Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Nun denn, ich darf verkünden, dass ich dem Spektakel vier Tage beiwohnen werde.
Der Cavallone hat das Faß der faulen Ausreden tatsächlich zum Überlaufen gebracht. In meinem Wahn habe ich mir SPELL im Vorfeld gleich noch einmal angeschaut: Himmel!
Der Cavallone hat das Faß der faulen Ausreden tatsächlich zum Überlaufen gebracht. In meinem Wahn habe ich mir SPELL im Vorfeld gleich noch einmal angeschaut: Himmel!
Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
So, Anreise und Unterkunft ist organisiert. Werde in jedem Fall "Mania" am Samstag und die "5te Macht im Staat" am Sonntag mitnehmen. Freue mich!
Wollte Karten dann an der AK kaufen, oder ist VVK klüger? Wie voll wird es denn immer so erfahrungsgemäß?
Wollte Karten dann an der AK kaufen, oder ist VVK klüger? Wie voll wird es denn immer so erfahrungsgemäß?
„Ist es denn schade um diesen Strohhalm, Du Hampelmann?“
Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Besser ist es die Tickets Online zu reservieren .Canisius hat geschrieben:So, Anreise und Unterkunft ist organisiert. Werde in jedem Fall "Mania" am Samstag und die "5te Macht im Staat" am Sonntag mitnehmen. Freue mich!
Wollte Karten dann an der AK kaufen, oder ist VVK klüger? Wie voll wird es denn immer so erfahrungsgemäß?
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Alles klar. Habe dann gerade mal Tickets gekauft.Onkel Joe hat geschrieben:Besser ist es die Tickets Online zu reservieren .Canisius hat geschrieben:So, Anreise und Unterkunft ist organisiert. Werde in jedem Fall "Mania" am Samstag und die "5te Macht im Staat" am Sonntag mitnehmen. Freue mich!
Wollte Karten dann an der AK kaufen, oder ist VVK klüger? Wie voll wird es denn immer so erfahrungsgemäß?
„Ist es denn schade um diesen Strohhalm, Du Hampelmann?“
Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Nun ist es nach vielen Widrigkeiten und Verzögerungen endlich vollbracht: Es gibt ein Festivalplakat!
Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Wie kommt Claudia Roth von den Grünen auf das Plakat?
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http://www.reinifilm.blogspot.com / https://bfilmbasterds.de/
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Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Ich werde auch die vollen vier Tage da sein und mir das ganze Programm reinziehen. Da ist ja dann morgen mit 38 Grad auch echtes Palermowetter in Frankfurt , so steht einem echten Italofeeling ja nichts mehr im Wege.
Ich hatte mich schon gefreut den 2001 Laden in Frankfurt zu besuchen, da die ja ab und zu ganz gute Filmbücher im Angebot haben , musste aber feststellen, dass es auch in Frankfurt keinen Laden mehr gibt. Schade.
A Domani.
Ich hatte mich schon gefreut den 2001 Laden in Frankfurt zu besuchen, da die ja ab und zu ganz gute Filmbücher im Angebot haben , musste aber feststellen, dass es auch in Frankfurt keinen Laden mehr gibt. Schade.
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Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Die Sichtungen bisher:
Donnerstag
18:00 Uhr: Der Mörder des Klans (1971)
Guter Italo-Western.
20:00 Uhr: La morte scende leggera (1972)
Sehr interessanter Giallo. Hat mir sehr gut gefallen.
22:30 Uhr: Suspiria
War cool diesen Klassiker mal auf der grossen Leinwand zu sehen.
Freitag
12:30 Uhr
Das letzte Paradies (1955)
Dokumentation über Naturvölker in der Südsee. Im Gegensatz zu späteren Mondofilmen ist hier sogar noch eine gewisse Form von Erzählstruktur vorhanden. War kurzweilig anzuschauen.
15:45 Uhr
Questo si che e amore (1978)
Melodram um ein krankes Kind.
Handwerklich gut gemacht, war jetzt aber nicht so mein Ding. Bin warscheinlich die falsche Zielgruppe für den Film. Positiv zu erwähnen ist noch die Mitwirkung von Laura Trotter. Allerdings hat Sie leider nur relativ wenige
Szenen. Das war etwas enttäuschend.
20:00 Uhr
Io non prostesto, io amo (1967)
Netter Musikfilm. War unterhaltsam.
22:45 Uhr
L ultima orgia del III Reich (1977)
Der war ziemlich heftig.
Keine leichte Kost.
Donnerstag
18:00 Uhr: Der Mörder des Klans (1971)
Guter Italo-Western.
20:00 Uhr: La morte scende leggera (1972)
Sehr interessanter Giallo. Hat mir sehr gut gefallen.
22:30 Uhr: Suspiria
War cool diesen Klassiker mal auf der grossen Leinwand zu sehen.
Freitag
12:30 Uhr
Das letzte Paradies (1955)
Dokumentation über Naturvölker in der Südsee. Im Gegensatz zu späteren Mondofilmen ist hier sogar noch eine gewisse Form von Erzählstruktur vorhanden. War kurzweilig anzuschauen.
15:45 Uhr
Questo si che e amore (1978)
Melodram um ein krankes Kind.
Handwerklich gut gemacht, war jetzt aber nicht so mein Ding. Bin warscheinlich die falsche Zielgruppe für den Film. Positiv zu erwähnen ist noch die Mitwirkung von Laura Trotter. Allerdings hat Sie leider nur relativ wenige
Szenen. Das war etwas enttäuschend.
20:00 Uhr
Io non prostesto, io amo (1967)
Netter Musikfilm. War unterhaltsam.
22:45 Uhr
L ultima orgia del III Reich (1977)
Der war ziemlich heftig.
Keine leichte Kost.
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Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Die weiteren Sichtungen:
Samstag
14:00 Uhr: Die Lust (1985)
Gut gemachter Erotikfilm.
Hat Spaß gemacht.
16:00 Uhr: Die Verlobten des Todes (1955)
Es ging um die beruflichen und privaten Eskapaden eines Rennfahrers.
War unterhaltsam gemacht. Hat mir gut gefallen.
20:00 Uhr: Mania (1974)
War ein Riesen-Spaß ! Sehr zu empfehlen !
22:45 Uhr: Jocks (1984)
Der fängt vielversprechend an, und die Musik die immer mal wieder im Hintergrund läuft ist auch nett. So richtig hat mich der Film jedoch nicht gepackt, und die Handlung war recht gemächlich erzählt.
Das Durchhalten wurde jedoch noch belohnt, denn die äusserst trashige, aber auch sehr aufwendige Liveshow in der Disco (welche im letzen Drittel zu sehen ist) hat mir super gefallen. So habe ich die Vorstellung dann mit einem versöhnlichen Gefühl verlassen.
Sonntag
13:00 Uhr: Vier Mal Heute Nacht (1971)
Hat mir sehr gut gefallen !
16:30 Uhr: Gewalt: Die fünfte Macht im Staat (1972)
Gut gemachter Gerichtsfilm.
20:00 Uhr: Spell (1977)
Die Handlung ist eher Nebensache, es geht in erster Linie um Satire und Provokation.
Gut gefallen hat mir, dass für viel Eye-Candy (u.a. Monika Zanchi) gesorgt wurde.
Interessant für Freunde des Arthouse-Kinos.
22:30 Uhr: Das Haus an der Friedhofsmauer
Guter Klassiker. Kann man immer mal wieder schauen.
Samstag
14:00 Uhr: Die Lust (1985)
Gut gemachter Erotikfilm.
Hat Spaß gemacht.
16:00 Uhr: Die Verlobten des Todes (1955)
Es ging um die beruflichen und privaten Eskapaden eines Rennfahrers.
War unterhaltsam gemacht. Hat mir gut gefallen.
20:00 Uhr: Mania (1974)
War ein Riesen-Spaß ! Sehr zu empfehlen !
22:45 Uhr: Jocks (1984)
Der fängt vielversprechend an, und die Musik die immer mal wieder im Hintergrund läuft ist auch nett. So richtig hat mich der Film jedoch nicht gepackt, und die Handlung war recht gemächlich erzählt.
Das Durchhalten wurde jedoch noch belohnt, denn die äusserst trashige, aber auch sehr aufwendige Liveshow in der Disco (welche im letzen Drittel zu sehen ist) hat mir super gefallen. So habe ich die Vorstellung dann mit einem versöhnlichen Gefühl verlassen.
Sonntag
13:00 Uhr: Vier Mal Heute Nacht (1971)
Hat mir sehr gut gefallen !
16:30 Uhr: Gewalt: Die fünfte Macht im Staat (1972)
Gut gemachter Gerichtsfilm.
20:00 Uhr: Spell (1977)
Die Handlung ist eher Nebensache, es geht in erster Linie um Satire und Provokation.
Gut gefallen hat mir, dass für viel Eye-Candy (u.a. Monika Zanchi) gesorgt wurde.
Interessant für Freunde des Arthouse-Kinos.
22:30 Uhr: Das Haus an der Friedhofsmauer
Guter Klassiker. Kann man immer mal wieder schauen.
- Salvatore Baccaro
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Re: Terza Visione - 6. Festival des ital. Genrefilms (Juli 2019)
Mit Frankfurt am Main werde ich in diesem Leben echt keine innige Freundschaft mehr knüpfen - (mal ehrlich, die Neue Altstadt schaut aus wie Disneyland, inkl. den Touristenströmen, und der Rest ist mir zu sehr Metropolis-Moloch, um mich irgendwo, wo ich gerade stehe, abzuholen) -, aber mit dem Gedanken, fünfzehn Italo-Filme an vier Tagen zusammen mit vielen lieben, auf jeden Fall aber nerdigen Leuten zu schauen, durchaus schon: Zumal ich endlich einen Apfelwein gefunden habe, der tatsächlich nach Apfelessig schmeckt (wen's interessiert: in der Schänke direkt neben der Alten Nikolaikirche gibt's den), und zum ersten Mal (unfreiwillig) live gesehen habe, wie jemand eine Heroin-Spritze präpariert (und zwar aus Vogelperspektive von einem Balkon aus), und in einer als Wohnung getarnten Videothek nächtigen durfte (erster Blick morgens beim Erwachen: SEXORGIEN IM SATANSSCHLOSS und Konsorten). Aber nun - nach dem (obligatorischen) Lob an die Veranstalter (was für eine Mühe muss das sein, all diese raren Streifen aufzutreiben und dann auch noch größtenteils eigenhändig zu untertiteln: Chapeau, Chapeau, Chapeau!), - in aller gebotenen Kürze zu meinen Sichtungseindrücken:
PREGA IL MORTO E AMMAZZA IL VIVO (Giuseppe Vari, 1971)
Da hat mich die euphorische Einführung, die von teilweise experimenteller Bildgestaltung raunte, dem glänzendesten Kinski-Gesicht aller Zeiten und Wüstensand, in den sich das Schicksal unserer Helden einschreiben würde, als hätten griechische Philosophen die Griffel geführt, wohl ein wenig in die Irre geführt, denn erhalten habe ich letztlich einen durchschnittlichen Italo-Western, der in seiner ersten Hälfte durch kammerspielartige Intensität auffällt, die fast ein bisschen wie eine Tarantino-Antizipation wirkt – (andererseits: was wirkt nicht wie eine Tarantino-Antizipation, wenn dieser Meister des Sich-Mit-Fremden-Federn-Schmückens seine Filme wie riesige Schmelztiegel gestaltet, in denen alles und nichts miteinander verrührt wird!?) –, dann aber schnell die handelsübliche Rachegeschichte abspult: Ein Fremder, der einem Bandenchef nach dessen erfolgreichem Goldraub verspricht, ihn und seine Handlanger über die mexikanische Grenze zu führen; ein Fremder, der sich in die Tochter eines Schankwirts verguckt bzw. sie sich in ihn, bevor sie dann von besagten Banditen als Geisel mit bis zur mexikanischen Grenze geschleppt wird; ein Fremder, der, wie sich herausstellt, nicht an seinem Lohn für den Grenzgang, nämlich der Hälfte des Raubgoldes, interessiert ist, sondern der ein gigantisches Hühnchen mit Bandito Kinski zu rupfen hat, da dieser im Sezessionskrieg die Ermordung von dessen kompletten Familie zu verantworten hatte usw.
