bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Boxcar Bertha – Die Faust der Rebellen
„Glück...? Scheiße!“
Für seinen zweiten abendfüllenden Spielfilm tat sich US-Ausnahmeregisseur Martin Scorsese nach „Wer klopft denn da an meine Tür?“ mit Low-Budget-, B-Movie- und Exploitation-Produzent Roger Corman zusammen: „Boxcar Bertha – Die Faust der Rebellen“ aus dem Jahre 1972 basiert auf der (frei erfundenen) Autobiografie „Sister of the Road: The Autobiography of Boxcar Bertha“ des US-amerikanischen Autors, Arztes und Anarchisten Ben Reitmann – und wurde im Prinzip genau das, was man erwarten darf, wenn Scorseses Anspruch auf Cormans Produzentenformel trifft.
„Schlimm genug, dass er ein Bolschewik ist – aber dass er einem Nigger die Hand schüttelt, das geht zu weit!“
Zur Zeit der Großen Depression in den USA, genauer: im Arkansas der 1930er Jahre freundet sich die 16-jährige Waisin Bertha (Barbara Hershey, „Fünf Finger geben eine Faust“) mit dem Schwarzen Von Morton (Bernie Casey, „...tick... tick... tick“) und dem kämpferischen Eisenbahngewerkschafter „Big“ Bill Shelly (David Carradine, „Kung Fu“) an, der von Extremisten gejagt wird. Big entjungfert sie in einem Eisenbahnwaggon und verschwindet danach, lässt ihr jedoch etwas Geld da, das sie beim Glücksspiel vermehrt. Dabei lernt sie Rake Brown (Barry Primus, „Manfred von Richthofen – Der rote Baron“) kennen, mit dem sie eine Liaison eingeht. Beim Poker jedoch spielt Rake ein falsches Spiel und gerät in eine gefährliche Auseinandersetzung, aus der Bertha ihn rettet, indem sie seinen Kontrahenten erschießt. Auf der Flucht springen sie in einen fahrenden Güterwaggon, wo Bertha wieder auf Big trifft, dem eigentlich ihr Herz gehört. Nachdem die Polizei das Trio geschnappt hat, kann Bertha fliehen, die anderen beiden landen bei Zwangsarbeit im Gefängnis. Dort werden sie Zeugen eines Massakers, angeordnet von Bahnchefs Sartoris (John Carradine, „Die Schreckenskammer des Dr. Thosti“). Bertha befreit ihre Freunde und gemeinsam nimmt man den Kampf gegen den faschistischen Kapitalisten und Mörder Sartoris auf…
„Dieses Leben geht einem langsam an die Nieren!“
Anarchische Outlaws im Klassenkampf inmitten der Wirtschaftskrise: Diese Corman-Produktion ist deutlich von „Bonnie und Clyde“ inspiriert, in derselben zeitgeschichtlichen Ära angesiedelt, gleichwohl plakativ politischer – und hat Sex! Bertha zeigt sich splitterfasernackt, falsche Scham ist ihr fremd. Auch wenn sie zeitweise als Prostituierte arbeitet, wirkt ihr Umgang mit Sexualität wie ein Teil ihrer Rebellion gegen das verkommene, hundsgemeine und mörderische Establishment. Ihr Vater kommt im Prolog bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, wodurch das Leben sie vor Herausforderungen stellt, die sie annimmt und sich mit aller gegebenen Härte durchboxt. Im Vorspann untergemischte zeitgenössische Schwarzweißbilder aus den 1930ern erfüllen ihren Zweck als Authentisierungsmaßnahme, US-Südstaaten-Fidel- und Mundharmonika-Musik dient der Lokalisierung. Das Ensemble ist so etwas wie eine Carradine’sche Familienunternehmung, denn David, der hier an der Seite seines Vaters John spielt, und Hershey waren seinerzeit auch in der Realität miteinander liiert. Zudem sind David Carradine und Barbara Hershey ihre rebellischen Rollen wie auf den Leib geschneidert, galten sie doch als Symbol für die Gegenkultur in Hollywood.
„Ich bin kein Krimineller, ich bin ein Arbeiter!“
„Boxcar Bertha“ greift im Speziellen den Gewerkschaftskampf gegen das skrupellose, ausbeuterische Großkapital auf, thematisiert aber auch die extrem antisozialistische Stimmung im Süden der USA und sowohl Polizeibrutalität und Rassismus als auch die Rolle der Presse, die volle Pulle mit ins Hetzjagdhorn bläst. So gelang Scorsese ein wütender, aber gerechter Rundumschlag, der unter Cormans Ägide statt auf Tiefgang in der Figurenzeichnung auf Unterhaltsamkeit ausgerichtet wurde und deshalb bis zu seinem ultrabrutalen Ende (eine weitere „Bonnie und Clyde“-Parallele) rockt, das seinen Rezipientinnen und Rezipienten nur scheinbar die Katharsis vorenthält.
„Einem Bullen darfst du kein Wort glauben.“
Der Katholik in Scorsese lässt im superzynischen, religiös konnotierten Schlussmotiv kräftig grüßen, bevor ein Film sein Ende findet, der Scorsese retrospektiv angeblich gar nicht mehr sonderlich gefällt, ein Genre- und Corman-Film-geeichtes Publikum aber umso mehr ansprechen dürfte.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Die verrückten 70er – Das wilde Jahrzehnt der Deutschen
Im Jahre 2016 ließ WDR-Redakteur Heiko Schäfer in zwei abendfüllenden Dokumentarfilmen die 1970er- und 1980er-Dekade Revue passieren. „Die verrückten 70er – Das wilde Jahrzehnt der Deutschen“ und „Die verrückten 80er – Das Lieblingsjahrzehnt der Deutschen“ wurden vermutlich parallel zueinander produziert, erst im Jahre 2021 reichte der WDR „Die verrückten 60er – Das spektakulärste Jahrzehnt der Deutschen“ nach.
