Das Weststadt Massaker - Andreas Bethmann (1991, 1993, 1994)
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Das Weststadt Massaker - Andreas Bethmann (1991, 1993, 1994)
Originaltitel: Das Weststadt Massaker
Produktionsland: Deutschland 1991-1994
Regie: Andreas Bethmann
Darsteller: Andreas Bethmann, Andre Quast, Andreas Reisch, Thorsten Borik, Melanie Abendroth-Brandes, Tanja Lüddecke, Thomas Steinert
Abt.: Braunschweiger Filmgeschichte(n)
Es geschehen wirklich noch Zeichen und Wunder: Da beherbergt man für die Zeit des Braunschweiger Filmfests einen Salzburger Cinephilen auf seiner Wohnzimmercouch – und bekommt als Gastgeschenk das Digitalisat eines Streifens überreicht, den man bereits seit Jahren verzweifelt sucht: Andreas Bethmanns WESTSTADT-MASSAKER-Trilogie, die der spätere Splatter-Porno-Papst zwischen 1991 und 1994 mit Anfang Zwanzig gar nicht unweit der Couch gedreht hat, auf der mein edler Spender seine Nächte verbringt, nämlich in der Braunschweiger Weststadt, jenem einst als Problemviertel geltenden, erst zwischen 1960 und den 80ern aus dem Boden gestampften jüngsten Bezirk der Löwenstadt, in dem Bethmann auch selbst seine Adoleszenz verlebt hat.
Meines Wissens sind die drei WESTSTADT MASSAKER seinerzeit einzig in kleinem Rahmen auf VHS erschienen; allerdings muss Bethmann später noch mindestens einmal Hand an sein Frühwerk gelegt haben: Die Fassung meiner DVD-R pendelt sich bei etwas mehr als neunzig Minuten Laufzeit ein und wird im Vorspann ausdrücklich als „Director’s Cut“ ausgewiesen. Die Jahresangaben 1991, 1993 und 1994 im Abspann legen wiederum nahe, dass diese Schnittversion aus Material aller Trilogie-Teile kompiliert wurde. Da ich keine gesicherten Angaben darüber habe finden können, wie lange denn die ursprünglichen WESTSTADT MASSAKER 1, 2 und 3 nun genau gewesen sind, (geschweige denn, ob es sich bei ihnen um Lang- oder Kurzfilme handelte), bleibt es eine offene Frage für mich, ob dieser „Director’s Cut“ sämtliches Material abdeckt, das Bethmann bereits Anfang der 90er in Umlauf brachte, oder ob wir es nicht vielmehr mit einer gestrafften, gekürzten, gestauchten Kompaktversion des einstigen Triptychons zu tun haben. (Und schon gar nicht mag ich mir einen Reim darauf machen, was denn die Bezeichnung „Director’s Cut“ in dem Zusammenhang für einen Sinn ergeben soll: Gibt es denn irgendeine Fassung des WESTSTADT MASSAKERS, die nicht vom Regisseur abgesegnet worden ist? Mir wäre neu, dass Bethmann irgendwelche Kommerz gegen Kunst ausspielende Produzenten im Nacken saßen, während er als Jüngling in seiner Freizeit Freunde und Bekannte zusammentrommelte, um sie mit Kunstblut zu besudeln.)
Ebenfalls anzumerken ist, dass Bild- und Tonqualität der DVD-R alles andere als ein Wellnessbad für Augen und Ohren sind. Schon das Ursprungsmaterial wird eingedenk der prekären Drehbindungen (eine einzige Videokamera; keine externen Tonaufzeichnungsgerätschaften; primitive Post-Produktion) sicher niemand mit einem Direct-to-Video-Slasher aus den USA verwechselt haben. Die verstrichenen Jahre haben dem Material ebenfalls nicht allzu gutgetan: Gerade in den Nachtszenen, (von denen es einige gibt), fällt es schwer, überhaupt irgendwas zu erkennen, und wenn ich mal auf Anhieb ein Wort der (spärlichen) Dialoge aufschnappe, dann wirkt es wie ein Glückstreffer. Allerdings ist die Verfassung, in der sich DAS WESTSTADT MASSAKER befindet, nun auch nicht wesentlich tiefer anzusiedeln als diejenigen anderer früher Bethmann-Werke à la DER TOTENHÜGEL oder TANZ DER KÜRBISKÖPFE, mit denen ich mich während meiner kürzlichen Bertucci-Retrospektive ausnahmslos in grobkörnigen, verrauschten VHS-Rips herumschlagen musste. Und andererseits versprüht es doch auch einen gewissen Charme, ein solches Amateurprojekt in einem ihm gemäßen Zustand präsentiert zu bekommen, (zumal gewiss kein Label dieser Erde in naheliegender Zukunft auf die Idee kommen dürfte, eine auf Hochglanz polierte 4k-Abtastung auf die Menschheit loszulassen.) Nun aber genug der Vorreden und ohne sich anzuschnallen und mit gelockerter Handbremse hinein ins Vergnügen:
DAS WESTSTADT MASSAKER beginnt in der mir vorliegenden Fassung mit einer Texttafel, die fließbandartig von unten nach oben durchs Bild läuft: „1991. Die Weststadt wird vom Massenmörder, den man Slaughterman nennt, heimgesucht…“ Das muss als Exposition reichen, denn im nächsten Moment eröffnen bereits die Vorspann-Credits mit einem Blatt Papier oder einer weißen Pappe, auf die jemand in Schönschrift „AB BD VIDEO-PRO präsentiert…“ geschrieben und darunter etwas drapiert hat, das ich aufgrund der mangelhaften Bildqualitäten vexierbildgleich abwechselnd für einen Säbel oder für einen Tierknochen halte. Auf jeden Fall tröpfelt aus dem Off Kunstblut auf den Gegenstand herab, das sein Perlen auch beim nächsten Bild nicht einstellt: DAS WESTSTADT MASSAKER ist nun, ebenfalls einem weißen Hintergrund per Handschrift anvertraut, zu lesen, wobei der Titel von weiterer roter Sudelei gerahmt wird und erneut ein nun eindeutig als Knochen erkennbares Objekt das Ganze verschönert, (und zwar scheint es um einen dieser Kauknochen zu handeln, die man im Tierhandel für seinen Vierbeiner bekommt, damit dieser sich spielerisch beim Draufherumbeißen das Gebiss reinigt.)