Im Grunde ist es auch mal schön, einen Western abseits von Corbucci zu sehen, in dem Kinski mehr als Fünf-Minuten-Screentime hat, (auch wenn er sich in PREGA IL MORTO E AMMAZZA IL VIVO letztlich erneut nur selbst spielt.) Da verzeihe ich dem Film auch gerne, dass seine Landschaft nun wenig nach amerikanischem Westen, sondern eher nach römischen Hinterland (Stichwort: Sandgrube) ausschaut, dass sein Finale harmonietrunken wie das eines US-Edelwesterns ist, sprich, wenig von dem Zynismus der sonstigen italienischen Genre-Ware atmet, und dass all diese schweißperlenden Bilder letztlich in einem Rahmen hin und her kullern, den ich bereits in- und auswendig kenne, (und der einen vehemten Italo-Western-Opponenten wie Jogi erst recht zum Schnauben bringen würde.)
LA MORTE SCENDE LEGGERA (Leopoldo Savona, 1972)
Gothic Horror? Giallo? Das Plakat lässt beide Deutungen zu. Entpuppt hat sich dieser mir vorher völlig unbekannte, jedoch genau in mein Beuteraster passender Streifen des mir nicht wesentlich bekannteren Savona als zunehmend delirierender Trip in die Untiefen der Phantasmagorien italienischer Drehbuchautoren (darunter der mir schon weitaus vertrautere Luigi Russo): Giorgio, der, ähnlich wie Marc in POSSESSION, beruflich irgendwelche dubiose Agententätigkeiten für die Mafia, die Regierung oder irgendwelche Geheimorganisationen zu betreiben scheint, findet seine Ehefrau nach der Erledigung eines solchen Jobs in der gemeinsamen Wohnung erstochen vor. Eigentlich hat er ja ein Alibi für den Tatzeitpunkt: Er war in Mailand, dort aber zusammen mit Leuten aus genau jenen dubiosen, oben skizzierten Kreisen, von denen niemand wissen darf, und die deshalb auch niemals vor Gericht zu seiner Entlastung aussagen würden. Allerdings verspricht man ihm immerhin, man wolle sich um die Angelegenheit kümmern: Giorgio solle sich so lange mit seiner Geliebten in einem leerstehenden Hotel einquartieren, und die Zeit absitzen bis der wahre Mörder gefasst, die Sache erfolgreich vertuscht ist oder was auch immer. Was in diesem Hotel dann allerdings losbricht, das ist eine zwar äußerst kostengünstig in Szene gesetzte, aber nichtdestotrotz (oder gerade deshalb) reichlich faszinierende Hölle: Ein bisschen hat das was von SHINING, ebenso aber auch, in Anbetracht der finalen Lösung der sich zunehmend verheddernden Plotfäden, etwas von Tod Brownings LONDON AFTER MIDNIGHT, und sogar der Golfball aus FUNNY GAMES rollt einmal kurz durchs Bild.
Sicherlich kann man LA MORTE SCENDE LEGGERA vorwerfen, dass er zu randvollgestopft ist mit kreativem Input, unter dessen Druck der Film teilweise regelrecht zerfasert, oder dass er durchaus, wenn sein Drehbuch schon kaum Gefangene nimmt, auch inszenatorisch etwas mutiger und eigenwilliger hätte ausfallen können, oder dass nicht jeder Einfall einer ist, der zündet. Aber solche hypothetischen Vorwürfe stopfe ich mir sofort in meinen Hals zurück, wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, wie sehr der Streifen meiner Kinnlade letztlich doch fortwährend zum Sturzflug verholfen hat.
SUSPIRIA (Dario Argento, 1977)
Ein Verdienst, das ich SUSPIRIA nie vergessen werde, ist, mich als vergleichsweise jungen Menschen direkt mit der Magie des Kinos infiziert zu haben – und das, obwohl ich ihn damals auf einem kleinen Fernsehschirm in eher erbarmenswerter Qualität sehe. Letztes Jahr erstmals (dafür dann dreimal) im Kino als DCP, nun endlich 35mm, und zwar in der alten deutschen Kinofassung, aus der Rudolf Schündler komplett ausgeixt ist, und außerdem die eklige Großaufnahme eines mit Messers Spitze penetriert werdenden, noch pulsierenden Herzens fehlt. Dafür sind aber all die schönen Momente vorhanden, die mir, gewissermaßen, seinerzeit das Kino erklärt haben, und die sich (glücklicherweise, möchte man sagen) nur halbseiden zu einem runden, sprich, rationalen Gesamtbild zusammenfügen.
Über manche Filme – (und dazu gehört SUSPIRIA definitiv) – ist wohl schon so viel gesprochen, so viel gedacht, so viel geschrieben worden, dass ich das Gefühl haben würde, mit meinem euphorischen Lob nur Dinge zu wiederholen, die sowieso bereits Gemeingut sind, würde ich den Versuch unternehmen, diesem Gesamtkunstwerk aus Tönen, Licht, grellrotem Kunstblut und einem Studionachbau der Fassade des Freiburger "Haus zum Walfisch" auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Deshalb bleibt wohl nur der autobiographische Annäherungsweg offen. Kurz und bündig daher aus meinem intimen Tagebuch: Einer der schaurigsten Momente der Filmgeschichte sieht für mich wie folgt aus: Suzy und ihre Tanzkolleginnen müssen aufgrund akuten Madenbefalls der restlichen Ballett-Schule die Nacht in der Aula verbringen; sie schlafen schon, da weckt ihre Busenfreundin Sara ein Röcheln; das könne nur die Leiterin der Akademie sein, die bislang keine der Schülerinnen zu Gesicht bekommen hätte, flüstert sie unserer Heldin zu; schon einmal habe sie dieses Röcheln vernommen, vor einem Jahr, und kurz darauf seien einige der Schülerinnen verschwunden gewesen; Suzys ängstlich lauschendes Gesicht; Saras Insistieren; Zoom auf die keuchende Oma-Hexen-Silhouette hinter ihnen, unsichtbar für die Mädchen, aber sichtbar für mich, der in dieser Sekunde jedes Mal (und zwar wirklich: jedes Mal!) eine Gänsehaut kriegt.
L’ULTIMO PARADISO (Folco Quilici, 1955)
Ein Vorläufer der Mondo-Filme? Könnte man denken. Irgendwie stimmt das wohl sogar. Wobei sich das Vorläufertum gerade dieses Films dann doch in recht überschaubaren Grenzen hält. Viel mehr steht diese Kamera-Expedition gen Ozeanien noch in der Traditionslinie von Dokumentationen exotischer Gebräuche und Sitten, wie man sie von den frühsten Kulturfilmen über ambitioniertere Projekte wie denen Robert Flahertys bis hin zu den zahllosen kinematographisch-exploitativen Bali-Ausflügen der 30er und 40er Jahre zurückverfolgen kann. Keine Schock-Montage. Keine (allzu) dramaturgisch überformte Aufbereitung des dokumentarischen Materials. Keine relevanten Juxtapositionen im Off-Kommentar. Keine Szenen, bei denen es nötig wäre, die Hände vors Gesicht zu schlagen. (Na gut, ein armes Schweinchen wird einem Hai zum Fraß vorgeworfen, das aber derart zahm und zurückhaltend gefilmt, dass selbst ein MONDO CANE dagegen wirkt wie die heftigste Shockumentary.)
Stattdessen: Kurze Segmente, in denen Fiktion und außerfilmische Realität uns geschwisterlich Hand in Hand an einige interessante Aspekte des Südseelebens heranführen. Um ihren Mut zu beweisen, (und die Frauen ihres Stammes zu beeindrucken), schleudert sich eine Gruppe Männer als Bungee-Jumper von einem haushohen Turm und nur mit einer Liane um die Fußknöchel in die Tiefe. Um dem tristen Fischereialltag zu entrinnen, verlässt ein Jüngling sein Heimatdorf, landet beim Bergbau, schließlich in der großen Stadt, wo ihm beim Anblick der Dekadenz während der Bastille-Tag-Feier klar wird, dass er im Schoß seines Volkes besser aufgehoben ist als irgendwo sonst. Besonders schön schlingen sich narrative und non-fiktionale Anteile des Films in der zweiten Episode ineinander, wenn wir aus der Perspektive eines Knaben, der Angst vorm Meer hat, und von seinem Vater gerade deshalb dorthin mitgenommen wird, allerhand Wissenswertes über die Strapazen der Tag für Tag nach Muscheln tauchenden Männer seines Stammes erfahren: Je zwei Minuten ohne Luftholen in mehreren Metern Ozeantiefe, dazu die Gefahr durch Haie und Muränen. Selbst wenn die eine oder andere blanke Brust blitzt, ist hier wenig reißerisch inszeniert, sondern angenehm zurückhaltend, beinahe schon betucht, und dennoch, irgendwie, die Blaupause für jenes Genre, das wenige Jahre später anfangen wird, ungeniert in den Abarten der Welt zu wühlen.
QUESTO SI CHE É AMORE (Filippo Ottoni, 1978)
Was für eine herzzerfetzende Geschichte: Der kleine Tommy lebt im Glaskasten, ohne körperlichen Kontakt zur Außenwelt. Würde er den Schutz seines speziell ausstaffierten Krankenzimmers verlassen, würden ihn die feindlichen Keime aufgrund einer Autoimmunschwäche früher oder später aufs Totenbett werfen. Darunter scheint Tommy jedoch nicht so sehr zu leiden wie unter der sich abzeichnenden Scheidung seiner Eltern sowie vor allem der Abstinenz seines Vaters, der zwar im TV eine Kindersendung moderiert, (wo er wiederum mit einer unheimlichen Puppe hantiert), für den eigenen schwerkranken Jungen aber seit Wochen keinen Besuch mehr übrig hat. Dabei steht Weihnachten vor der Tür, und Tommy setzt sich in den Kopf, dass er das Fest der Liebe zusammen mit Mama und Papa verbringen möchte, und zwar draußen, in der Freiheit, koste es, was es wolle...
