bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt

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Eis am Stiel

„Du willst doch auch mal mit dem Bumsen anfangen, oder nicht?“

Als der israelische Regisseur und Drehbuchautor Boaz Davidson („Azit - Der Hund der Fallschirmjäger“) antrat, Mitte der 1970er seine eigenen Jugenderinnerungen in Form des Spielfilms „Eis am Stiel“ selbsttherapeutisch aufzuarbeiten, fand er im Produzenten-Duo der späteren „Cannon“-Betreiber Yoram Globus und Menahem Golan findige Geldgeber, die ein äußerst knappes Budget bereitstellten, aber mit dafür Sorge trugen, dass die Mischung aus Teenie-Erotikkomödie, Liebesfilm und Coming-of-Age-Drama 1978 in die Lichtspielhäuser kam und ein Riesenerfolg über die Landesgrenzen hinaus in Europa und Japan wurde. „Eis am Stiel“ war eine der ersten israelischen Produktionen, die für den internationalen Markt gedacht waren und bedeute die Emanzipation von Israelklischees und Holocaust-Last – und den Beginn einer langlebigen Softsex-Klamotten-Reihe.

Die drei miteinander befreundeten Schüler Benny (Yftach Katzur), Momo (Jonathan Sagall) und Johnny (Zachi Noy, „Wovon die Frauen träumen - Der Orgasmologe“) wachsen im Tel Aviv Ende der 1950er auf und haben vor allem das andere Geschlecht im Sinn. Sie sammeln erste sexuelle Abenteuer, bis sich der schüchterne Benny in die hübsche Nili (Anat Atzmon, „Drei unter’m Dach“) verliebt, die jedoch mit Schönling und Draufgänger Momo zusammenkommt. Als sie von ihm schwanger wird, will er nichts mehr von ihr wissen. Benny steht ihr in dieser schweren Zeit bei und begleitet sie zur Abtreibung. Er glaubt, ihr Herz erobert zu haben, doch kaum wird sie aus dem Krankenhaus entlassen, wirft sie sich wieder Momo an den Hals.

Nein, „Eis am Stiel“ ist noch kein Vergleich zum infantilen Holzhammerhumor manch Fortsetzung, zwischendurch gilt es lediglich einige Anleihen bei Sexklamotten zu überstehen. Für die erste (sehr freizügige) Nacktszene muss man warten, bis die nymphomane einsame Seemannsgattin Frau Stella (Ophelia Shtruhl, „Der Magier“) alle drei nacheinander ins Bett lockt, auf die zweite, bis das wild pubertierende Trio sich mit einer marokkanischen Prostituierten (Denise Bouzaglo) einlässt. Letztere Szene ist bereits weitestgehend humorlos, tendenziell eher bedrückend und abstoßend inszeniert. Die episodenhafte Struktur sieht darüber eine Penislängenmessung in der Umkleidekabine und Probleme mit Filzläusen vor.

Zum Ende hin entwickelt sich „Eis am Stiel“ immer mehr zum Drama, dessen Hauptrolle Benny, Alter Ego Davidsons, einnimmt. Mehr noch als die bisher genannten Sequenzen haben sich seit der Erstsichtung im Privatfernsehen seine sehnsuchtsvollen und traurigen Blicke ins Langzeitgedächtnis eingebrannt. Nilis Schwangerschaft fordert Bennys Beschützerinstinkt heraus. Von einem Moment auf den anderen entsagt er jeglichen Albereien und übernimmt Verantwortung. Nili, die sich für die Abtreibung kurioserweise komplett entkleiden muss, dankt es ihm, indem sie ihm die kalte Schulter zeigt und in der schockierenden Pointe zum für Benny mittlerweile vom Freund zum Erzfeind gewordenen Momo zurückkehrt.

Eine wirkliche Erklärung für dieses traurige Ende liefert man nicht. Wie so viele Jugendlieben hat auch diese keinen glücklichen Ausgang, zumindest Benny bleibt auf der Strecke. Damit bewegt sich „Eis am Stiel“ durchaus überzeugend zwischen den typischen Polen Pubertierender – himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt – und mischt Spaß mit unschönen Erfahrungen, Enttäuschungen und Melancholie. Sämtliche Ereignisse werden aus der Perspektive der drei Freunde präsentiert, weshalb –auch das ist typisch Pubertät – das andere Geschlecht einem genauso rätselhaft bleibt wie dem ungleichen Trio.

Zu all dem spielt auf der Musikspur unablässig zeitgenössische Musik der 1950er, also vor allem viel klassischer Rock’n’Roll. Die musikalische Untermalung der „Eis am Stiel“-Filme trug zu ihrem Kultfaktor bei, die Soundtrack-LPs wurden begehrte Sammlerobjekte. Manch jungem Zuschauer eröffneten die Filme erst den Zugang zur Musik der vorausgegangenen Generation. Zum Gelingen des Films tragen neben der sich wenig um Tabus scherenden, unbekümmerten Herangehensweise des Regisseurs aber vor allem die Jungmimen bei, die damals sicherlich noch nicht ahnten, zeitlebens mit diesen Rollen in Verbindung gebracht zu werden. Noy, Sagall und Katzur verkörpern ihre jeweiligen Figurentypen nahezu perfekt und auch in den Nebenrollen fällt niemand negativ aus der Reihe. Im Zweifelsfall ging man beim Casting auf Nummer sicher und verpflichtete mit Denise Bouzaglo eine echte Prostituierte. Das sommerliche 1950er-Ambiente ist ein weiterer heimlicher Star des Films, sodass sich ein Großteil des Publikums aus denjenigen zusammengesetzt haben dürften, die zu jener Zeit im gleichen Alter wie Johnny, Momo und Benny waren. Und schaut man sich „Eis am Stiel“ heutzutage noch einmal an, wird daraus gewissermaßen ein doppeltes Retro-Vergnügen. Das alles wohlgemerkt, ohne dass auch nur einziges Mal die jüdische Volksgruppe oder der Staat Israel thematisiert worden wären – die Handlung könnte im Prinzip genauso in den USA oder woanders in der westlichen Hemisphäre spielen. Eine Übertragbarkeit, die mit zum Erfolg des Films beigetragen hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Superstau

„Wenn ich steh‘, stehst du auch, ja?!“

Manfred Stelzers („Die Perle der Karibik“) Satire/Komödie „Superstau“ kam Ende März 1991 in die deutschen Kinos und damit noch einige Wochen vor den alljährlichen Sommerurlaub-Staus auf deutschen Autobahnen Richtung Süden. Zum episodenhaften Aufbau des Films passt, dass sich gleich fünf Autoren am Drehbuch beteiligten.