Das Sounddesign bei dieser kurzen Titelsequenz ist übrigens, wie bei allen mir bekannten frühen Bethmann-Filmen, etwas, das ich in gewissen Momenten durchaus als Ohrenschmaus bezeichnen würde: Frenetisches elektronisches Trommeln; atonales Klanggewitter; hohe und tiefe Frequenzen, die einander jagen. Wenn es für mich etwas gibt, das ich an Bethmanns Frühwerk immer besonders lobend erwähnen werde, und zwar völlig, ohne in den Ironie-Modus abzugleiten, dann wird es sein Talent sein, sehr krachige, auf Dauer sehr enervierende Soundcollagen in sympathischer DIY-Ästhetik zu zaubern. Auch in DIE WESTSTADT MASSAKER werden wir mit einer bunten Mixtur aus magenzusammenziehenden Drones, gelegentlichen monotonen Metal-Gitarren-Riffs und HALLOWEEN-esquem Synthiegeklimper verwöhnt, was zusammengenommen ein ziemlich unterhaltsames Paket zwischen reinem Noise-Gewitter und Ansätzen spannungssteigernder Melodiebögen ergibt. Apropos HALLOWEEN: In der ersten Szene, in der wir unserem „Slaughterman“ begegnen, hat sich dieser anscheinend gerade eine Michael-Myers-Memorial-Maske gebastelt und zieht sie sich voller Zufriedenheit vors Gesicht, - (wobei es mich allerdings irritiert, dass der Massenmörder seinen Gesichtsschutz aus einem Schraubstock herauspfriemelt und danach über ihn wegwischt, als müsse er Hobel oder Späne von ihm verscheuchen, so, als habe er ihn eigenhändig gedrechselt, dabei handelt es sich augenscheinlich um eine ganz gewöhnliche Gummimaske, wie man sie heutzutage für geringes Entgelt in der Faschingsabteilung des örtlichen Müllers bekommen kann.) In der nächsten Einstellung poliert unser Meuchler eine Sichel blitzeblank, bei der ich fast vermute, dass sie das Etwas ist, das ich während des Vorspanns für einen Tierknochen oder einen Säbel gehalten habe. DIESER FILM IST NICHT FSK GEPRÜFT!, schreit uns eine weitere von Bethmanns handschriftlichen Texttafeln entgegen, auf der sodann noch die Einblendung aufscheint: FSK – NEIN DANKE!
Bevor ich mir sagen kann, dass sich dieser Spruch (FSK – NEIN DANKE!) vielleicht auch gut als Autoaufkleber oder Gartenzaunschild machen würde, werde ich in eine Tiefgarage versetzt, wo sowohl wegen Bethmanns Verweigerung, etwas anderes als die schummrigen Deckenlampen des Parkdecks als Lichtquelle zu nutzen, wie auch aufgrund der verbrecherischen Bildqualität meines Rips größtenteils nur zu erkennen ist, wo sich schattigere Bereiche von helleren Bereichen abheben. Halbwegs ausmachen konnte ich immerhin, dass sich da ein Mann zum Biertrinken in den Untergrund zurückgezogen hat, und dass dieser hinterrücks vom Slaughterman attackiert wird, der ihm den Geräuscheffekten nach zu urteilen offenbar zügellos mit seiner Sichel zusetzt. Einen zweiten, ebenfalls an einer Bierpulle klebenden Mann, (der Herrn Nummer Eins verdächtig ähnlich sieht), ereilt gleich darauf das gleiche Schicksal, (oder sollte Bethmann da bei der Montage durcheinandergekommen sein und ein und denselben Mord versehentlich in zwei Szenen aufgeteilt haben?) Nachdem der zweite Mann die schwindenden Lebenskräfte noch nutzt, um den erlahmenden Arm nach seiner Bierflasche auszustrecken und sich einen allerletzten Schluck zu genehmigen, macht sich Slaughterman daran, ihm endlos lange und anatomisch äußerst fragwürdig mit der Sichel den Wanst aufzusäbeln, um ihm etwas zu entreißen, das vielleicht sein Herz oder irgendein anderes Gedärm sein soll, und es genüsslich zu verspeisen, (plakative Schmatz- und Schlürfgeräusche inklusive). Interessant finde ich, dass sich die anfängliche Gummimaske des Schlächters in mancher Naheinstellung und Großaufnahme als reichlich unförmige Gesichtsverkleidung offenbart, die Bethmann aus Eierkartons geformt haben muss, - diese sehr fiebrige, sehr schrille Musik indes tröstet über vieles hinweg.
Endlich sind wir im Westpark angelangt – und zwar bei einer Parkbank, die ich von mancher Hunderunde sehr gut kenne. Dort sitzt nun aber ein Mann, der mir wiederum völlig unbekannt ist, und der auch nur in die „Handlung“ des Films eingeführt wird, um das nächste Opfer des Slaughtermans abzugeben. Unser auf Wish bestellter Michael Myers schleicht sich in schlurfend-schnaubendem POV an den Banksitzer heran, rammt ihm ein Messer mitten in den Kopf, um ihm sodann die Schädeldecke regelrecht zu zerstampfen, bevor er es mit einem bloßen Handschlag schafft, dem Toten seine Rübe meterweit vom Hals zu fegen. Besagte Rübe nimmt Slaughterman mit in einen vom Schein vereinzelter Kerzen erleuchteten Keller, wo er einen nicht näher definiertes, vermutlich satanisches Ritual vollzieht: Dieses besteht darin, dass weiter auf den abgetrennten Kopf eingehackt wird, (im Grunde sollte der Schädel längst in alle Einzelteile zerbröselt sein, bei dieser Behandlung), dass er ihn skalpiert und sich anschließend an Teilen des Gehirns gütlich tut, (letzteres ist eine reine Mutmaßung meinerseits, da die katastrophale Lichtsetzung in dieser Szene weitgehend im Unklaren lässt, was genau da nun eigentlich für Sauereien praktiziert werden.)
Meine vielleicht liebste Szene des Films: Bei hellem Tag (!) steigt Slaughterman axtbewaffnet die Treppe einer Schnellstraßenbrücke hinauf und posiert mit seinem Mordwerkzeug vor einem Ortsschild der „Weststadt Braunschweig“, während eine Endlosschleife PKWs an ihm vorbeirauscht. Großartig! Ebenso großartig finde ich, dass Bethmann nun endlich einmal – (immerhin befinden wir uns bereits fast eine Viertelstunde im Film) – beginnt, so etwas Ähnliches wie unterscheidbare Charaktere aufzustellen: Wir bekommen es mit einem Freundestrio zu tun, deren Namen ich wegen der grottigen Soundqualität kein bisschen verstanden habe, zu denen jedoch Bethmann höchstselbst gehört. Dieser ruft spontan einen Kumpel an, um ihm zu fragen, ob er denn Lust habe, mal wieder einen saufen zu gehen? Besagter Kumpel motiviert einen dritten Saufkumpan – und schon hat man sich in den Timmerlaher Busch, ein beschauliches Waldstück am Rande der Weststadt, zurückgezogen, wo man zunächst den Bierdurst stillt und dann die Pokerkarten auspackt – wohlgemerkt mitten im Gehölz, wo sich unsere furchtlosen Drei auf den sicher sehr bequemen Waldboden fläzen, um einander während des Kartenzückens unaufhörlich als „alter Sack“ oder „Schleimbolzen“ zu beleidigen. Irgendwann drückt natürlich die Blase, was nichts anderes heißt, als dass sich zunächst einer der Rasselbande unnötig weit von der Gruppe weg ins Gebüsch begibt: Hosenstall wird geöffnet; Penis wird gezückt; grunzendes POV nähert sich; unser Wildpisser bemerkt den Slaughterman selbst dann noch nicht, als dieser direkt hinter ihm steht und ihm langsam eine Heckenschere zwischen den Beinen durchschiebt; aufmerksam wird der bedauernswerte Bub auf den ungebetenen Besucher erst, als ihn ein schneller Schnitt seines besten Stücks beraubt – (und für einen Bethmann, der sich noch Jahre entfernt befindet von seinen berühmt-berüchtigten Gewaltporno-Exzessen ist das ein zugleich sehr drastischer wie auch ein mit einer einigermaßen überzeugenden Penisprothese aufwartender Effekt.)