Mitte der 70er stehen Lacrima-Filme in Italien hoch im Kurs: Reihenweise sterben Kinder an immer ausgefalleneren Krankheiten, und hinterlassen das Publikum in seine Taschentücher schluchzend. QUESTO SI CHE É AMORE spielt seine sentimentalen Karten interessanterweise aber gar nicht mal so hemmungslos aus wie ich erwartet hätte. Statt sich Szene für Szene im Weltschmerz zu suhlen, zeichnet die wenig virtuose, aber immerhin solide Inszenierung sogar, meiner Meinung nach, ein gewisses Mindestmaß an Zurückhaltung aus. Wirklich sympathische Figuren gibt es trotzdem wenige, und wirklich aufwühlend habe ich den recht klar auf sein unvermeidlich tragisches Ende zusteuernden Plot nun ebenfalls nicht empfunden. Lichtblick ist indes die Rolle des Larry, meinem heimlichen Helden des Films, ein Freund Tommys, der, weil seine Eltern sich permanent die Köpfe einschlagen, offenbar den ganzen Tag mit seinem Hund (zu einem Funk-Score von Cipriani, der klingt wie aus CANNIBAL FEROX) durch London zieht, und dessen ambivalenter, oft clownesker, aber auch eine tiefe Tragik verratender Charakter mich wesentlich mehr in Anspruch genommen hat als die Eheprobleme von Tommys Erzeugern oder dessen exaltierte Empfindlichkeiten.
IO NON PROTESTO, IO AMO (Ferdinando Baldi, 1967)
Kann ein Film, der mit einem sprechenden bzw. inner-monologisierenden Eselchen an einem Strand beginnt, wirklich schlecht sein? Im Falle dieses Musicarellos besteht die Antwort natürlich aus einem schmetternden Nein. Genauso schmetternd wie die kraftvolle Stimme von Hauptdarstellerin Caterina Caselli, die, wenn sie ihrem Verlobten Mario Giotti nicht ein Liebesständchen nach dem andern trällert, als progressive Grundschullehrerin ihre Schutzbefohlenen mit Songs über die griechische und persische Geschichte unterrichtet. Letzteres ist dem Baron Calò, einem ausgemachten Altfaschistischen, ein Dorn im Auge, weshalb er sie bei der Schulbehörde anschwärzt: Nein, pauken mit Pop-Hits, das ginge nun wirklich gar nicht. Schnell ändert sich die Meinung des abgehalfterten Adligen allerdings, als sein Vetter plötzlich aus den USA hereingeschneit. Der ist nämlich seines Zeichens Musikproduzent. Mit Platten, sagt er, da könne man ein Vermögen machen. Da unser Baron unter akuten Geldsorgen leidet, heckt er folgenden Plan aus: Caterina soll zum Hitparaden-Stern modelliert werden. Von ihren Einnahmen rettet er dann seine Ländereien, und sie soll ihren Traum von einer Schule, in der Gesang nicht tabuisiert ist, verwirklichen dürfen. Problem nur: Im Show-Buisness reicht zum Erfolg eine schnöde Akustikklampfe nicht aus, da müssen härtere Beat-Geschütze her…
Je länger ich über diesen Film im Nachhinein nachdenke desto mehr wächst er in meiner Erinnerung. Klar, die Kalauer sind abgekaut, und der Plot schlägt mehr Volten als ein flüchtender Windhund, und nicht alle dargebotenen Songs sind welche, für die ich eine Jukebox mit Münzen füttern würde. Mit seiner Entscheidung, sich dem Nonsens vollkommen zu ergeben, und solche erinnerungswürdige Seltsamkeiten im Sekundentakt an mir vorbeidefilieren zu lassen wie Terence Hill als cholerischen Bräutigam in spe, einen Beatnik-Epileptiker namens Dorx der Zornige, und einem als Sensation angekündigten Musikfestival, dessen Schauplatz schließlich ein plumpes Hotelfoyer ist, wo einzig etwa vierzig Personen schunkelnd herumsitzen, kocht er mein Herz indes weich genug, um sich unvoreingenommen um diesen schlagaresken Quatsch schließen zu können. Himmelschreiend ist nicht zuletzt der politische Subtext: Caterina als (zunächst) anti-autoritäres Goldkehlchen verkündet im Finale selbstbewusst, sie wolle nicht länger protestieren, sondern lieben. Endgegner: Eine bürgerliche Ehe. Rebellion sieht echt anders aus, und Solidarität mit der aufbegehrenden Jugend ebenfalls, da kann Ferdinando Baldi noch so viele Seitenhiebe gegen Mussolini-Nostalgiker oder Bürokraten-Hengste austeilen.
L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH (Cesare Canevari, 1977)
Ein Wagen fährt in die Ruinen eines ehemaligen KZs. Erwartet wird der Mann hinterm Steuer von einer jungen Frau. Sie kennen sich, scheinen alte Freunde, vielleicht sind sie einmal ein Liebespaar gewesen. Wie sehr man diesen Begriff pervertieren muss, damit er für die Beziehung der Beiden verwendbar wird, zeigen uns fragmentarische Rückblenden: Er ist Conrad von Starke, Lagerkommandant in einem NS-Bordell; sie ist die Jüdin Lise Cohen, die von ihm in eine sadomasochistische Beziehung gezwungen wird. PORTIERE DELLA NOTTE, anyone?
An einem Wochenende vor vielen Jahren allein im Haus meiner Eltern lasse ich die Rollläden herunter, ziehe den Telefonstecker aus der Dose, stelle die Klingel ab, und schaue mir sämtliche italienischen NS-Exploiter an, die mir vorliegen. Seitdem bin ich angefixt, zugleich angewidert und faszinierend von dem wohl dreckigsten Kino-Subgenre überhaupt, und kann es immer noch nicht glauben: So etwas gibt es wirklich?, und dann nicht nur einen von der Sorte, sondern ein Dutzend? Schon damals hat Canevaris Beitrag für mich herausgestochen. Vor allem wegen seiner Herbheit. Da braucht es gar keine eklatanten Gore-Effekte, um einem den Magen herumzudrehen, wenn in einer bestimmt zehnminütigen Bankett-Szene die selbsternannten Herrenmenschen eine kulinarische Endlösung der Judenfrage nicht nur diskutieren, sondern auch gleich schmatzend ausagieren. Zur allgemeinen Verstörung trägt ebenfalls bei, dass Canevari den Trash-Faktor streng in Zügeln hält. Okay, ein Hakenkreuz-Orden mit Jahreszahl 1930 ist ziemlich doof, und die wandelnden Klischeebildchen wie den sadistischen Lagerkommandanten als Reinkarnation Sade’scher Libertins oder die lesbische, zugleich an Anal-Pentrationen interessierte Ilsa-Bitch sind allesamt versammelt. Daneben aber: Eine Atmosphäre übersteigerter Hoffnungslosigkeit, eine klar an Cavani geschulte abgründige Romanze, (sofern das Wort in dem Zusammenhang irgendeinen Sinn ergibt), mit noch abgründigerem Ausgang, die Verweigerung des Drehbuchs, eine der zentralen Figuren (schon gar nicht die emotionsbefreite Lise) auch nur hauchweise mit Sympathie zu segnen, ein ehrlich traumatisierendes Titellied, Szenen der Demütigung und des Ausgeliefertseins, bei denen auch ein Rudel Gerbils ganz und gar nicht possierlich wirkt.
IL PIACERE (Joe D‘Amato, 1985)
Gabriele Tinti im Trauerflor: Seine große Geliebte Leonora ist gerade unter die Erde gebracht worden. Retrospektiv ziehen Bilder ihres vergangenen Glücks an ihm vorbei, vor allem die Begegnung beim venezianischen Karneval, die mit einer Balzjagd durch Häuserschluchten und Brücken der Lagunenstadt beginnt und mit einem Quickie endet. Gerard, wie sich Gabrieles Charakter nennt, hat mit Leonora jedoch nicht nur seinen erotischen und emotionalen Lebensmittelpunkt verloren, sondern auch etwas gewonnen: Edmund und Ursula nämlich, die beiden die Schwelle zum Erwachsenenalter knapp überschritten habenden Kinder Leonoras. Dass Edmund bei starker Erregung unter epileptischen Anfällen leidet, die sich nur dadurch mindern lassen, dass Ursula ihm die Brust reicht, scheint Gerard indes nicht so stark zu beeindrucken wie die optischen Ähnlichkeiten, die zwischen der Toten und ihrem Töchterchen bestehen. Hinzukommt, dass Ursula es offen darauf anlegt, ihre Jungfernschaft an den Mann zu verlieren, der seine schönsten Nächte in den Armen ihrer Mutter verbracht hat…
Die in der Einführung ausführlich herausgearbeiteten literarische Bezüge von Edgar Allan Poes weiblichen Wiedergängern in Erzählungen wie MORELLA oder ELEONORA bis zu den ungleich freizügigeren Schriften eines Aufklärungs-Pornographen wie Rétif de la Bretonne mögen nicht von der Hand zu weisen sein, beschränken sich, meiner Meinung nach, jedoch auf das Fallenlassen des einen oder anderen vertrauten Topos, des einen oder anderen symbolträchtigen Namens. Auch der Umstand, dass LA PIACERE vor dem Hintergrund des Mussolini-Faschismus angesiedelt ist, und vor allem im letzten Drittel in ein paar Nebensätzen von dessen Repressionen berichtet, bringt den D’Amato-typisch gemächlich, wenn nicht gar dröge dahinfließenden Strom aus geschmackvollen ausgeleuchteten Interieurs, harmlosen Sexeskapaden (unter anderem mit Laura Gemser als Opium-Priesterin) und vielen Großaufnahmen eines zutiefst traurig dreinguckenden Tintis zu kaum einen Zeitpunkt derart in Fahrt, dass mein Interesse großartig seinen Kopf aus einer Stimmung herausstreckt, die man am besten vielleicht als eine Mischung aus Langeweile und Lethargie bezeichnen könnte.
I FIDANZATI DELLA MORTE (Romolo Marcellini, 1957)
Carlo hat die Schnauze voll: Als der aufstrebende Rennfahrer aufgefordert wird, bei einem Wettbewerb ganz bewusst nicht als Erster die Zielgerade zu überqueren, weil man der Armee ein bestimmtes Vehikel verkaufen möchte, das einer seiner Konkurrenten steuert, schmeißt er seinen Job im Rennstall von Zetavu hin, und versucht auf eigene Faust, sich an die Spitze des italienischen Motorsports zu kämpfen. Hilfe kommt ihm zugute von seiner treusorgenden Gattin und deren Schwiegervater, einem ehemaligen Haudegen des Rennsports, aber auch von der Tochter seines Ex-Chefs, mit der er kurzerhand eine Affäre beginnt. Carlos Übermut bringt in der Folge nicht nur seine Ehe ins Wanken, sondern führt auch, nachdem er sich unorthodoxer Methode zur Siegerlangung bedient hat, zu seiner Disqualifizierung bei einem wichtigen Straßenrennen. Ein Comeback scheint für unseren Helden in weite Ferne gerückt…
Für jemanden, der es nicht nur anstrengend, sondern regelrecht nichtssagend findet, einem Formel-1-Rennen auf der heimischen Mattscheibe zu folgen, ist I FIDANZATI DELLA MORTE sicherlich keine maßgeschneiderte Film-Kost – zumal Rick Battaglia einen denkbar unsympathischen, jedoch scheinbar nichtsdestotrotz als Identifikationsfigur angelegten Protagonisten abgibt, der ohne Gewissensbisse mit fremden Frauen ins Bett hüpft, und die gerechtfertigte Kritik der eigenen Angebeteten schon mal mit einer Backpfeife beantwortet. Auch die endlosen Rennfahrszenen – (teilweise dokumentarisches Material bspw. vom Mailand-Taranto-Rennen, und inszeniert mit echten Stars der damaligen Motorsportszene) – haben mich nicht im Geschwindigkeitsrausch in meinem Kinosessel fixiert. Interessant immerhin fand ich, wie lax die damaligen Sicherheitsbedingungen bei Straßenrennen gewesen sein müssen – (eine nennenswerte Absperrung zwischen johlender Zuschauermenge und dahinsausenden Fahrzeugen habe ich jedenfalls nicht ausmachen können), - und aufgetan hat sich mein Herz bei einem (betrunkenen?) Hans Albers, der als Carlos Schwiegervater im Non-Stop-Polter-Modus agiert, dass es eine wahre Lust ist.