Das Konzept entspricht exakt dem der von mir bereits besprochenen ‘80er-Doku, sprich: Weitestgehend chronologisch werden Ereignisse und Phänomene aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Populärkultur, Sport, Wirtschaft und Kriminalität jenes Jahrzehnts aufgegriffen und in aller Kürze abgehandelt. Globales trifft auf Lokales; die Perspektive ist eine bundesdeutsche, die von Susanne Hampl während der zahlreichen Einspielfilmchen voller Originalaufnahmen aus den 1970ern mit mal humoristischem, mal ernsterem, aber stets pointiertem Zungenschlag aus dem Off eingeordnet und kommentiert werden. Unterstützung erhält sie dabei von prominenten Zeitzeuginnen und -zeugen, nämlich Politiker Norbert Blüm, den Moderator(inn)en Christine Westermann, Bettina Böttinger und Hugo Egon Balder sowie den Schauspielerinnen und -spielern Anouschka Renzi, Uwe Ochsenknecht, Hannes Jaenicke und Ann-Kathrin Kramer.
Folgende Themen werden angerissen:
- Trimm-dich-Aktion
- Erstes deutsch-deutsches Gipfeltreffen
- Beatles-Auflösung
- Anti-Vietnamkrieg-Demos
- Rote Armee Fraktion
- Minirock
- Tode Jimi Hendrix‘, Jannis Joplins und Jim Morrisons
- Willy Brandts Kniefall
- TV-Skandal bei „Wünsch dir was“
- (vermeintliches) Aussterben des Büstenhalters
- Bonanza-Räder
- Discos
- „Die Sendung mit der Maus“
- Klick-Klack-Spiel
- Abtreibungen und Paragraphenreform
- Friedensnobelpreis für Willy Brandt
- Hotpants
- Hippies
- Kiffen
- Taschenrechner
- Misstrauensvotum gegen Willy Brandt
- Pril-Blume
- Olympiade in München: Gold für Ulrike Meiforth / Terroranschlag und Polizeiversagen
- Bundestagsneuwahlen 1972
- Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“
- „Ein Herz und eine Seele“
- Waffenstillstand in Vietnam / Friedensnobelpreise
- Softpornos und Sexualreportfilme
- Trikotwerbung
- Otto Waalkes
- Angriff auf von Israel besetzte Gebiete / Ölpreiskrise / autofreie Sonntage
- Kompaktanlagen
- Hüpfbälle
- Schlaghosen und Plateauschuhe
- Uri Geller
- Playmobil
- Abba
- Günter-Guillaume-Skandal / Brandt-Rücktritt
- Bankster von Herstatt / Kleinsparerbetrug
- Herren-Fußball-WM 1974: BRD-Niederlage gegen die BRD und doch noch Titelgewinn
- Watergate-Affäre / Nixon-Rücktritt
- Polaroid
- Volljährigkeit ab 18
- Opel Manta
- Alice Schwarzer
- Talkshow-Eskapaden
- Waldwanderungen
- Britische Brexit-Bestrebungen / Abstimmung Pro-EG
- Wurli, der Wunderwurm
- Yps-Hefte
- Boney M. und Disco-Musik mit Sex-Appeal
- Herren-Fußball-EM 1976: Hoeneß verschießt
- Namensrechtsreform für Eheleute
- Schloss Wuppertal muss wegen Zerstörung moderner Kunst Schadenersatz zahlen
- Bundestagswahl 1976
- Anti-AKW-bewegung / Verbrecher Stoltenberg
- Wolf Biermanns Ausbürgerung aus der DDR
- Nina Hagen
- Emma-Postille
- Punk
- Neues Ehe- und Scheidungsrecht 1977
- Bhagwan-Sekte (Renzi outet sich als ehemalige Anhängerin)
- Telespiele im TV
- Deutscher Herbst
- „Saturday Night Fever“
- Letzter VW-Käfer läuft vom Band
- Erster deutscher im All: Sigmund Jähn
- Neuer Papst Johannes Paul I., tot nach 33 Tagen, mutmaßlich von der Mafia ermordet
- Dann JP2
- Gewöhnungsbedürftige Farben, Muster, Möbel und Brillen
- Iranische Revolution
- Mordanschlag auf Rudi Duttschke, zurückgekämpft ins Leben, im Dezember 1979 dann doch verstorben
Großartig hingegen sind die oft kuriosen alten TV-Ausschnitte, womit jedoch auch eine etwas starke Gewichtung zugunsten rein medialer Ereignisse einhergeht. Gefreut habe ich persönlich mich darüber, dass – im Gegensatz zur eingangs erwähnten ‘80er-Doku desselben Teams – das Thema Fußball stattfindet; Ausschlag hierfür dürfte der errungene WM-Titel der deutschen Mannschaft gewesen sein. Fast schon müßig zu erwähnen, dass die ‘70er hier von 1970 bis 1979 reichen und nicht wie die Dekade von 1971 bis 1980 – das hat sich leider medienübergreifend eingebürgert.
Wer wissen will, was die Bundesdeutschen in diesem Zeitraum bewegte, bekommt hier einen kurzweilig präsentierten Überblick aus der Vogelperspektive, ist aber unbedingt aufgerufen, für wirklich fundierte Informationen andere Quellen heranzuziehen. Dazu inspirieren kann dieser Film indes allemal.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Tatort: Ende der Vorstellung
„Ich hab‘ genug von Ihrem süffisanten Ton!“
Der zwölfte Münchner „Tatort“ um Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) verschlägt diesen ins Schauspieler(innen)-Milieu. Der österreichische Regisseur Georg Marischka („Plonk“) verfilmte im Januar und Februar des Jahres 1979 ein Drehbuch Hans Rieslings, die Erstausstrahlung erfolgte am 6. Mai 1979. Leider blieb „Ende der Vorstellung“ Marischkas einziger Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe.
