Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Moderator: jogiwan

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Arkadin
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von Arkadin »

Reinifilm hat geschrieben: Di 25. Mai 2021, 21:09 Auch gesehen - leider von der Story ganz schön oldschool, dafür dass man total hip sein wollte.
Aber mit dem Team geht garantiert noch was. 05/10
Beim nächsten führt Oliver Hirschbiegel Regie. Da bin ich schon sehr gespannt.
Drehbuch dann von Christian Jeltsch. Der hat schon einige Bremer geschrieben und auch die Figur Linda Selb erfunden.
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karlAbundzu
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Arkadin hat geschrieben: Di 25. Mai 2021, 17:08
karlAbundzu hat geschrieben: Di 25. Mai 2021, 14:59 Und ich persönlich freute mich über den Mini-Auftritt Verena Reisemanns, mit der ich das Vergnügen hatte, auch schon zu arbeiten.
Wer war das denn?
Eine rothaarige Frau, die im Souterrain wohnt, hatte zwei kurze Szenen mit André Szymanski, der ja grundsätzlich auch ein guter ist.
Arkadin hat geschrieben: Di 25. Mai 2021, 21:55 Beim nächsten führt Oliver Hirschbiegel Regie. Da bin ich schon sehr gespannt.
Drehbuch dann von Christian Jeltsch. Der hat schon einige Bremer geschrieben und auch die Figur Linda Selb erfunden.
Der Hirschbíegel? O, da bin ich angestrengt gespannt. Und vielleicht wird dann ja noch ein bißchen mehr Linda Selb beleuchtet, wie es ihr so nach "Wo ist nur mein Schatz geblieben" erging, war ja schon heftig.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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buxtebrawler
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Kneipenbekanntschaft

„Der Neue ist da. Doch, sieht gut aus.“

Am 10. November 1974 stieß auch Niedersachsen als Handlungsort zur öffentlich-rechtlichen Fernsehkrimireihe „Tatort“ hinzu: Kriminalhauptkommissar Brammer (Knut Hinz, „Der Tod des Handlungsreisenden“) ermittelte in seinem ersten Fall in der Landeshauptstadt Hannover. „Kneipenbekanntschaft“ war der erste von nur vier Fällen dieses neuen Kommissars, nach einem Drehbuch Hans Drawes und Rüdiger Humperts inszeniert von Jörg-Michael Baldenius, der es neben dem TV-Drama „Gran Canaria“ aus dem Jahre 1972 auf keine weitere Regiearbeit mehr brachte.

„Mensch, hab‘ ich ‘n Nachdurst!“ – „Sauf doch nicht so viel!“

Der frischgebackene Hannoveraner Dienststellenleiter Brammer feiert gerade seinen Einstand, als er zu seinem ersten Einsatz gerufen wird: Anna Schmidt, eine ältere Dame, wurde tot im Park aufgefunden – stranguliert mit einem Strumpf. Die Tat kann höchstens drei Stunden zurückliegen. Gegen einen Raubmord spricht, dass die Tote noch ihren teuren Schmuck am Körper trägt. Annas Liebhaber Hermann Kolltasch (Peter Kuiper, „Derrick“) erfährt erst am nächsten Tag von der Tat und reagiert entsetzt. Die Ermittlungen Brammers und seines Teams führen indes zur Erkenntnis, dass Hermann nicht ihre einzige Affäre war: Seit dem Tode ihres Mannes habe sich „Ännchen“ gern in Kneipen herumgetrieben, um meist deutlich jüngere Männer kennenzulernen und sich mit ihnen einzulassen. Die Zahl der potenziell Verdächtigen wird dadurch nicht kleiner…

„Drei Bier, drei Korn!“

Baldenius eröffnet seinen „Tatort“ mit einem Liveauftritt Udo Lindenbergs in einem Club, in dem auch Brammer zugegen ist. Als dieser am nächsten Tag seine neue Stelle antritt, stellt er sich bei Kriminalhauptmeister Henkel (Günther Heising, „Tatort: Kressin und der tote Mann im Fleet“) vor, der fortan damit hadert, in Brammer einen Vorgesetzten bekommen zu haben, der wesentlich jünger als er ist. Brammer wird als ein junger, moderner, lässiger und gutaussehender Kommissartyp etabliert, der sich nicht nur für Livemusik interessiert, sondern auch selbst Gitarre spielt. Er bezieht ein Zimmer bei einer älteren Witwe mit etwas ungesundem Teint.

