Schatten - Arthur Robison (1923)

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Salvatore Baccaro
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Schatten - Arthur Robison (1923)

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Originaltitel: Schatten

Produktionsland: Deutschland 1923

Regie: Arthur Robison

Cast: Ruth Weyher, Fritz Kortner, Gustav von Wangenheim, Alexander Granach, Fritz Rasp, Eugen Rex, Max Gülstorff, Ferdinand von Alten


Nachdem Albin Grau mit seiner ersten Produktionsfirma Prana-Film Schiffbruch erlitt – Grund hierfür ist Murnaus NOSFERATU, der sich nicht zuletzt wegen eines Coypright-Streits mit der Witwe Bram Stokers zum finanziellen Desaster auswächst -, gründet der Autor, Grafiker und Filmarchitekt bereits ein Jahr später, 1922, eine weitere Company namens Pan-Film, mit der Grau das Projekt SCHATTEN - EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION in Angriff nimmt. Für die Regie vorgesehen ist ursprünglich erneut Friedrich Wilhelm Murnau; als dieser sich jedoch aufgrund eines Vertrags mit Erich Pommer unabkömmlich zeigt, wird Arthur Robison verpflichtet. Im Cast tummeln sich indes einige Gesichter, die man bereits aus NOSFERATU kennt – Gustav von Wangenheim; Alexander Granach – und auch Kameramann Fritz Arno Wagner ist erneut mit von der Partie. Das Endresultat stößt bei den Zeitgenossen zwar nicht unbedingt auf überschwängliche Reaktionen, dürfte aber, seine auf dem Papier recht trivial klingenden Story zum Trotz, einer der experimentierfreudigsten Schauerstreifen der Weimarer Zeit sein.

Inhaltlich rankt sich SCHATTEN um eine abgeschmackte Eifersuchtsgeschichte mit plakativen psychologischen Obertönen: Ein Ehemann lebt mit seiner Gattin in einem herrschaftlichen Schloss. Davon überzeugt, dass die Liebste jede noch so flüchtige Gelegenheit nutzen wird, mit einem anderen Herrn ins Bett zu steigen, schirmt der Eifersüchtige die Angetraute regelrecht vor der Außenwelt ab, überwacht jeden ihrer Schritte, wittert in jedem Angehörigen seines Geschlechts, mit dem sie nur ein paar freundliche Worte wechselt, einen potenziellen Nebenbuhler. Nichtsdestotrotz richtet der Ehemann ein Dinner aus, zu dem nicht nur eine Gruppe Musikanten erhalten, sondern auch ein Jüngling Zutritt, der ihm von Anfang an ein Dorn im Auge ist, denn werfen sich seine Frau und der Bub nicht permanent verschwörerische Blicke zu? Ebenfalls anwesend ist ein Schattenkünstler, der die feine Gesellschaft mit seinen Zaubertricks unterhalten soll: Als diesem die krankhaften Untreuephantasien des Gastgebers nicht verborgen bleiben, beschließt er, seine Scherenschnittfiguren beiseite zu packen und den Damen und Herren ein ganz besonderes Schauspiel zu liefern. Per Hypnose werden die Tafelnden in einen tagträumerischen Zustand versetzt und sodann von unserem Magier mit einem Schattenspiel konfrontiert, in dem all ihre unterdrückten Sexualobsessionen handfeste Gestalt annehmen. Vor allem der Ehegatte, der zuvor den Eindruck gewonnen hat, seine Frau habe sich von zahllosen Männerhänden begrapschen lassen, (wobei er lediglich ein Ensemble aus Schatten, das er hinter einem Vorhang betrachtete, falsch interpretiert hat), hetzt in einer Tour-de-Force durch die fiebrigsten Fremdgeh-Szenarien, die mit der (nicht nur symbolischen) Hinrichtung seiner Liebsten durch mehrere Degenspitzen enden. Zurück bei klarem Verstand muss er schließlich einsehen, dass er die ganze Zeit Trugbildern aufgesessen ist und er sich keine treuere Dame an seiner Seite wünschen könnte als die, die seinen Ehering trägt. Auf einem Schwein reitend verabschiedet sich der Zauberkünstler, während der Jüngling, der zuvor mit der Gastgeberin den einen oder anderen Flirt anzuknüpfen versuchte, enttäuscht von dannen stapft, da die Frau nur noch Augen für ihren Mann hat, - zumal jetzt, wo dieser gelobt, er werde sein pathologisches Misstrauen endgültig ad acta legen…

