VENUSBERG (1963)
mit Marisa Mell, Nicole Badal, Monica Flodquist, Ina Duscha, Claudia Marus, Christina Granberg und Jane Axell
es sprechen Rolf Thiele, Oskar Werner und Richard Häussler
eine Franz Seitz Produktion im Nora Filmverleih
Weltvertrieb Omnia
ein Rolf Thiele Film
»In Deutsch klingen die Dinge so hart!«
Rolf Thieles "Venusberg" gilt als einer der Skandalfilme des Jahres 1963, so dass man sich eindringlich mit der Zensur auseinandersetzen musste. Beanstandet wurden seinerzeit etwa 20 Textstellen, die bei der Prüfung durch die FSK als zu anzüglich, beziehungsweise zu schlüpfrig empfunden wurden, außerdem musste eine Szene mit einem nackten Mädchen in der Frontale entfernt werden. Dialoge wie: »Für mich fängt der Mann mit dem Kopf an, dann kommt lange nichts...dann sein zweitwichtigster Körperteil« (was entfernt wurde, beziehungsweise bei diesem Nebensatz hört der Zuschauer nur das Ertönen einer Kuckucksuhr bis) »...und dann erst seine Million!« folgt. Einige Passagen wurden so entschärft, ohne signifikante Kürzungen vornehmen zu müssen. Gespräche wurden kurzerhand von alltäglichen Geräuschen überlagert, obwohl man auch ohne es zu hören ganz genau weiß, worüber sich die Damen eigentlich unterhalten. Diese aus dem Zwang entstandene Idee wirkt rückwirkend wie ein extravagantes Stilmittel. Das Lexikon des Internationalen Films versuchte die Produktion beispielsweise wie folgt zu entlarven: "Der fast handlungslose Film versucht, in der entkonventionalisierten Situation gleichgeschlechtlicher Einsamkeit 'das wahre Ich' der Frau zu enthüllen." Diese im Auszug zurückhaltende und vergleichsweise schmeichelhafte Kritik wird dem Film allerdings auch nur teilweise gerecht, denn unter all der offen zur Schau gestellten Oberflächlichkeit brodelt ein Vulkan an schemenhaftem Tiefsinn, den zu enträtseln beinahe einzig und alleine dem Zuschauer auferlegt wurde. Erneut stellt sich also das von mir persönlich stets empfundene Thiele-Problem heraus, denn er konnte seine Progressivität zwar im Bilde festhalten, sie allerdings nicht nachhaltig genug bündeln, sprich für den Zuseher verständlich machen. "Venusberg" ist ein Film, den man daher unbedingt mehrmals gesehen haben müsste, um ihm guten Gewissens gerecht zu werden, doch eines kann ich ohne jeden Zweifel bestätigen, nämlich dass es sich um eine seiner besten Arbeiten handelt.
Wirft man einen Blick auf die Produktionskosten und die geschäftlichen Filmechobenotungen, so sieht das Ganze eher nüchtern aus. Die Herstellungskosten für "Venusberg" beliefen sich auf DM 506.099,14 und man musste weit über ⅙ der Kosten, mit einem Verlust von etwa DM 80.000 wieder abschreiben, und hier soll der Konkurs des Schorcht Filmverleihs eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Filmecho-Benotung war mit 4,1 auch nicht gerade sensationell. Andere Angaben waren fast dreißig Jahre später von Hauptdarstellerin Marisa Mell, höchstpersönlich und selbst angefertigt, in ihrer Biografie "Coverlove" zu vernehmen, wenn auch lediglich nur kurz und knapp, und dem Charakter der Lektüre entsprechend, auf vagem Niveau: »Der Film wurde ein Riesenerfolg, auch international.« Große Probleme gab es bereits zum anvisierten Termin der Uraufführung, da die FSK offenbar ein riesiges Fass aufmachte. Der Nora Filmverleih musste den Start des Films verschieben, da man gezwungen war ihn aufgrund gewisser Änderungswünsche zurückzuziehen, außerdem wurde es kategorisch untersagt, ihn in der Karwoche, beziehungsweise rund um Ostern anlaufen zu lassen. Diese Prozedur ist heute nicht mehr ganz nachzuvollziehen, spiegelt aber wohl authentisch den Zeitgeist wieder, und ob sich diese Auflage mit der verbundenen Kritik letztlich als kostenlose Reklame gerechnet hat, wäre durchaus eine interessante Information. Lange Rede, kurzer Sinn. Der Film ist insgesamt mehr als gelungen und überrascht mit dem Unvorhergesehenen. Bemerkenswert elegant und stilvoll bekommt man wunderbare Bildkompositionen anvertraut, worin sich mitunter der besondere Charakter entwickelt, aber auch die ungewöhnliche Thematik als Konglomerat aus Oberflächlichkeiten, Groteske, Tiefgang und Symbolik transportieren einen ungeheuren Reiz, so dass man nicht mehr unterscheiden kann, ob es sich um ein Märchen im Wahrheitsgewand handelt, oder um einen Tatsachenbericht im Märchenformat. Fakt ist, dass man die nicht immer greifbare Atmosphäre durch die exzellente Kamera-Arbeit von Wolf Wirth transparent geschildert bekommt, sie jederzeit spüren kann, auch wenn man das Wahrgenommene oftmals nicht glauben kann.