„Meine Gattin und ich haben bereits im Januar – im Januar! – unseren Urlaub gebucht!“

Die Familien Pacholke, Stocker und Pippig landen trotz zeitigen Aufbruchs nicht etwa zügig an ihrem Urlaubsort, sondern mitten in einem gigantischen Stau auf der deutschen Autobahn. Bald leidet man Hunger und Durst sowie unter der sengenden Hitze, die Nerven liegen blank. Außer bei Ludwig Stocker (Ottfried Fischer, „Go Trabi Go“): Der korpulente Bayer ist mit seinem Wohnmobil unterwegs und verfügt als einziger über ausreichend Vorräte. Die CB-Funker Mustang (Horst Schroth, „Hamburger Gift“) und Commander (Achim Konejung, „Neander-Jin: The Return of the Neanderthal Man“) versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen, ernennen sich Stauleitern und teilen die Blechlawine in einzelne Parzellen ein – was nicht nur positiv aufgefasst wird…

„Ich steh' kurz vorm Mord.“

Bis in die 1990er hinein war es üblich, dass die deutsche Kleinfamilie in den großen Ferien im bis unters Dach vollgestopften Kfz „über’n Brenner“ nach Südeuropa aufbrach – und dafür auf dem Hin- und Rückweg oftmals stundenlang im Stau stand, was die ohnehin schon üppige Reisezeit weiter ausdehnte. Flüge konnten sich damals aber nur Angehörige der vermögenderen Mittelschicht (und darüber) leisten, also nahm man plärrende Blagen, verdurstende Beifahrerinnen und Nervenzusammenbrüche gezwungenermaßen in Kauf. Zudem haftete dem eigenen Auto das Image von Unabhängigkeit und Freiheit am, was von jedem zur Ohnmacht verdammenden Stau ad absurdum geführt wurde.

„Wir sind der Stau!“

„Superstau“ karikiert verschiedene Urlauber-Stereotypen: Vom Wohnmobil-Patriarch, der seine Frau (Monika Baumgartner, „Die Chinesen kommen“) herumkommandiert und seine Tochter (Ariane Mühlmann, „Erkan & Stefan gegen die Mächte der Finsternis“) an der kurzen Leine hält, über den cholerischen Ruhrpott-Malocher Hermann Pacholke (Ralf Richter, „Verlierer“), der nach der Nachtschicht rußverschmiert mit Ehefrau Ilse (Hildegard Kuhlenberg, „Kommt Mausi raus?!“) und Sohn Boris (Tim Paul) im Audi loseilt, um ja nicht in den Stau zu geraten und dafür auch schon mal Pinkelpausen verwehrt, bis zum schmierigen, neureichen Porschefahrer Westermann (Heinrich Giskes, „Heinrich“), der die im Trabi reisenden Ostdeutschen um Friseur Fritzie (Ulrich Anschütz, „Solo Sunny“) über den Tisch zieht, die rustikalen norddeutschen Biker Hinnerk (Jan Fedder, „Großstadtrevier“) und Clars (Heinz Rolfing) sowie den CB-Funk-Wichtigtuern Commander und Mustang mit ihrer Blockwartmentalität.

Die ersten drei Familien werden bereits vor der Abfahrt gezeigt, im Stau kommen die übrigen Figuren hinzu. In einer Raststätte herrschen chaotische Zustände, die sich nur wenig später auf die Autobahn ausweiten werden. Köstlicher Dialogwitz paart mit sich mit einem Running Gag um einen Orientierungslosen, der sein kleines gelbes Auto sucht. Seine Schwächen jedoch offenbart „Superstau“ im mehr schlecht als recht gealterten klamaukigen Humor, der sich immer mal wieder Bahn bricht. Ebenso wenig zur zwar brachialen, nichtsdestotrotz durchaus gelungenen, hintersinnigen Satire will es z.B. passen, wenn Ottfried Fischer über seinen Stuhlgang fabuliert. Diesbzgl. verlor man entweder das Augenmaß oder brauchte ein paar schale Witzchen zur Streckung. Denn der Stau dauert bis zum Abend an, was Jan Fedder auch ausreichend Zeit gibt, in seinen Hot Pants (!) über die Autobahn zu stiefeln. Vor allem aber entwickelt sich in dieser Zeit ein eigener Mikrokosmos, das Leben verlagert sich aus den fahrbaren Untersätzen auf die Straße und Menschen, die sonst wenig bis gar nichts miteinander zu tun haben, kommen sich zumindest für ein paar Stunden näher.

Der „Breakfast Club“ in der ADAC-Version also? Das wäre zu hochgegriffen, wenngleich tatsächlich der gesellschaftliche Umgang angesichts der frühen Nachwendezeit thematisiert und persifliert wird. Besonders deutlich wird eine Art Kapitalismuskritik im Porschefahrer, der sich eine Club-Cola-Ration erschleicht, um diese dann überteuert weiterzuveräußern. Ludwig wiederum hortet seine Vorräte, muss dem Druck der Massen schließlich insofern einen Zentimeter nachgeben, indem er das Fußballgucken an seinem Wohnmobil gestattet, wird daraufhin jedoch von den durstigen und hungrigen Massen ausgeplündert – wie von einem revoltierenden Volk, das endlich die eine Schwachstelle im autoritären Unterdrückersystem entdeckt bzw. provoziert hat. Im Regen geht’s schließlich weiter, um – wie der Epilog zeigt – auf der Rückfährt drei Wochen später wieder im Stau zu stecken. Ja, so war das damals und so ist’s bisweilen auch heute noch – allen Billigfliegern dieser Welt zum Trotz. Freie Fahrt für freie Bürger? „Superstau“ für Freunde deutscher Komödien, die gerade auch an der unbefangenen Imperfektion älterer Exemplare dieser Gattung ihre Freude haben. Nach 77 Minuten ist dann auch schon wieder Schluss – weitaus schneller als manch Stau.
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Alles eine Frage der Zeit

„Ich muss mit jemandem zusammen sein, der nett ist und langweilig!“

Der britische Drehbuchautor und Regisseur Richard Curtis hat nicht nur ein Faible für köstlichen Humor („Mr. Bean“), sondern auch ein ausgemachtes Händchen für Romantik-Kitsch: „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und „Notting Hill“ stammen aus seiner Feder. Für „Tatsächlich... Liebe“ führte er erstmal selbst Regie. Sein bis dato jüngstes Wirken als Autorenfilmer ist die romantische Zeitreise-Dramödie „Alles eine Frage der Zeit“ aus dem Jahre 2013.

Tim (Domhnall Gleeson, „Dredd“) wächst auf dem Lande in einer heilen Familie auf. An seinem 21. Geburtstag weiht ihn sein Vater (Bill Nighy, „Shaun of the Dead“) in ein Familiengeheimnis ein: Alle männlichen Familienmitglieder können in der Zeit zurückreisen, wenn sie an einem dunklen Ort die Augen fest schließen und sich an einem bestimmten Zeitpunkt aus dem bisherigen eigenen Leben zurückwünschen. Auf diese Weise versucht Tim, Charlotte (Margot Robbie, „Nachbarn“), die über den Sommer als Besucherin bleibende attraktive Freundin seiner Schwester Kit Kat (Lydia Wilson, „Alles, was wir geben mussten“), herumzubekommen, was ihm jedoch permanent misslingt. Später geht er als Jurist nach London, wo er bei einem Dinner im Dunkeln die sympathische Mary (Rachel McAdams, „Passion“) kennenlernt. Er verguckt sich in sie, man vereinbart ein Rendezvous. Doch als Tim seine besondere Fähigkeit nutzt, um seinem cholerischen Mitbewohner und Vermieter Harry (Tom Hollander, „Fluch der Karibik 2“) zu helfen, macht er versehentlich sein Kennenlernen mit Mary ungeschehen. Wird es ihm gelingen, Mary trotzdem für sich zu erobern?

