Originaltitel: Anthropophagous 2000
Produktionsland: Deutschland 1999
Regie: Andreas Schnaas
Darsteller: Andreas Schnaas, Oliver Sauer, Cornelia de Pablos, Andreas Stoek, Maja Carstens
Tatsächlich hätte ich Schnaas‘ Hommage an D’Amato – „in loving memory“ widmet er ihm seinen ANTHROPOPHAGOUS 2000, außerdem wird im Abspann noch Lucio Fulci und David Warbeck gedankt; sicherlich, Signore Massacessi hat in seiner langen Karriere etliche Filme zu verantworten, bei denen ich mich wirklich verbiegen muss, um aus ihnen einen ästhetischen und/oder intellektuellen Mehrwert zu extrahieren, aber seinen Namen in Verbindung mit vorliegendem Abfallprodukt zu wissen, darum bin ich froh, dass er das aufgrund seines Ablebens wenige Monate vor Veröffentlichung des Streifens nicht mehr mitbekommen musste - in ihrer Essenz perfekt auch beschreiben können, ohne jemals überhaupt eine Szene aus ihm gesehen zu haben: einfach weil Schnaas sich selbst treu bleibt, und das, was ZOMBIE `90 und seine VIOLENT-SHIT-Saga auszeichnet, mühelos in das Universum des Nikos Karamanlis hinüberrettet. Dem Budget – die imdb spricht von 50.000 D-Mark, was ich nur für plausibel halte, wenn Schnaas da noch zwei Wochen Toskana-Urlaub für sich und seine gesamte Crew miteingerechnet hat – geschuldet gibt es einige sachte Modifikationen gegenüber dem Original: Da die Reise auf eine Ägäis-Insel wohl zu teuer gewesen ist, dreht man eben in der mittelitalienischen Pampa, und weil man die Geschichte unbedingt als Flashback erzählen möchte, integriert man einen Pro- wie Epilog in dem ein Interpol-Agent die Menschenfresser-Höhle erkundet, und darin sowohl Karamanlis‘ Aufzeichnungen als auch eine Ladenfuhre halbverwester Kadaver findet, und uns dankenswerterweise (oder auch nicht) aus diesen vorliest, was sich für Gräuel im naheliegenden Dorf zugetragen haben. Ansonsten bleibt Schnaas aber bei den Leisten, die D’Amato knapp zwei Jahrzehnte zuvor so simpel wie effektiv geschustert hat: Auch hier treibt Nikos Karamanlis mit Frau und Kind (allerdings einer Tochter) auf dem Rettungsschlauchboot seiner Yacht tagelang ziellos im Mittelmeer umher, wird durch die fehlende Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit und die unerbittlich brutzelnde Sonnenhitze zum Kannibalen, und erleichtert, nachdem er seine Familie verspeist hast, als Mörderbestie ein ganzes toskanisches Dörfchen um seine Einwohner. Auch hier ist es eine Gruppe austauschbarer Gesichter und Körper, die mit einem Minibus durch das italienische Hinterland fahren, um dort zu urlauben, und deren angemietete Gaststube ausgerechnet in dem entvölkerten Ort liegt, den Nikos zu seinem Herrschaftsgebiet ausgerufen hat. Auch hier setzt Nikos unseren Helden und Heldinnen – darunter: ein Althippie, der ständig seine Akustikklampfe bei sich trägt, die obligatorische Schwangere, die es fertigbringt, sich beim Aussteigen aus dem Minibus beinahe ein Bein zu brechen, und ein Asthmatiker, der sich gerne in Märtyrerpose sieht, und aus dem Jammern gar nicht herauskommt – arg zu, was zu den beiden wohl kontroversten Momenten des Originals führt: Nikos entreißt einen Embryo dem Mutterleib (wobei diesmal kein gehäutetes Kaninchen, sondern ein Baby-Born-Püppchen dran glauben muss) und sich selbst die Eingeweide, um beides sichtlich zufrieden zu verschlingen (was ihn nicht daran hindert, danach noch für zehn Minuten quicklebendig auf Menschenjagd zu gehen). Manchmal klebt Schnaas nahezu sklavisch an seinem großen Vorbild, und recycelt selbst Details wie den spontanen Sex zwischen zwei Mitgliedern unserer Protagonistentruppe, den Stangulationssuizid von Nikos‘ zuvor im Trauerflor durch das