Die Schauspielerin Andrea Bäumler (Claudia Demarmels, „Theo gegen den Rest der Welt“) wird in ihrem Appartement ermordet aufgefunden. Sie zählte zum Ensemble eines renommierten Münchner Theaters, in dessen Kreisen Kommissar Veigl die Ermittlungen aufnimmt. Die Tote war mit dem prominenten Schauspieler Carl Liebold (Robert Freitag, „Der längste Tag“) befreundet, der aber mit ihrer Cousine, der jungen Johanna Prasch (Sabine von Maydell, „Das Netz“), zusammenlebt. Die heißeste Spur indes führt zum Kleinkriminellen Toni Inninger (Werner Asam, „Die Teufelsbraut“), der relativ kurz nach der Tat aber Selbstmord in seinem Auto begangen zu haben scheint. Veigl jedoch hat den Verdacht, der Suizid könnte fingiert gewesen sein, und beißt sich weiter in diesem Fall fest, wobei er immer wieder eine lästige Journalistin abschütteln oder gar austricksen muss…
Eine Polizeiszene zu Beginn entpuppt sich als Teil einer Theateraufführung. In jenem Theatermilieu spielt dieser „Tatort“ dann zunächst auch eine ganze Weile und es dauert entsprechend, bis Veigl die Szenerie betritt. Dieser ist recht grantelig gestimmt und liefert sich mit dem diesmal wesentlich prominenter als Lenz (Helmut Fischer) vertretenen Brettschneider (Willy Harlander) einige verbale Kabbeleien. Eine Vielzahl an Figuren wird eingeführt, was den Fall zunächst sehr undurchsichtig erscheinen lässt, der Mord indes wird nicht gezeigt.
Was das Zeug zu einem drögen „Laberfall“ gehabt hätte, gerät unter Marischkas Regie aber – außerhalb der in deutschen Amtsstuben spielenden Szenen – zu einem anschaulichen Beispiel für ausgeprägten Stilwillen, denn „Ende der Vorstellung“ überrascht mit einem betont modernen Look, der mit Discoszenen, Arcade-Automaten, bunten Haaren, Micky-Maus-T-Shirt und nicht zuletzt frischer Musik die 1980er vorwegzunehmen scheint. Mit zunehmender Laufzeit lässt sich nicht nur passabel miträtseln, sondern das Verhalten der handelnden Figuren auch immer besser einordnen, bis ein Geständnis mit Rückblenden gegen Ende alles aufdröselt und ein dramatisches Finale folgen lässt, nach dem die Polizei gewissermaßen nur die halbe Miete einfährt.
Zuweilen wirkt diese Episode zudem ein wenig wie eine Abrechnung Marischkas mit der Schauspielzunft, die hier in ihrer Eitelkeit und Arroganz nicht immer gut wegkommt. Ein Hingucker ist Sabine von Maydell mit ihrer kecken Kurzhaarfrisur. Sicherlich gibt es spektakulärere „Tatorte“, und natürlich wäre hier auch von allem noch mehr drin gewesen, aber unterm Strich bietet „Ende der Vorstellung“ mehr als solide Krimikost, in deren Zuge Veigl der als nervig und aufdringlich gezeichneten Presse ein schönes Schnippchen schlagen und damit seine taktische Klugheit ausspielen darf.
„Ich hab‘ genug von Ihrem süffisanten Ton!“
Der zwölfte Münchner „Tatort“ um Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) verschlägt diesen ins Schauspieler(innen)-Milieu. Der österreichische Regisseur Georg Marischka („Plonk“) verfilmte im Januar und Februar des Jahres 1979 ein Drehbuch Hans Rieslings, die Erstausstrahlung erfolgte am 6. Mai 1979. Leider blieb „Ende der Vorstellung“ Marischkas einziger Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe.
Die Schauspielerin Andrea Bäumler (Claudia Demarmels, „Theo gegen den Rest der Welt“) wird in ihrem Appartement ermordet aufgefunden. Sie zählte zum Ensemble eines renommierten Münchner Theaters, in dessen Kreisen Kommissar Veigl die Ermittlungen aufnimmt. Die Tote war mit dem prominenten Schauspieler Carl Liebold (Robert Freitag, „Der längste Tag“) befreundet, der aber mit ihrer Cousine, der jungen Johanna Prasch (Sabine von Maydell, „Das Netz“), zusammenlebt. Die heißeste Spur indes führt zum Kleinkriminellen Toni Inninger (Werner Asam, „Die Teufelsbraut“), der relativ kurz nach der Tat aber Selbstmord in seinem Auto begangen zu haben scheint. Veigl jedoch hat den Verdacht, der Suizid könnte fingiert gewesen sein, und beißt sich weiter in diesem Fall fest, wobei er immer wieder eine lästige Journalistin abschütteln oder gar austricksen muss…
Eine Polizeiszene zu Beginn entpuppt sich als Teil einer Theateraufführung. In jenem Theatermilieu spielt dieser „Tatort“ dann zunächst auch eine ganze Weile und es dauert entsprechend, bis Veigl die Szenerie betritt. Dieser ist recht grantelig gestimmt und liefert sich mit dem diesmal wesentlich prominenter als Lenz (Helmut Fischer) vertretenen Brettschneider (Willy Harlander) einige verbale Kabbeleien. Eine Vielzahl an Figuren wird eingeführt, was den Fall zunächst sehr undurchsichtig erscheinen lässt, der Mord indes wird nicht gezeigt.