Nach der Kastration malträtiert Slaughterman sein Opfer noch ein bisschen mit der Axt, indem er diese auf die Hand des Jungen eindreschen lässt, - und dann ist, gemäß der goldenen Regeln des Slasher-Genres, schon der Nächste an der Reihe, denn inzwischen haben sich Bethmann und sein Freund über das lange Ausbleiben ihres Kameraden gewundert und begonnen, nach ihm zu fahnden – natürlich getrennt voneinander, weshalb zunächst derjenige der Clique, der nicht von Bethmann verkörpert wird, dem Slaughterman in die Arme läuft und beim Wegrennen mitten in einen vertikal in seine Fluchtroute hineinragenden spitzen Ast stolpert, der ihm kurzerhand den kompletten Körper durchstößt, (Fulci, anyone? – und: wirklich göttlich, die Sounds, die dazu eingespielt werden: Wie eine völlig verzerrte Notfallsirene aus dem Epizentrum der Hölle!) Bethmann wiederum kommt ebenso wenig mit dem nackten Leben davon. An ihn pirscht sich Slaughterman rücklings heran, umfasst seinen Hals mit einem Strick und stranguliert ihn, bis ihm die Augen aus den Höhlen treten (im übertragenen Sinne) und das Kunstblut aus der Kehle suppt (im wörtlichen Sinne). Im Anschluss tut Slaughterman etwas, das ich beim besten Willen nicht begreife: Er hebt für jedes seiner Opfer ein Grab aus, verscharrt sie unter Laub und Erde, und spickt jede Grabstätte mit einem improvisierten Holzkreuz aus Zweigen und Ästen, - wobei die einzelnen Gräber sichtlich nicht viel tiefer als dreißig Zentimeter in den Erdboden reichen und im Endergebnis eher aufgeschichtete Laubhäufen darstellen, aus denen die Kreuzchen nahezu marktschreierisch herausragen, als wolle der Slaughterman es unbedingt darauf anlegen, dass seine Opfer baldmöglichst aufgestöbert werden.
Schnitt zu irgendeiner Landstraße, wo irgendeine Frau irgendein Tier mit ihrem PKW überfährt, es angewidert unterm Vorderreifen hervorzieht, in eine Plastiktüte steckt – und auf die abwegige Idee kommt, das für mich undefinierbare Geschöpf, (bei dem es sich um ein etwas mit Ketchup bekleckstes Plüschtier handeln dürfte), just mitten im Timmerlaher Busch beizusetzen. Wie es der Zufall will, landet das überfahrene Wesen ausgerechnet auf dem Grab Bethmanns, wo das animalische Blut die Laub- und Erdschichten durchsickert und damit genau den Effekt erzielt, den man aus zahllosen Horrorstreifen kennt: Blut ist Leben, weshalb Blut auch dort Leben schenkt, wo eigentlich kein Leben mehr ist. In anderen Worten: Es knistert und raschelt im Laub, und in bester Italo-Zombie-Manier erhebt sich ein verdreckter Bethmann aus seinem feuchten Grab. Sein Sinn steht ihm nach Rache, - was sich gut trifft, denn der Slaughterman treibt sich immer noch im Timmerlaher Busch herum, wo er orientierungslos seine Sichel spazieren trägt, auf der Suche nach Frischfleisch. Weil dieses Wäldchen, was Werkzeug betrifft, ähnlich gut ausgestattet scheint wie ein Baumarkt, findet auch Zombie-Bethmann beim verpeilten Herumschwanken eine zufällig in einem Baumstumpf steckende Axt – und der Zweikampf der Giganten kann beginnen! Da Bethmann weiß, wie episch die Kollision seines untoten alter egos mit dem Weststadt-Michael-Myers ist, nutzt Bethmann exzessiv Zeitlupenaufnahmen, wenn sich die Kontrahenten alsbald gegenüberstehen. Das zugehörige Gitarrengeschrammel lässt das Duell nur noch mehr wie eine Parodie auf gängige Karate- und Kung-Fu-Vehikel der 80er wirken. Am Ende des Scharmützels geht Zombie-Bethmann als Sieger hervor: Er trennt dem Slaughterman den Kopf von den Schultern, treibt eine Weile seine Späße mit ihm, indem er ihn immer wieder mit der Axt schlägt oder wie einen Fußball herumkickt, und ergeht sich endlich in einem wirklich oscareifen Urschrei, der klingt, als sei seine ruhelose Seele nach der Ermordung seines Erzfeindes nunmehr erlöst, - während ich mich frage, wohin der Film denn nach diesem Showdown noch laufen soll, wo doch der hauptsächliche Antagonist bereits über den Jordan geschickt wurde, kaum haben wir die Dreißig-Minuten-Marke geknackt?