Eine „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Variante also, in der Tim (der ein „Die fabelhafte Welt der Amélie“-Plakat in seinem Zimmer hängen hat) zu Beginn seine Familie aus dem Off vorstellt. Nach einer Silvesterparty weiht sein Vater ihn ins Familiengeheimnis ein, woraufhin er sich nach einem skeptischen Selbstversuch plötzlich zurück auf jener Feier befindet. Seine Versuche, bei Charlotte zu landen, bleiben erfolglos, was den Schluss nahelegt, dass sich auch mittels Zeitreisefähigkeiten eben nicht jede Frau einfach für einen gewinnen lässt – egal, wie viele Anläufe man zur Verfügung hat. Nachdem er sich damit abgefunden und in London Mary kennengelernt hat, reist er erneut in der Zeit zurück, um die Theaterpremiere seines Zimmerdisponenten zu retten. Damit verfolgt er erstmals ein hehres Ziel, wenn er auch zu seinem Leidwesen dadurch Mary nie kennengelernt hat und nun anderweitig versuchen muss, ihr Interesse auf sich zu lenken. So weit, so bedauernswert.

Auch mit den Szenen der Kate-Moss-Ausstellung, die Tim besucht, um Moss-Fan Mary dort zu treffen, wissen zu gefallen: Zeitrafferszenen zu „Friday I’m in Love“ von The Cure, die dem Song auch als Musikvideo gut zu Gesicht gestanden hätten – wenngleich Tim dort erfahren muss, dass Mary mittlerweile einen Freund hat. Letztlich gelingt es ihm dennoch, mit Mary zusammenkommen – und siehe da: Plötzlich macht ihm auch Charlotte Avancen, doch Tim entscheidet sich für Mary und gegen Charlotte. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, wurde hier als Dahinschmelzmoment für die weibliche Zielgruppe installiert. Sein erstes Mal mit Mary gönnt er sich übrigens gleich dreimal…

Fortan zeichnet Curtis ein überidealisiertes Bild einer Beziehung, neben dem man sich direkt schlecht fühlt. Damit ist der Film nun im knietiefen Kitsch angekommen, immerhin wird die Traumhochzeit noch durch ein Unwetter etwas abgeschwächt. Natürlich bekommt man Nachwuchs, der sich nahtlos in die heile Welt einfügt, während die stolzen Eltern kein bisschen altern. Der Griff zum Spuckbeutel ist nicht mehr weit... Wie Supertim dann auch noch seine Schwester rettet, ist endgültig absurd. Dies schien auch Curtis zu erkennen, riss er doch das Ruder noch einmal rum. Tims Vater dichtet das Drehbuch nun Krebs an, gegen den Zeitreisen nichts mehr ausrichten können, will er nicht seine ganze Familie auslöschen. Diese Wende zum Melodram hat die Folge, dass der Film zu lang wird und kein Ende findet. Nach dem unweigerlichen Tod seines Vaters hat Tim indes all das, was sich andere wünschen: Er kann in der Vergangenheit Zeit mit seinem in der Gegenwart toten Vater verbringen, zumindest bis das nächste Kind da ist. Irgendwann nimmt sich Curtis ein Herz und besiegelt seinen Film mit einem superkitschigen Ende, bei dem die Frauenzeitschriftleserinnen noch einmal in die Rotzfahne tröten dürfen.

Der mit Popmusik von Anfang der 2000er unterlegte und beständig aus dem Off kommentierte „Alles eine Frage der Zeit“ hätte eine Parabel auf Perfektionismuswahn werden können. Stattdessen ist dem Resultat eine fragwürdige Aussage immanent: Nur nicht die Realität akzeptieren und für sein eigenes Handeln die Verantwortung übernehmen. Diese wird gegen Ende alibimäßig zwar ein wenig abgeschwächt, und sicherlich ist es eine schöne Vorstellung, alles ausbügeln und im zweiten oder dritten Anlauf jedem Fettnäpfchen ausweichen zu können. Was hier jedoch permanent mitschwingt, ist die irrige, arrogante männliche Annahme, man müsse die Objekte seiner Begierde nur lange und trickreich genug von sich zu überzeugen wissen, damit sie sich einem hingeben, Zurückweisungen bräuchten nicht akzeptiert zu werden bzw. wenn doch, kämen die entsprechenden Damen früher oder später sowieso wieder angekrochen. Dass die Zeitreisen gegenüber Geschlechtsgenossen ohne Superkräfte extrem unlauteren Wettbewerb bedeuten, wird zudem mit keiner Silbe problematisiert. All dies wurde verpackt in eine vergnügliche erste Hälfte, die mit ihrem Dialogwitz und ihrer Situationskomik für ein paar Schmunzler gut ist, und eine melodramatische, sich bis ins Absurde steigernde Zuspitzung, für die sich eine bestimmte Zielgruppe erwärmen dürfte, die spießigen, utopischen Idealen perfekter Familien nachhängt und gar nicht bemerkt, was man ihr unter diesem Zuckerguss an ranzigem Schmalz weit überm Verfallsdatum serviert. Da hilft dann auch keine wirklich schöne Folkballade wie „How long will I love you“ mehr. Eine Erkenntnis jedoch nehme ich aus diesem Film mit: Zeitreisende haben mir früher die Mädels weggeschnappt...
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Tatort: Duisburg-Ruhrort

„Pech im Spiel, Pech in der Liebe!“

1981 eroberte ein neuer Typ Kripo-Kommissar die „Tatort“-Reihe: Nach drei Engagements in den 1970ern jenseits der Polente polarisierte Götz Georges („Aus einem deutschen Leben“) Horst Schimanski als saufender und herumvögelnder Schmuddel-Hotte aus dem Ruhrpott, genauer: aus Duisburg, wo er an der Seite des pflichtbewussten Christian Thanner (Eberhard Feik, „Die Vorstadtkrokodile“) seine Fälle auf oft unorthodoxe Weise löste. Und so sehr die einen diese Verkörperung eines Polizeibeamten in aller Entschiedenheit ablehnten, so sehr spielte bzw. soff, vögelte und prügelte er sich in die Herzen der anderen, sodass er heute Kultstatus genießt. Seinen ersten Fall inszenierte Regisseur Hajo Gies nach einem Drehbuch Horst Vocks‘ und Thomas Wittenburgs. Ab dem 28.06.1981 war die öffentliche-rechtliche Krimireihe um eine Attraktion reicher.