Was das Zeug zu einem drögen „Laberfall“ gehabt hätte, gerät unter Marischkas Regie aber – außerhalb der in deutschen Amtsstuben spielenden Szenen – zu einem anschaulichen Beispiel für ausgeprägten Stilwillen, denn „Ende der Vorstellung“ überrascht mit einem betont modernen Look, der mit Discoszenen, Arcade-Automaten, bunten Haaren, Micky-Maus-T-Shirt und nicht zuletzt frischer Musik die 1980er vorwegzunehmen scheint. Mit zunehmender Laufzeit lässt sich nicht nur passabel miträtseln, sondern das Verhalten der handelnden Figuren auch immer besser einordnen, bis ein Geständnis mit Rückblenden gegen Ende alles aufdröselt und ein dramatisches Finale folgen lässt, nach dem die Polizei gewissermaßen nur die halbe Miete einfährt.
Zuweilen wirkt diese Episode zudem ein wenig wie eine Abrechnung Marischkas mit der Schauspielzunft, die hier in ihrer Eitelkeit und Arroganz nicht immer gut wegkommt. Ein Hingucker ist Sabine von Maydell mit ihrer kecken Kurzhaarfrisur. Sicherlich gibt es spektakulärere „Tatorte“, und natürlich wäre hier auch von allem noch mehr drin gewesen, aber unterm Strich bietet „Ende der Vorstellung“ mehr als solide Krimikost, in deren Zuge Veigl der als nervig und aufdringlich gezeichneten Presse ein schönes Schnippchen schlagen und damit seine taktische Klugheit ausspielen darf.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Man of Steel
„Das Ende der Welt ist gekommen!“
Nach der „Superman“-Tetralogie aus den 1970ern und ‘80ern sowie deren „Superman Returns“-Ergänzung aus dem Jahre 2006 erkannte man bei DC, den Urhebern der Comics um den stählernen Superhelden-Pionier vom Planeten Krypton, dass ihnen Konkurrent Marvel mit seinem Marvel Cinematic Universe und den darin enthaltenen Kino-Straßenfegern den Rang abgelaufen hatte. So kam es, dass man bei Warner Brothers ein von Christopher Nolan und David S. Goyer während der Arbeit am Drehbuch zu „The Dark Knight Rises“ entworfenes Konzept für eine neue Superman-Verfilmung mit Kusshand entgegennahm und Goyer auf dieser Basis ein Drehbuch verfassen ließ. Nolan, der nun als Mitproduzent in Erscheinung trat, konnte mit Zack Snyder einen erfahrenen Mann für die Regie gewinnen, der zuvor bereits die „300“- und „Watchmen“-Comicverfilmungen inszeniert hatte. Der US-amerikanisch-britisch-kanadisch produzierte „Man of Steel“ wurde das Ergebnis dieser Kollaboration und läutete das DC Extended Universe ein. Das mit rund 140 Minuten überlange, hochbudgetierte Spektakel wurde für die 3D-Kinos aufbereitet, in denen er im Jahre 2013 schließlich zu sehen war.
„Er wird ein Gott für sie sein.“
Der Planet Krypton, irgendwo in einer fernen Galaxie: Der Untergang ist nah, das Militär putscht und Wissenschaftler Jor-El (Russell Crowe, „Insider“) beschließt, seinen Neugeborenen Kal-El in eine Raumkapsel zu stecken und in Richtung Erde zu steuern. Dort, genauer: in Kansas wächst Kal-El als Clark Kent (Henry Cavill, „Hellraiser – Hellworld“) unter Menschen auf, wird von seinen Zieheltern Martha (Diane Lane, „Rumble Fish“) und Jonathan (Kevin Costner, „Der mit dem Wolf tanzt“) liebevoll umsorgt. Clark hält seine Superkräfte, über die er als Kryptonier auf der Erde verfügt, wohlweislich weitestgehend geheim und hat selbst noch keinen Schimmer, woher er eigentlich stammt. Dies ändert sich, als er in Kanada auf ein im 20.000 Jahre alten Eis eingefrorenes Raumschiff stößt, das bereits vom Militär inspiziert wird. In diesem wird er kurze Zeit später auf seinen Vater bzw. dessen Bewusstsein treffen, der ihm das Nötigste erklärt und ihm Anzug und Cape überreicht – die Geburt Supermans! Die neugierige Journalistin Lois Lane (Amy Adams, „Gnadenlos schön“) beobachtete den neuen Helden, ohne zu ahnen, dass es sich bei ihm um Clark Kent handelt. Und Superman bekommt als erste wirkliche Aufgabe nicht weniger zu tun, als die Menschheit zu retten, auf die der kryptonische Militärgeneral Zod (Michael Shannon, „Bug“), ein weiterer Überlebender, nun ebenfalls aufmerksam geworden ist. Sein sinistrer Plan: Die Erde mit Kryptonierinnen und Kryptoniern bevölkern und die Menschen dafür auslöschen…
„Für jeden Menschen, den du rettest, töten wir eine Million mehr!“
So eindimensional und simpel die Superman-Figur zu ihren Ursprüngen auch war, mit den Comics aus den 1960ern, ‘70ern und ‘80ern, die meine Kindheit begleiteten, hatte sie meine Fantasie beflügelt und meinen Horizont erweitert. Die Mischung aus einem Helden mit übermenschlichen Kräften und Science-Fiction bis hin zu Mystery und Horror hatte es mir angetan und begeisterte mich vor allem dann, wenn die Geschichten keinem einfachen Schwarzweiß/Gut-Böse-Schema folgten, sondern mit meine Vorstellungskraft übersteigenden, mysteriösen Inhalten aufwarteten, die gut durchdacht waren und mich mit Phänomenen, Wesen und Bedrohungen konfrontierten, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Später orientierte ich mich stärker zum wesentlich weltlicheren, geerdeteren Batman, der bekanntlich ein mehr oder weniger normaler Mensch ist und somit über keine Superkräfte verfügt. Mit Superhelden-Realverfilmungen stand ich hingegen lange auf Kriegsfuß. Was in Comicform Hüllen lieferte, die kraft meiner Imagination auszufüllen waren, wirkte mit echten Menschen verfilmt auf mich irgendwie… profan. Diese Perspektive änderte sich erst später, ausgelöst durch recht gute Batman-Verfilmungen einer- und die spätere Erkenntnis andererseits, dass Christopher Reeve, Darsteller der klassischen Superman-Realfilme, auch im wahren Leben ein echter Supermann war.