Szenenwechsel: Während in irgendeinem Keller die knurrende und keuchende POV-Videokamera (inklusive Heckenschneidemaschine!) von Parzelle zu Parzelle schleicht, sind in einem anderen Keller, der sich räumlich vom ersten getrennt befindet, zwei Fahrradschrauber bei der Arbeit. Wie die beiden Burschen heißen, die sich minutenlang vor einem Ensemble aus Einmachgläsern an einem Drahtesel zu schaffen machen, habe ich einmal mehr nicht aus dem dumpfen Soundbrei der Tonspur heraushören können., (falls ihre Namen dort überhaupt fallengelassen werden.) Gleiches gilt für den Dialog der Herren, in dem es anscheinend – so viel zumindest habe ich mir mühsam zusammengereimt – um irgendeinen dritten Typ geht, der die beiden aus irgendwelchen Gründen abgezogen habe. Um sich nun an jener Person zu rächen, beschließen die Bastler kurzerhand dem Fahrradkeller des Genannten einen Besuch abzustatten, denn dort sollen wertvolle Mountainbikes lagern, die man widerrechtlich ihrem Besitzer entreißen möchte. Gesagt, getan: Eine weitere sich wie Kaugummi ziehende Szene bebildert detailverliebt, wie unsere neuen Helden in einen PKW einsteigen, diesen umständlich aus der Parkbucht herausbugsieren, eine kleine Spritztour durch die unansehnlicheren Straßen der Weststadt unternehmen, und schließlich vor einem weiteren Hochhausblock zum Stehen kommen, wo sie sodann wie vom Affen gebissen aus dem Auto stürmen, als zähle plötzlich jede Minute, um an den mutmaßlich in den Katakomben des Gebäudes versteckten Fahrradschatz zu gelangen. (Schön ist übrigens die Euphorie, mit der eine beim Einsteigen ins Fahrzeug des anderen loskreischt: „Ey, der hat Fishermans Friends im Auto!“) Ihr könnt es euch sicher längst denken: Natürlich handelt es sich bei dem Keller, in dem die künftigen Tour-de-France-Anwärter ihren Diebeszug vollziehen wollen, genau um jenen, in dem vorhin die subjektive Röchel-Kamera umhergestakst ist – und es dauert auch nicht lange und schon sehen sich unsere Freunde, nachdem sie die Parzelle ihres Intimfeindes aufgebrochen haben, dem Schädel des Slaughtermans gegenüber, der dort aufgebahrt worden ist Unsere Bastler sind sichtlich verstört, während ich blitzschnell kombiniere: Also scheint es Zombie-Bethmann nicht dabei belassen zu haben, den Slaughterman um die Ecke zu bringen, vielmehr muss er nunmehr in dessen Fußstapfen getreten sein, hat sich seiner Waffen versichert und veranstaltet in seinem Keller – (denn beim Intimfeind der Bastler kann es sich demnach um niemand anderen als Bethmann höchstselbst handeln) – exakt dieselben okkulten Rituale wie der Weststadt-Killer zuvor. (Eine Validierung meiner These wird freilich dadurch erschwert, dass wir bis zum Finale niemals das Gesicht des Schlächters zu sehen bekommen: Stets repräsentiert das hechelnde Monstrum die unvermeidliche POV-Kamera.)
Großartig über den Sinn nachzudenken, den der Film mit diesem narrativen Hakenschlag nimmt, bleibt mir keine Zeit, denn schon nähert sich die Heckenschneidemaschine den Fahrradfreunden, vor der einer der beiden schreiend Reißaus nimmt, der andere jedoch über die eigenen Füße stützt und dies mit dem Verlust seines Beines bezahlt, auf dessen Unterschenkel die Schneidemaschine zumindest so tut, als würde sie ihm Haut und Knochen durchschneiden. Der Flüchtende indes entert die nächste Telefonzelle, und versucht, die Polizei zu kontaktieren. Selbst mir als Spätgeborenem ist bewusst, dass man auch im analogen Zeitalter kostenfrei per Notrufknopf mit der nächsten Polizeistation verbunden werden konnte, unser Fahrradbastler scheint davon kurioserweise noch nie etwas gehört zu haben, denn er muss feststellen, dass er nicht genügend Hartgeld in der Tasche hat, um den Anruf tätigen zu können, und rennt deshalb weiter zu einer Tankstelle, wo er den Wart atemlos bittet, er solle ihn unbedingt telefonieren lassen. Ob er dies schafft und was die Beamten zu seiner abenteuerlichen Geschichte sagen, verrät die mir vorliegende Fassung des WESTSTADT MASSAKERS leider nicht. Einen Schnitt später scheint einige Zeit ins Land gezogen zu sein und auch der überlebende Fahrradschrauber spaziert seelenruhig am Rand irgendeiner Landstraße entlang, als hätte es den Anschlag auf seinen Leib und sein Leben nur eine Szene zuvor nicht gegeben. Da nähert sich ein PKW aus der Ferne – und brettert direkt auf unseren Freund zu, dass dieser (via eines gar nicht so schlechten Stunt-Sprungs) in Zeitlupe quer über die Motorhaube wirbelt, anschließend auf dem Asphalt liegenbleibt und es reglos hinnimmt, dass der Fahrer ihm mehrmals über seinen linken Arm fährt, bis dieser einer matschigen Pizza gleicht. Wunderschön wird diese Szene von einem infernalischen Rocksong untermalt, bei dem ich lyric-technisch immer nur „Ausgeburt der Hölle“ verstehe. (Häkchen an die obligatorische D’Amato-Referenz.) Während ich mich noch frage, ob denn Zombie-Bethmann hinter dieser Attacke steckt, wie dieser, der nach seiner Erweckung umhertorkelte wie ein betäubter Braunbär, es fertiggebracht haben soll, sich einen PKW zu besorgen, und wie er bloß an das Wissen gelangt sein soll, an welchem konkreten Ort sich der lästige Augenzeuge zu welcher konkreten Uhrzeit aufhält, ergeht sich der Film weitere kostbare Minuten darin, die Gräber eines Friedhofs Stück für Stück abzuklappern – und das meine ich wortwörtlich: So lange wie die Szene dauert, dürften es nicht mehr viele Ruhestätten sein, an denen Bethmanns Kamera nicht vorbeigehuscht ist. Wir befinden uns mitten in der Nacht, im Hintergrund ertönt ritueller Ambient, und irgendwer, (na, wer wohl?), buddelt ein Loch im Erdboden, um etwas hineinzuwerfen, das verdächtig nach einem menschlichen Bein aussieht. Handelt es sich also um das kurz zuvor abgeschnittene Bein von Fahrradbastler Nummer Eins? Weshalb aber bestattet Zombie-Bethmann dieses auf einem offiziellen Gräberfeld? Und weshalb haben wir nunmehr die Hälfte der Laufzeit erreicht und noch immer keine nominelle Heldenfigur, sondern lediglich eine Handvoll willkürlicher Pappnasen, die, kaum dass sie in die Handlung eingedrungen sind, schon wieder auf dem Gottesacker enden?
