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Die verrückten 60er - Das spektakulärste Jahrzehnt der Deutschen.jpg (180.7 KiB) 714 mal betrachtet
Originaltitel: Die verrückten 60er – Das spektakulärste Jahrzehnt der Deutschen
Herstellungsland: Deutschland / 2021
Regie: Heiko Schäfer
Mitwirkende: Wolfgang Niedecken, Isis-Maria Niedecken, Kathrin Ackermann, Charlotte Furtwängler, Anna Planken, Maria Planken, Ann-Kathrin Kramer, Karin Stuhl, Dave Davis u. A.
Die 60er Jahre – das spektakulärste Jahrzehnt der Deutschen? Nicht die 70er, 80er oder 90er? Nein, denn in keinem Jahrzehnt gab es auch nur ansatzweise so viele gesellschaftliche, kulturelle und technische Umbrüche wie in den 60er Jahren. Da wären die Studentenrevolten der 68er, der Ost-West-Konflikt, der 1962 mit der Kuba-Krise beinahe zu einem Atomkrieg geführt hätte – natürlich die musikalischen Umwälzungen durch die Beatmusik, die die Populärmusik bis heute prägen. Und es geht weiter mit der Kehrtwende in der Erziehung von der reinen Vermittlung von Disziplin, Ordnung und Gehorsam hin zur Selbstbestimmung der Kinder. Dann die sexuelle Revolution, die beginnende – und noch immer nicht vollendete – Gleichstellung der Frau.
Dazu die „Elektrisierung“ des Kinderzimmers, der Siegeszug des Fernsehens, des Telefons und der Wandel der BRD zu einer „Autorepublik“. Und da sind noch nicht einmal die „kleinen“, aber ebenso entscheidenden Veränderungen aufgezählt: Wer ahnt denn beispielsweise, dass erst in den 60er Jahren Fußgänger auf Zebrastreifen „Vorfahrt“ bekommen haben? Das alles veränderte auf radikale Weise unser Leben und spiegelt sich bis heute im Alltag wider: in der Beziehung der Geschlechter, in der Erziehung, in der Mode, im Freizeitverhalten, in der Arbeit. Und auch wenn seit den Sechzigern fünf Jahrzehnte vergangen sind: Vieles von dem, was die Menschen heute bewegt, hat seinen Ursprung in den Jahren von 1960 bis 1969 genommen.
Das spiegelt sich auch bei den prominenten Gästen wider. Allesamt Menschen, die die 60er Jahre in der BRD erlebt haben und ihrem Nachwuchs davon berichten: Der Musiker Wolfgang Niedecken mit Tochter Isis-Maria Niedecken, die Schauspielerin Kathrin Ackermann mit Enkelin Charlotte Furtwängler, die ARD-Moderatorin Anna Planken mit ihrer Mutter Maria Planken, die Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer mit Mutter Karin Stuhl und der Sänger und Comedian Dave Davis mit seinem Schwiegervater Eckhard. (Text: WDR)
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Auf WDR-Redakteur Heiko Schäfers jeweils rund eineinhalbstündige TV-Dokumentarfilme „Die verrückten 80er“ und „Die verrückten 70er“ waren „Die verrückten 90er“ gefolgt. Im Jahre 2021 reichte er „Die verrückten 60er“ nach. 2020 war ihm seine Kollegin Melanie Didier mit „Jung in den 60ern – Rebellen, Beat und Minirock“ bereits zuvorgekommen, wenn auch mit etwas anderer, jugendspezifischerer Ausrichtung. Und im selben Jahr hatte der WDR die vierteilige Dokureihe „Unser Land in den 60ern“ ausgestrahlt, die einen stärkeren lokalen, aufs Bundesland NRW fokussierten Bezug herstellt.
Wie gewohnt, greift der Film nach Infotainment-Art unterschiedlichste Themen aus verschiedenen Bereichen auf, denen gemein ist, dass sie das Jahrzehnt – zumindest nach Meinung des Redakteurs bzw. seines Teams – in irgendeiner Weise geprägt haben, aber auch, dass sehr veranschaulichendes, unterhaltsames oder kurioses Fernsehmaterial dazu vorliegt, das Off-Erzählerin Franziska Knost pointiert kommentiert und von diversen Prominenten zum Anlass genommen wird, persönliche Bezüge herzustellen oder Anekdoten kundzutun. Das Besondere dabei ist, dass die Promis diesmal jeweils im Doppelpack auftreten, wobei je einer den Part der Eltern- und einer jenen der jüngeren Generation übernimmt. Es handelt sich dabei um BAP-Musiker Wolfgang Niedecken mit seiner Tochter Isis-Maria, Schauspielerin Kathrin Ackermann mit ihrer Enkelin Charlotte Furtwängler, Moderatorin Anna Planken mit ihrer Mutter Maria, Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer mit ihrer Mutter Karin Stuhl sowie Sänger und Humorist Dave Davis mit seinem Schwiegervater Eckhard.