„Ich hatte an dem Abend auch ganz schön einen sitzen!“

Neben Brammer und seinem Team wird eine ganze Reihe weiterer Figuren eingeführt: Bierfahrer Kohltasch, der aus einer Kneipe heraus sich mit dem späteren Mordopfer vergeblich zu verabreden versucht. Annas Stiefsohn Horst (Til Erwig, „Das Kriminalmuseum“) und dessen Ehefrau (Hanni Vanhaiden, „Noch ‘ne Oper“) missbilligen ihren Lebenswandel. Zunächst in keinem erkennbaren Zusammenhang mit ihnen stehen die wohlhabende Herrenausstatterin Marga Höfer (Rosemarie Fendel, „Traumstadt“) und ihr Ehemann (Karl-Michael Vogler, „Der Mann, der keinen Mord beging“), den sie in flagranti mit der jungen Verkäuferin ihrer Boutique, Fräulein Waller (Marina Genschow, „Die geklaute Miß“), erwischt, als sie überraschend früher als geplant nach Hause kommt. Sie droht mit Scheidung, woraufhin ihr Mann ihrem Vogel den Hals umdreht. Und dann sind da noch Binnenschiffer Ossi Lörring (Dieter Prochnow, „Eros-Center Hamburg“) und seine Freundin Eva Meinert (Edda Pastor, „Smog“), die sich ebenso oft miteinander streiten wie sie sich wieder vertragen oder gemeinsam in die Kneipe gehen (gern in dieser Reihenfolge – so ist’s recht).

Als besonderen stilistischen Kniff bekommt man bei den Befragungen im Bekanntenkreis der Toten lediglich die Antwortenden zu sehen und ihre Antworten zu hören, nicht aber die Fragenden und ihre Fragen. Damit wecken diese Szenen Assoziationen zu Statements in Nachrichtensendungen oder Dokumentationen. Allerdings hält man diese Herangehensweise nicht konsequent durch. Eine gewisse Freude hatte man offenbar auch am Umgang mit subjektiver Kameraführung, die hier Einzug hält. Der Stiefsohn jedenfalls hat ein Alibi, ein Dieb treibt sein Unwesen, der Mörder scheint unbehelligt umherzuschleichen und Ossi hat verdächtige Kratzer auf der Hand. Soweit die Zwischenbilanz dieses mit Figuren und deren Handlungssträngen etwas überfrachteten und in seiner Ermittlungsarbeit sehr dialoglastigen „Tatorts“, der wahrlich kein großer Wurf ist. Er krankt neben seiner Betulich- und Geschwätzigkeit daran, dass man das Mordopfer erst gar nicht kennenlernte und somit keinerlei Bezug zu ihm aufbauen konnte. Grundsätzlich gelungen ist, wie sich das Kneipe/Alkoholkonsum-Topos durch die Episode zieht: Henkel setzt sich frustriert in die Kneipe, um über Brammer zu jammern, die Leiche wird von einem Rentner auf dem Weg in die Kneipe gefunden usw. Die Kneipe als gesellschaftlichen Mikrokosmos zu zeichnen, in dem alle Fäden zusammenlaufen, misslingt jedoch leider. Das Ende ist überzogen fatalistisch und das Motiv derart schnell heruntergerattert, dass es kaum zu vernehmen ist.

Der für damalige „Tatorte“ fast schon obligatorische reiheninterne Gastauftritt fällt diesmal Klaus Schwarzkopf als Kieler Kommissar Finke zu und Edda Pastor sorgt für zusätzliche Schauwerte, indem sie sich oben ohne zeigt. Generell muss man attestieren, dass es an den Schauspielerinnen und Schauspielern nicht gelegen hat, das Ensemble ist spielfreudig und charakteristisch. Schön auch in diesem Zusammenhang, Marina Genschow, die 1987 mit nur 37 Jahren viel zu früh verstarb, in einer kessen Nebenrolle zu sehen. Ein wenig enttäuschend hingegen, dass Udo Lindenberg nach dem Prolog keinerlei Rolle mehr spielte.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von CamperVan.Helsing »

buxtebrawler hat geschrieben: Fr 28. Mai 2021, 16:22 Edda Pastor sorgt für zusätzliche Schauwerte, indem sie sich oben ohne zeigt.
Ah, Kirchenkritik! :wink:
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Morgen, 23:35 Uhr, ARD:

