The nightcomers
Großbritannien 1971
Regie: Michael Winner
Marlon Brando, Stephanie Beacham, Thora Hird, Harry Andrews, Verna Harvey, Christopher Ellis, Anna Palk
OFDB
England, 1901: Die Eltern von Miles von Flora sterben bei einem Autounfall. Die halbwüchsigen Kinder sind nun auf sich allein gestellt. Ist das so? Nicht ganz, denn die beiden leben auf einem Herrensitz, der Vormund hat sich aus der Verantwortung gestohlen, und für die Erziehung ist jetzt die Hauslehrerin Miss Jessel zuständig. Des weiteren im Haus: Die Wirtschafterin Miss Grose, die mehr oder weniger für Sauberkeit, Recht und Anstand da ist. Was auch notwendig ist, denn da gibt es noch Peter Quint – Gärtner, Diener, Faktotum, Säufer, und gewalttätiger Liebhaber von Miss Jessel. Die Kinder lieben Quint, sie lieben ihn so sehr, dass sie seine Geschichten für bare Münze nehmen, im Gegensatz zu den Lehrstunden von Miss Jessel. Sie lieben ihn so sehr, dass sie sein Verhalten nachahmen. Auch dann, wenn er Miss Jessel mit SM-Praktiken zum Höhepunkt bringt. Und sie lieben ihn so sehr, dass sie die dahingeschluderten Worte, die er an seine jugendlichen Freunde einfach so dahinsagt, dass sie diese Worte als Realität ansehen. Oder sie zur Realität machen.
So unschuldig sehen sie aus, so wohlerzogen geben sie sich, und in Wahrheit stecken hinter den liebreizenden „Kindern“ Dämonen. Ungestalten, die gerne Tiere foltern, und nach und nach die Lust, Schmerzen zuzufügen, auch auf Menschen ausweiten. Was im Einzelnen geschieht möchte ich nicht spoilern, damit sich beim Anschauen des Films die Ungläubigkeit ihren gebührenden Raum holen kann. Aber letzten Endes läuft es auf die Erkenntnis hinaus, zu was sich Kinder mit falschen Vorbildern auswachsen können.
DAS LOCH IN DER TÜR erzeugt dabei ein permanentes Unwohlsein. Das Gefühl, am liebsten abschalten zu möchten, setzt sich über große Teile des Films hinweg, und das liegt dabei nicht nur an den Kindern. Neben der zögernd-altjüngferlichen Miss Grose, einer Mischung aus Miss Bridges aus DAS HAUS AM EATON PLACE und Inge Meysel, sowie Miss Jessel, die als Sympathiefigur und Freundin des Zuschauers eingeführt wird, ist die Hauptfigur und gleichzeitiger Antagonist Peter Quint. Ein biederer Bediensteter, der nach oben buckelt und dienert, nach untern aber kratzbürstig und widerwärtig ist. Die Kinder liebt er, ohne Zweifel, wenn auch auf seine eigene und spezielle Art. Er zeigt ihnen wie man Frösche zu Tode quälen kann, er spielt mit ihnen Verstecken, und er ist der einzige Mensch der ihnen sagt, dass die Eltern tot sind. Und noch einen Menschen liebt Peter Quint (außer sich selbst), nämlich Miss Jessel, wobei diese Liebe viel mit Fesselung und Schlägen zu tun hat. Eine durchaus toxisch orientierte Art der Liebe, die sich im Laufe des Filmes ausgesprochen verhängnisvoll auswirken wird, denn auch in einem fast verlassenen Herrenhaus ist niemand jemals wirklich alleine. Nicht nur unter den Menschen ist die Atmosphäre also frostig und distanziert, auch die Natur ist abweisend und kalt. Es ist die Zeit zwischen Winter und Frühjahr, es gibt keine blühende Sträucher oder gar Blumen, die Natur ist kahl und verstärkt so dieses Gefühl der Einsamkeit. Wie wohltuend können doch da warme Worte oder freundliche Gefühle sein. Auch und gerade, wenn sie von einem Mann wie Peter Quint kommen.