„Schade, dass so viel Intelligenz bei der Polizei verkommt!“

Im Duisburger Hafen wird Binnenschiffer Heinz Petschek tot aufgefunden: Er wurde erstochen und anschließend ins Wasser geworfen. Der Trinker Jan Poppinga (Michael Rastl, „Das Käthchen von Heilbronn“) ist dringend tatverdächtig, denn seine Frau (Brigitte Janner, „Aus einem deutschen Leben“) hatte ihn mit Petschek betrogen. Schimanski und Thanner bringen Poppinga in Untersuchungshaft, doch Schimanksi zweifelt an dessen Schuld. Ein zweiter Toter beweist schließlich, dass nach wie vor ein Mörder frei herumläuft…

„Leader of the Pack“ der Shangri-Las läuft im Radio, während Horst Schimanski sich auf einen neuen Arbeitstag vorbereitet und erst mal rohe Eier zum Frühstück schlürft. Symbolträchtig wird dieser Auftakt zudem, als ein Nachbar laut fluchend seinen Fernseher aus dem Fenster schmeißt. Im Fernsehen läuft ja eh nur Mist, doch nun ist Schimmi da, der schnoddrige Goldkettchen-Macho und Muckiproll, der im Dienst des Gesetzes steht – und so ganz anders ist als sein Partner Thanner, für den Dienstvorschriften heilig zu sein scheinen. Aus dem Gegensatz dieses ungleichen Duos bezieht dieser „Tatort“ ebenso seinen Reiz wie aus den Duisburger Pott-Kulissen. Proletarisch geht’s hier zu, und Schimanski ist eigentlich einer von ihnen.

Schimanski betrinkt sich schon mal mit der Frau des Verdächtigen, ist Stammgast im Imbiss, wo er stilecht zwischen Punks Currywust mit Pommes zu speisen pflegt, verbringt eine Nacht mit seiner Kneipenwirtin oder pennt bei Thanner, der ganz schön unter der Fuchtel seiner Frau Sylvia (Nate Seids, „Die Geschichte der 1002. Nacht“) steht. Wegen Beamtenbeleidigung und tätlicher Übergriffe wird man nicht gleich angezeigt, mit den üblichen Bullenmimosen hat Schimmi nichts gemein – und gelangt dadurch in der Hafenkneipe an weiterführende Informationen. Ärger gibt’s auch in einer Rockerkneipe, vor allem mit dem in einer Nebenrolle brillierenden Ralf Richter („Das Boot“). Doch erst im türkischen Restaurant überschlagen sich so richtig die Ereignisse: Explosionen, brennende Menschen, Prügeleien und Schießereien. Am Ende ist der Fall gelöst.

Nein, wirklich spannend ist „Duisburg-Ruhrort“ nicht, obwohl es sich um einen vertrackten Fall mit überraschender Auflösung handelt. Pott-Folklore dominiert über kriminalistische Ermittlungen, gleich eine Reihe Milieus unterer Schichten werden abgeklappert – dieser „Tatort“ lebt von seinem Hauptdarsteller und dem rustikalen Ruhrpott-Charme. Schimanski als eine Art „Volksbulle“, den bis auf die Dienstmarke kaum etwas von seiner Klientel trennt, der das Herz auf der Zunge und die Faust geballt trägt und über kriminalistischen Spürsinn genauso verfügt wie über einen weichen Kern unter der rauen Schale. Die Schimanski/Thanner-„Tatorte“ wollten die Reihe wieder näher am Proletariat ansiedeln und dessen Identifikationsmöglichkeiten mit den Ermittlern erhöhen. Es ging nicht darum, einen deutschen „Dirty Harry“ oder Charles Bronson zu installieren, der das Gesetz in die eigene Hand nimmt, Horst Schimanski ist keine Selbstjustiz-One-Man-Army mit reaktionärer Berufsauffassung. Schimmi ist ein progressiver, frischer Wind in den verstaubten Beamtenstuben, ein illusionsloser Mann mit ehrlichem Gerechtigkeitssinn, so etwas wie ein solidarischer Vertreter der Arbeiterklasse, der keine Spießer leiden kann. Anspielungen auf die damaligen Berufsverbote gegen Kommunisten lassen sich ebenso vernehmen wie der beiläufige Running Gag der ständig falsch ausgesprochenen Nachnamen.

Ein schöner Auftakt, der das Milieu absteckt, das Ambiente skizziert und die Hauptrollen charakterisiert, um sie fortan in noch wesentlich aufregendere Einsätze zu schicken. Duisburg durfte sich freuen.
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La Boum – Die Fete

„Eine Frau, die sich hingibt, die muss ein Geschenk sein und keine zusätzliche Belastung!“

„La Boum“ dürfte der größte Erfolg des französischen Regisseurs Claude Pinoteau („Die Ohrfeige“) gewesen sein. Die Coming-of-Age-Liebeskomödie aus dem Jahre 1980 entstand nach einem Drehbuch, das die Oscar-prämierte Autorin Danièle Thompson zusammen mit Pinoteau verfasste, und machte die debütierende, erst 13-jährige Sophie Marceau zum Star.

Vic (Sophie Marceau), unschuldige 13 Jahre jung, beginnt zu pubertieren und somit sich für Partys und Jungs zu interessieren. Gerade erst ist sie mit ihren Eltern François (Claude Brasseur) und Françoise (Brigitte Fossey), einem Zahnarzt und einer Zeichnerin, von Versailles nach Paris gezogen, rechtzeitig zum Beginn des neuen Schuljahrs. In Pénélope (Sheila O'Connor) findet sie eine Freundin, die bereits Erfahrungen mit Jungs hat. Deren kleine Schwester Samantha (Alexandra Gonin) schwärmt für Vics Vater, der seine Ehe aufs Spiel setzt, indem er seine Frau mit einer Parfümhändlerin betrügt. Vic wiederum schwärmt für Mathieu (Alexandre Sterling), den sie auf einer Party kennengelernt hat. Ihre Eltern beschließen, sich eine Auszeit zu nehmen, in der die schwangere Françoise mit Vics Englischlehrer anbändelt und sich ansonsten voll aufs Cartoon-Zeichnen für eine Zeitung konzentriert. Vic geht mit Mathieu aus und entwickelt eine romantische Beziehung zu ihm, muss jedoch herausfinden, dass er eigentlich eine andere hat. Trost, Halt und kluge Ratschläge findet Vic in dieser turbulenten Zeit bei ihrer aufgeweckten, nonkonformistischen Urgroßmutter Poupette (Denise Grey). Gibt es eine gemeinsame Zukunft für Vic und Mathieu? Und werden sich Vics Eltern wieder zusammenraufen?

Im Mittelpunkt des Films steht zwar eindeutig Vic, im Gegensatz zu diversen anderen Coming-of-Age-Filmen ist die Erwachsenenwelt dennoch sehr präsent. Mit der Marceau fand man eine goldige Hauptdarstellerin, deren Leben sich seit dem Umzug allen elterlichen Zerwürfnissen zum Trotz hauptsächlich um Partys und Jungs dreht: Die Partys sind zu wichtigen sozialen Ereignissen in der Welt der Heranwachsenden avanciert, auf denen nicht nur eitles Schaulaufen betrieben und sich amüsiert wird, sondern wo wichtige Entscheidungen getroffen und die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Auf der ersten Party (bzw. Fete, wie der deutsche Verleih sie nannte) lernt sie Mathieu kennen, auf der zweiten, Vics Geburtstagsparty im eigenen Hause, auf die der Film seit dem Ende der ersten Party zusteuert, wirft sie sich bereits dem Nächstbesten (Olivier Gins) an den Hals – verdammte Pubertät!

