
Nea – Ein Mädchen entdeckt die Liebe
„Seriöse Verträge unterschreibt man mit Blut!“
Beim vorletzten Spielfilm der französisch-argentinischen Regisseurin Nelly Kaplan („Moneten für’s Kätzchen“) handelt es sich um die Verfilmung einer (mir unbekannten) Novelle der „Emmanuelle“-Autorin Emmanuelle Arsan. Das Drehbuch des in französisch-deutscher Koproduktion entstandenen und 1976 veröffentlichten Erotikdramas verfasste Kaplan zusammen mit Jean Chapot. Ein Alternativtitel lautet „Die erotischen Phantasien einer 16-Jährigen“.
Sibylle (Ann Zacharias, „Brust oder Keule“) ist gerade zarte 16 Jahre jung, als sie von Ladenbesitzer Axel Thorpe (Sami Frey, „Nackt jeden Abend“) beim Diebstahl erotischer Literatur aus seiner Buchhandlung erwischt wird. Trotzig spuckt sie große Töne, indem sie behauptet, ohnehin selbst viel bessere Geschichten schreiben zu können. Er zeigt sich neugierig und interessiert, und tatsächlich: Schon bald legt sie ihm ein „Nea“ betiteltes Manuskript vor. Axel reagiert begeistert und drängt sie zur Veröffentlichung, aufgrund ihrer Minderjährigkeit jedoch unter einem Pseudonym. Es entwickelt sich derweil auch eine zwischenmenschliche Sympathie zwischen Sibylle und Axel – seitens Sibylle auch etwas mehr. Da sie selbst noch jungfräulich ist, bittet sie Axel mit ihr zu schlafen, um noch authentischer schreiben zu können. Er lässt sich überreden und führt eine Art Beziehung mit ihr, hält sich nach Veröffentlichung des Bestsellers jedoch von ihr fern und fängt etwas mit ihrer älteren Schwestern Florence (Chantal Bronner) an. Sibylle reagiert äußerst ungehalten…
Eine Story der Autorin der fragwürdigen „Emmanuelle“-Abenteuer als Grundlage, Sex zwischen einer Minderjährigen und einem älteren Mann, ein reißerischer Alternativtitel und ein DVD-Cover mit einer prallbusigen Dame – also eine weitere üble Altherrenphantasie à la „Schulmädchen-Report“ und Konsorten? Überraschenderweise nein, denn der Regisseurin lag es fern, diesen Bereich zu bedienen, im Gegenteil. Der Film um die zum Drehzeitpunkt 20-jährige Schwedin Ann Zacharias als frühreifes Früchtchen Sibylle, die im Gegensatz zum Cover kleine Brüste hat, beginnt mit einem Zitat des französischen Mathematikers und Physikers Joseph Fourier und lässt sich über 42 Minuten Zeit, bis er Sibylle erstmals unbekleidet inszeniert. Toll ausgeleuchtete schöne Bilder treffen bis dahin auf einschläfernde Szenen, doch der Film gewinnt an Dramatik, als es zum Streit um Sex und eklatanten Altersunterschied kommt, im Zuge dessen sie Axel wüst beschimpft. Die Sexszene zwischen beiden ist schließlich der Höhepunkt des Films, wird lang und prickelnd erotisch initiiert, der eigentliche Beischlaf bleibt den Zuschauerinnen und Zuschauern verborgen.
Sibylles Buch wird schließlich veröffentlicht und ein Riesenerfolg, der für Kontroversen sorgt, gleichzeitig gerät ihr Leben aus der Bahn: Trauer und Eifersucht ergreifen Besitz von Sibylle, was in fiesen Racheplänen mündet. Ihre Leidenschaft wird fehlgeleitet und trifft Axel mit einiger Wucht. Zudem kriselt es zwischen ihren Eltern (Micheline Presle, „Den Teufel im Leib“ und Heinz Bennent, „Eiszeit“), als ihre Mutter sich stärker zur gleichgeschlechtlichen Liebe hingezogen fühlt. Damit erfüllt der Film zahlreiche Ansprüche an ein ernstzunehmendes Drama, statt mit Sexualität und Liebe einhergehende Probleme zu trivialisieren und mittels Softsex-Szenen schmutzige Fantasien zu befriedigen zu versuchen – wohlgemerkt ohne den erotischen Aspekt außer Acht zu lassen. Kaplan und Ann Zacharias zeigen, wie sexy auch eine geringere Oberweite sein kann und zeichnen die ständig ihren Kater dabeihabende Sibylle als sehr selbstbewussten und eigensinnigen Charakter, wodurch der Film auch etwas stark Emanzipatorisches mitbringt. Und selbst ohne den Drama-Teil bliebe ein sehenswerter, mutiger Film, der ein intelligentes, außerordentlich talentiertes Mädchen beim Entdecken seiner Sexualität zeigt und mit der Faszination von Büchern, der Kraft geschriebener Worte sowie der Freude an erotischer Literatur und letztlich auch der Masturbation kunstvoll miteinander vermengt. Zudem wirft die Handlung Fragen dahingehend auf, inwieweit sie zumindest partiell autobiographisch sein könnte – insbesondere vor dem Hintergrund der Gerüchte um Emmanuelle Arsans tatsächliche Autorschaft ihrer Erotikromane. Angesichts der Qualitäten dieses Films ist es schade, dass nicht wesentlich mehr Frauen sich in den 1970ern an die Verfilmung erotischer Stoffe wagten.