MANIA (Renato Polselli, 1974)
Wenn ein Film damit beginnt, dass ein hysterisch miteinander kommunizierendes Liebespaar auf einer gebirgigen Landstraße von einem menschenleeren PKW verfolgt wird, während die Außenaufnahmen konsequent bei Tag und die Innenaufnahmen des Wagens unserer Helden konsequent bei Nacht gedreht worden scheinen, und eine Rückblende außerdem vom (vermeintlichen) Flammentod eines Wissenschaftlers berichtet, in dessen Labor Betonmischer zirkulieren, und der angeblich eine Formel gefunden hat, mit der man die Materie beherrschen, sprich, eine Biene mitten im Flug stoppen lassen kann, dann ahnt man vielleicht schon, dass man sich in ein Werk des großen Eklektizisten Renato Polselli verirrt hat, weiß auf jeden Fall aber, dass während der nachfolgenden neunzig Minuten die Pforten der Wahrnehmung sehr lose in ihren rationalistischen Angeln baumeln werden.
Was unsere Heldin Lisa, Gattin des erwähnten mad scientist, an dessen Purgatorium sie sich die Schuld in die Schuhe schiebt, in Polsellis Mixtur aus haunted-house-Horror, SM-Peitsch-Einlagen, Gothic-Delirium und Seelenstudie derangierter Individuen so alles erlebt, rechtfertigt ausnahmsweise mal den Gemeinplatz: Das lässt sich einfach nicht in Worte fassen. Angelangt in der Villa ihres toten Ehemanns, und konfrontiert mit dessen bei erwähntem Inferno stark in Mitleidenschaft gezogenen, nun im Rollstuhl sitzenden Zwillingsbruder, (mit dem sie übrigens einst ein Verhältnis unterhielt), sowie dessen taubstummer Nymphomaninnen-Bediensteten zersplittert nicht nur unsere potentielle Identifikationsfigur in einen Wust aus schrillen Schreien und hysterischen Anfällen, sondern die Narration tut es ihr gleich. So konsequent gegen den Strich inszeniert wie MANIA ist, kann das nur eine bewusste Entscheidung gewesen sein: Kaum eine Einstellung fügt sich harmonisch an die nächste; munter wechseln die Tageszeiten; einen logisch konsumierbaren Sinn aus den narrativen Fragmenten zu schöpfen, erübrigt sich schnell. Als ob Andrzej Zulawski nicht den Arthouse-Weg gewählt hätte, sondern in die Untiefen billig heruntergekurbelter Horrorstreifen hinabgestiegen wäre. Als ob Jean-Luc Godard sich bei seinen Genre-Dekonstruktionen nicht an Hollywood B-Movies abgearbeitet, sondern sich intensiv mit gotischen Gialli auseinandergesetzt hätte. Ob das teilweise knapp am Erstickungstod vorbeischrammende Publikum nun über den Film lachte oder mit ihm, kann ich nicht entscheiden. Ich jedenfalls habe nun die endgültige, weil kino-erprobte Bestätigung, dass Polselli der vielleicht einzige Regisseur der Filmgeschichte ist, der einen derart bravourösen Balanceakt zwischen Trash und Kunst hinlegt, dass die Beurteilung, ob er nun zum einen oder anderen tendiert, obsolet wird.
JOCKS (Riccardo Sesani, 1984)
DJ und Hi-Fi heißen die beiden Helden dieses Italo-Disco-Films, (der dann, bei näherer Betrachtung, wohl doch eher das Etikett eines International-Disco-Films verdient), und bringen die pure Oberflächlichkeit von Sesanis Machwerk allein über ihre Namen perfekt auf den Punkt: Wenn unser reichlich farbloses Duo nach Rimini aufbricht, um dort die eigene Karriere mit der größten Disco-Party mindestens des Stiefellands, wenn nicht der ganzen Welt zu begründen, sich alsbald beide in die Tänzerin Kim verschießen, und deren Tante Geld für ihr Event aus den Rippen leiern, das diese nur zu spenden bereit ist, wenn das Resultat eine modernisierte Variante von Verdis AIDA darstellen soll, (was DJ und Hi-Fi freilich wiederum wenig passt), dann geschieht das derart ohne nennenswerte Konflikte, ohne dramaturgische Finessen, ohne Ecken und Kanten, (dafür aber mit Musik, die mir mehrheitlich in die Ohrmuscheln stach), dass ich mich gähnend fragte, welche Zielgruppe mit dem uninspirierten Werk denn angesprochen werden sollte.
Bis auf die (dann aber fulminante) Finalsequenz – im Prinzip ein langes Musikvideo mit Robotern, Alienmaskerade, spektralen Lichteffekten, und, natürlich, Verdi-Versatzstücken – bietet JOCKS tatsächlich kaum etwas, was das Potential hätte, mir länger als eine Nacht im Gedächtnis zu bleiben: Die Liebes- bzw. Eifersuchtsgeschichte zwischen DJ, Hi-Fi und Kim ist ebenso belanglos wie die Geldbeschaffung für das anstehende Großevent problemlos und die Rivalitäten mit einer verfeindeten Disco-Bande harmlos. (In einer völlig beknackten Szene wird DJ von seinen Gegnern für etwa drei Minuten entführt, nachdem er sich aus eigener Kraft aber aus seinen Fesseln befreit und zurück zu Hi-Fi gefunden hat, ist auch dieser Konflikt wie von selbst ad acta gelegt.) Wenigstens polieren sich die angeblich besten Freunde bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit gegenseitig die Fresse. Um ehrlich zu sein: Bei den weit über hundert Minuten Laufzeit zuckte auch meine Faust mehrmals fast gen Leinwand.
QUANTE VOLTE…QUELLA NOTTE (Mario Bava, 1971)
Mario Bava sollte keine Sexkomödien drehen. Gerne kann Mario Bava Wikingerfilme, Western, Fumetti-Neri-Adaptionen und Peplums drehen. Was Mario Bava nicht tun sollte, ist: Sexkomödien zu drehen. Und schon gar keine Sexkomödien, die nicht nur latent homophob und misogyn sind, sondern sich außerdem freimütig an dem Grundkonzept von Kurosawas RASHOMON bedienen, um sie auf eine absolute Banalität anzuwenden. Glücklicherweise hat er das aber auch, soweit ich weiß, nur einmal getan. Dieses eine Mail reicht aber – angefangen von dem „lustig“ animierten, plotfremden Vorspann mit Nazi-Comicfiguren und Indianern über Brett Halsey in den schrecklichsten Boxershorts der mir bekannten Filmgeschichte bis hin zu einem lüsternen Hausmeister, der wirkt wie ein Ahnvater des nicht minder verschwitzten, unansehnlichen Protagonisten in HUMAN CENTIPEDE 2 – für ein Lebenswerk.
Wirklich kann ich kaum ein gutes Haar lassen an Bavas insgesamt vier Perspektiven auf die Ereignisse einer Nacht, die unsere Heldin Tina mit zerrissenen Klamotten und ihr männlicher Konterpart Gianni mit einer zerkratzten Stirn zurücklässt: Es sei eine versuchte Vergewaltigung gewesen, erklärt Tina schluchzend ihrer Frau Mama. Es sei eine leidenschaftliche Liebesnacht gewesen, vertraut Gianni seinen Stammtischkumpels an. Es sei eine homosexuelle Orgie gewesen, reimt sich der Hausmeister zusammen. Was davon ist nun die Wahrheit?, fragt uns ein Meta-Ebenen-Psychologe mit Schmetterlingsfaible, um uns letztlich noch eine vierte, harmonischere Variation zu präsentieren, die mit einer verliebten Fahrt ans Meer endet. Von den Anleihen bei Antonionis BLOW UP oder dem generellen intellektuellen Impetus, der dem Film eigen sei, wie es in der Einführung hieß, habe ich leider nichts gefunden. Dafür gibt’s einen übergewichtigen Comic-Relief-Tölpel der zu „witziger“ Klaviermusik im Zeitraffer Treppen rauf und runter saust, Frauen, die angesichts miteinander verkehrender Männer das Trauma ihres Lebens erleiden und ausgewalzte Beat-Club-Szenen. Dass die Chose für Bava-Verhältnisse inszenatorisch und beleuchtungstechnisch eine schmale, asthmageplagte Brust hat, macht es nicht besser.
LA VIOLENZA: QUINTO POTERE (Florestano Vancini, 1974)
Der Politthriller ist nicht mein bevorzugtes Genre. Obwohl ich die Beiträge von bekannten Regisseuren wie Damiano Damiani oder Elio Petri durchaus zu schätzen weiß, (und auch verstehe, was andere Menschen dazu führt, sie als Meisterwerke zu preisen), sind sie mir unterm Strich dann wohl doch zu detailliert in ihrer Aufarbeitung der Verstrickungen von Politik, Klerus und Mafia, deren zahlreichen Referenzen an die Situation im zeitgenössischen Italien mir als Laien auf dem Gebiet sowieso verschlossen bleiben, und zu didaktisch in ihrem nicht selten mit simplen Schwarz-Weiß-Schemata arbeitenden aufklärerischen Gestus. Vancini bildet da keine Ausnahme, vielmehr steigert sein LA VIOLENZA die Feingliedrigkeit und die Didaktik eines Damiani bis in Bereiche, wo es mir schwerfällt, dem Film wirklich unterhaltsame Züge abzutrotzen geschweige denn inhaltlich zu folgen.
Sicher, der größtenteils im Gerichtssaal spielende Streifen – angeklagt ist Mafiaboss Mario Adorf, der, niemand wundert das wohl, letztlich als freier Mann zurück in die sizilianische Unterwelt entlassen wird, während alle, die ihn hinter Gittern bringen wollten oder konnten, ein eher schlimmes Ende erwartet – ist bestens recherchiert, schildert in seinen per Rückblende vermittelten Einblicken präzise unterschiedliche soziale Milieus und Schicksale, fällt dramaturgisch nahezu perfekt (für mich beinahe zu perfekt) aus, und hat außerdem zum Auftakt und im Finale einige herbe Gewaltspitzen, dennoch: Mir ist das alles zu durchschaubar auf eine bestimmte Argumentationsfigur hin inszeniert, operiert zu sehr mit Dichotomien, bewegt sich zu sehr in Bahnen konventioneller Kinematographie, der zudem im engen Rahmen des Gerichtssaals sowieso wenig Platz zum Ausbüxen gelassen wird. Großartig allerdings sind die Schauspieler, die den Film dann auch hauptsächlich tragen, (was ihn indes freilich umso mehr über weite Strecken wie ein abgefilmtes Theaterstück wirken lässt.)