Vergessen ist da der ach so große Kummer, den Mathieu ihr bereitet hat, fatalistischer Sprüche inklusive. Die Sprunghaftigkeit der Jugend wird damit ebenso illustriert wie ihre Unberechenbarkeit sowie das stete Wechselbad der Gefühle. Grandios die zuckersüßen Szenen, in denen Vic verschiedenste Outfits für die Party ausprobiert und in diesen posiert. Hinzu gesellen sich einige gelungene, meist situationskomische Gags, aber auch ein paar unglaubwürdige Szenen der Jungdarstellerinnen zugunsten albernen Klamauks. Mitunter ist „La Boum“ seiner Zeit voraus bzw. ein perfektes Bindeglied zwischen den 1970ern und den 1980ern: Zwischen „Lacoste“-Schleichwerbung spielt nicht nur eine Rollschuhdisco eine Rolle, nein, Vic verfügt sogar über die technische Innovation schlechthin, den damals letzten Schrei: einen Walkman! Auf diesem läuft natürlich Richard Sandersons verträumte „Dreams Are My Reality“-Schnulze, die auf den Film hin die Charts stürmte und 1987 nach der deutschen „La Boum“-TV-Premiere (ja, so lange konnte das damals noch dauern) hierzulande sogar Platz 1 der Single-Charts erklomm. Ansonsten hat es erfreulicherweise auch 2-tone-Ska in den Film geschafft, der z.B. auf Vics Party läuft, zur Freude der skankenden Gäste. Apropos: So wie in diesem Film waren unsere Hauspartys früher nie – anstatt kontrolliert zu tanzen wurde gesoffen, was die Vorräte hergaben, und anschließend meist durchgedreht. Vic und ihr Freundeskreis sind diesbzgl. dann doch etwas anders gepolt…

Ein erwachsenes Publikum dürfte sich durchaus auch für Vics Probleme und ihre Bekanntschaften interessieren, vor allem jedoch mitfiebern, ob es François gelingen wird, seine Frau zurückzugewinnen. Zwischenzeitlich wirkt es so, als wolle der Film seinem verheirateten weiblichen Publikum als Aussage mitgeben, doch bitte ihren untreuen Gatten zu verzeihen, was später jedoch wieder relativiert, wenn nicht negiert wird. Allem Humor zum Trotz wird dieses Thema durchaus ernstgenommen, das Drehbuch macht es diesbzgl. niemandem leicht. Dass „La Boum“ fast all seine Figuren ernstnimmt, ist neben dem bestens aufgelegten Ensemble vielleicht das größte Pfund des Films, der dadurch sowohl Verklärung als auch Überzeichnung gekonnt umschifft und zu verstehen gibt: Das Leben ist hart, aber nicht aussichtslos.
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Bloß kein Stress

„Belästigt uns bitte nicht mehr mit euren Problemen!“

Für die TV-Komödie „Bloß kein Stress“ (ja, mit fehlendem Apostroph) aus dem Jahre 2014 verfilmte der stets zwischen frechem und innovativem Stoff wie „Dorfpunks“, „Fraktus“ oder „Jürgen – Heute wird gelebt“ und etwas biederen TV-Auftragsarbeiten pendelnde Regisseur Lars Jessen ein Drehbuch Stefan Rogalls, das das beliebte Dauerbrenner-Thema des Nachbarschaftsterrors aufgreift.

„Wir werden immer mehr wie die da!“

Das Ehepaar Eva (Katharina Wackernagel, „Das Wunder von Bern“) und Jens Heller (Fritz Karl, „Männerherzen“) zieht mit seinen drei Kindern aus der Großstadt in eine Doppelhaushälfte der Neubausiedlung im Vorort. Es soll ein Neuanfang werden, für die Eltern beruflich, für die Kinder schulisch. Doch bekanntermaßen „kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt“ – die anfängliche Herzlichkeit, mit der das Nachbarspaar Thilo (Oliver Wnuk, „Stromberg“) und Peggy Trimmborn (Rike Schmid, „Butter bei die Fische“) den Neuen begegnet, erweist sich bald als geheuchelt, denn in Wirklichkeit sehen diese die Hellers als unliebsame Konkurrenten im Kampf um absolute Perfektion – auch beruflich, denn Jens heuert bei Thilos Arbeitgeber an. Die Hellers versuchen alles, um sich anzupassen und allen Ansprüchen zu genügen, doch die Trimmborns treiben ein perfides Spiel mit ihnen und mobben, was das große Handbuch der Intrigen hergibt…

„Ihr gehört nicht hierher!“

Die Trimmborns sind schlimme Kontrollfreaks und falsche, manipulative Schleimer, die sich in ihrem ekelhaft perfekten, dabei vollkommen sterilen Leben einzurichten versuchen. Die neuen Nachbarn nehmen sie als Störfaktor war, der weggeekelt gehört. Sie treiben die Hellers mittels perfider Methoden in den Wahnsinn, die recht lange brauchen, um das Spiel zu durchschauen und bereits ihre Existenz und ihre Ehe massiv bedroht sehen. Jens wird Opfer seiner Impulsivität und Eva überfordert die Kinder maßlos. Doch innerhalb des elitären Umfelds ist der älteste Sohn perspektivlos und Tochter Klara (Sina Knecht, „Der Brand“) wird in der Schule ausgegrenzt. Immer öfter streiten die Hellers auch untereinander. Schließlich treten die Trimmborns offen feindselig auf – aus Eifersucht und Angst, dass jemand besser sein könnte als sie.

Es ist der Konkurrenzdruck auf allen Ebenen, unter dem letztlich nicht nur die Hellers, sondern auch die Trimmborns leiden. Doch während erstere beinahe verzweifeln, kennen letztere keinerlei moralische Grenzen, sind hinterhältig und mit präziser Perfektion bösartig. Sie haben bereits die Vormieter der Hellers vergrault, was sie als Bestätigung des Erfolgs ihrer Methode werten. Da Jens in der gleichen Versicherung wie Thilo eine Arbeitsstelle antritt, befindet er sich quasi permanent im Schussfeld. Dem Film gibt dies die Möglichkeit, die Thematik auf Mobbing am Arbeitsplatz auszuweiten. Eigentlich müsste man Leuten wie den Trimmborns so lange aufs Maul hauen, bis sie lachen. Leider wird so etwas gesellschaftlich geächtet und sogar strafrechtlich verfolgt, sodass andere Wege des Umgangs gefunden werden müssen. Auch davon handelt dieser Film. Erst die Konfrontation mit der normalen Familie der Freundin des älteren Sohns Oskars führt den Hellers den Wahnsinn vor Augen, dem sie sich hingegeben haben.