Peter Quint also. Ein Ausbund an Solidität und Zuverlässigkeit, zumindest wenn es um seine eigenen Anliegen geht und darum, die Kinder sinnvoll zu beschäftigen. Der einzige der weiß, dass Kinder nicht nur zu lernen lernen lernen haben, sondern auch mal spielen müssen. Der mit ihnen einen Drachen steigen lässt und Voodoopuppen mit dem Gesicht von Miss Grose bastelt. Kein wirklich angenehmer Zeitgenosse, aber für ein Kind etwa kurz vor oder in der Pubertät natürlich ein großartiges Vorbild. Und wenn Peter Quint Miss Jessel fesselt und schlägt, und Miles dabei heimlich durch das namengebende Loch in der Tür zuschaut, dann spielen Miles und Flora anschließend eben auch „ekstatische Liebesbeziehung“. So einfach ist das. Und wenn Peter Quint sagt, dass es nur dann Liebe ist wenn es wehtut, dann hat es eben wehzutun …
DAS LOCH IN DER TÜR ist kein Horrorfilm, auch wenn die literarische Vorlage The turn of the screw von Henry James klassische englische Schauerromantik darstellt. Vielmehr bedient sich Regisseur Michael Winner bei den Personen des Romans und stellt diese, bei identischer Umgebung, in eine völlig eigene Geschichte, einer Art Prequel der James’schen Geschichte. Denn die Figuren, die bei James nur narrativ benannt werden, sind hier aus Fleisch und Blut (im wahrsten Sinne) zu bewundern. Gleichzeitig ist DAS LOCH IN DER TÜR aber auch eine Art Coming-of-Age-Geschichte, verbunden mit juveniler Gewalt und einem Liebesdrama mit sexuellen Untertönen. Mehr als einmal erwartet man, dass sich Peter Quint an Flora vergeht, und die entsprechend angedeutete Zuneigung Quints zu dem Mädchen könnte eine Erklärung sein für seine völlige Zügellosigkeit bei Miss Jessel. Möglicherweise sind dies aber auch nur die zwei Seiten einer Medaille: Hier die fast zärtliche Liebe zu den Kindern, dort die Brutalität in etwas, was mit dem Begriff „Liebesspiel“ nicht mehr viel zu tun hat. Dabei gehören Peter Quint paradoxerweise ganz klar unsere Sympathien, ist er derjenige, dem wir viel Glück im Leben wünschen möchten. Ja, er ist ungebildet. Und ja, seine Ansichten über Liebe und Hass (die seiner Meinung nach das gleiche sind) sowie zu Leben und Tod (was dann entsprechend ebenfalls korreliert) sind sehr eigen und eben die Ansichten eines ungebildeten Menschen. Aber er ist dem Zuschauer nah, und wenn er seine wilden Theorien über das Leben vor den Kindern ausbreitet, möchten wir ihm am liebsten zurufen was er da für einen Scheiß macht, wie sehr er die Kinder in ihrer eigenen unverbildeten Meinung beeinflusst und zu etwas macht, was er anschließend nicht mehr kontrollieren kann. Peter Quint rennt so in die Grube die er sich selber geschaffen hat, gegraben haben die Grube aber seine geliebten Kinder.
DAS LOCH IN DER TÜR ist ein Psychogramm, ein Kammerspiel über die gegenseitige Beeinflussung von Menschen in einem fast von der Außenwelt abgeschlossenen Universum. Aber vor allem auch über Vorbilder und Nachahmer. Ein ungemütlicher und kratziger Film, der in vielerlei Hinsicht erst nach der Sichtung so richtig wirkt, wenn die Bilder langsam in das Gehirn einsickern. Und vor allem diejenigen Bilder, die nicht zu sehen waren. Die Kopfbilder …
6/10