SPELL (DOLCE MATTATOIO) (Alberto Cavallone, 1977)
Seit ich als junger Mann unvorbereitet seinen BLUE MOVIE (in einem furchtbaren VHS-Digitalisat) gesehen hatte, predige ich unaufhörlich Menschen, die es hören oder nicht hören wollen: Alberto Cavallone ist einer der heftigsten Ikonoklasten nicht nur des italienischen Kinos, dessen Verortung unterhalb des Radars bzw. seine Degradierung zum Dwarf-Pornographen fast schon ein Verbrechen darstellt. Nun endlich scheint Cavallone allmählich in der breiten Masse anzukommen – oder zumindest bei den paar Leuten, die Zeit und Muße haben, sich auf einem Festival des italienischen Genrefilms einzufinden. Dass ich jedenfalls jemals Cavallones magnum opus SPELL als 35mm-Kopie auf der großen Leinwand sehen würde, hätte ich mir bis vor Kurzem nicht denken lassen – und, oh!, was für ein intensives Erlebnis das war: Mein Herz schlug noch zehn Minuten, nachdem der Vorhang fiel, und wenn das passiert, heißt das, dass ein Film die Hexenprobe bestanden hat, und tatsächlich ein Meisterwerk sein muss, nicht bloß in meiner Imagination, sondern wahrhaft in meinem Herzen.
Ich kann deshalb nur loben, was ich schon zuvor so oft an dem in Cavallones damaligem Wohnort, einem frommen Dörfchen nahe Rom, gedrehten Anti-Heimatfilm gelobt habe: Seine Konventionen sprengende und verspielt neu erfindende, vom Maestro höchstselbst besorgte Montage; seine wahnwitzige Musik zwischen Griegs BERGKÖNIG, Blaskapellen und Männerchören; sein keineswegs zynischer, sondern durchaus einfühlsamer Blick auf Leben und Leiden unterschiedlicher Dorfbewohner von der örtlichen Prostituierten über den Gemeindesheriff bis hin zu einem kommunistischen Künstler, dessen geisteskranker Ehefrau und einem Mädchen, das vom eigenen Vater geschwängert worden ist; seine locker aus dem Ärmel geschüttelten, niemals prätentiös wirkenden Hommagen an so unterschiedliche Meilensteine wie Pasolinis TEOREMA, Bunuels andalusisches Hündchen oder, vor allem, die Schriften des Transgressionstheoretikers Georges Batailles, denen SPELL wie kein zweiter Film ein ewiges Denkmal setzt; seine wohldosierten, niemals selbstzweckhaften Schockszenen: Die Erdrosselung eines Hahns; Ströme aus Scheiße in Männermünder; ein Auge, das uns – was für ein Bataille-Moment für die Ewigkeit! – aus dem Klammergriff einer Vulva entgegenstarrt. Ich liebe diesen Film!
QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO (Lucio Fulci, 1981)
Dass QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO, wie es im Programmheft geschrieben steht, der beste Teil von Fulcis ,Trilogie der Toten‘ sei, möchte ich einmal vehement bezweifeln: Für mich bleibt nach wie vor L’ALDILÀ derjenige Film, in dem Fulci seine Strategie am kongenialsten umsetzt, sein Publikum pausenlos mit Signifikaten zu beschmeißen, die auf nichts verweisen außer auf sich selbst, und deshalb nur vorgaukeln, einen narrativen Code zu bilden, der in Wirklichkeit aber eine leere Hülse ist, in dem sich zumindest nichts versteckt, womit die menschliche Logik irgendwie jonglieren könnte. Dennoch – obwohl ich ihn inzwischen vielleicht schon zu oft gesehen habe, und erst einmal ein Päuschen einlegen sollte, bevor ernsthafte Abnutzungserscheinungen sich zu zeigen beginnen – könnte man auch den Ausflug der New Yorker Familie Boyle ins Haus an der (zumindest in vorliegendem Film nicht sichtbaren) Friedhofsmauer als prototypisches Beispiel für den idiosynkratischen Spagat heranziehen, den Fulci in seinen seinerzeit zu Unrecht als Trash und Gore-Mühlen verschrienen avantgardistischen Experimenten der frühen 80ern zwischen Poesie und Pulp hinlegt.
In keinem Henry-James-Werk findet sich das Schlusszitat; in keiner Welt außer Fulcis Paralleluniversum würde irgendwer weiter in einem Haus wohnen bleiben, in dem einen beißfreudige Fledermäuse anfallen, das Hausmädchen beim morgendlichen Kaffee literweise Blutpfützen aufwischt, und der Fußboden ein Gräberfeld bildet; nirgendwo sonst trägt die Suggestion, wir würden einem konventionellen Horrorfilm mit Exposition, Mittelteil, aufklärendem Schlussakt beiwohnen, so sehr zur irreal-verunsichernden, jedweder Vernunft trotzenden Atmosphäre bei, eben weil es sich nur um eine Suggestion, eine Larve, eine Farce handelt. Durch den heftigen Braunstich der Kopie wurden die herbstlich-melancholischen Töne des Films übrigens nur noch zusätzlich prononciert: Gelacht hat kaum mal jemand. Dass Giovanni Frezza indes einer der alptrauminduzierendsten Kinderdarsteller der Kinohistorie ist, bleibt mir als unumstößlicher Fakt und Abschlussfazit des Festivals (erneut) im nassgeschwitzten Schoß zurück.
PREGA IL MORTO E AMMAZZA IL VIVO (Giuseppe Vari, 1971)
Da hat mich die euphorische Einführung, die von teilweise experimenteller Bildgestaltung raunte, dem glänzendesten Kinski-Gesicht aller Zeiten und Wüstensand, in den sich das Schicksal unserer Helden einschreiben würde, als hätten griechische Philosophen die Griffel geführt, wohl ein wenig in die Irre geführt, denn erhalten habe ich letztlich einen durchschnittlichen Italo-Western, der in seiner ersten Hälfte durch kammerspielartige Intensität auffällt, die fast ein bisschen wie eine Tarantino-Antizipation wirkt – (andererseits: was wirkt nicht wie eine Tarantino-Antizipation, wenn dieser Meister des Sich-Mit-Fremden-Federn-Schmückens seine Filme wie riesige Schmelztiegel gestaltet, in denen alles und nichts miteinander verrührt wird!?) –, dann aber schnell die handelsübliche Rachegeschichte abspult: Ein Fremder, der einem Bandenchef nach dessen erfolgreichem Goldraub verspricht, ihn und seine Handlanger über die mexikanische Grenze zu führen; ein Fremder, der sich in die Tochter eines Schankwirts verguckt bzw. sie sich in ihn, bevor sie dann von besagten Banditen als Geisel mit bis zur mexikanischen Grenze geschleppt wird; ein Fremder, der, wie sich herausstellt, nicht an seinem Lohn für den Grenzgang, nämlich der Hälfte des Raubgoldes, interessiert ist, sondern der ein gigantisches Hühnchen mit Bandito Kinski zu rupfen hat, da dieser im Sezessionskrieg die Ermordung von dessen kompletten Familie zu verantworten hatte usw.
Im Grunde ist es auch mal schön, einen Western abseits von Corbucci zu sehen, in dem Kinski mehr als Fünf-Minuten-Screentime hat, (auch wenn er sich in PREGA IL MORTO E AMMAZZA IL VIVO letztlich erneut nur selbst spielt.) Da verzeihe ich dem Film auch gerne, dass seine Landschaft nun wenig nach amerikanischem Westen, sondern eher nach römischen Hinterland (Stichwort: Sandgrube) ausschaut, dass sein Finale harmonietrunken wie das eines US-Edelwesterns ist, sprich, wenig von dem Zynismus der sonstigen italienischen Genre-Ware atmet, und dass all diese schweißperlenden Bilder letztlich in einem Rahmen hin und her kullern, den ich bereits in- und auswendig kenne, (und der einen vehemten Italo-Western-Opponenten wie Jogi erst recht zum Schnauben bringen würde.)
LA MORTE SCENDE LEGGERA (Leopoldo Savona, 1972)
Gothic Horror? Giallo? Das Plakat lässt beide Deutungen zu. Entpuppt hat sich dieser mir vorher völlig unbekannte, jedoch genau in mein Beuteraster passender Streifen des mir nicht wesentlich bekannteren Savona als zunehmend delirierender Trip in die Untiefen der Phantasmagorien italienischer Drehbuchautoren (darunter der mir schon weitaus vertrautere Luigi Russo): Giorgio, der, ähnlich wie Marc in POSSESSION, beruflich irgendwelche dubiose Agententätigkeiten für die Mafia, die Regierung oder irgendwelche Geheimorganisationen zu betreiben scheint, findet seine Ehefrau nach der Erledigung eines solchen Jobs in der gemeinsamen Wohnung erstochen vor. Eigentlich hat er ja ein Alibi für den Tatzeitpunkt: Er war in Mailand, dort aber zusammen mit Leuten aus genau jenen dubiosen, oben skizzierten Kreisen, von denen niemand wissen darf, und die deshalb auch niemals vor Gericht zu seiner Entlastung aussagen würden. Allerdings verspricht man ihm immerhin, man wolle sich um die Angelegenheit kümmern: Giorgio solle sich so lange mit seiner Geliebten in einem leerstehenden Hotel einquartieren, und die Zeit absitzen bis der wahre Mörder gefasst, die Sache erfolgreich vertuscht ist oder was auch immer. Was in diesem Hotel dann allerdings losbricht, das ist eine zwar äußerst kostengünstig in Szene gesetzte, aber nichtdestotrotz (oder gerade deshalb) reichlich faszinierende Hölle: Ein bisschen hat das was von SHINING, ebenso aber auch, in Anbetracht der finalen Lösung der sich zunehmend verheddernden Plotfäden, etwas von Tod Brownings LONDON AFTER MIDNIGHT, und sogar der Golfball aus FUNNY GAMES rollt einmal kurz durchs Bild.
Sicherlich kann man LA MORTE SCENDE LEGGERA vorwerfen, dass er zu randvollgestopft ist mit kreativem Input, unter dessen Druck der Film teilweise regelrecht zerfasert, oder dass er durchaus, wenn sein Drehbuch schon kaum Gefangene nimmt, auch inszenatorisch etwas mutiger und eigenwilliger hätte ausfallen können, oder dass nicht jeder Einfall einer ist, der zündet. Aber solche hypothetischen Vorwürfe stopfe ich mir sofort in meinen Hals zurück, wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, wie sehr der Streifen meiner Kinnlade letztlich doch fortwährend zum Sturzflug verholfen hat.
SUSPIRIA (Dario Argento, 1977)
Ein Verdienst, das ich SUSPIRIA nie vergessen werde, ist, mich als vergleichsweise jungen Menschen direkt mit der Magie des Kinos infiziert zu haben – und das, obwohl ich ihn damals auf einem kleinen Fernsehschirm in eher erbarmenswerter Qualität sehe. Letztes Jahr erstmals (dafür dann dreimal) im Kino als DCP, nun endlich 35mm, und zwar in der alten deutschen Kinofassung, aus der Rudolf Schündler komplett ausgeixt ist, und außerdem die eklige Großaufnahme eines mit Messers Spitze penetriert werdenden, noch pulsierenden Herzens fehlt. Dafür sind aber all die schönen Momente vorhanden, die mir, gewissermaßen, seinerzeit das Kino erklärt haben, und die sich (glücklicherweise, möchte man sagen) nur halbseiden zu einem runden, sprich, rationalen Gesamtbild zusammenfügen.