Deswegen ist es an der Zeit, weitere willkürliche Figuren in den Topf zu schmeißen: Ein junges heterosexuelles Pärchen stapft durch den Timmerlaher Busch; er ist rattengeil und möchte seine Liebste ins nächste Unterholz zerren, (euphemistisch ausgedrückt: „Hey, wollen wir uns nicht in die Büsche schlagen?“); sie wiederum spricht mit der Stimme der Vernunft, denn wieso sollte man den Beischlaf unbedingt in einem Herbstwäldchen vollziehen, wo doch sicher jeder der beiden auch ein bequemes Bett, eine bequeme Couch sein eigen nennt? Der männliche Part ist zwar nicht besonders rhetorisch geschickt, jedoch reißt das seine Hartnäckigkeit raus, mit der er es dann doch schafft, seine Begleitung dazu zu veranlassen, ein paar Meter vom Weg wegzustiefeln und sich an einen Baumstamm zu lehnen, wo er sie zunächst abknutscht und befummelt. Bethmann ist für Innovationen nicht zu haben, weshalb sich, kaum hat die Männerpfote sich unter den Damenpulli verirrt, die POV-Kamera im Busch materialisiert und langsam, aber schnaufend zu unseren Liebenden stampft. Diese bemerken den ungebetenen Zaungast ihres Pettings erst, als dieser direkt hinter ihnen steht. Im Affekt trennt man sich: Die junge Frau sprintet gazellengleich tiefer ins Wäldchen hinein, der Bub hastet in die genau entgegengesetzte Richtung – und geht Zombie-Bethmann wortwörtlich in die Falle, scheint dieser den Timmerlaher Busch doch inzwischen mit Fanggeräten gespickt zu haben. Namentlich ist es ein Seil, das sich dem Knaben um die Füße schlingt und ihn kopfüber vom Boden reißt, wo er sodann hilflos in der Luft baumelt, darauf wartend, dass Zombie-Bethmann ihn herablässt und ihn mit der Heckenschneidemaschine streichelt. (Auch „Streicheln“ ist in dem Zusammenhang wortwörtlich gemeint – und dass die Maschine, mit der das Monstrum seinem Opfer angeblich den Rücken zerfetzt, nicht mal eingeschaltet ist, tut sein Übriges dazu, diese Mordszene, sagen wir, eher unauthentisch wirken zu lassen.) Die Perle des soeben Zerhackstückten rennt derweil weiter durch die Büsche. (Anmerkungen eines Ortskundigen: In Wirklichkeit kann man den Timmerlaher Busch in erhöhtem Lauftempo in vielleicht zehn Minuten komplett durchqueren; im Paralleluniversum vom WESTSTADT MASSAKER indes scheint das Gehölz mindestens die Ausmaße des Teutoburger Waldes zu haben.) Endlich hält sie inne, um zu verschnaufen, - und weil Zombie-Bethmann die Fähigkeit jedes Slasher-Killers, der etwas auf sich hält, besitzt, sich beliebig durch den Raum teleportieren zu können, steht das Untier plötzlich direkt hinter ihr, um dem Mädchen (in Zeitlupe!) die Kehle zu zerschlitzen, (was übersetzt so viel heißt wie: Ein Messer wird mit der stumpfen Seite der Klinge an der bereits zuvor mit Blutersatz betröpfelten Gurgel entlanggezogen.)
Neuerlicher Szenenwechsel: Auf einer Parkbank sitzt eine weitere Teenagerin und scheint auf irgendwen zu warten. „Wo bleibt die Alte, ey!“ Die Alte heißt Melanie und ist, wie wir noch erfahren werden, mit jenem Mädel identisch, das gerade eben Zombie-Bethmann in die Fänge geraten ist. Elegisch walzt der Film die Zerknirschtheit von Melanies Freundin aus, dass diese, Melanie, nicht pünktlich zu ihrem Date aufkreuzt, begleitet sie zu einer Telefonzelle, von wo sie irgendwen anruft, der ihr mitteilt, dass Melanie vermutlich „im Wald“ sei, und folgt ihr sodann aus dem Stadtgebiet raus in den Timmerlaher Busch: „Die ist bestimmt wieder mit einem Typ hinterm Gebüsch!“ (Wie es Bethmann schafft, sich bei so wenig narrativem Content auch noch in Widersprüche zu verwickeln, erstaunt mich sehr: Zuvor hat sich Melanie eher keusch gebärdet und eher widerwillig in die Avancen ihres Boyfriends eingewilligt; nun zeichnen sie die Monologe ihrer Busenfreundin plötzlich als regelrechte Nymphomanin.) Der Timmerlaher Busch demgegenüber ist derweil auf seine realistische zusammengeschrumpft, denn kaum hat Melanies Freundin das Wäldchen betreten, steht sie auch schon Bethmann-Zombie gegenüber, der Melanie eigentlich mit der Heckenschneidemaschine zersäbeln möchte, sich aber erstmal mit dem leeren Tank seines Phallusersatzes herumärgern muss. Flugs ist allerdings ein Benzinkanister zur Stelle – (was in diesem Wald nicht so alles rumliegt!) – und das Ding einsatzbereit. (Offensichtlich handelt es sich bei der Heckenschere nicht um eine, die per Benzin betrieben wird. Klar und deutlich ist mehrere Male ein Kabel zu erkennen, das von ihrem Hintern herabbaumelt. Um das zu kaschieren, schwenkt die Videokamera dann auch konsequent zur Seite, während Zombie-Bethmann sein Mordwerkzeug vermeintlich mit Benzin füttert. Putzig ist auch, wie Bethmann besagtes Kabel öfters mal in seinem Hemdsärmel zu verstecken versucht.) Während Zombie-Bethmann noch mit der Maschine beschäftigt ist, rüttelt Melanies Freundin Melanie zurück ins Leben, - denn trotz Kehlenschnitt ist ihr dasselbige noch nicht ausgegangen! Bevor die beiden die Flucht antreten können, unterbindet Zombie-Bethmann etwaige Ausbüchsaktionen und setzt Melanies Freundin mit einem Fausthieb (in Zeitlupe!) k.o., (wozu die Metal-Gitarren vor misogyner Freude nur so schrammeln.) Melanie indes versucht, sich kriechend auf allen Vieren aus der Affäre zu ziehen. Was aus ihr wird? Das erfahren wir nicht, denn jetzt müssen erstmal der Schauplatz gewechselt und neue Figuren eingeführt werden, denn das hatten wir ja nun schon bald zehn Minuten nicht mehr.