Für das heutige Verständnis bleibt ein sagenhafter Jahrmarkt der Frivolitäten definitiv aus. Was die Gemüter (in welcher Form auch immer) seinerzeit erregte, wirkt heute schon fast wieder etwas bieder, brav und unspektakulär, außerdem unfreiwillig komisch. Eine Klassifizierung mit FSK 18, die bis heute Bestand hat, lockt daher nur noch ein müdes Lächeln aus den Zuschauern. Rückblickend ist bei dieser Produktion angesichts ihrer erotischen Inhalte nichts Beispielloses mehr zu erkennen, zumindest nicht auf den ersten Blick. Was sich damals in der Zeit des Wirtschaftswunders jedoch hierbei in einigen Köpfen abgespielt haben muss, ist wenn überhaupt nur zu erahnen. Rolf Thiele war bestimmt kein Film-Vandale, das spiegelt seine eigenwillige oder eigenmächtige Art Kino zu machen nicht wieder. Vielleicht ist die Umschreibung Visionär daher etwas zu weit hergeholt, kommt der Sache ganz allgemein aber eigentlich nahe. Ein Schritt weiter, oder einige Schritte mehr gehend, den Unterhaltungswert und die anvisierte Exposition nie aus den Augen verlierend, machte er Kino, dass die Leute sehen, oder angeblich natürlich nicht sehen wollten, und viele Erfolge sprechen von daher ohnehin für sich. Man kann es nicht anders sagen, aber bei "Venusberg" handelt es sich um ganz faszinierende, wenn auch genauso eigenartige 88 Minuten. Ein Film über Frauen, der aber oft keineswegs schmeichelhaft für Frauen erscheint, sondern der augenscheinlich für Männer gedacht und gemacht ist. Er spricht auf unterschiedlichsten Ebenen an, und verteilt daher auch groteske bis nachvollziehbare Rundumschläge auf ebenso unterschiedlichem Niveau. Stellt "Venusberg" also tatsächlich den zitierten »politischen Film des neuen Deutschland« dar, ist er durch die fast vollkommen fehlende männliche Präsenz ein »feministischer Film aus weiblicher Perspektive«, transportiert er einen surrealistischen Touch oder befindet sich unter dem verwirrenden Deckmantel der Geschichte nur ein primitiver Sensationsfilm ohne anspruchsvolle Ambitionen? Auf den ersten Blick lässt sich garantiert von allem etwas finden, und daher steht und fällt dieser Film auch nicht mit seinem Verlauf, sondern erst mit dem Wort »Ende«. Die Bandbreite an Einschätzungen war von »politischer Film« bis »Schweinkram« jedenfalls sehr ausgeprägt. "Venusberg" konnte ich vor einem Jahr im Filmhauskino Köln bewundern, und es war schon ein besonderes Erlebnis. Da es noch so viel mehr zum Film zu berichten gibt kann ich nur sagen: Fortsetzung folgt, immerhin laboriere ich ja jetzt genau ein Jahr mit dem Film herum, und hoffe, ihn irgendwann wieder sehen zu können...