Polizeiruf 110 – Die Krimidokumentation

Ein Jahr nach dem "Tatort" wird 1971 eine Krimiserie geboren, die anders aber nicht weniger erfolgreich war und ist. Der "Polizeiruf 110" hatte nicht nur die erste Ermittlerin im deutschen Fernsehen, er wollte auch realistischer sein, näher an der Arbeit der Kriminalisten, weniger reißerisch. Die Krimi-Reihe aus dem Osten wurde vielleicht auch deshalb schnell zum Straßenfeger und nach der Wende zur gesamtdeutschen Krimi-Alternative. Selbstverständlich war das nicht! Nach der Wende musste sich der "Polizeiruf 110" behaupten und seinen Platz im gesamtdeutschen Fernseh-Krimi finden.

Die DDR ist längst Geschichte, aber ihre legendäre Krimireihe gibt es immer noch! Sonntags, 20 Uhr 15 wird das Böse gejagt und die Welt wieder ein bisschen besser! Wer "Polizeiruf 110" wählt bekommt ausgeschlafene Kommissare und spannende Fälle. Inzwischen gibt es fast 400 Folgen, ermittelten rund 70 Kommissarinnen und Kommissare. Einige sind inzwischen selbst Legenden. Und so gibt es zum 50. Jubiläum des "Polizeiruf 110" nicht nur ein Wiedersehen mit den Kommissaren Fuchs und Beck, mit Oberleutnant Thomas Grawe, dem "Schimanski des Ostens" und mit Polizeihauptmeister Horst Krause. Wir schauen auch hinter die Kulissen des neuen "Polizeiruf 110" aus Halle und treffen mit Charly Hübner, Anneke Kim Sarnau, Claudia Michelsen, Maria Simon, Edgar Selge, Michaela May, Jaecki Schwarz, Ben Becker und Andreas Schmidt-Schaller viele bekannte "Polizeiruf"-Gesichter.

Quelle: https://www.daserste.de/unterhaltung/kr ... n-100.html

Lief glaube ich letzte Woche schon im MDR.

Ein Jahr lang in der Mediathek verfügbar:
:arrow: https://www.ardmediathek.de/video/damal ... RkMTdmMjM/
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Tatort: Neugeboren

„Verbrechen ist dreckig, Aufklären noch mehr!“

Am Pfingstmontag, 24. Mai 2021, feierte ein neues Bremer „Tatort“-Team seinen Einstand: Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer, „Bornholmer Straße“) und Mads Andersen (Dar Salim, „Game of Thrones“) lösten die Ermittler(innen) Lürsen und Stedefreund ab. BKA-Beamtin Linda Selb (Luise Wolfram, „Charité“), die unter den letztgenannten eine Nebenrolle eingenommen hatte, ist nun offenbar präsenteres Mitglied des neuen Teams, das somit eher ein Trio denn ein Duo bildet. Das Drehbuch Christian Jeltschs inszenierte Barbara Kulcsar, die somit nach „Rebland“ aus dem Jahre 2020 zum zweiten Mal die Regie innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe übernahm. Wer wollte, konnte sich bereits im Vorfeld im Zuge der mehrteiligen Mockumentary „How to Tatort“ humoristisch aufs neue Team einstimmen.

„Nervensäge – das bist du…“

Die junge, ambitionierte Liv Moormann erscheint in weißer Kleidung schick gewandet zum Vorstellungsgespräch bei der Bremer Kriminalpolizei, doch dort hat niemand Zeit für sie: Die Entführung eines Neugeborenen wurde just gemeldet, parallel dazu die Leiche eines Erwachsenen im Industriegebiet gefunden. Kurzentschlossen begleitet Moormann Ermittler Mads Andersen zum Fundort, wo BKA-Ermittlerin Selb hinzustößt, während die anderen Polizisten sich auf die Suche nach dem Baby begeben. Austauschbulle Andersen wollte eigentlich zurück in seine dänische Heimat nach Kopenhagen reisen, muss seine Abfahrt jedoch notgedrungen verschieben – immer und immer wieder… Es stellt sich heraus, dass beide Fälle miteinander zusammenhängen; die Ermittlungen führen in Bremer Hochhausschluchten, deren soziale Brennpunkte – und zu einem saufenden ehemaligen Werder-Kicker (André Szymanski, „Vor der Morgenröte“) sowie alleinerziehenden jungen Müttern und deren Umfeld.