Über manche Filme – (und dazu gehört SUSPIRIA definitiv) – ist wohl schon so viel gesprochen, so viel gedacht, so viel geschrieben worden, dass ich das Gefühl haben würde, mit meinem euphorischen Lob nur Dinge zu wiederholen, die sowieso bereits Gemeingut sind, würde ich den Versuch unternehmen, diesem Gesamtkunstwerk aus Tönen, Licht, grellrotem Kunstblut und einem Studionachbau der Fassade des Freiburger "Haus zum Walfisch" auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Deshalb bleibt wohl nur der autobiographische Annäherungsweg offen. Kurz und bündig daher aus meinem intimen Tagebuch: Einer der schaurigsten Momente der Filmgeschichte sieht für mich wie folgt aus: Suzy und ihre Tanzkolleginnen müssen aufgrund akuten Madenbefalls der restlichen Ballett-Schule die Nacht in der Aula verbringen; sie schlafen schon, da weckt ihre Busenfreundin Sara ein Röcheln; das könne nur die Leiterin der Akademie sein, die bislang keine der Schülerinnen zu Gesicht bekommen hätte, flüstert sie unserer Heldin zu; schon einmal habe sie dieses Röcheln vernommen, vor einem Jahr, und kurz darauf seien einige der Schülerinnen verschwunden gewesen; Suzys ängstlich lauschendes Gesicht; Saras Insistieren; Zoom auf die keuchende Oma-Hexen-Silhouette hinter ihnen, unsichtbar für die Mädchen, aber sichtbar für mich, der in dieser Sekunde jedes Mal (und zwar wirklich: jedes Mal!) eine Gänsehaut kriegt.
L’ULTIMO PARADISO (Folco Quilici, 1955)
Ein Vorläufer der Mondo-Filme? Könnte man denken. Irgendwie stimmt das wohl sogar. Wobei sich das Vorläufertum gerade dieses Films dann doch in recht überschaubaren Grenzen hält. Viel mehr steht diese Kamera-Expedition gen Ozeanien noch in der Traditionslinie von Dokumentationen exotischer Gebräuche und Sitten, wie man sie von den frühsten Kulturfilmen über ambitioniertere Projekte wie denen Robert Flahertys bis hin zu den zahllosen kinematographisch-exploitativen Bali-Ausflügen der 30er und 40er Jahre zurückverfolgen kann. Keine Schock-Montage. Keine (allzu) dramaturgisch überformte Aufbereitung des dokumentarischen Materials. Keine relevanten Juxtapositionen im Off-Kommentar. Keine Szenen, bei denen es nötig wäre, die Hände vors Gesicht zu schlagen. (Na gut, ein armes Schweinchen wird einem Hai zum Fraß vorgeworfen, das aber derart zahm und zurückhaltend gefilmt, dass selbst ein MONDO CANE dagegen wirkt wie die heftigste Shockumentary.)
Stattdessen: Kurze Segmente, in denen Fiktion und außerfilmische Realität uns geschwisterlich Hand in Hand an einige interessante Aspekte des Südseelebens heranführen. Um ihren Mut zu beweisen, (und die Frauen ihres Stammes zu beeindrucken), schleudert sich eine Gruppe Männer als Bungee-Jumper von einem haushohen Turm und nur mit einer Liane um die Fußknöchel in die Tiefe. Um dem tristen Fischereialltag zu entrinnen, verlässt ein Jüngling sein Heimatdorf, landet beim Bergbau, schließlich in der großen Stadt, wo ihm beim Anblick der Dekadenz während der Bastille-Tag-Feier klar wird, dass er im Schoß seines Volkes besser aufgehoben ist als irgendwo sonst. Besonders schön schlingen sich narrative und non-fiktionale Anteile des Films in der zweiten Episode ineinander, wenn wir aus der Perspektive eines Knaben, der Angst vorm Meer hat, und von seinem Vater gerade deshalb dorthin mitgenommen wird, allerhand Wissenswertes über die Strapazen der Tag für Tag nach Muscheln tauchenden Männer seines Stammes erfahren: Je zwei Minuten ohne Luftholen in mehreren Metern Ozeantiefe, dazu die Gefahr durch Haie und Muränen. Selbst wenn die eine oder andere blanke Brust blitzt, ist hier wenig reißerisch inszeniert, sondern angenehm zurückhaltend, beinahe schon betucht, und dennoch, irgendwie, die Blaupause für jenes Genre, das wenige Jahre später anfangen wird, ungeniert in den Abarten der Welt zu wühlen.
QUESTO SI CHE É AMORE (Filippo Ottoni, 1978)
Was für eine herzzerfetzende Geschichte: Der kleine Tommy lebt im Glaskasten, ohne körperlichen Kontakt zur Außenwelt. Würde er den Schutz seines speziell ausstaffierten Krankenzimmers verlassen, würden ihn die feindlichen Keime aufgrund einer Autoimmunschwäche früher oder später aufs Totenbett werfen. Darunter scheint Tommy jedoch nicht so sehr zu leiden wie unter der sich abzeichnenden Scheidung seiner Eltern sowie vor allem der Abstinenz seines Vaters, der zwar im TV eine Kindersendung moderiert, (wo er wiederum mit einer unheimlichen Puppe hantiert), für den eigenen schwerkranken Jungen aber seit Wochen keinen Besuch mehr übrig hat. Dabei steht Weihnachten vor der Tür, und Tommy setzt sich in den Kopf, dass er das Fest der Liebe zusammen mit Mama und Papa verbringen möchte, und zwar draußen, in der Freiheit, koste es, was es wolle...
Mitte der 70er stehen Lacrima-Filme in Italien hoch im Kurs: Reihenweise sterben Kinder an immer ausgefalleneren Krankheiten, und hinterlassen das Publikum in seine Taschentücher schluchzend. QUESTO SI CHE É AMORE spielt seine sentimentalen Karten interessanterweise aber gar nicht mal so hemmungslos aus wie ich erwartet hätte. Statt sich Szene für Szene im Weltschmerz zu suhlen, zeichnet die wenig virtuose, aber immerhin solide Inszenierung sogar, meiner Meinung nach, ein gewisses Mindestmaß an Zurückhaltung aus. Wirklich sympathische Figuren gibt es trotzdem wenige, und wirklich aufwühlend habe ich den recht klar auf sein unvermeidlich tragisches Ende zusteuernden Plot nun ebenfalls nicht empfunden. Lichtblick ist indes die Rolle des Larry, meinem heimlichen Helden des Films, ein Freund Tommys, der, weil seine Eltern sich permanent die Köpfe einschlagen, offenbar den ganzen Tag mit seinem Hund (zu einem Funk-Score von Cipriani, der klingt wie aus CANNIBAL FEROX) durch London zieht, und dessen ambivalenter, oft clownesker, aber auch eine tiefe Tragik verratender Charakter mich wesentlich mehr in Anspruch genommen hat als die Eheprobleme von Tommys Erzeugern oder dessen exaltierte Empfindlichkeiten.
IO NON PROTESTO, IO AMO (Ferdinando Baldi, 1967)
Kann ein Film, der mit einem sprechenden bzw. inner-monologisierenden Eselchen an einem Strand beginnt, wirklich schlecht sein? Im Falle dieses Musicarellos besteht die Antwort natürlich aus einem schmetternden Nein. Genauso schmetternd wie die kraftvolle Stimme von Hauptdarstellerin Caterina Caselli, die, wenn sie ihrem Verlobten Mario Giotti nicht ein Liebesständchen nach dem andern trällert, als progressive Grundschullehrerin ihre Schutzbefohlenen mit Songs über die griechische und persische Geschichte unterrichtet. Letzteres ist dem Baron Calò, einem ausgemachten Altfaschistischen, ein Dorn im Auge, weshalb er sie bei der Schulbehörde anschwärzt: Nein, pauken mit Pop-Hits, das ginge nun wirklich gar nicht. Schnell ändert sich die Meinung des abgehalfterten Adligen allerdings, als sein Vetter plötzlich aus den USA hereingeschneit. Der ist nämlich seines Zeichens Musikproduzent. Mit Platten, sagt er, da könne man ein Vermögen machen. Da unser Baron unter akuten Geldsorgen leidet, heckt er folgenden Plan aus: Caterina soll zum Hitparaden-Stern modelliert werden. Von ihren Einnahmen rettet er dann seine Ländereien, und sie soll ihren Traum von einer Schule, in der Gesang nicht tabuisiert ist, verwirklichen dürfen. Problem nur: Im Show-Buisness reicht zum Erfolg eine schnöde Akustikklampfe nicht aus, da müssen härtere Beat-Geschütze her…
Je länger ich über diesen Film im Nachhinein nachdenke desto mehr wächst er in meiner Erinnerung. Klar, die Kalauer sind abgekaut, und der Plot schlägt mehr Volten als ein flüchtender Windhund, und nicht alle dargebotenen Songs sind welche, für die ich eine Jukebox mit Münzen füttern würde. Mit seiner Entscheidung, sich dem Nonsens vollkommen zu ergeben, und solche erinnerungswürdige Seltsamkeiten im Sekundentakt an mir vorbeidefilieren zu lassen wie Terence Hill als cholerischen Bräutigam in spe, einen Beatnik-Epileptiker namens Dorx der Zornige, und einem als Sensation angekündigten Musikfestival, dessen Schauplatz schließlich ein plumpes Hotelfoyer ist, wo einzig etwa vierzig Personen schunkelnd herumsitzen, kocht er mein Herz indes weich genug, um sich unvoreingenommen um diesen schlagaresken Quatsch schließen zu können. Himmelschreiend ist nicht zuletzt der politische Subtext: Caterina als (zunächst) anti-autoritäres Goldkehlchen verkündet im Finale selbstbewusst, sie wolle nicht länger protestieren, sondern lieben. Endgegner: Eine bürgerliche Ehe. Rebellion sieht echt anders aus, und Solidarität mit der aufbegehrenden Jugend ebenfalls, da kann Ferdinando Baldi noch so viele Seitenhiebe gegen Mussolini-Nostalgiker oder Bürokraten-Hengste austeilen.
L’ULTIMA ORGIA DEL III REICH (Cesare Canevari, 1977)
Ein Wagen fährt in die Ruinen eines ehemaligen KZs. Erwartet wird der Mann hinterm Steuer von einer jungen Frau. Sie kennen sich, scheinen alte Freunde, vielleicht sind sie einmal ein Liebespaar gewesen. Wie sehr man diesen Begriff pervertieren muss, damit er für die Beziehung der Beiden verwendbar wird, zeigen uns fragmentarische Rückblenden: Er ist Conrad von Starke, Lagerkommandant in einem NS-Bordell; sie ist die Jüdin Lise Cohen, die von ihm in eine sadomasochistische Beziehung gezwungen wird. PORTIERE DELLA NOTTE, anyone?