Aus dem Ensemble sticht Hauptdarstellerin Katharina Wackernagel hervor, der man die arglose junge Familienmutter, die sich voll reinkniet, um bloß alles richtig zu machen, durchaus abkauft. Die Kamera liefert ein paar Stalking-Point-of-View-Bilder und hält den einen oder anderen visuellen Kniff bereit. Insgesamt ist „Bloß kein Stress“ sicherlich sehr plakativ und macht es sich mit seinen Appellen an die Emotionen des Publikums etwas einfach. Das Happy End wirkt dann auch recht unvermittelt und abrupt. Dennoch: Eine unterhaltsame TV-Produktion und ein sympathisches Plädoyer gegen krankhaft ehrgeizige Mittelklassespacken.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Depeche Mode und die DDR - Just Can't Get Enough

„Depeche Mode ist die größte ostdeutsche Band!“

Die MDR-Autoren Heike Sittner und Nils Werner drehten anlässlich des 30. Jahrestags des legendären Depeche-Mode-Konzerts in der Ost-Berliner Werner-Seelenbinder-Halle diesen Dokumentarfilm zum Fankult, der um die britische Synthie-Pop/Wave-Band in der DDR entstanden war. Es war das einzige Konzert der Band in der DDR. Der Film wurde am 10.03.2018 erstausgestrahlt.

Knapp 90 Minuten lang gehen Sittner und Werner der Popularität der Gruppe unter den Jugendlichen der DDR auf den Grund. Von Sittner aus dem Off kommentiert unternimmt man eine Zeitreise in die 1980er, zeigt Unmengen toller Fotos und Bewegtbilder aus jener Zeit und konnte viele O-Töne der Fans, damals involvierten Verantwortungsträger und der Band gewinnen – alte wie neue: Der damalige Zwickauer Jugendclubleiter Detlef Bergmann bekam Unterstützung von der SED-Jugendorganisation FDJ und interessierte sich besonders für die wachsende, subkulturelle Gruppe Depeche-Mode-Fans, woraufhin er sie mit seiner Videokamera dokumentierte. Dieses erstmals gezeigte Material enthält authentische Aufnahmen aus dem Leben der Zwickauer Depeche-Mode-Fans vor der Wende, inkl. persönlichen Aussagen über ihr Leben in der DDR, ihre Leidenschaft und ihre Träume. Es kommt zu einem Wiedersehen des alten Zwickauer-Fanclubs „Great Fans“ mit Bergmann, als Historiker kommt Sascha Lange zu Wort und „Mute Records“-Gründer Daniel Miller berichtet von den Anfängen dieser Musik, wie er die Band entdeckte und schließlich veröffentlichte.

Die „Great Fans“ waren nur einer von vielen Fanclubs, die die Musik der Briten feierten, akribisch alles über sie sammelten, Tonträger austauschten und sich wie ihre Vorbilder stylten. Kein Wunder also, dass die Ticketvergabe fürs Konzert streng reguliert werden musste: Platz war für lediglich 6.500 Besucher(innen), die aus der ganzen DDR anreisten, teilweise auf gut Glück. Die minutiös nacherzählte Entstehung des Konzerts ist hochspannend, sie war richtiggehend konspirativ: Um exorbitanten Massenandrang und mögliche daraus resultierende Eskalationen zu verhindern, wurde es als Feierlichkeit zum 42. Geburtstag der FDJ „getarnt“. Zu Depeche Mode passte das Konzert perfekt: In den 1980ern hatte die Band bereits wiederholt in der geteilten deutschen Stadt an ihren Alben gearbeitet, die kühle Ästhetik ihrer Musik fand ihren Widerhall in der DDR-Realität. Die Band äußert sich in alten DDR-TV-Aufnahmen auch selbst zu ihrem Auftritt in der DDR und ihren dortigen Fans. Diese Geschichte endet mit der Wende. Eine Label-Managerin weiß darüber hinaus noch über Fans aus dem Osten Deutschlands auf West- und Auslandskonzerten zu berichten. In den 1990ern kollabierte die Band, der Fanclub zerstreute sich.

Im Schlussteil wird die Brücke zur Gegenwart und zum Depeche-Mode-Comeback geschlagen, womit der Film gewissermaßen auch zur Bandbiographie avanciert. Der Zwickauer Fanclub findet noch einmal zusammen und fährt zum aktuellen Berliner Konzert, was mit aktuellen Live-Bildern illustriert wird. Ein schöner, versöhnlicher Abschluss eines Films, der nicht nur Einblicke in das besondere Verhältnis zwischen Depeche Mode und ihren Fans offenbart, sondern auch in den Kulturbetrieb der DDR, der mit Depeche Mode keine ideologischen Probleme hatte und mit dem Ost-Berliner Konzert ein unvergessliches popkulturelles Ereignis mit immenser Strahlkraft ermöglichte – ganz ohne Stasi-Mist. Trotz des starken sächsischen Akzents vieler Beteiligter fördert dieser Film Verständnis für die damalige Zeit und ihre Umstände und setzt nicht nur der Band ein weiteres, sondern vor allem den aufopferungsvollen Die-Hard-Fans in entbehrungsreichen Zeiten ein Denkmal. Das ist grandios und mitnichten ausschließlich für Depeche-Mode-Fans interessant. 8,5 von 10 Amiga-Lizenzpressungen für dieses Kleinod des ostdeutschen TV-Dokumentarfilms der Neuzeit.

Ergänzend ist übrigens mit „Behind the Wall – Depeche Mode-Fankultur in der DDR“ ein Buch Sascha Langes und Dennis Burmeisters erschienen, das mir noch unbekannt, aber sicherlich viele weitere spannende Geschichten und Eindrücke bereithält.
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Tatort: Nemesis

„Dass Dresden so’n Mann verliert…“

Der zweite Dresdner „Tatort“ nach Alwara Höfels‘ bedauerlichem Abgang fußt auf einem Drehbuch Mark Monheims und Stephan Wagners, der auch zum fünften Mal innerhalb der Krimireihe die Regie übernahm. Mit der Erstausstrahlung am 18. August 2019 beendete die ARD ihre „Tatort“-Sommerpause. Für Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) ist es der achte Fall, für ihre neue Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) der zweite.

„Das ist Dresden – nicht Palermo!“

Gastronom Joachim „Jojo“ Benda (Gerd Kastenmeier) wird erschossen in seinem Büro aufgefunden. Motiv und Täter vermutet man im Schutzgeldmafia-Milieu, auch die Aussagen der Witwe Bendas Katharina (Britta Hammelstein, „Der Baader Meinhof Komplex“) gehen ganz in diese Richtung: Zuvor hätten Schutzgelderpresser sie zu Hause überfallen und auch ihre beiden Söhne Viktor (Juri Winkler, „Rico, Oskar und die Tieferschatten“) und Valentin (Caspar Hoffmann) bedroht. Eine Spur führt zum zwielichtigen Stammgast Levon Nazarian (Marko Dyrlich, „Verpiss Dich, Schneewittchen“), dessen Kreditkarte am Tatort gefunden wurde. Doch auch Winklers pensionierter Vater Otto (Uwe Preuss, „Kriegerin“) und Kommissariatsleiter Schnabel (Martin Brambach) verkehrten regelmäßig in Bendas Lokal. Gibt es bis in die Polizei hineinreichende Verwicklungen in die Unterwelt? Und sagt Katharina wirklich immer die Wahrheit…?