Was SCHATTEN für mich zu einem der interessantesten expressionistischsten Stummfilme der 20er macht, ist weniger sein etwas trivialer Inhalt, sondern die Art und Weise, wie dieser inszeniert, sprich: in den Rang eines Kunstwerks erhoben worden ist. Schatten spielen im deutschen Kino der Stummfilmzeit seit jeher eine bedeutende Rolle – sei es, ob sie, wie in einigen ikonischen Szene von NOSFERATU, als körperlos erscheinende Entitäten des blutsaugenden Monstrums ein Eigenleben zu entwickeln scheinen, wenn sie Treppenstufen hinaufschleichen oder sich wie Leichentücher über ihren Opfern ausbreiten; sei es, ob sie, wie in Rochus Glieses und Paul Wegeners DER VERLORENE SCHATTEN in romantischer Manier von skrupellosen Wucherern entführt werden, sodass ihre rechtmäßigen Eigentümer sie mühsam und abenteuerlich zurückgewinnen müssen. In SCHATTEN demgegenüber aber sind sie, (wie ja bereits der Titel nahelegt), das eigentliche Kernthema, Dreh- und Angelpunkt sowohl der Story wie auch der Mise en Scene: Kaum ein Moment, in dem sich der Film nicht an expressiven Licht- und Dunkel-Spielen ergötzt; kaum eine Szene, in der nicht einer der Darsteller vor seinem eigenen übermächtigen Schatten in den Hintergrund tritt; selbst die Zwischentafeln, die anzeigen, welcher Akt gerade zu Ende gegangen ist und welcher nun beginnt, werden von Schattenhänden in Großaufnahmen verkörpert, die die jeweilige Zahl mit ihren Fingern anzeigen. Ansonsten kommt SCHATTEN übrigens ganz ohne erklärende Texttafeln aus: Ähnlich wie Murnaus LETZTER MANN erzählt er seine Geschichte rein über die Bilder; selbst die einzelnen Figuren sind weniger ausgearbeitete Charaktere, sondern bloße Typen, denen das Drehbuch nicht mal individuelle Namen gönnt: Der Ehemann ist einfach nur der „Ehemann“; der Schattenkünstler wird einzig als „Schausteller“ eingeführt. Dieser konsequente Minimalismus, der sich erzählerisch aufs Wesentliche beschränkt, steht allerdings in spannendem Widerstreit mit dem weitgehend völlig entfesselten Schauspiel des Casts: Bei dem, was die Männer und Frauen hier an Grimassen, pathetischen Gesten und theatralischen Choreographien aus dem Ärmel schütteln, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Chargierei selbst auf ein Publikum Anno 1923 nicht komplett überzogen, wenn nicht gar grotesk gewirkt haben muss – so wie der Film jedweden Naturalismus in Kulissen und Kostüm dadurch erstickt, dass er im Grunde einer langen Parade an Schattenspielen gleicht, wird auch beim Schauspiel versucht, sich so weit wie möglich ins Artifizielle zu stürzen. Dieser These kommt zugute, dass SCHATTEN außerdem eine explizite Meta-Ebene eingeschrieben ist: Nicht von ungefähr erinnert das weiße Tuch, auf dem der Zauberkünstler sein hypnotisch-hysterisches Schattenspiel zum Leben erweckt, an eine Kinoleinwand, und die stumm und dumpf dasitzenden Zuschauer an Kinogänger, die komplett vom Spektakel vor ihren Augen absorbiert worden sind. Pikant und brisant wiederum ist es, wie offenherzig der Film mit den Leidenschaften seiner Figuren umspringt: In ihren eng zugeknöpften Miedern und Anzügen wirken die Charaktere wie triebgesteuerte Bestien, denen man bloß ein bisschen aus ihren von Gesellschaft und Moral übergestülpten Gewändern helfen muss, und schon sind sie beim Befriedigen ihrer Leidenschaften nicht mehr zu bremsen.

Nicht zuletzt kommt SCHATTEN weder ohne einen feinen Humor noch ohne ein, zwei durchaus horrorlastige Szenen aus: Ersteres, wenn Fritz Kortner als Ehemann feststellen muss, dass sein Schatten in einem Winkel an die Wand fällt, dass es den Eindruck erweckt, die Hörner eines ausgestopften Hirschgeweihs würden ihm aus der eigenen Schädeldecke wachsen – so putzig ist ein „gehörnter Ehemann“ im Kino vielleicht noch nie dargestellt worden; zweiteres, wenn beispielweise in der langen Traumsequenz die gefesselte Ehefrau von ihren Freier in einem bizarren, beinahe schon an die zeremoniellen Exzesse von de Ossorios augenlosen Tempelrittern erinnernden Ritual mit geballter Degenkraft exekutiert wird.

Für mich ist SCHATTEN ein Geheimtipp unter den Produktionen des Deutschen Reichs Anfang der 20er, und ich wundere mich, weshalb er kaum einmal in einem Atemzug mit anderen Meisterwerken wie CALIGARI, NOSFERATU oder DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM genannt wird.
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