An einem Wochenende vor vielen Jahren allein im Haus meiner Eltern lasse ich die Rollläden herunter, ziehe den Telefonstecker aus der Dose, stelle die Klingel ab, und schaue mir sämtliche italienischen NS-Exploiter an, die mir vorliegen. Seitdem bin ich angefixt, zugleich angewidert und faszinierend von dem wohl dreckigsten Kino-Subgenre überhaupt, und kann es immer noch nicht glauben: So etwas gibt es wirklich?, und dann nicht nur einen von der Sorte, sondern ein Dutzend? Schon damals hat Canevaris Beitrag für mich herausgestochen. Vor allem wegen seiner Herbheit. Da braucht es gar keine eklatanten Gore-Effekte, um einem den Magen herumzudrehen, wenn in einer bestimmt zehnminütigen Bankett-Szene die selbsternannten Herrenmenschen eine kulinarische Endlösung der Judenfrage nicht nur diskutieren, sondern auch gleich schmatzend ausagieren. Zur allgemeinen Verstörung trägt ebenfalls bei, dass Canevari den Trash-Faktor streng in Zügeln hält. Okay, ein Hakenkreuz-Orden mit Jahreszahl 1930 ist ziemlich doof, und die wandelnden Klischeebildchen wie den sadistischen Lagerkommandanten als Reinkarnation Sade’scher Libertins oder die lesbische, zugleich an Anal-Pentrationen interessierte Ilsa-Bitch sind allesamt versammelt. Daneben aber: Eine Atmosphäre übersteigerter Hoffnungslosigkeit, eine klar an Cavani geschulte abgründige Romanze, (sofern das Wort in dem Zusammenhang irgendeinen Sinn ergibt), mit noch abgründigerem Ausgang, die Verweigerung des Drehbuchs, eine der zentralen Figuren (schon gar nicht die emotionsbefreite Lise) auch nur hauchweise mit Sympathie zu segnen, ein ehrlich traumatisierendes Titellied, Szenen der Demütigung und des Ausgeliefertseins, bei denen auch ein Rudel Gerbils ganz und gar nicht possierlich wirkt.
IL PIACERE (Joe D‘Amato, 1985)
Gabriele Tinti im Trauerflor: Seine große Geliebte Leonora ist gerade unter die Erde gebracht worden. Retrospektiv ziehen Bilder ihres vergangenen Glücks an ihm vorbei, vor allem die Begegnung beim venezianischen Karneval, die mit einer Balzjagd durch Häuserschluchten und Brücken der Lagunenstadt beginnt und mit einem Quickie endet. Gerard, wie sich Gabrieles Charakter nennt, hat mit Leonora jedoch nicht nur seinen erotischen und emotionalen Lebensmittelpunkt verloren, sondern auch etwas gewonnen: Edmund und Ursula nämlich, die beiden die Schwelle zum Erwachsenenalter knapp überschritten habenden Kinder Leonoras. Dass Edmund bei starker Erregung unter epileptischen Anfällen leidet, die sich nur dadurch mindern lassen, dass Ursula ihm die Brust reicht, scheint Gerard indes nicht so stark zu beeindrucken wie die optischen Ähnlichkeiten, die zwischen der Toten und ihrem Töchterchen bestehen. Hinzukommt, dass Ursula es offen darauf anlegt, ihre Jungfernschaft an den Mann zu verlieren, der seine schönsten Nächte in den Armen ihrer Mutter verbracht hat…
Die in der Einführung ausführlich herausgearbeiteten literarische Bezüge von Edgar Allan Poes weiblichen Wiedergängern in Erzählungen wie MORELLA oder ELEONORA bis zu den ungleich freizügigeren Schriften eines Aufklärungs-Pornographen wie Rétif de la Bretonne mögen nicht von der Hand zu weisen sein, beschränken sich, meiner Meinung nach, jedoch auf das Fallenlassen des einen oder anderen vertrauten Topos, des einen oder anderen symbolträchtigen Namens. Auch der Umstand, dass LA PIACERE vor dem Hintergrund des Mussolini-Faschismus angesiedelt ist, und vor allem im letzten Drittel in ein paar Nebensätzen von dessen Repressionen berichtet, bringt den D’Amato-typisch gemächlich, wenn nicht gar dröge dahinfließenden Strom aus geschmackvollen ausgeleuchteten Interieurs, harmlosen Sexeskapaden (unter anderem mit Laura Gemser als Opium-Priesterin) und vielen Großaufnahmen eines zutiefst traurig dreinguckenden Tintis zu kaum einen Zeitpunkt derart in Fahrt, dass mein Interesse großartig seinen Kopf aus einer Stimmung herausstreckt, die man am besten vielleicht als eine Mischung aus Langeweile und Lethargie bezeichnen könnte.
I FIDANZATI DELLA MORTE (Romolo Marcellini, 1957)
Carlo hat die Schnauze voll: Als der aufstrebende Rennfahrer aufgefordert wird, bei einem Wettbewerb ganz bewusst nicht als Erster die Zielgerade zu überqueren, weil man der Armee ein bestimmtes Vehikel verkaufen möchte, das einer seiner Konkurrenten steuert, schmeißt er seinen Job im Rennstall von Zetavu hin, und versucht auf eigene Faust, sich an die Spitze des italienischen Motorsports zu kämpfen. Hilfe kommt ihm zugute von seiner treusorgenden Gattin und deren Schwiegervater, einem ehemaligen Haudegen des Rennsports, aber auch von der Tochter seines Ex-Chefs, mit der er kurzerhand eine Affäre beginnt. Carlos Übermut bringt in der Folge nicht nur seine Ehe ins Wanken, sondern führt auch, nachdem er sich unorthodoxer Methode zur Siegerlangung bedient hat, zu seiner Disqualifizierung bei einem wichtigen Straßenrennen. Ein Comeback scheint für unseren Helden in weite Ferne gerückt…
Für jemanden, der es nicht nur anstrengend, sondern regelrecht nichtssagend findet, einem Formel-1-Rennen auf der heimischen Mattscheibe zu folgen, ist I FIDANZATI DELLA MORTE sicherlich keine maßgeschneiderte Film-Kost – zumal Rick Battaglia einen denkbar unsympathischen, jedoch scheinbar nichtsdestotrotz als Identifikationsfigur angelegten Protagonisten abgibt, der ohne Gewissensbisse mit fremden Frauen ins Bett hüpft, und die gerechtfertigte Kritik der eigenen Angebeteten schon mal mit einer Backpfeife beantwortet. Auch die endlosen Rennfahrszenen – (teilweise dokumentarisches Material bspw. vom Mailand-Taranto-Rennen, und inszeniert mit echten Stars der damaligen Motorsportszene) – haben mich nicht im Geschwindigkeitsrausch in meinem Kinosessel fixiert. Interessant immerhin fand ich, wie lax die damaligen Sicherheitsbedingungen bei Straßenrennen gewesen sein müssen – (eine nennenswerte Absperrung zwischen johlender Zuschauermenge und dahinsausenden Fahrzeugen habe ich jedenfalls nicht ausmachen können), - und aufgetan hat sich mein Herz bei einem (betrunkenen?) Hans Albers, der als Carlos Schwiegervater im Non-Stop-Polter-Modus agiert, dass es eine wahre Lust ist.
MANIA (Renato Polselli, 1974)
Wenn ein Film damit beginnt, dass ein hysterisch miteinander kommunizierendes Liebespaar auf einer gebirgigen Landstraße von einem menschenleeren PKW verfolgt wird, während die Außenaufnahmen konsequent bei Tag und die Innenaufnahmen des Wagens unserer Helden konsequent bei Nacht gedreht worden scheinen, und eine Rückblende außerdem vom (vermeintlichen) Flammentod eines Wissenschaftlers berichtet, in dessen Labor Betonmischer zirkulieren, und der angeblich eine Formel gefunden hat, mit der man die Materie beherrschen, sprich, eine Biene mitten im Flug stoppen lassen kann, dann ahnt man vielleicht schon, dass man sich in ein Werk des großen Eklektizisten Renato Polselli verirrt hat, weiß auf jeden Fall aber, dass während der nachfolgenden neunzig Minuten die Pforten der Wahrnehmung sehr lose in ihren rationalistischen Angeln baumeln werden.
Was unsere Heldin Lisa, Gattin des erwähnten mad scientist, an dessen Purgatorium sie sich die Schuld in die Schuhe schiebt, in Polsellis Mixtur aus haunted-house-Horror, SM-Peitsch-Einlagen, Gothic-Delirium und Seelenstudie derangierter Individuen so alles erlebt, rechtfertigt ausnahmsweise mal den Gemeinplatz: Das lässt sich einfach nicht in Worte fassen. Angelangt in der Villa ihres toten Ehemanns, und konfrontiert mit dessen bei erwähntem Inferno stark in Mitleidenschaft gezogenen, nun im Rollstuhl sitzenden Zwillingsbruder, (mit dem sie übrigens einst ein Verhältnis unterhielt), sowie dessen taubstummer Nymphomaninnen-Bediensteten zersplittert nicht nur unsere potentielle Identifikationsfigur in einen Wust aus schrillen Schreien und hysterischen Anfällen, sondern die Narration tut es ihr gleich. So konsequent gegen den Strich inszeniert wie MANIA ist, kann das nur eine bewusste Entscheidung gewesen sein: Kaum eine Einstellung fügt sich harmonisch an die nächste; munter wechseln die Tageszeiten; einen logisch konsumierbaren Sinn aus den narrativen Fragmenten zu schöpfen, erübrigt sich schnell. Als ob Andrzej Zulawski nicht den Arthouse-Weg gewählt hätte, sondern in die Untiefen billig heruntergekurbelter Horrorstreifen hinabgestiegen wäre. Als ob Jean-Luc Godard sich bei seinen Genre-Dekonstruktionen nicht an Hollywood B-Movies abgearbeitet, sondern sich intensiv mit gotischen Gialli auseinandergesetzt hätte. Ob das teilweise knapp am Erstickungstod vorbeischrammende Publikum nun über den Film lachte oder mit ihm, kann ich nicht entscheiden. Ich jedenfalls habe nun die endgültige, weil kino-erprobte Bestätigung, dass Polselli der vielleicht einzige Regisseur der Filmgeschichte ist, der einen derart bravourösen Balanceakt zwischen Trash und Kunst hinlegt, dass die Beurteilung, ob er nun zum einen oder anderen tendiert, obsolet wird.
JOCKS (Riccardo Sesani, 1984)
DJ und Hi-Fi heißen die beiden Helden dieses Italo-Disco-Films, (der dann, bei näherer Betrachtung, wohl doch eher das Etikett eines International-Disco-Films verdient), und bringen die pure Oberflächlichkeit von Sesanis Machwerk allein über ihre Namen perfekt auf den Punkt: Wenn unser reichlich farbloses Duo nach Rimini aufbricht, um dort die eigene Karriere mit der größten Disco-Party mindestens des Stiefellands, wenn nicht der ganzen Welt zu begründen, sich alsbald beide in die Tänzerin Kim verschießen, und deren Tante Geld für ihr Event aus den Rippen leiern, das diese nur zu spenden bereit ist, wenn das Resultat eine modernisierte Variante von Verdis AIDA darstellen soll, (was DJ und Hi-Fi freilich wiederum wenig passt), dann geschieht das derart ohne nennenswerte Konflikte, ohne dramaturgische Finessen, ohne Ecken und Kanten, (dafür aber mit Musik, die mir mehrheitlich in die Ohrmuscheln stach), dass ich mich gähnend fragte, welche Zielgruppe mit dem uninspirierten Werk denn angesprochen werden sollte.