„‘Projektil‘ sagt man!“

Dass der zweite Fall des Duos Gorniak/Winkler „die Neue“ stärker in den Fokus rücken würde, war zu erwarten. In diesem Ausmaße – inkl. familiärer Einblicke – erscheint es jedoch fast schon übertrieben, zumindest etwas arg bemüht. Das ist jedoch nicht das Problem dieses „Tatorts“, denn Gröschel sieht man gern in ihrer Rolle. Weniger gern wird man Zeuge, wie sehr sie sich noch von oben herab vom Vorgesetzten Schnabel behandeln lassen muss. Dass sich die junge Kollegin gegen den alteingesessenen Patriarchen der Dresdner Polizei, der aufgrund persönlicher Bekanntschaften ihre Ermittlungen torpediert, durchsetzen muss, ist ein etwas halbherziger (weil für Schnabel folgenloser) Verweis auf Ungleichbehandlung im Beruf, jedoch lediglich ein Nebenkriegsschauplatz.

In erster Linie geht es lange Zeit darum, falsche Fährten zu legen, aber stets nebulös anzudeuten, dass mit Katharina Benda etwas nicht stimmt. Wiederholt wird dem Publikum ein kleiner Informationsvorsprung gegenüber den Ermittlerinnen gewährt, den es jedoch nicht zu dechiffrieren in der Lage ist. Auf Dauer ist das etwas ermüdend – zumal ständig jemand im Bett liegt, sodass ich bei der Erstsichtung tatsächlich weggenickt bin. Das künstlich gedrosselte Erzähltempo und die Tristesse in der opulenten Stadtvilla der Bendas trugen ihren Teil dazu bei. Nichtsdestotrotz geht von der dysfunktionalen Beziehung Katharinas zu ihren Söhnen – respektive zu ihrem älteren Sohn, den sie im Gegensatz zu ihrem jüngsten kalt und lieblos behandelt – ein gewisser Reiz aus; man kann es aber auch schlicht Neugier nennen.

Im letzten Drittel verdeutlicht sich der manipulative Habitus der Mutter und das wahre Motiv hinter der Tat schält sich mühsam frei. Bei aller Tragik und Dramatik lässt einen das jedoch seltsam ungerührt, denn tiefergehende Charakterisierungen erfahren weder Katharina noch das Mordopfer. Die Auflösung schließlich mutet hanebüchen und heillos übertrieben an, als seien mit den Drehbuchautoren einmal mehr sämtliche Gäule durchgegangen. Das zerstört den Genuss dieses Falls endgültig, was angesichts einwandfreier schauspielerischer Leistungen schade ist. In der Retrospektive wirkt manch Szene zudem enttäuschend sinnbefreit. Ein starker Auftritt eines Informanten in der Autowaschanlage, ein gelungener Seitenhieb aufs LKA und eine Verfolgungsjagd im Dresdner Straßenverkehr, die in einem Parkhaus fortgesetzt wird, stehen bizarre Momente wie eine Knabennacktszene gegenüber, in der dessen Mutter ihn mit Badezwang zu erpressen versucht. Auffallend auch die Vielzahl realer Markennamen im Finale, die die „Tatort“-Drehteams doch sonst stets unkenntlich zu machen angehalten sind.

Ob Winkler durch diese Groteske tatsächlich an Profil gewonnen hat, bleibt ebenso abzuwarten wie die generelle Entwicklung des Dresdner-„Tatort“-Zweigs, der sich nach zuletzt starken Beiträgen durch „Nemesis“ zum eher absteigenden Ast entwickelt hat.
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Generation Walkman – Unsere Jugend in den 80ern

Im Sommer 2018 begann der WDR eine Sendereihe mit Themenschwerpunkt auf den 1980ern (die laut WDR von 1980 bis 1989 reichten, 1990 als eigentliches zehntes Jahr der Dekade wurde also ausgespart). Herzstück war die außerordentlich gelungene zehnteilige Dokureihe „Unser Land in den 80ern“, die in jeweils 45 Minuten ein Jahr in Nordrhein-Westfalen Revue passieren ließ („Land“ meinte hier also „Bundesland“). Flankiert wurde diese von diversen Sendungen unterschiedlicher Formate, u.a. vom abendfüllenden Dokumentarfilm „Generation Walkman – Unsere Jugend in den 80ern“, der unter der Regie von Autorin Marion Försching entstand.

Während die Dokureihe angenehm stark auch auf konkrete politische Ereignisse eingeht, bleibt dieser Film oberflächlicher und widmet sich in erster Linie Popkulturellem, aber auch gesellschaftlichen, politischen und gesundheitlichen Themen, vor denen es sich in einer solchen Doku nicht die Augen verschließen lässt – in erster Linie aus deutscher Sicht. Begleitet von einem Voiceover Susanne Hampls, unterlegt mit diversen ‘80er-Hits und kommentiert von mehr oder weniger sympathischen Prominenten wie Extrabreit-Sänger Kai Havaii, MTV-Moderator Steve Blame, Sportjournalist Arnd Zeigler, Entertainerin Sissi Perlinger, Sängerin Patricia Kelly, Kabarettist Frank Goosen, dem Schauspieler-Ehepaar Margie Kinsky und Bill Mockridge und den „Formel Eins“-Moderatoren Peter Illmann und Stefanie Tücking werden folgende Themen abgedeckt:

• Der Walkman
• Mixtapes
• Die Grünen
• Spielfilm „E.T.“
• Spielfilm „Flashdance“
• Breakdance
• Helmut Kohl
• Boris Becker
• Mathias Rusts Cessna-Flug
• MTV
• Aids
• Gurtpflicht
• Prinz Charles und Lady Di
• Trampen
• Der Gau in Tschernobyl
• Wettrüsten und Friedensbewegung im Kalten Krieg
• Die Neue deutsche Welle
• Die vermeintlichen Hitler-Tagebücher
• Spielfilm „Das Boot“
• Schimanski
• Spielfilm „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“
• Das Geiseldrama von Gladbeck
• Die Dualisierung des Rundfunks
• Volkszählung(en)
• Videotheken
• Homecomputer
• Mobiltelefone
• Mode
• Frisuren
• Gorbatschow
• Die Wende

Natürlich kann ein lediglich 90-minütiger Film dem Jahrzehnt nicht gerecht werden. Dafür ist die (in Bezug auf Filme und Musik sehr subjektiv anmutende) Themenauswahl bereits recht groß, womit einhergeht, dass die einzelnen Felder nur oberflächlich behandelt werden können. Dies dürfte die größte Herausforderung dieses Infotainment-Films gewesen sein. In den Kommentatorinnen und Kommentatoren fand man jedoch ein Ensemble, das es durchaus versteht, spitzzüngig und auf den Punkt adäquate Aussagen zu treffen (während die Kelly für die ‘80er aus Hippieperspektive zuständig ist). Dies betrifft in erster Linie die Bereiche Politik und Gesellschaft, in popkultureller Hinsicht bleibt „Generation Walkman“ sehr unkritisch und geht gar überraschend wenig überhaupt auf die Musik ein. Letzteres dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass speziell dafür bereits etliche separate Dokus oder Clip-Sendungen existieren.