„Dieser Mann ist nicht unser Feind!“
Nun also ein Superman-Reboot, in dem Christopher Nolan, der mit „The Dark Knight“ eine der besten Batman-Verfilmungen geschaffen hatte, die Finger im Spiel hat und das von Zack Snyder inszeniert wird – das klingt erst einmal interessant, wenngleich die Superboy-Ära, die ich aus meinen Comics kannte, entfällt, Clark Kent also erst als Erwachsener zum Superhelden wird. Ich trat vorbehaltlos und neugierig an diesen Film heran. Dessen nonlineare Narration mit ihren zahlreichen Rückblenden versucht, Vergangenheit und Gegenwart, Origin Story und Superhelden-Action-Bombastkino unter einen Hut zu bringen – und das prinzipiell gar nicht schlecht: Man beginnt mit Kal-Els Geburt auf Krypton, der wie ein abgefahrener Fantasy-Planet hergerichtet wurde, auf dem man sich beispielsweise auf Flugsauriern fortbewegt, aber eben kurz vor seiner Zerstörung steht. Mit einem bewaffneten Konflikt geht’s gleich in die Vollen, Bombast und Pathos stehen Pate. Die rassistischen Rebellen um General Zod werden verurteilt und kurz darauf ist Krypton einmal gewesen.
Nach dem ersten Zeitsprung rettet Clark auf der Erde als junger Seemann einem Kollegen nach einem Unglück das Leben, natürlich dank seiner übernatürlichen Kräfte. Visualisierte Erinnerungen an seine Kindheit zeigen einen verunsicherten, nachdenklichen Jungen, der sich schwer damit tut, anders als die anderen zu sein und die Mitmenschen eher fürchtet. Ein Hingucker ist die visuelle Umsetzung seines Röntgenblicks. Im weiteren Verlauf gerät der Film betont bodenständig: Landschaftspanoramen des Dorfs, Clark als Naturbursche (der aber wie ein Bodybuilder aussieht), Countrymusik. Eine weitere Rückblende zeigt eine Schulbuskatastrophe, bei der Clark lebensrettend eingreift. Daraufhin eröffnet ihm sein Ziehvater, dass er ein Außerirdischer ist. Trotzdem muss er sich bei seiner Arbeit als Kellner demütigen lassen. Wir lernen: Auch mit Superkräften ist das Leben als Außenseiter kein einfaches.
Schicksalhaft wird die Episode im Eis, bei der er Love Interest Lois Lane kennenlernt. Als diese sich verletzt, heilt er sie rasch und fliegt mit dem gefundenen Raumschiff kurzerhand davon. Lois macht eine Story über Außerirdische daraus, ihr Chef will diese aber nicht drucken und das Pentagon dementiert. Dass sie die Story daraufhin über einen Fake-News-Spinner ins Netz lanciert, veranschaulicht, dass der Film in der Gegenwart der 2010er-Dekade spielt. Lois sucht nach dem Stählernen und findet Clark, woraufhin sie ihre Story fallenlässt, um ihn zu schützen – eine weitere starke Variation der mir geläufigen alten Comicwelt. Eine weitere Rückblende, in der Clarks Familie in einen Tornado gerät und sich sein Ziehvater nicht von ihm retten lassen will, um seine Fähigkeiten geheim zu halten, ist äußerst tragisch, lässt den Film nun aber doch recht episodisch anmuten. Auftritt Zod! Er ist zurück und will Clark, weil dieser über die spezielle Fähigkeit verfügt, ein neues kryptonisches Volk zu erschaffen (womit keineswegs ein klassischer Geschlechtsakt gemeint ist). Lois wird derweil vom FBI verhaftet. Eine weitere Rückblende (uff…): Clark wird in seiner Kindheit von Gleichaltrigen gemobbt und darf sich nicht wehren. In der Gegenwart gesteht er dem Pfaffen, dass er der Gesuchte, sich aber nicht sicher sei, ob er den Menschen trauen könne. Der Klerikale spricht ihm Mut zu. Was sollte er auch sonst tun?
In seiner Heldenkluft stellt Clark sich nun und heißt dabei interessanterweise noch gar nicht Superman – das „S“ auf seiner Brust ist ein kryptonisches Zeichen für Hoffnung. Er lässt sich an Zod ausliefern, Lois begleitet ihn auf dessen Raumschiff. Dort erfährt Superman von Zods finsteren Plänen – und versinkt in einem Meer aus Totenschädeln (was ein im positives Sinne sehr morbides Bild erzeugt). Lois trägt eine spacige Maske und Supermans Superkräfte wirken im Raumschiff nicht. Ok, jetzt könnte es wirklich spannend werden – ganz wie in den Comics, wann immer Supis Kräfte schwanden und er rein auf seinen Intellekt angewiesen war. Hier jedoch fiel einem offenbar nichts anderes ein, als Kal-Els Vater zurückzuschicken, Lois im Ultraschnelldurchlauf auszubilden – und mir nichts, dir nichts irgendwie dafür zu sorgen, dass Clark seine Superkräfte zurückerhält. Die erste große Enttäuschung in diesem Film.