Ort ist irgendein Haus bei Nacht, durch das die inzwischen nun doch sehr arg überstrapazierte subjektive Kamera kraucht; Opfer ist eine arme Mieze, die Zombie-Bethmann mit Wurstscheibchen ein paar Treppenstufen herablockt, wo er sie packen kann, (und uns eine gnädige Schwarzblende den Anblick genuinen Animal Snuffs erspart). Danach geht’s in den Wald, und zwar mit der Katze im Sack, die dort (unter anhaltendem Off-Maunzen) gegen die Mauer einer Ruine geschlagen wird, bis sie keinen Mucks mehr von sich gibt. Anschließend zerschnippelt Zombie-Bethmann das, was der Katzenkadaver sein soll, in seine Einzelteile, spritzt Kunstblut herum, schmiert gar das eine oder andere kabbalistische Symbol an die Steinwände. Ach, fragt mich gar nicht erst danach, was das nun bedeuten soll, und noch weniger, wieso es uns im Anschluss nahtlos unter eine Autobahnbrücke verschlägt, wo ein Saufkumpan, der habituell nun wirklich jedes einzelne Obdachlosenklischee erfüllt, sich mit einer Tüte voller Wolters-Bier zuzuschütten gedenkt – (und zwar mit den 0,3-Liter-Fläschchen dieser ehemaligen Braunschweiger Hofbrauerei, die der Connoisseur auch unter dem Kosenamen „Bombe“ kennt). Auch Zombie-Bethmann plagt der Durst, allerdings der nach dem Beendigen menschlichen Lebens, weshalb er sich in bekannter Manier an den Trinker heranpirscht, sich eins der Fläschchen greift, es zerdeppert und dem armen Zausel die zerfaserte Kante desselbigen anschließend mitten in die Halsschlagader rammt. Erwartungsgemäß verstirbt der Mann röchelnd, und ebenso erwartungsgemäß macht sich Kannibale Bethmann sogleich an seinem Leichnam zu schaffen, dass es suppt und schmatzt. (Wie wundervoll es einfach nur ist, dass ein Vater mit seinem halbwüchsigen Sohn unter der Autobahnbrücke hindurchradelt und die Videokamera den beiden kurz hinterherschaut: Während die Radler sich keinen Deut für das Massaker an dem Obdachlosen interessieren, wirkt es, als würde der Kamera-Operateur für ein paar Sekunden seinen Fokus verlieren und das Vater-Sohn-Gespann wesentlich aufregender als die groben Gore-Effekte direkt vor seiner Linse finden.) Beendet wird diese Vignette damit, dass ein weiterer dem Alkohol zugeneigter Rocker auftaucht, glaubt, dass sein steif herumliegender Kollege sich lediglich bis zur Bewusstlosigkeit besoffen hat, die Gelegenheit nutzt, ihm ein bisschen was von seinen Wolters-Vorräten abzuzwacken, und dann wieder davonmarschiert, unbehelligt von Zombie-Bethmann, der den Tatort anscheinend längst verlassen hat. Puh, verlassen könnte aber auch mal dieser Film seine unbeholfen mäandernde Struktur, zumal uns kaum noch zwanzig Minuten vom Abspann trennen. Sollte DAS WESTSTADT MASSAKER nicht wenigstens auf den letzten Metern endlich mal anfangen, so etwas Ähnliches wie eine Geschichte zu erzählen, sprich, seine zahllosen losen narrativen Fäden wenn auch noch so notdürftig zu etwas Kohärentem zusammenzubinden?
Als habe Bethmann mein inneres Flehen erhört, nimmt kurz vor Torschluss doch noch eine Art Story Fahrt auf: In einer verfallenen Baracke mitten im Wald nämlich erwacht die Freundin Melanies. Der Fausthieb, den Zombie-Bethmann ihr verpasst hat, scheint sie nicht getötet, sondern dem Unhold vielmehr die Möglichkeit geliefert zu haben, die junge Frau in sein Versteck zu verschleppen. Dort liegt sie nun leblos herum, während Zombie-Bethmann mit allerhand Stricken und Handschellen hantiert, dass es jemandem, der mit seinem späteren Oeuvre auf vertrautem Fuß steht, eiskalt den Rücken runterläuft. Natürlich schlägt DAS WESTSTADT MASSAKER sich nun nicht unvermittelt in die Bresche chauvinistischer Hardcore-Vergewaltigungsphantasien, sondern Melanies Freundin – (es ist ja wirklich ärgerlich, dass sie entweder keinen eigenen Namen besitzt, oder ich ihn bislang akustisch nicht mitbekommen habe) – erwacht aus dem Tiefschlaf, als ihr Entführer sie gerade an einem Stahlbalken festbinden und, vermute ich, mit seiner geliebten Heckenschneidemaschine kitzeln möchte. Der folgende Dialog ist pures Gold: Kaum hat Melanies Freundin nämlich das Gesicht ihres Kidnappers erblickt, bricht es aus ihr hervor: „Bitte nicht, ich hab Dir nichts getan! Warum ich, warum ich!? Ey, Andreas, das bist Du doch! Andreas, das bist Du! Du bist doch seit 2 Jahren vermisst!“ (Einmal abgesehen davon, dass Bethmann in DAS WESTSTADT MASSAKER unter seinem bürgerlichen Namen agiert, - und dieser Film damit so etwas wie sein ureigener 8 1/2 ist! – halte ich an dieser Stelle drei Dinge für bemerkenswert: A) Offenbar wurden das leere Grab Bethmanns und die Leichen seiner beiden Freunde bislang nicht gefunden, denn sonst würde Bethmann ja nicht als vermisst, sondern als mausetot gelten, und B) Müsste Melanies Freundin nicht bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Zombie-Bethmann im Timmerlaher Busch dessen Gesicht gesehen haben, oder trug er damals etwa eine Maske?, und C) Weshalb, beim neunschwänzigen Teufel, begeht das Opfer eines Massenmörders, nachdem es mittels Tierblut versehentlich zum Leben erweckt worden ist und seinen einstigen Peiniger in die Ewigen Jagdgründe geschickt hat, fortan Taten genau nach demselben Muster, wie sie sein eigener Mörder gepflegt hat? Ach, ich mache mir wieder echt zu viele Gedanken, oder?) Melanie jedenfalls denkt nicht viel nach, nutzt besser die Gunst der Sekunde und versetzt Zombie-Bethmann einen herzhaften Tritt zwischen die Beine. Auch die Handschellen, mit denen sie eigentlich gefesselt ist, lassen sich plötzlich kinderleicht abstreifen. Einen Lidschlag später flieht die junge Frau bereits über Stock und Feld in die weite Welt und Zombie-Bethmann bleibt sich windend vor Hodenschmerz allein in seinem Versteck zurück.