Interessant gelöst ist die Verquickung ernster bis lebensbedrohlicher Themen und der mit ihnen verbundenen Protestkultur der 1980er mit den leichten und schönen Themen jenes Jahrzehnts: Zu Beginn wird ausgehend von diversen handfesten Kämpfen eine Lust auf Hedonismus hergeleitet, die als Übergang zum ersten Themenblock fungiert. Von Beginn an schwelgen die Kommentierenden in Jugenderinnerungen, die vielen historischen Aufnahmen werden wiederholt von persönlichen Bildern aus den Privatarchiven ergänzt. Nicht jede getätigte Aussage oder Einschätzung würde ich unterschreiben, große Aufreger bleiben aber aus. Nicht wirklich fair jedoch ist es, die privaten Fernsehsender der 1980er auf die RTL-Erotik-Gameshow „Tutti Frutti“ zu reduzieren.

Letztlich muss man aber zweifelsohne froh sein, dass sich kein Privatsender dieses Themas angenommen und einen selbst herangezüchteten Z-Promi nach dem anderen seinen inkompetenten Senf abgeben lässt. In diesem Falle wäre der Bereich Politik & Gesellschaft vermutlich noch wesentlich stiefmütterlicher behandelt worden. In dieser Form hingegen handelt es sich um eine durchaus launige, vergnügliche Angelegenheit mit nur wenigen inhaltlichen Schnitzern, dafür mit der einen oder anderen Erinnerung und Ehrerbietung gerade an die schönen und/oder kuriosen Seiten der ‘80er-Kultur und manch treffendem Kommentar, beispielsweise zur politischen und ästhetischen Ablehnung Helmut Kohls.

Schade ist, dass diese und ähnliche Dokumentationen i.d.R. mit dem Jahr 1980 beginnen, das noch so gar nichts mit den eigentlichen Achtzigern zu tun hatte, und dafür 1990 aussparen, ausgerechnet das Jahr des dritten deutschen Fußballweltmeisterschaftstitels der Herren und der so viel (später in den üblen Neunzigern bitter enttäuschte) Hoffnung spendenden Wiedervereinigung. Jüngst hat der WDR eine groß angelegte ‘90er-Retrospektive begonnen. Man darf also gespannt sein, auf welche Weise die zuletzt genannten Themen rückblickend verarbeitet werden.
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The Hallow

Hallow be their name

„Unsere Bäume bekommen sie nur über unsere Leichen!“

2015 debütierte der Brite und erklärte Fan des Horrorkinos der ‘70er und ‘80er Corin Hardy („The Nun“) mit seinem in den irischen Wäldern gedrehten und in irisch-britisch-US-amerikanischer Koproduktion entstandenen Horrorfilm „The Hallow“, mit dem er im unübersichtlichen Markt zeitgenössischer Low-Budget-Genreproduktionen einen Insider-Tipp landete.

„Wenn Sie bei denen eindringen, dringen die bei Ihnen ein!“

Der Londoner Umweltwissenschaftler Adam Hitchens (Joseph Mawle, „We Want Sex“) zieht zusammen mit seiner Frau Clare (Bojana Novakovic, „Drag Me to Hell“) und dem neugeborenen Sohn Finn (Wren Hardy) für einige Wochen in ein irisches Waldgebiet, um seinem Forschungsauftrag nachzukommen, den Baumbestand auf Schädlingsbefall zu untersuchen. Der Wald soll verkauft werden, womit der Besitzer des Gebiets, der alte Colm Donnelly (Michael McElhatton, „Game of Thrones“), dessen Tochter dort einst spurlos verschwand, hadert und auch nicht will, dass Adam den Wald betritt. Als man ihnen das Fenster zum Babyzimmer einwirft, verdächtigen Adam und Clare aus diesem Grunde Colm. Die zu Rate gezogene Polizei erklärt der Familie daraufhin, dass der Wald für die Einheimischen von mythologischer Bedeutung sei, und Calm bringt Clare ein altes Sagenbuch vorbei. Tatsächlich entdeckt Adam einen aggressiven parasitären Pilz, der in Fauna und Flora wütet – und muss später anerkennen, dass der Wald noch ganz andere Lebewesen beherbergt, die seiner kleinen Familie im Dunkeln immer näher kommen…

„The Hallow – es gibt sie!“

Hardy setzt lange Zeit auf eine unheilschwangere Atmosphäre, für die er das Forstambiente und die beunruhigende Entdeckung toter Tiere und schließlich des Parasiten ausgiebig auskostet. Nach den Anfeindungen durch die Anwohner häufen sich schließlich die unerklärlichen, bedrohlichen Phänomene: Adams Auto spielt plötzlich verrückt, der Motor wird vom Pilz überwuchert. Während seines Reparaturversuchs wird Adam im Kofferraum eingeschlossen und irgendetwas versucht, ins Auto einzudringen. Als er sich und seinen Sohn befreit, ist jedoch nichts mehr zu sehen. Als die Familie in ihrem Haus terrorisiert wird, kristallisiert sich schließlich heraus, dass nicht Colm dahintersteckt, sondern es „Hallows“ genannte Kreaturen auf sie abgesehen haben. Vor diesen verbarrikadiert man sich; dennoch gelingt es ihnen, Sohn Finn zu holen und gegen einen Wechselbalg auszutauschen. Dies erkennt der vom Pilz infizierte Adam und will entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten, doch mit seiner Frau geht die Mutterliebe durch. Adam mutiert derweil immer mehr.

„Sie hätten nie herkommen sollen!“

Neben irischen Sagen und Mythen ließ sich Hardy offensichtlich von „Tanz der Teufel“ und Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ inspirieren, ohne zu kopieren. Garniert mit etwas Öko-Horror avanciert „The Hallow“ zu einem durchweg gelungenen Creature Feature mit vornehmlich handgefertigten Kreatureneffekten, dem zudem eine ordentliche Prise Kapitalismuskritik innewohnt. Hardy versteht es für ein Regiedebüt ungewöhnlich gut, die Spannungsschraube anzuziehen und immer wieder etwas zu lockern, wodurch sein Film an Dynamik gewinnt. Ein paar mehr Hintergrundinformationen zur verhandelten Mythologie wären wünschenswert gewesen, dennoch wirkt „The Hallow“ im Gegensatz zu vielen Konkurrenzprodukten nicht unrund oder gar unfertig. Sicher, die erzählte Geschichte ist nicht sonderlich originell, wurde dafür aber liebevoll und mit viel Verve umgesetzt. Vor dem Hintergrund des irischen Lokalkolorits und der konsequenten Betonung dessen düsterer Seite ergibt sich ein stimmiger Genrebeitrag, der Horrorfreundinnen und -freunden der alten Schule guten Gewissens ans Herz gelegt werden kann.

Trivium: Im Auto hört Adam „I’m A Mess“ der Bostoner Punkband The Outlets.
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