Gespensterdorf wandelnden Schwester, und sogar das Kätzchen, das sich im Original als mitternächtliche Klavierspielerin betätigt, (hier aber nur mit einem weiteren Katzerl ebenfalls durchs Dorf streift; die Mieze heißt übrigens Fanni, wie im Abspann zu lesen ist; jedenfalls eine von ihnen; die andere wird nämlich kurioserweise überhaupt nicht erwähnt.) Freilich wurde das Äußere des titelgebenden Unholds - vom Regisseur, Drehbuchautor und Produzent höchstpersönlich verkörpert - ebenfalls dem Original nachempfunden. Andreas Schnaas ist zwar kein Hüne wie George Eastman, und eher beleibt als muskulös, aber die verwitterte Visage, die zerzausten Haare und das unaufhörliche Röcheln und Grunzen stehen ihm jedenfalls weitaus besser als die Berufsbezeichnung Filmemacher.
Bevor man aus dem obigen Absatz nun irgendeine Form des Lobes dafür herausliest, das ich Schnaas dafür zolle, dass er dem Drehbuch Luigi Montefioris derart treugeblieben ist, füge ich besser gleich hinzu, dass sich der Film mit dieser inhaltlichen Nähe nun wirklich keinen Gefallen tut. Wäre ANTHROPOPHAGOUS 2000 nicht die inoffizielle Neufassung eines anerkannten Klassikers des transgressiven Kinos, könnte man ihn einfach als einen hundsmiserablen Film abkanzeln; so jedoch fordert er mich regelrecht auf dazu, ihn mit seinem Vorbild zu vergleichen, und dabei kann diese piktorale Jauchegrube nur verlieren. Die melancholische Atmosphäre des Originals sucht man in ANTHROPOPHAGOUS 2000 genauso vergeblich wie eine einzige interessante Kameraeinstellung, eine überraschende Montage-Idee, Schauspielkunst, die weiterreicht als für eine Webcam-Show, oder irgendein Gespür dafür, wie man Dramaturgie erzeugt oder rudimentär eine Geschichte erzählt - und dass das Ganze in einer home-video-Ästhetik wie vom letzten Rügen-Trip gefasst ist, hilft ebenfalls nicht dabei, den Film wenigstens schmeichelhaft fürs Auge zu machen. (Na gut, wenigstens einmal sieht Schnaas' Silhouette durch die Lichtsetzung ganz schmuck aus, wie er eine Treppe hinabsteigt, und dass man einen der Camper gepfählt wie die berühmte Dame in CANNIBAL HOLOCAUST enden lässt, ist vielleicht als augenzwinkernde Reminiszenz an Deodatos postmoderne Kannibalismus-Pastiche gedacht, wirkt in vorliegendem Film aber eigentlich nur dämlich.) Stattdessen fragt einer der Protagonisten seine hochschwangere Frau, als er sie ausgerechnet in einer Menschenfresserhöhle wiederfindet, eher beiläufig, ob es ihr denn gutginge; eine andere Dame stößt beim Anblick zerbissener Leichname den wohl kürzesten und unüberzeugendsten Schrei der Filmgeschichte aus; und unser nomineller Held, d.h. die einzige Figur, die den Abspann lebend erreichen darf, erinnert sich kurz vor Filmende daran, dass er doch eigentlich die ganze Zeit ein Mobiltelefon in der Jackentasche stecken hat, mit dem man doch, wo man nun schon mal von einem mordlustigen Kannibalen gehetzt wird, um Hilfe rufen könnte. Obwohl die Original-Geschichte nun wirklich nichts ist, was komplexeres narratives Geschick erfordert, um sie geradlinig zu rekonstruieren, verzettelt sich Schnaas‘ Skript in zahllosen Nebenschauplätzen – beispielweise fährt einer der Protagonisten seinen Freunden per Zug hinterher, da er Arzt ist, und noch eine schwere Operation hat ausführen müssen - führt Figuren ein, um sie danach gleich wieder zu vergessen – bei einem Pärchen, das, wie bei D’Amato, zu Beginn an einem See zerhackstückt wird, soll es sich um weitere Freunde unserer Rasselbande halten; als die aber nicht rechtzeitig zum verabredeten Treffpunkt auftauchen, verlieren sie unsere Helden und Heldinnen genauso schnell aus dem Gedächtnis wie der Film selbst - oder einfach