Eine Texttafel informiert uns, dass nunmehr drei Tage vergangen sind. Worüber mich niemand informiert hat, - (möglicherweise sind mir angesichts der rauschenden Tonspur schon wieder Feinheiten der Dialoge entgangen) -, das ist, dass der junge Mann, den wir nun in seiner Wohnung treffen und der an Krücken geht, derjenige der beiden Fahrradbastler sein soll, dem Zombie-Bethmann sein Bein abgesägt hat. Weshalb er diesen Angriff überlebt hat, weshalb Zombie-Bethmann ihn nicht gleich ganz umgebracht hat, weshalb Zombie-Bethmann stattdessen sein abgesägtes Bein auf dem Friedhof beigesetzt hat? – ich weiß es nicht. Allerdings ist der beinamputierte Fahrradschrauber augenscheinlich mit Melanies Freundin bekannt, denn er ruft diese per Haustelefon an, nachdem er sich etwas gediegene 90er Musik aufgelegt hat („What is Love“ von Haddaway nämlich). Melanies Freundin verkündet aufgeregt, sie müsse ihm dringend etwas Wichtiges erzählen, (und weshalb hat sie dann ihren Freund dann nicht selbst angerufen, sondern offenkundig tagelang darauf gewartet, dass er die Wählscheibe bemüht, ehm?) Obwohl, wie gesagt, der Anruf von ihm ausgeht, und obwohl Melanies Freundin in einer Prä-Smartphone-Zeit ja eigentlich zu Hause sein müsste, steht sie nur eine Minute später vor der Wohnungstür des Knaben und berichtet ihm nun von ihrem Abenteuer mit Zombie-Bethmann im Wald – (wohlgemerkt: drei Tage NACH dem Vorfall, in denen sie anscheinend keinen Finger krummgemacht und das Wissen, dass da ein Totgeglaubter massenmordend durch die Randgebiete Braunschweigs wütet, ganz allein mit sich ausgehandelt hat, ehm?) Und wer dachte, Bethmann könne den Monolog von Melanies Freundin im Verließ seines Antagonisten nicht toppen, den belehrt der Meister im folgenden Dialog zwischen dem gehbehinderten Fahrradschrauber und Melanies Freundin eines Besseren. Melanies Freundin erzählt die „blöde Geschichte“, wie sie Bethmann dabei erwischt habe, als dieser gerade Melanie zerschneiden wollte; außerdem sei Andreas Bethmann seit zwei Jahren tot, sie wüsste aber, wo sein Versteck ist“; dann verkündet sie den Tod Melanies, was unsere Helden in gemeinsames Wimmern ausbrechen lässt: „Warum ausgerechnet Melanie? Warum nicht die dumme Elke!?“ Ergebnis des Gespräches ist, (zumindest soweit ich es verstehen konnte), dass der Fahrradfreak nach Kralenriede, einem weiteren Stadtteil Braunschweigs, aufbrechen möchte, um Bethmann, der sich eben dort aufhält, endlich dingfest zu machen. O-Ton: „Der wird so kalt gemacht.“ (Und wer mal einen Blick auf die Stadtkarte Braunschweigs wirft, der wird sich sogleich fragen, wie Zombie-Bethmann denn eine ohnmächtige Frau von der Weststadt nach Kralenriede geschafft haben soll, wo die beiden Bezirke einander doch quasi diametral gegenüberliegen. Oder hat er sie etwa in seinem PKW transportiert? Puh, diese Story ist zum Haareraufen!) Als Komplizen hat sich der einbeinige Bastler dazu seinen Bike-Buddy ausgeguckt, denn – Surprise, Surprise! – dieser hat ebenfalls Bethmanns Autoattacke samt Fahrerflucht lebend überstanden, auch wenn er nun seinen Arm in Gips tragen muss. Bei all diesen Wendungen und Drehungen bin ich genauso sprachlos wie bei dem Anblick der beiden Invaliden, die humpelnd und stöhnend losziehen, um einen gemeingefährlichen, satanistischen, untoten Meuchelmörder außer Gefecht zu setzen. (Wäre DAS WESTSTADT MASSAKER nicht so völlig ironiebefreit inszeniert, hätte ich spätestens an diesem Punkt geschworen, es mit einer dezidierten Genre-Parodie zu tun zu haben.)
Im Showdown geschieht dann im Grunde nichts Nennenswertes mehr: Die Bastler stellen Bethmann in einem Areal, das nach verlassener Bunkeranlage ausschaut; es kommt zum Kampf auf Leben und Tod, bei dem erst der Fahrradschrauber mit der Beinprothese von Bethmann aus höchster Höhe ins Jenseits geschleudert wird, Bethmann selbst dann aber vom Fahrradschrauber mit dem vergipsten Arm im direkten Zweikampf ein Messer in den Leib empfängt, das ihn auf die Bretter schickt. Erschüttert über den Tod seines Freundes zieht der Überlebende von dannen – und merkt nicht, dass Zombie-Bethmann schon wieder die Äuglein zu neuen Schandtaten aufschlägt, sodass alles förmlich nach Sequel schreit, (nur leider ist ein vierter Teil des WESTSTADT MASSAKERS nie produziert worden.) Der Film endet mit einer Standaufnahme Bethmanns, wie er seine Heckenschneidemaschine vor der Kameralinse hin und her schwenkt, und dabei eine Grimasse zieht, als habe er erfahren, dass es die nächsten drei Wochen Dauerregen geben wird. Den minimalistisch gehaltenen Abspann versüßen schließlich Klänge von Bethmanns Band „Materialschlacht“, die ein eigenes Stück zum Thema „Weststadt Massaker“ komponiert hat, (von dem ich indes auch immer nur den Refrain verstehe, der, wen erstaunt’s?, lautet: „Das ist das Weststadt Massaker! Das Weststadt Massaker!“) Dann Schwarzblende und: Ende der Geschichte, Ende des Kinos.
Aber noch nicht Ende dieser Kurzkritik, denn ein paar abschließende Worte muss ich doch noch über diese Wundertüte an Inkohärenz und Disruption verlieren: Wer sich, (wie ich), in einem Anflug von Sadomasochismus bereits einem Gros des Oeuvres Andreas Bethmanns ausgesetzt hat, der weiß, dass es definitiv nicht zu den Stärken des Braunschweigers zählt, eine Geschichte, und selbst wenn sie noch so skizzenhaft, noch so rudimentär sein sollte, so zu erzählen, dass sie völlig ohne Logiklöcher, dramaturgische Knochenbrüche und den allgemeinen Eindruck auskommt, sie sei weniger im Vorfeld ersonnen, sondern eher spontan improvisiert worden. Wie alle anderen Bethmann-Frühwerken à la INSEL DER DÄMONEN oder HÜGEL DER LEBENDEN TOTEN besitzt DAS WESTSTADT MASSAKER den Charakter einer Nummernrevue: Mord reiht sich an Mord; Figuren werden lieb- und ziellos in die, hust, „Handlung“ geworfen, nur um, ihrem Status als Kanonenfutter gemäß, sogleich wieder gewaltsam aus ihr zu verschwinden; zudem agieren die Figuren derart konsequent zuwider jeder menschlicher Vernunft, dass ihrem Handeln zuweilen beinahe schon surreale Qualitäten innewohnt; ebenso surreal sind auch die (wenigen) Dialogen, aus denen man Stilblüten für mehrere bierselige Runden extrahieren könnte, würde man sie nur einigermaßen deutlich vernehmen; viele Unstimmigkeiten dessen, was man in Ermangelung eines besseren Wortes als „Plot“ bezeichnen könnte, habe ich ja schon in meiner Inhaltsangabe herausgestellt. Wo sich beispielweise ein Andreas Schnaas in seinem nur zwei Jahre früher entstandenen VIOLENT SHIT gleich ganz auf eine reine Body-Count-Angelegenheit verlässt, und gar nicht erst versucht, über seine Metzeleien hinaus irgendwas zu erzählen, verzettelt Bethmann sich hoffnungslos, sobald er beginnt, DAS WESTSTADT MASSAKER in die Nähe klassischen Erzählkinos zu rücken. Ich finde es nahezu schon bewundernswert, wie kolossal der Film darin scheitert, seine drei, vier relevanten Plotpunkte in irgendeine stimmige Beziehung zueinander zu rücken.