Der Bremer Neubeginn führt die von mir geschätzte Jasna Fritzi Bauer als übermotiviert erscheinende Nachwuchskommissarin ein, die mit ihrer nassforschen Art und ihrem aufdringlichen Wesen Erfolg hat. Ihr Partner Mads Andersen, gespielt vom auch international erfahrenen Dar Salim, schleppt ein Geheimnis mit sich herum, das mit seinem Deutschlandaufenthalt bzw. seiner geplanten Rückkehr nach Kopenhagen zu tun hat, spricht mit Akzent und sorgt mit seiner Muffeligkeit neben der quirligen Moormann für etwas Erdung. Wunderbar ergänzt werden beide von der etwas autistisch, in jedem Falle recht gefühlskalt anmutenden, schwanenhalsigen Füchsin Linda Selb, einer interessanten Figur im „Tatort“-Kosmos also, die sich eine etwas größere Bühne innerhalb der Reihe redlich verdient hat. Sie sorgt für eine gewisse Kontinuität innerhalb des Bremen-Ablegers der Serie.

„Neugeboren“ beginnt – und endet – mit einer aus dem Off philosophierenden Moormann, um bald ein sozial unterprivilegiertes Milieu zu erkunden. Damit einher geht, dass sich der Fall weniger um klassische kriminelle Energie dreht als vielmehr um zwischenmenschliche Verwerfungen innerhalb wenig aussichtsreicher Sozialstrukturen. Was sich dort an unter der Oberfläche brodelnder Verrohung und Gewalt offenbart, ist erschreckend, wenn auch – leider – nichts wirklich Neues, doch genau das kritisiert die grundsätzlich gelungene Mischung aus Krimi und Sozialdrama ja. Erzählerisch wählte man leider einen etwas umständlichen Weg, der nicht wirklich bei der Stange hält, sondern eher verwirrt und sein Publikum zwischenzeitlich zu verlieren droht. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass, dem Einführungscharakter dieser Episode geschuldet, die neuen Ermittler(innen) stärker im Fokus stehen als die Menschen, die mit den Fällen in Verbindung stehen. So muten diese trotz erkennbarem Bemühen um Tiefgang etwas stereotyp an.

Stark hingegen ist die melancholische Stimmung zwischen urbaner Tristesse, Düsternis und leichten Hoffnungsschimmern, die den im November 2020 gedrehten und auch danach aussehenden „Tatort“ durchzieht. Dass er unmittelbar nach dem Wochenende des besiegelten Abstiegs Werder Bremens aus der Herrenfußball-Bundesliga ausgestrahlt wurde, ist eine bittere Ironie des Schicksals. Der positive Eindruck überwiegt – und sollte es gelingen, beim nächsten Mal die erzählerischen Schwächen in den Griff zu bekommen, reift hier womöglich ein spannendes Team mit hoffentlich auf- oder anregenden Fällen heran.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Reinifilm
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von Reinifilm »

"Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande" - der war mal etwas anders, aber gut. Mehr Milieustudie als Krimi und
► Text zeigen
kommt natürlich nicht bei allen gut an (gab es auch schon mal bei einem Tatort, da aber dramaturgisches etwas besser verpackt).
Das neue Team ist super und die Darstellerinnen und Darsteller bis in die Nebenrollen auch großartig besetzt.
Wie gesagt - kein klassischer Krimi, aber mir hat der echt gefallen. 08/10
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von karlAbundzu »

Reinifilm hat geschrieben: Mi 2. Jun 2021, 23:37 "Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande" - der war mal etwas anders, aber gut. Mehr Milieustudie als Krimi und
► Text zeigen
kommt natürlich nicht bei allen gut an (gab es auch schon mal bei einem Tatort, da aber dramaturgisches etwas besser verpackt).
Das neue Team ist super und die Darstellerinnen und Darsteller bis in die Nebenrollen auch großartig besetzt.
Wie gesagt - kein klassischer Krimi, aber mir hat der echt gefallen. 08/10
Sehe ich sehr ähnlich und hat mir sehr gut gefallen. Mehr als ein Krimi bekommen wir hier die Geschichten von Leuten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort waren, nd wie dies zusammen oder eben nicht zusammen hängt. Und wie schon beim Bremer Debut eine Woche vorher wird in die Charaktere der beiden Kommissare eingeführt, ein bißchen mehr von Henry Koitzsch (Peter Kurth) als von Michi Lehmann (Peter Schneider), die beinahe ein klassisches Ermittler-Duo abgeben.
Hat mir gefallen.
jogiwan hat geschrieben: solange derartige Filme gedreht werden, ist die Welt noch nicht verloren.
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Arkadin
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von Arkadin »