Im weiteren Verlauf spielt Snyder erwartungsgemäß die Actionkarte aus. Das kann er grundsätzlich, wobei der Umstand, dass die US Army gegen beide verfeindeten Parteien vorgeht, sogar noch für einen dritten Action-Akteur sorgt. Ja, wahrlich gelungene Action- und Zerstörungsszenen sind die Folge, die den Film wieder beeindruckend bombastisch wirken lassen. Ein zumindest mir, mit meinen in erster Linie aus erwähnten Comics bestehendem Vorwissen, neuer Aspekt ist es, dass Superman die DNA sämtlicher Kryptonierinnen und Kryptonier enthält, was erklärt, warum Zod es besonders auf ihn abgesehen hat. Wie Zod einen Weltenwandler einsetzt, produziert abermals spektakuläre Bilder. Eine Innenstadtzerstörung ruft Erinnerungen an den 11. September 2001 hervor, zahlreiche Tote müssen die Folge gewesen sein – davon allerdings bekommt man nichts zu sehen. Generell bekommt man keinen einzigen Leichnam zu Gesicht. Diesbezüglich bleibt der Film auf heuchlerische, verlogene Weise „sauber“ – eine weitere Enttäuschung.
Als man Zod besiegt wähnt, bricht sich eine weitere Zerstörungsorgie bahn, was nun wirkt, als sei es das einzige gewesen, was Autor Goyer respektive Snyder einfiel, um noch einen draufzusetzen. Dies mündet in einem spektakulären Endkampf, der bis ins Weltall führt. Bei dessen Ausgang werden, von der einen oder anderen Rückblende vielleicht abgesehen, erstmals – und damit viel zu spät – Emotionen gezeigt, an die ein sentimentaler Epilog anknüpft und woraufhin Clark endlich seine Journalistenkarriere beginnen kann. Das Wort „Superman“ fiel erst im letzten Drittel, was einerseits angenehm zurückhaltend wirkt, andererseits aber den Eindruck erweckt, der Gebrauch dieses heutzutage etwas abgeschmackt klingenden Namens sei den Filmmachern ein wenig peinlich gewesen. Wie auch immer: Die antifaschistische Aussage dieses Films, dass das Überleben des eigenen Volks keinen Genozid rechtfertigt, ist richtig und wichtig. Brachte der eine oder andere Kritiker die Figur Superman in der Vergangenheit mitunter mit faschistoiden Allmachtsfantasien in Verbindung, hat sich „Man of Steel“ diesbezüglich nichts vorzuwerfen.
Jedoch: Das wirkt hier alles trotz bzw. gerade für seine existenziellen Themen ein bisschen arg oberflächlich; Anflüge von Tiefgang werden im Actiongewitter in die Luft gesprengt, sodass wenig Erinnerungswürdiges bleibt. Echter Nervenkitzel, eine Spezialität manch „Batman“-Verfilmung, ist hier mit der Lupe zu suchen. Für einen „Superman“-Reboot, der zugleich den Beginn des DC Extended Universe darstellt, ist „Man of Steel“ nicht episch genug, zu wenig tiefschürfend, kaum nachhaltig nachklingend. Sogar das Verhältnis Clarks zu Lois lässt eine emotionale Ebene weitestgehend vermissen. Viel mehr als Blockbuster-Action mit viel Computerunterstützung und Hans Zimmers Orchestermusik kam Snyder und Co. hier als Zuspitzung dieser in ihren Rückblenden doch so vielversprechend mit vielen leisen, nachdenklichen Tönen begonnenen, komplett humorfreien Handlung offenbar leider nicht in den Sinn. Dadurch wirkt der Film seiner opulenten Ausstattung zum Trotz eher wie Fastfood. Zugegeben, das tun viele der Comics auch. Um zu deren Pendant zu werden, ist „Man of Steel“ aber viel zu aufwändig produziert und verfolgt er einen falschen Anspruch. Verspürt heutzutage eigentlich irgendjemand noch Lust auf diesen Film und denkt sich, hey, den würde ich jetzt gern mal wieder gucken?
Ich werde das Gefühl nicht los, dass ein Mehrteiler dem Stoff gerechter geworden wäre: Teil 1 behandelt die Geschehnisse auf Krypton kurz vor Untergang und Clarks Aufwachsen auf der Erde, Teil 2 die Ereignisse ab Clarks Reise zum Raumschiff nach Kanada – vielleicht wäre dann für all das Raum gewesen, dessen Unterrepräsentanz ich hier bemängelt habe… In der vorliegenden Form ist „Man of Steel“ eine sehr zwiespältige Angelegenheit.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Tatort: Ein Schuss zuviel
„Nix schießen, ich unschuldig!“
Die 100. Episode der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe entfiel aufs Essener Kommissars-Duo Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge), das in seinem siebzehnten Fall ermittelte. Das Drehbuch stammt aus der Feder Wolfgang Mühlbauers, mit der Inszenierung des Kriminaldramas wurde Hartmut Griesmayr betraut. Dieser hatte gerade erst mit dem „Tatort: Alles umsonst“ innerhalb der Reihe debütiert. Die im Winter 1978 nicht nur in Essen, sondern auch in Berlin gedrehte Episode wurde am 4. Juni 1979 erstausgestrahlt.
