Originaltitel: Vapors
Produktionsland: USA 1965
Regie: Andy Milligan
Darsteller: Gerald Jacuzzo, Robert Dahdah, Hal Sherwood, Hal Borske
Was ich damit meine, dass man VAPORS ansieht, unter welchen Bedingungen der Film entstanden ist, kann ich schnell erklären. Zum einen ist sowohl der Theaterhintergrund sämtlicher Beteiligter unverkennbar – bei den Darstellern handelt es sich nämlich allesamt um Mitglieder von Milligans damaliger Theatergruppe – wie auch, dass dem Film offensichtlich ein Bühnenstück als Grundlage gedient haben muss. Zum andern macht die Wahl des Schauplatzes Milligans eigene sexuelle Orientierung relativ deutlich bzw. die Subkultur, in der er sich zu dieser Zeit bewegt hat. VAPORS spielt ausnahmslos in einem Homosexuellen-Sauna-Club, und ist dort wiederum fokussiert auf zwei Darsteller, die quasi den gesamten Film tragen. Da haben wir Thomas, der offen homosexuell lebt, den Sauna-Club aber zum ersten Mal besucht. Er ist ein verschlossener Mann, setzt sich den Avancen der übrigen Gäste erfolgreich zur Wehr, und zieht es vor, allein in seiner Kabine zu bleiben. Schließlich bekommt er aber doch Besuch, und zwar von einem gewissen Mr. Jaffae, der, das wird in dem Dialog, der sich zwischen den Beiden entspinnt, schnell deutlich, ebenfalls sein Debut in dem Etablissement gibt. Das kommt nicht von ungefähr: Mr. Jaffae ist seit neunzehn Jahren verheirateter Familienvater und gefangen in einem lähmenden Alltagstrott, dem schließlich auch die Liebe zu seiner Frau geopfert werden musste. Scheinbar spontan, möglicherweise aber auch, weil in ihm eine Neigung schlummert, die er sich selbst nicht eingestehen will, ist er, um wenigstens einmal etwas Freiheit genießen, für einen Abend abgetaucht in die schwule Subkultur New Yorks. Eine halbe Stunde lang sehen wir diesen beiden Männern nun dabei zu wie sie sich allmählich tastend kennenlernen, einander Geheimnisse und Geschichten anvertrauen – Thomas beispielweise berichtet von einem früheren Liebhaber, bei dem zwei Zehen zusammengewachsen gewesen seien, worauf diese Deformation ihn daran gehindert habe, mit ihm schlafen zu können -, werden immer ehrlicher und stehen schließlich, was ihre Seelen betrifft, völlig nackt voreinander – während ihre Körper indes, anders als man erwarten könnte, weiterhin Distanz wahren – nur eine kurze, dafür umso zärtlichere Annäherung gibt es, als Mr. Jaffae Thomas die Füße zu massieren beginnt. Wie der Chor in einer griechischen Tragödie tauchen zwar ab und zu einmal andere Homosexuelle auf, die neugierig ihre Köpfe in die Kabine strecken, oder draußen miteinander tratschen, oder Neuankömmlinge in die Prozedur des Saunabadens unterweisen, doch der Fokus liegt klar auf den zunächst recht unterschiedlich scheinenden Männern, und darauf, wie die vermeintlichen Unterschiede letztlich einer tiefen inneren Not weichen, die sie beide, ohne es zu ahnen, miteinander teilen.
Der Schnitt ist genauso ruppig und auf charmante Art unprofessionell wie man das auch von Milligans späteren Werken kennt, und die Darsteller, ein weiteres stilistisches Merkmal, das man auch in den Folgefilmen finden wird, sagen ihre Dialoge manchmal tatsächlich auf, als stünden sie nicht vor einer Filmkamera, sondern auf einer Theaterbühne – was ich indes in den sieben, acht Milligan-Filmen, die ich bislang gesehen habe, hätte vergeblich suchen können, das ist die ausgesprochene Ehrlichkeit und Zartheit, mit der er hier seine Figuren zeichnet, und es dabei schafft, jedwedem plakativen Klischee großräumig aus dem Weg zu gehen. VAPORS mag in einer homosexuellen Subkultur angesiedelt sein, jedoch liegt Milligans Film nichts ferner, als diesen Umstand über Gebühr hinaus auszureizen. Stattdessen ist sein gleichgeschlechtlicher Sauna-Club eine absolute Selbstverständlichkeit, in der völlig unverkrampft das sexuelle Begehren von Mann und Mann verhandelt wird, als sei es das Normalste der Welt – und das, immerhin, in einer Welt, deren größter Teil das zu diesem Zeitpunkt völlig anders gesehen hat. Fern ist VAPORS demnach auch, in irgendein Opfer-Narrativ zu verfallen. Mr. Jaffae und Thomas sind Individuen, die an ihrer Einsamkeit schier zugrunde gehen, doch daran ist keineswegs ihre unterdrückte oder ausgelebte Homosexualität Schuld. In einem bewegenden Moment erzählt Mr. Jaffae davon, dass er einen Sohn, Billy, gehabt habe, der in jungen Jahren schon gestorben sei. In einem noch bewegenderen Moment empfängt Thomas, nachdem Mr. Jaffae sich verabschiedet hat, von diesem einen Strauß Blumen, und bricht über dieser Zuneigungsbekundung in Tränen aus, die er nur dadurch zum Versiegen bringen kann, dass er schnell mit dem nächstbesten Mann ins Bett springt. Die Themen, die VAPORS anschneidet, sind universell, lassen sich vielleicht auf den Nenner des modernen, entwurzelten Großstadtmenschen bringen, der in gesellschaftlichen Konventionen, vergangenen Verletzungen und eigenen, viel zu hohen Anforderungen an sich selbst feststeckt, und es scheint reiner Zufall, dass all diese Themen nun eben einmal in einem Sauna-Club für Homosexuelle ausagiert werden – und genau dieser Eindruck des Zufälligen, des Unspektakulären macht VAPORS zu einem solchen intelligenten Film, der nichts unter den Tisch kehrt, nichts überdramatisiert, nicht jammert, nicht mal anklagt, sondern einfach etwas zeigen möchte, und das Urteil darüber mir selbst überlässt.
Dieses Urteil lautet wie folgt: Ich würde VAPORS ohne mit der Wimper zu zucken in eine Reihe von Filmen stellen, die die Frage nach dem kinematographischen Ausdruck eines schwulen Selbstbewusstseins auf ihre Art ähnlich großartig beantworten haben, wie Kenneth Angers FIREWORKS (1947), Jean Genets UN CHANT D’AMOUR (1950), Paul Morrisseys FLESH (1968) oder Philippe Vallois‘ JOHAN (1976). Schon lange habe ich keinen derart stillen, traurigen, in seiner stillen Trauer aber auch ungemein schönen und poetischen Film gesehen wie diesen. Es ist jammerschade, dass Milligans Folgefilme mit Titeln wie THE GAY LIFE (1967) oder COMPASS ROSE (1967), in denen er weiter experimentell das Thema Homosexualität und Möglichkeiten zur filmischen Umsetzung desselben erkundet hat, offenbar verschollen sind, und sein (überliefertes) Oeuvre erst wieder einsetzt, wenn wahnsinnige Erbschleicher einander die Körper zerhacken und lichtscheue Blutsauger vor laufender Kamera Ratten zerschneiden.