Daran ist aber natürlich nicht zuletzt auch die krude Montage Schuld, die oftmals so wirkt, als seien da ein paar Szenen im Schneideraum versehentlich durcheinandergeraten. Natürlich kann der Flicktenteppichnimbus, der den gesamten Film umgibt, auch Bethmanns späteren Interventionen für den „Director’s Cut“ geschuldet sein. Andererseits folgt DAS WESTSTADT MASSAKER doch weitgehend einer diachronen Achse, anhand derer man auch diese Finalfassung in drei etwa gleichgroße Segmente unterteilen kann, die möglicherweise ja sogar mit den ursprünglichen drei Teilen identisch sind: 1) Die Umtriebe des Slaughterman bis zu seiner Ermordung durch Zombie-Bethmann, (was in etwa die erste halbe Stunde ausmacht), 2) Die Umtriebe Zombie-Bethmanns bis zur (überraschend non-letalen) Attacke auf die Fahrradbastler, 3) Die Rache der Fahrradbastler nebst des Theaters um Melanie und Melanies Freundin. Trotzdem kreisen natürlich um einige Szenen weiterhin Fragezeichen wie Fledermausschwärme, und bei manchem Moment bin ich mir immer noch nicht sicher, ob Bethmann da nicht ein Ironie-Äffchen im Nacken gesessen und ihn eifrig gebissen hat. Ganz sicher nicht ironisch gemeint sind indes die eklatanten Gewaltexzesse, die zwar perfide ausgeheckt sind, jedoch heftig unter ihrer armseligen handwerklichen Umsetzung leiden. Die Beschränkungen im FX-Sektor halten Bethmann andererseits jedoch davon ab, wirklich hemmungslos auf den Putz zu hauen: Dass gar ein Penis in Großaufnahme abgeschnippelt wird, hat mich in einem Werk Bethmanns lange vor seiner horizontalen Phase dann doch sehr überrascht, zumal sich die Folgefilme ja weitgehend von sexueller Gewalt beziehungsweise Gewalt gegenüber Geschlechtsteilen fernhalten. Technisch-ästhetisch sollte man keine ausgerissenen Bäume erwarten: Auch wenn Bethmann sich zuweilen sichtlich Mühe gibt, interessante Kameraperspektiven zu wählen oder eine Szene im Schnitt etwas dynamischer zu gestalten, erschöpft sich DAS WESTSTADT MASSAKER unterm Strich doch in verwackelten Videoaufnahmen, in kläglichem Laienschauspiel und solchen ärgerlichen Macken wie einer kaum verstehbaren Tonspur, einer non-existenten Lichtsetzung sowie zweifelhaften Einfällen wie dem inflationären Einsatz von Zeitlupenszenen, die wohl actionreich wirken sollen, jedoch eher offenlegen, wie weit von genuiner Action die jeweiligen Kampf-, Flucht- und Stunt-Aufnahmen sind, oder die noch viel inflationärer eingesetzte POV-Kamera, der man eigentlich im Abspann einen eigenen Credit hätte schenken müssen. Zu loben ist einmal mehr Bethmanns Score: Wie auch in seinen weiteren 90er Werken dominieren atonale Klangcollagen, industrielle Stampfrhythmen, ritualistischer Ambient, zwischendurch wiederholt auch mal die verzerrte E-Gitarre gebetsmühlenartig ein und dasselbe Riff, oder Bethmanns Band „Materialschlacht“ prügelt sich durch räudigsten Hintergassen-Punk. Ich muss gestehen, dass ich Bethmann, zumindest, was seine Werke bis einschließlich INSEL DER DÄMONEN angeht, für einen mittelmäßigen bis schlechten Regisseur halte, für einen katastrophalen Drehbuchautor, für einen passablen Laienakteur, demgegenüber aber für einen Filmkomponisten, dessen atmosphärischen Scores ich mir, würde es sie auf einem Heimtonträger geben, durchaus das eine oder andere Mal das eine oder andere Ohr schenken würde: Das ist genau die richtige Mixtur aus verstörenden und nervtötenden Klängen, die er in DAS WESTSTADT MASSAKER aus dem Ärmel beziehungsweise Synthesizer zaubert, und die den Film selbst in seinen sterbenslangweiligen Passagen ungemein aufwerten.
Mein schönstes Erlebnis, und zwar außerhalb jeden Films, in der Braunschweiger Weststadt ist übrigens folgendes gewesen: Eine Freundin hatte vor Jahren am Rande der Weststadt ihren Schrebergarten. Manchmal verbrachte ich dort die Wochenenden, an denen sie arbeiten musste, um auf ihre beiden Hunde, einen altdeutschen Mops sowie eine englische Bulldogge, aufzupassen. Eines Sommers betrete ich den Garten und wundere mich, dass die Bulldogge Elvis mir nicht schon schwanzwedelnd und bellend den gefliesten Weg entgegenkommt, so wie es immer der Fall ist, wenn auch nur ein Windzug am Gartentor rüttelt. Ich schleiche näher zur Hütte hin und erblicke Elvis, wie er tief und fest schlafend mitten auf der sonnengebadeten Wiese liegt, seine Weichen heben und senken sich, ein grunzendes Schnarchen wird lauter und lauter. Obwohl ich damit rechne, dass er jeden Moment aufwachen, mich erblicken, mich anspringen wird, bringe ich es fertig, mich direkt hinter seinem Rücken ins Gras zu knien, die Hand nach seiner Schulter auszustrecken und ihn sacht anzutippen: Hey, Guten Morgen, Elvis! Nie habe ich einen derart verdutzten Gesichtsausdruck gesehen wie im nächsten Moment: Elvis braucht mehrere Sekunden, um meine Anwesenheit zu realisieren, um sich aus seinen Träumen zu lösen, um in seinen Modus von Schwanzwedeln und Bellen überzuwechseln. Er hat ausgesehen, als hätte ich ihm offenbart: Mein Lieber, wir werden uns ein schönes Bethmann-Wochenende machen, wir beiden, und fangen gleich mit DAS WESTSTADT MASSAKER an. Was meinst Du dazu, Brüderchen, hm?
- Salvatore Baccaro
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Re: Das Weststadt Massaker - Andreas Bethmann (1991, 1993, 1994)
Den Film hatte ich vor 20 Jahren oft in der "Kultvideothek" in der Braunschweiger Rheingoldstraße (direkt neben dem Stadion) stehen sehen, mich aber nie getraut, den mitzunehmen
Wohlmöglich habe ich da auch nichts verpasst, aber dank Salvatores Ausführungen habe ich ja nun diesbezüglich ein subjektiven Einblick in das (Mach-)Werk
Wohlmöglich habe ich da auch nichts verpasst, aber dank Salvatores Ausführungen habe ich ja nun diesbezüglich ein subjektiven Einblick in das (Mach-)Werk
- Salvatore Baccaro
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Re: Das Weststadt Massaker - Andreas Bethmann (1991, 1993, 1994)
Und über allem wachte das Polizeikommissariat Braunschweig-NordSalvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Di 23. Nov 2021, 12:28DAS WESTSTADT MASSAKER direkt neben dem Heizungs-Massaker...