von Passanten, die an Fenstern oder auf offener Straße mit den Handykameras aufzeichnen, was da vor ihren Augen explodiert oder vorbeirollt. Sie zeigen offizielle Pressedokumente, darunter Schnipsel aus dem chinesischen Staatsfernsehen, mit dessen Filmproduktion Bay in AGE OF EXTINCTION offenbar einen Schulterschluss gemacht hat, und Bays berühmtes Straucheln bei einer Pressekonferenz, als sein Teleprompter versagt und er plötzlich keinen vernünftigen Satz mehr herausbringt. Sie zeigen aber auch wie all diese kurzen Videofragmente im Netz zirkulieren, kommentiert oder von der verantwortlichen Produktionsfirma gesperrt werden. Dabei ist Lees Konzept so simpel wie brillant: TRANSFORMERS: THE PREMAKE spielt sich vollkommen im begrenzten Kader eines Notebook-Bildschirms ab. Extrem hat Lee dort durchchoreographiert, wann welches Video aufploppt, wann der Cursor uns von welchem Youtube-Link zum nächsten führt, welche Bild- und Audio-Dateien synchron abgespielt werden und wie viele Tabs zeitgleich geöffnet sind. TRANSFORMERS: THE PREMAKE besitzt dadurch einen rasanten Rhythmus, bei dem aber, obwohl ständig neue virtuelle und thematische Fenster aufgemacht werden, zu keinem Zeitpunkt der Inhalt auf der Strecke bleibt. Völlig im Gegensatz zu dem, was man den TRANSFORMERS-Filmen gemeinhin nachsagt, nämlich, dass sie wie ein Sedativ für das kritische Denken wirken, spornt Lees Film dieses kritische Denken in vollem Umfang an. Uns werden zwar lediglich einzelne Fetzen aus der Produktionsgeschichte, aus den politischen und gesellschaftlichen Implikationen, aus den im Hintergrund ablaufenden Verhandlungen und Vereinbarungen vorgeworfen, doch es bleibt nicht aus, dass wir, ganz automatisch, zu diesem Schnipsel-Salat irgendeine Haltung einnehmen. Wenn ein Produzent des Films auf die Frage nach der Zusammenarbeit mit China erklärt, für ihn sei Kino schon immer ein Mittel gewesen, Menschen über alle Grenzen hinweg zusammenzubringen, und wenn wir sehen wie ganze Straßenzüge in, schätze ich, New York abgesperrt werden, damit dort minutenlang irgendwelche Autos in die Luft gehen können, und wenn Lee selbst mit einigen Youtube-Usern Kontakt aufnimmt, um zu erfahren, weshalb ein bestimmtes Video, das Mark Wahlberg und Nicole Peltz vor einem Green-Screen zeigt, von Paramonut, jedes Mal, wenn es irgendwo im Netz auftaucht, sofort gelöscht wird, dann stellen sich in mir vor allem eher unangenehme Gefühle ein, die daraus resultieren, dass a) Produzenten von Unterhaltungsfilmen es offenbar noch immer nötig haben, mit sinnlosen Floskeln alibihaft rein finanzielle Entscheidungen zuzudecken, und b) solche Explosionen, gefilmt von Amateuren, zudem innerhalb eines Youtube-Fensterchens, wesentlich härter und erschreckender wirken als im eigentlichen Filmkontext, wo sie auf Hochglanz poliert und eingebettet sind in sie legitimierende Narrativa, und c) ein Konzern von Paramount theoretisch wohl sogar diesen meinen Text verbieten könnte, wenn er in ihm eine Gefahr sehen und es unbedingt darauf anlegen würde.

TRANSFORMERS: THE PREMAKE ist jedenfalls einer der wenigen Filme, die ich bislang gesehen habe und denen ich attestieren würde, dass sie die Medien des neuen Jahrtausends nicht allein dazu nutzen, durchgekaute Genre-Muster des letzten Jahrtausends einfach nur ein bisschen aufzupimpen – siehe zum Beispiel: UNKNOWN USER und Konsorten -, sondern sie tatsächlich als Werkzeuge einer kritischen Investigation über diese Medien – und darunter: das Medium Kino selbst – gebrauchen. Mit dem einen oder anderen Walter-Benjamin-Zitat und Eisenstein-Einsprengsel könnte TRANSFORMERS: THE PREMAKE letztlich sogar ein Spätwerk von Godard sein. Die Themen nämlich sind dieselben: Kino im Angesicht der Globalisierung, Politik mit Hilfe von Bildern, ein Wirtschaftssystem, für das noch jedes Gefühl in einen ökonomischen Wert umzuwandeln ist. So schnell werde ich mir dann wohl doch keinen Michael-Bay-Film anschauen…
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