buxtebrawler hat geschrieben: Mi 2. Jun 2021, 19:03 schwanenhalsigen Füchsin Linda Selb
Schöne Beschreibung. Auf den Punkt.
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Re: Tatort / Polizeiruf 110 - Kritiken und Diskussionen

Beitrag von buxtebrawler »

Polizeiruf 110: An der Saale hellem Strande

„Hast wieder Scheiße gebaut, hä?“

Anlässlich des 50. Jubiläums der Fernsehkrimireihe „Polizeiruf 110“ spendierte man Halle an der Saale ein neues Ermittlerteam und dem Publikum mit deren Einstand „An der Saale hellem Strande“ eine ganz besondere Episode. Diese wurde vom Leipziger Schriftsteller Clemens Meyer zusammen mit dem Leipziger Regisseur Thomas Stuber („Kruso“) geschrieben, im November und Dezember 2020 gedreht, und präsentierte am Tag der Erstausstrahlung, dem 30.05.2021, mit Henry Koitzsch (Peter Kurth, „Good Bye, Lenin!“) und Michael Lehmann (Peter Schneider, „Als wir träumten“) ein Duo, das viel zu sehen bekommt, nur keinen „hellen Strand“, wie er im titelgebenden Volkslied aus dem 19. Jahrhundert erwähnt wird.

„Die Hoffnungslosigkeit ist schon die vorweggenommene Niederlage.“ – „Markus Lanz?“ – „Karl Jaspers!“

Vor drei Monaten wurde der Kellner Uwe Baude (Sven Reese) tot im Hauseingang aufgefunden – erstochen durch offenbar gezielte Stiche unter anderem in die Lunge. Die Kripokommissare Henry Koitzsch und Michael Lehmann tappen seither im Dunkeln, kennen weder Täter noch mutmaßliches Motiv. Daher ermitteln sie per Funkzellenauswertung all diejenigen, die sich zum Tatzeitpunkt in Tatortnähe befunden haben müssen, und befragen sie in ihrem Büro. Unter ihnen befinden sich der vorbestrafte Maik Gerster (Till Wonka, „Tschick“), der pensionierte Reichsbahner Günter Born (Hermann Beyer, „Novemberkind“) und die promiskuite Katrin Sommer (Cordelia Wege, „Julietta“). Und dann sind da ja noch Olaf (Sebastian Weber, „Shoppen“) und Silke Berger (Tilla Kratochwil, „Mitten in Deutschland: NSU – Die Täter“), denen der Strom abgestellt wurde. Wer hat eventuell etwas beobachtet oder aufgeschnappt, wer kann hilfreiche Angaben machen…?

„Ich bin nutzlos!“

Das eingangs erwähnte Volkslied erklingt zu Beginn, wird zwischendurch von Katrin Sommer und Koitzsch angestimmt und entlässt schließlich auch aus diesem „Polizeiruf 110“. Dieser überrascht zunächst einmal positiv mit seinem nonlinearen Aufbau aus ineinander verschachtelten Rückblenden und Zeitsprüngen, denn diese erweisen sich nicht als hyperkomplex und störend, sondern als elegantes Stilelement und bei der Stange haltende Erzählweise. Die erste Rückblende führt zum eher mitleidserregend nervösen Maik, dem man das Verbrechen kaum zutraut. Dem offenbar verrückten Versicherungsangestellten, der als nächster vor Koitzsch Platz nimmt, allerdings auch nicht, wenngleich er mit einem Messer herumzufuchteln beginnt – und natürlich innerhalb dieses Sujets nicht sofort erschossen wird, obwohl dies wohl in jeder normalen Polizeiwache in der Realität der Fall gewesen wäre.