nur als Kanonenfutter zu verheizen – welche Funktion sonst haben die beiden Camper, die zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner örtlichen, zeitlichen, personellen Beziehung zum restlichen Figurenensemble stehen? -, separiert seine Protagonisten andauernd in irgendwann kaum noch zu überblickende Einzelgrüppchen. Wenn es schon in D'Amatos ANTHROPOPHAGUS irgendwie befremdlich wirkt, dass Nikos eine ganze Insel verzehren kann, ohne dass die Polizei seinem Treiben Einhalt gebietet, stolpert Schnaas über dieses zarte Logikloch so sehr, dass er seinem Film noch die letzten Vernunftknochen bricht: Ernsthaft, seine Kindergartentruppe findet im ausgestorbenen Dorf mehrmals Zeitungen, die detailliert über die Missetaten des Monstrums berichten, Einhalt scheinen die Behörden diesem trotzdem nicht gebieten zu können?
Aber was ereifere ich mich über die narrative Schmalbrüstigkeit eines Films, der mir doch gleich zu Beginn unter die Nase reibt, worauf es ihm eigentlich ankommt: Blutigste Gewalt. Was bei D’Amato vergleichsweise spärlich und dadurch recht effektiv eingesetzt wird, verkommt bei dem Qualität mit Quantität verwechselnden Schnaas zur Nummernrevue an Körperdekonstruktionen, bei denen man nicht weiß, ob man sich um die geistige Gesundheit ihres Schöpfers sorgen oder über die nun wirklich erbärmlichen Effekte amüsieren soll. Nicht mal die Terrakottaköpfe aus Andrea Bianchis LE NOTTI DEL TERRORE dürften neidisch auf das sein, was Schnaas uns hier als zerdrückte, zerplatzende, zerbissene Menschenschädel präsentiert. Auch hätte dem Regisseur – und dem Großteil der deutschen Amateur-Splatter-Zunft im Übrigen – einmal jemand einen Glückskeks mit der Botschaft zustecken sollen, dass etwas nicht automatisch dadurch besser wird, wenn man es besonders lange zu sehen sein lässt, sprich, die meisten Gewaltszenen hätten um mindestens die Hälfte ihrer Laufzeit gekürzt werden können. Dann wären die Effekte zwar immer noch billig gewesen, und die Intention hinter dem genüsslichen Zelebrieren von Bildern des Skalpierens, Erdrosselns und Zerschießens fragwürdig, zumindest hätte sich aber nicht die Ennui eingestellt, die mich befällt, wenn ich gefühlte fünf Minuten dabei zusehen muss, wie eine Frau immer wieder ein Messer in den Rücken gerammt bekommt. Was außerdem stört, ist Schnaas‘ Faible für Erbrochenes, dessen Fachterminus – das habe ich schmerzhaft bei der Sichtung von Lucifer Valentines SLAUGHTERED VOMIT DOLLS lernen müssen – Emetophilie lautet. Ob nun Schwangere sich am Straßenrand übergeben, oder Polizeibeamten, wenn sie sich mit Nikos‘ Leichenkammer konfrontiert sehen, oder – ich glaube, das ist die widerlichste Szene, die mir seit langem vor Augen gekommen ist – sich Landstreicher von dem Erbrochenen ernähren, das andere ihnen in die Hände spucken – wenn ich Schnaas nicht für einen der wenigen Filmemacher halten würde, die nicht mal zufällig von irgendeinem umhersausenden Funken Talent gestreift werden, könnte ich fast auf die Vermutung verfallen, auf einer Meta-Ebene wolle mir ANTHROPOPHAGOUS 2000 mit der ganzen Reiherei eine spezifische Rezeptionsästhetik mit auf den Weg geben. Erregen – zumindest sexuell – will der Film mich jedoch ganz sicher nicht, im Gegenteil: Eine ausgewalzte Zeltbalzerei gleich in den Anfangsminuten zwischen zwei, sagen wir, nicht dem zeitgenössischen Schönheitsideal der westlichen Welt entsprechenden Menschen, die derart uninspiriert, fernab selbst von Rudimenten dafür, wie man Körper erotisch in Szene setzen könnte, und dicht an der Grenze zum Hardcore vorbeischrammend runtergekurbelt wurde, hat in mir wohl auf Wochen jeden Gedanken an Sex erstickt.