„Ich geh‘ nicht mehr in‘ Knast!“
Die Häftlinge Tomi Selzer (Thomas Ahrens, „Otto – Der neue Film“) und Suk Artun, zwei junge Männer, nehmen Schließer Günther Wörlemann (Friedrich G. Beckhaus, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) als Geisel, um aus der Untersuchungshaftanstalt auszubrechen. Der Vollzugsbeamte Jakobs (Herbert Stass, „Interview mit Herbert K.“) erschießt draußen auf dem Hof Suk, aber Tomi gelingt die Flucht. Besonders pikant: Die Flüchtigen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits von Wörlemann abgelassen und waren auf einen vorausgegangenen Warnschuss Jakobs‘ hin stehengeblieben. Jakobs jedoch behauptet, richtig gehandelt zu haben, während Wörlemann gegenüber Kommissar Haferkamp zu Protokoll gibt, dass der tödliche Schuss vollkommen unnötig gewesen sei. Nun wäre Tomi als Zeuge gefragt, doch der versteckt sich und will auf gar keinen Fall ins Gefängnis zurück. Am Tankstellenraubmord, der ihm vorgeworfen wird, war er tatsächlich unbeteiligt, doch nun hat er eine Geiselnahme und einen Gefängnisausbruch auf dem Kerbholz. Wörlemann wird derweil von seinen Kollegen unter Druck gesetzt und mangelnde Kameradschaft vorgeworfen, während Jakobs zunehmend Gewissensbisse bekommt. Und dann ist da noch Tomis Ex-Freundin Birgit (Michaela May, „Komm, liebe Maid und mache“), die ihn aus lauter Eifersucht am liebsten hinter Gittern sähe…
„Man kann alles richtig machen und trotzdem Riesenmist bauen!“
Griesmayrs Inszenierung des relativ anspruchsvollen Drehbuchs beginnt direkt und ohne jede etwaig vorab vermittelte Hintergrundinformation mit dem Gefängnisausbruch, in dessen Folge Haferkamp dank seiner Menschenkenntnis schnell spürt, dass etwas nicht stimmt. Daraus, dass Birgit ihren Ex-Freund Tomi in die ganze Chose hineingeritten hat, macht die Narration kein Geheimnis, ebenso wenig aus Jakobs‘ Schuld. Dieser scheint eine Sehschwäche zu haben und eigentlich eine Brille zu benötigen, ist darüber hinaus aber auch mit einer Ehefrau (Vera Kluth, „Startsprünge – Die Geschichte einer Meisterschwimmerin“) „gesegnet“, der vor allem daran gelegen ist, die Fassade einer heilen Welt aufrechtzuerhalten und die von der Verantwortung ihres Mannes nichts wissen will, sich somit dessen Überlegungen hinsichtlich einer etwaigen Selbstanzeige entgegenstellt. Unter dem Gefängnispersonal feiert der Korpsgeist derweil fröhliche Urständ und man versucht Wörlemann zu einer Revision seiner Aussage zu drängen, um den Todesschützen zu schützen. Inmitten dieser Gemengelage trifft sich Tomi heimlich mit seiner neuen Freundin Sisi Feldmann (Nora Barner, „Sonntagskinder“), die schließlich zwischen Haferkamp und Tomi zu vermitteln versucht, wofür sie ein Versprechen des Kommissars einholt, das dieser bricht, womit letztlich alle Beteiligten hadern. Dass Tomi Haferkamp austrickst und ihn mit einer Waffe bedroht, findet dieser dann aber gar nicht so wild, denn er hat einiges Verständnis für den Jungen entwickelt.
Zu Unrecht inhaftierte junge Leute, ein unnötiger Toter, eine kontraproduktive Ehefrau, falsch verstandene Kameradschaft und eine giftelnde Ex – miese Stimmung allenthalben in diesem „Tatort“, der den rasanten Auftakt, eine Knastrevolte und Waffengefuchtel ruhigen Momenten innerer Einkehr, Selbstzweifel und Gewissensbisse sowie Szenen einer Außenseiterromantik bei einer Bahnfahrt durchs Ruhrgebiet gegenüberstellt. Ambiente und Atmosphäre sind herbstlich trüb und melancholisch, die musikalische Untermalung liefern Genesis mit Instrumentalpassagen aus dem Song „Firth of Fifth“. Auch die unbeteiligte Zivilbevölkerung spielt eine Rolle, wenn sich in ihr Unbill gegen den Todesschützen regt – und Wörlemann trotzdem seine Aussage zurückzieht, da er dem Druck seiner Kollegen nicht mehr standhält. Ein weiterer Raubmord, verdächtigerweise bei Tomis ehemaligem Arbeitgeber, läutet das Finale ein, das seinen tragischen Ausgang auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche findet.
Vorverurteilungen, Falschaussagen und jungmännische Verzweiflung, gegen die die Polizei hier kaum ein Mittel hat – ausgerechnet der 100. „Tatort“ ist ein ziemlicher Abgesang auf Polizei und Justiz, der es lediglich hier und da an psychologischer Tiefenschärfe vermissen lässt und leider ohne Haferkamps Ex-Frau Ingrid auskommen muss. Haferkamp erfüllt zusammen mit Kollege Kreutzer (Willy Semmelrogge) seine Pflicht, wirkt aber müde und resignativ – läutet er hier bereits seinen Abgang ein? Die nächsten Episoden werden dahingehend Aufschluss geben.
„Nix schießen, ich unschuldig!“
Die 100. Episode der öffentlich-rechtlichen „Tatort“-Krimireihe entfiel aufs Essener Kommissars-Duo Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge), das in seinem siebzehnten Fall ermittelte. Das Drehbuch stammt aus der Feder Wolfgang Mühlbauers, mit der Inszenierung des Kriminaldramas wurde Hartmut Griesmayr betraut. Dieser hatte gerade erst mit dem „Tatort: Alles umsonst“ innerhalb der Reihe debütiert. Die im Winter 1978 nicht nur in Essen, sondern auch in Berlin gedrehte Episode wurde am 4. Juni 1979 erstausgestrahlt.