„Scheiß Polizeistaat!“

Doch der Realismus äußert sich in „An der Saale hellem Strande“ anders: darin, was er über seine Figuren und ihr Leben preisgibt. Über den ehemaligen Reichsbahner, der mit seiner freien Zeit kaum etwas Besseres anzufangen weiß, als immer wieder heimlich seinen alten Arbeitsplatz aufzusuchen und der vereinsamt mit einer beginnenden Altersdemenz zu kämpfen hat. Über den Vorbestraften, der es trotz guten Willens nicht hinbekommt, seiner Tochter das Geburtstagsgeschenk zu machen, das sie sich wünscht. Über Menschen, die keine festen Bindungen mehr haben, sie entweder gar nicht eingehen wollen oder nicht eingehen können. Zu denen auch Koitzsch gehört, der sich mit einem alten Knacki im Knast trifft und sich mit ihm betrinkt, anschließend betrunken am Steuer von seinen eigenen Kollegen erwischt wird. Und der außerhalb seiner Wache generell einen sehr unbeholfenen Eindruck macht, wie sein Rendezvous mit einer in etwa gleichaltrigen Lehrerin veranschaulicht. Koitzsch ist keinen Deut besser als seine Klientel, er ist selbst einer der ihren: der irgendwie auf der Strecke Gebliebenen, der Unsteten, der Desillusionierten und der Abgebrochenen. Und wenn sein jüngerer Kompagnon Lehmann längst mit den Ohren schlackert, wahrt Koitzsch seine stoische innere Ruhe. Klar wird: Er hat definitiv schon mehr erlebt und gesehen als sein Kollege.

„Mein Vater war Elektriker!“

Viel erlebt und gesehen hat auch Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller), „Polizeiruf 110“-Veteran des wendungsreichen Zeitraums 1986 bis ‘95, der für diese Episode reaktiviert wurde: Der ehemalige Ermittler ist zugleich Lehmanns Schwiegervater und weiß, dass es solche Verrücktheiten, wie sie heutzutage – oder vielmehr seit der Wende – an der Tagesordnung sind, nicht gegeben hat. Als reizvolles Motiv ziehen sich unzuverlässige Erzähler(innen) durch diese Episode, die Zeugenaussagen widersprechen häufig den parallel montierten Rückblenden. Die unterschiedlichen Abschnitte der Handlung werden neben Zeitangaben mit Kapitelnamen versehen, die die Titel älterer „Polizeiruf 110“-Episoden zitieren und ihnen somit die Ehre erweisen.

Vieles ist hier melancholisch und traurig, aber auch tragikomisch. Der Tote war offenbar ein Fußfetischist, wie sich herausstellen wird, und innerhalb des reizendes Porträts des Eisenbahners wird man Ohrenzeuge, wie er eine LP mit alten DDR-Zugbetriebsgeräuschen abspielt und sichtlich genießt. Als die heißesten Spuren jedoch ins Plattenbauprekariat zu denjenigen führen, die sich ohne Strom miteinander betrinken und ein gemeinsames Schäferstündchen vorbereiten, übertreibt man es etwas mit dem Humor, indem man diese Figuren fast als reine Karikaturen zeichnet – zumal am Ende dieses Kapitels ein weiterer Toter steht. Dennoch ist es aller Ehren wert, wie sich „An der Saale hellem Strande“ seinen Figuren annähert und ihre Geschichten zu einem Kabinett dessen zusammenführt, was (nicht nur) ostdeutsche Urbanität in den schummrigen Seitenstraßen eben auch bedeutet. Und das ist, ähnlich wie das rustikale Kripobüro, oft nicht mehr taufrisch, eher spröde, mürbe und abweisend.

Diese Stimmung bestimmt die Atmosphäre dieser Jubiläumsepisode, die von entsprechenden Bildern, Ausleuchtungen und Farbgebungen optisch untermauert wird. „An der Saale hellem Strande“ ist derart vollgepackt mit Erzählsträngen – auch ums Privatleben der Ermittler -, dass es zwischenzeitlich etwas überfordernd wirkt. Das Dranbleiben wird mit einem Finale belohnt, in dem wunderbar alle Fäden zusammenlaufen, wenngleich – Achtung, Spoiler! – der Fall unaufgeklärt, der Mörder und sein Motiv unentdeckt bleiben. Da war er wieder, der Realismus dieses „Polizeirufs“, der nicht jedem schmecken dürfte, aber dazu beiträgt, diese Jubiläumsausgabe tatsächlich zu etwas Besonderem zu machen. Ich gratuliere.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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