Bis auf die (dann aber fulminante) Finalsequenz – im Prinzip ein langes Musikvideo mit Robotern, Alienmaskerade, spektralen Lichteffekten, und, natürlich, Verdi-Versatzstücken – bietet JOCKS tatsächlich kaum etwas, was das Potential hätte, mir länger als eine Nacht im Gedächtnis zu bleiben: Die Liebes- bzw. Eifersuchtsgeschichte zwischen DJ, Hi-Fi und Kim ist ebenso belanglos wie die Geldbeschaffung für das anstehende Großevent problemlos und die Rivalitäten mit einer verfeindeten Disco-Bande harmlos. (In einer völlig beknackten Szene wird DJ von seinen Gegnern für etwa drei Minuten entführt, nachdem er sich aus eigener Kraft aber aus seinen Fesseln befreit und zurück zu Hi-Fi gefunden hat, ist auch dieser Konflikt wie von selbst ad acta gelegt.) Wenigstens polieren sich die angeblich besten Freunde bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit gegenseitig die Fresse. Um ehrlich zu sein: Bei den weit über hundert Minuten Laufzeit zuckte auch meine Faust mehrmals fast gen Leinwand.
QUANTE VOLTE…QUELLA NOTTE (Mario Bava, 1971)
Mario Bava sollte keine Sexkomödien drehen. Gerne kann Mario Bava Wikingerfilme, Western, Fumetti-Neri-Adaptionen und Peplums drehen. Was Mario Bava nicht tun sollte, ist: Sexkomödien zu drehen. Und schon gar keine Sexkomödien, die nicht nur latent homophob und misogyn sind, sondern sich außerdem freimütig an dem Grundkonzept von Kurosawas RASHOMON bedienen, um sie auf eine absolute Banalität anzuwenden. Glücklicherweise hat er das aber auch, soweit ich weiß, nur einmal getan. Dieses eine Mail reicht aber – angefangen von dem „lustig“ animierten, plotfremden Vorspann mit Nazi-Comicfiguren und Indianern über Brett Halsey in den schrecklichsten Boxershorts der mir bekannten Filmgeschichte bis hin zu einem lüsternen Hausmeister, der wirkt wie ein Ahnvater des nicht minder verschwitzten, unansehnlichen Protagonisten in HUMAN CENTIPEDE 2 – für ein Lebenswerk.
Wirklich kann ich kaum ein gutes Haar lassen an Bavas insgesamt vier Perspektiven auf die Ereignisse einer Nacht, die unsere Heldin Tina mit zerrissenen Klamotten und ihr männlicher Konterpart Gianni mit einer zerkratzten Stirn zurücklässt: Es sei eine versuchte Vergewaltigung gewesen, erklärt Tina schluchzend ihrer Frau Mama. Es sei eine leidenschaftliche Liebesnacht gewesen, vertraut Gianni seinen Stammtischkumpels an. Es sei eine homosexuelle Orgie gewesen, reimt sich der Hausmeister zusammen. Was davon ist nun die Wahrheit?, fragt uns ein Meta-Ebenen-Psychologe mit Schmetterlingsfaible, um uns letztlich noch eine vierte, harmonischere Variation zu präsentieren, die mit einer verliebten Fahrt ans Meer endet. Von den Anleihen bei Antonionis BLOW UP oder dem generellen intellektuellen Impetus, der dem Film eigen sei, wie es in der Einführung hieß, habe ich leider nichts gefunden. Dafür gibt’s einen übergewichtigen Comic-Relief-Tölpel der zu „witziger“ Klaviermusik im Zeitraffer Treppen rauf und runter saust, Frauen, die angesichts miteinander verkehrender Männer das Trauma ihres Lebens erleiden und ausgewalzte Beat-Club-Szenen. Dass die Chose für Bava-Verhältnisse inszenatorisch und beleuchtungstechnisch eine schmale, asthmageplagte Brust hat, macht es nicht besser.
LA VIOLENZA: QUINTO POTERE (Florestano Vancini, 1974)
Der Politthriller ist nicht mein bevorzugtes Genre. Obwohl ich die Beiträge von bekannten Regisseuren wie Damiano Damiani oder Elio Petri durchaus zu schätzen weiß, (und auch verstehe, was andere Menschen dazu führt, sie als Meisterwerke zu preisen), sind sie mir unterm Strich dann wohl doch zu detailliert in ihrer Aufarbeitung der Verstrickungen von Politik, Klerus und Mafia, deren zahlreichen Referenzen an die Situation im zeitgenössischen Italien mir als Laien auf dem Gebiet sowieso verschlossen bleiben, und zu didaktisch in ihrem nicht selten mit simplen Schwarz-Weiß-Schemata arbeitenden aufklärerischen Gestus. Vancini bildet da keine Ausnahme, vielmehr steigert sein LA VIOLENZA die Feingliedrigkeit und die Didaktik eines Damiani bis in Bereiche, wo es mir schwerfällt, dem Film wirklich unterhaltsame Züge abzutrotzen geschweige denn inhaltlich zu folgen.
Sicher, der größtenteils im Gerichtssaal spielende Streifen – angeklagt ist Mafiaboss Mario Adorf, der, niemand wundert das wohl, letztlich als freier Mann zurück in die sizilianische Unterwelt entlassen wird, während alle, die ihn hinter Gittern bringen wollten oder konnten, ein eher schlimmes Ende erwartet – ist bestens recherchiert, schildert in seinen per Rückblende vermittelten Einblicken präzise unterschiedliche soziale Milieus und Schicksale, fällt dramaturgisch nahezu perfekt (für mich beinahe zu perfekt) aus, und hat außerdem zum Auftakt und im Finale einige herbe Gewaltspitzen, dennoch: Mir ist das alles zu durchschaubar auf eine bestimmte Argumentationsfigur hin inszeniert, operiert zu sehr mit Dichotomien, bewegt sich zu sehr in Bahnen konventioneller Kinematographie, der zudem im engen Rahmen des Gerichtssaals sowieso wenig Platz zum Ausbüxen gelassen wird. Großartig allerdings sind die Schauspieler, die den Film dann auch hauptsächlich tragen, (was ihn indes freilich umso mehr über weite Strecken wie ein abgefilmtes Theaterstück wirken lässt.)
SPELL (DOLCE MATTATOIO) (Alberto Cavallone, 1977)
Seit ich als junger Mann unvorbereitet seinen BLUE MOVIE (in einem furchtbaren VHS-Digitalisat) gesehen hatte, predige ich unaufhörlich Menschen, die es hören oder nicht hören wollen: Alberto Cavallone ist einer der heftigsten Ikonoklasten nicht nur des italienischen Kinos, dessen Verortung unterhalb des Radars bzw. seine Degradierung zum Dwarf-Pornographen fast schon ein Verbrechen darstellt. Nun endlich scheint Cavallone allmählich in der breiten Masse anzukommen – oder zumindest bei den paar Leuten, die Zeit und Muße haben, sich auf einem Festival des italienischen Genrefilms einzufinden. Dass ich jedenfalls jemals Cavallones magnum opus SPELL als 35mm-Kopie auf der großen Leinwand sehen würde, hätte ich mir bis vor Kurzem nicht denken lassen – und, oh!, was für ein intensives Erlebnis das war: Mein Herz schlug noch zehn Minuten, nachdem der Vorhang fiel, und wenn das passiert, heißt das, dass ein Film die Hexenprobe bestanden hat, und tatsächlich ein Meisterwerk sein muss, nicht bloß in meiner Imagination, sondern wahrhaft in meinem Herzen.
Ich kann deshalb nur loben, was ich schon zuvor so oft an dem in Cavallones damaligem Wohnort, einem frommen Dörfchen nahe Rom, gedrehten Anti-Heimatfilm gelobt habe: Seine Konventionen sprengende und verspielt neu erfindende, vom Maestro höchstselbst besorgte Montage; seine wahnwitzige Musik zwischen Griegs BERGKÖNIG, Blaskapellen und Männerchören; sein keineswegs zynischer, sondern durchaus einfühlsamer Blick auf Leben und Leiden unterschiedlicher Dorfbewohner von der örtlichen Prostituierten über den Gemeindesheriff bis hin zu einem kommunistischen Künstler, dessen geisteskranker Ehefrau und einem Mädchen, das vom eigenen Vater geschwängert worden ist; seine locker aus dem Ärmel geschüttelten, niemals prätentiös wirkenden Hommagen an so unterschiedliche Meilensteine wie Pasolinis TEOREMA, Bunuels andalusisches Hündchen oder, vor allem, die Schriften des Transgressionstheoretikers Georges Batailles, denen SPELL wie kein zweiter Film ein ewiges Denkmal setzt; seine wohldosierten, niemals selbstzweckhaften Schockszenen: Die Erdrosselung eines Hahns; Ströme aus Scheiße in Männermünder; ein Auge, das uns – was für ein Bataille-Moment für die Ewigkeit! – aus dem Klammergriff einer Vulva entgegenstarrt. Ich liebe diesen Film!
QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO (Lucio Fulci, 1981)
Dass QUELLA VILLA ACCANTO AL CIMITERO, wie es im Programmheft geschrieben steht, der beste Teil von Fulcis ,Trilogie der Toten‘ sei, möchte ich einmal vehement bezweifeln: Für mich bleibt nach wie vor L’ALDILÀ derjenige Film, in dem Fulci seine Strategie am kongenialsten umsetzt, sein Publikum pausenlos mit Signifikaten zu beschmeißen, die auf nichts verweisen außer auf sich selbst, und deshalb nur vorgaukeln, einen narrativen Code zu bilden, der in Wirklichkeit aber eine leere Hülse ist, in dem sich zumindest nichts versteckt, womit die menschliche Logik irgendwie jonglieren könnte. Dennoch – obwohl ich ihn inzwischen vielleicht schon zu oft gesehen habe, und erst einmal ein Päuschen einlegen sollte, bevor ernsthafte Abnutzungserscheinungen sich zu zeigen beginnen – könnte man auch den Ausflug der New Yorker Familie Boyle ins Haus an der (zumindest in vorliegendem Film nicht sichtbaren) Friedhofsmauer als prototypisches Beispiel für den idiosynkratischen Spagat heranziehen, den Fulci in seinen seinerzeit zu Unrecht als Trash und Gore-Mühlen verschrienen avantgardistischen Experimenten der frühen 80ern zwischen Poesie und Pulp hinlegt.
In keinem Henry-James-Werk findet sich das Schlusszitat; in keiner Welt außer Fulcis Paralleluniversum würde irgendwer weiter in einem Haus wohnen bleiben, in dem einen beißfreudige Fledermäuse anfallen, das Hausmädchen beim morgendlichen Kaffee literweise Blutpfützen aufwischt, und der Fußboden ein Gräberfeld bildet; nirgendwo sonst trägt die Suggestion, wir würden einem konventionellen Horrorfilm mit Exposition, Mittelteil, aufklärendem Schlussakt beiwohnen, so sehr zur irreal-verunsichernden, jedweder Vernunft trotzenden Atmosphäre bei, eben weil es sich nur um eine Suggestion, eine Larve, eine Farce handelt. Durch den heftigen Braunstich der Kopie wurden die herbstlich-melancholischen Töne des Films übrigens nur noch zusätzlich prononciert: Gelacht hat kaum mal jemand. Dass Giovanni Frezza indes einer der alptrauminduzierendsten Kinderdarsteller der Kinohistorie ist, bleibt mir als unumstößlicher Fakt und Abschlussfazit des Festivals (erneut) im nassgeschwitzten Schoß zurück.