Erneut werden sämtliche angerissenen Themen in chronologischer Reihenfolge abgehandelt. Als da wären:
• Twist-Musik
• Papageienkrankheit
• Ein Deutscher wird schnellster Läufer der Welt
• Kinderspiele
• Errichtung des Antifaschistischen Schutzwalls (aka Berliner Mauer)
• Gleichberechtigung und Frauenarbeit
• Erste weibliche Ministerin
• Tipp-Kick-Spiel
• Hamburger Sturmflut
• Bademode im TV, sexistisch kommentiert
• Chile versus Italien bei der Fußball-WM
• Kuba-Krise
• Amphicars
• Plastikverpackungen für Milchprodukte
• John F. Kennedys Berlinbesuch
• Urlaub, vorzugsweise in Italien
• Jugendzeltlager
• Rücktritt Adenauers, Erhard wird Kanzler
• Gründung der Fußball-Bundesliga
• Ermordung Kennedys
• Private Telefonanschlüsse
• Eiskunstlauf
• Zebrastreifen
• Wöchentliche Lohntüten
• SB-Läden lösen „Tante-Emma-Läden“ ab
• Feinstrumpfhosen
• Ziehung der Lottozahlen im TV
• Musiksendung „Beat-Club“
• Kinderlederhosen
• Musikgruppe „The Beatles“
• England wird Fußball-Weltmeister durch Wembley-Tor
• Beginnende gesellschaftliche Proteste, u.a. gegen den US-Angriffskrieg auf Vietnam
• Kiesinger wird Kanzler
• Straßenspiele
• Hippies
• Proteste und Revolte
• Farbfernsehen
• Anti-Baby-Pille (bzw. deren Bann durch den damaligen Papst)
• Attentat auf Dutschke nach Hetze durch die Springerpresse
• Aufklärungsfilme und Sexualkundeunterricht
• Euroschecks
• Mondlandung
• Woodstock-Freiluft-Musikfestival
• Willy Brandt wird Kanzler
Dass die Promis generationsübergreifend reflektieren, kommentieren und sich zum Präsentierten auch schon mal kurz austauschen, erweist sich als ausgesprochen nette Idee und bringt eine angenehme zusätzliche Dynamik in den Film. Dieser ist, wie auch seine Vorgänger innerhalb der „Die verrückten…“-Reihe, natürlich keineswegs um Tiefgang bemüht und zudem sehr seiner westdeutschen Fernsehperspektive verhaftet, punktet aber mit zwei Aspekten: zum einen dem der Unterhaltsamkeit, die sich aus dem recht schnellen Schnitt und den Kommentierungen sowohl aus dem Off als auch nicht unsympathisch erscheinender Prominenter ebenso ergibt wie aus den authentischen Fernsehbildern, die aus der Dokumentation eine Art kuratierter Zeitreise machen. Zum anderen gelingt der Spagat, dennoch verdammt ernste, politische Themen und Ereignisse anzusprechen, ohne diese zu beschönigen, etwa, um die gute Stimmung beim nostalgischen Rückblick nicht zu gefährden. Dies betrifft die Kuba-Krise, aber auch die Ereignisse innerhalb Deutschlands, die letztendlich zu einer starken Radikalisierung geführt hatten. Wer beim Anblick der mit Holzlatten um sich prügelnden Jubelperser des schwachsinnigen Schahs mitten in Deutschland keine Wut empfindet, muss innerlich tot sein. Gleiches gilt fürs Attentat auf Dutschke. Für ein wenig Genugtuung sorgen die Bilder unschädlich gemachter „Bild“-Auslieferungsfahrzeuge. So ruft dieser Dokumentarfilm auch denjenigen, die zu reinen Unterhaltungszwecken einschalten, in Erinnerung, wie krank diese 1960er neben Twist, Tipp-Kick und „Beat-Club“ eben auch waren – ganz zu schweigen von den internationalen Verwerfungen, Kriegen und Krisen, die hier nicht verschwiegen werden. So überflüssig die Hippies gewesen sein mögen, so nötig war die ‘68er-Revolte.
Was dem Film an bedeutenden Themen womöglich noch fehlt, kann ich kaum beurteilen, denn dafür ist mir das Jahrzehnt zu fern. Eines fällt mir aber auf Anhieb ein: das Kino.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)