Ich habe, wie man weiß, sicherlich nichts gegen Filme, die ohne Budget im Wald gedreht worden sind. Auch mit einer handelsüblichen Videokamera – wie ich spätestens seit Sadie Benning weiß, selbst mit einem Spielzeug! – kann man ergreifende Bilder kreieren, beeindruckende Geschichten erzählen, visuelle Experimente fabrizieren. Das alles aber nur, wenn man nicht Andreas Schnaas heißt. Im Ernst, ich habe selten einen Film gesehen – einen Film zudem, der als Film vermarktet wird, d.h., die Verantwortlichen gehen wirklich davon aus, dass es Menschen gibt, die ihr Produkt für wertvoll genug halten, dass sie dafür ihr kostbar verdientes Geld ausgeben! -, der in allen Belangen derart unfilmisch ist. Was ist Kino?, fragte schon in den 50ern André Bazin, und seine Antwort lautete sicherlich nicht: Ohne Sinn und Verstand die Kamera einfach auf Laiendarsteller halten, die entweder Blödsinn oder ihre Eingeweide von sich geben. Dass Schnaas und Konsorten diese bildgewordene Bankrotterklärung – und damit ihre potentiellen Kunden - selbst in irgendeiner Form ernstnehmen, kann ich mir kaum vorstellen, wenn man bedenkt, dass man es nicht mal für nötig befunden hat, dem Film eine anständige Post-Synchronisation angedeihen zu lassen (wirklich zu hören sind die Darsteller und Darstellerinnen tatsächlich nur, wenn sie mal unabsichtlich exakt in Richtung Mikrofon plappern.) Den Menschen, der ANTHROPOPHAGOUS 2000 für einen spannenden, gutgemachten, unterhaltsamen Film hält, und der nicht in einer Höhle fernab der Zivilisation aufgewachsen ist, und nur diesen einen Film überhaupt kennt, den würde ich gerne einmal kennenlernen – und dann noch gleich denjenigen, der diesem Scheiß achtzig Minuten Lebenszeit schenkt, obwohl er eigentlich intelligent genug sein sollte, sofort die Straßenseite zu wechseln, wenn ihm ein Produkt mit dem Namen Andreas Schnaas entgegenkommt.
Ach ja, wenigstens eine Szene gab es, bei der mir der Bauch vor Lachen hüpfte. Einer der beiden erwähnten Camper spaziert in den Wald, während der andere ein Nickerchen im Zelt hält. Als er erwacht, und seinen Freund nicht gleich in seiner Nähe vorfindet - in Wirklichkeit wurde er bereits vom Anthropophagus geschnappt -, stolpert er im Umfeld des Zeltes umher, und ruft nach ihm: "Hey, Du Scheißkerl! Wo steckst Du schon wieder?" Seine derbe Wortwahl in diesem Kontext hat mich für einen Moment ziemlich amüsiert. Aber was rede ich: Wenn schon die kontextfremde Verwendung von Vulgärsprache das Einzige ist, was ich an einem Film positiv herausstreichen kann...