„Ich geh‘ nicht mehr in‘ Knast!“
Die Häftlinge Tomi Selzer (Thomas Ahrens, „Otto – Der neue Film“) und Suk Artun, zwei junge Männer, nehmen Schließer Günther Wörlemann (Friedrich G. Beckhaus, „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“) als Geisel, um aus der Untersuchungshaftanstalt auszubrechen. Der Vollzugsbeamte Jakobs (Herbert Stass, „Interview mit Herbert K.“) erschießt draußen auf dem Hof Suk, aber Tomi gelingt die Flucht. Besonders pikant: Die Flüchtigen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits von Wörlemann abgelassen und waren auf einen vorausgegangenen Warnschuss Jakobs‘ hin stehengeblieben. Jakobs jedoch behauptet, richtig gehandelt zu haben, während Wörlemann gegenüber Kommissar Haferkamp zu Protokoll gibt, dass der tödliche Schuss vollkommen unnötig gewesen sei. Nun wäre Tomi als Zeuge gefragt, doch der versteckt sich und will auf gar keinen Fall ins Gefängnis zurück. Am Tankstellenraubmord, der ihm vorgeworfen wird, war er tatsächlich unbeteiligt, doch nun hat er eine Geiselnahme und einen Gefängnisausbruch auf dem Kerbholz. Wörlemann wird derweil von seinen Kollegen unter Druck gesetzt und mangelnde Kameradschaft vorgeworfen, während Jakobs zunehmend Gewissensbisse bekommt. Und dann ist da noch Tomis Ex-Freundin Birgit (Michaela May, „Komm, liebe Maid und mache“), die ihn aus lauter Eifersucht am liebsten hinter Gittern sähe…
„Man kann alles richtig machen und trotzdem Riesenmist bauen!“
Griesmayrs Inszenierung des relativ anspruchsvollen Drehbuchs beginnt direkt und ohne jede etwaig vorab vermittelte Hintergrundinformation mit dem Gefängnisausbruch, in dessen Folge Haferkamp dank seiner Menschenkenntnis schnell spürt, dass etwas nicht stimmt. Daraus, dass Birgit ihren Ex-Freund Tomi in die ganze Chose hineingeritten hat, macht die Narration kein Geheimnis, ebenso wenig aus Jakobs‘ Schuld. Dieser scheint eine Sehschwäche zu haben und eigentlich eine Brille zu benötigen, ist darüber hinaus aber auch mit einer Ehefrau (Vera Kluth, „Startsprünge – Die Geschichte einer Meisterschwimmerin“) „gesegnet“, der vor allem daran gelegen ist, die Fassade einer heilen Welt aufrechtzuerhalten und die von der Verantwortung ihres Mannes nichts wissen will, sich somit dessen Überlegungen hinsichtlich einer etwaigen Selbstanzeige entgegenstellt. Unter dem Gefängnispersonal feiert der Korpsgeist derweil fröhliche Urständ und man versucht Wörlemann zu einer Revision seiner Aussage zu drängen, um den Todesschützen zu schützen. Inmitten dieser Gemengelage trifft sich Tomi heimlich mit seiner neuen Freundin Sisi Feldmann (Nora Barner, „Sonntagskinder“), die schließlich zwischen Haferkamp und Tomi zu vermitteln versucht, wofür sie ein Versprechen des Kommissars einholt, das dieser bricht, womit letztlich alle Beteiligten hadern. Dass Tomi Haferkamp austrickst und ihn mit einer Waffe bedroht, findet dieser dann aber gar nicht so wild, denn er hat einiges Verständnis für den Jungen entwickelt.
Zu Unrecht inhaftierte junge Leute, ein unnötiger Toter, eine kontraproduktive Ehefrau, falsch verstandene Kameradschaft und eine giftelnde Ex – miese Stimmung allenthalben in diesem „Tatort“, der den rasanten Auftakt, eine Knastrevolte und Waffengefuchtel ruhigen Momenten innerer Einkehr, Selbstzweifel und Gewissensbisse sowie Szenen einer Außenseiterromantik bei einer Bahnfahrt durchs Ruhrgebiet gegenüberstellt. Ambiente und Atmosphäre sind herbstlich trüb und melancholisch, die musikalische Untermalung liefern Genesis mit Instrumentalpassagen aus dem Song „Firth of Fifth“. Auch die unbeteiligte Zivilbevölkerung spielt eine Rolle, wenn sich in ihr Unbill gegen den Todesschützen regt – und Wörlemann trotzdem seine Aussage zurückzieht, da er dem Druck seiner Kollegen nicht mehr standhält. Ein weiterer Raubmord, verdächtigerweise bei Tomis ehemaligem Arbeitgeber, läutet das Finale ein, das seinen tragischen Ausgang auf dem Gelände einer stillgelegten Zeche findet.
Vorverurteilungen, Falschaussagen und jungmännische Verzweiflung, gegen die die Polizei hier kaum ein Mittel hat – ausgerechnet der 100. „Tatort“ ist ein ziemlicher Abgesang auf Polizei und Justiz, der es lediglich hier und da an psychologischer Tiefenschärfe vermissen lässt und leider ohne Haferkamps Ex-Frau Ingrid auskommen muss. Haferkamp erfüllt zusammen mit Kollege Kreutzer (Willy Semmelrogge) seine Pflicht, wirkt aber müde und resignativ – läutet er hier bereits seinen Abgang ein? Die nächsten Episoden werden dahingehend Aufschluss geben.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Alice lebt hier nicht mehr
„Scheiße, elende!“
Der vierte abendfüllende Spielfilm des US-amerikanischen Ausnahmeregisseurs Martin Scorsese scheint auf den ersten Blick nicht so recht in sein Œuvre zu passen. Tatsächlich haderte er Überlieferungen zufolge zunächst mit dem Drehbuch Robert Getchells, als Hauptdarstellerin Ellen Burstyn („Der Exorzist“) damit an seine Tür klopfte – handelt es doch von einer alleinerziehenden Frau, die sich, ihrem Traum von einer Karriere als Sängerin hinterhereilend, durchs Leben schlägt. Glücklicherweise übernahm Scorsese dennoch die Inszenierung dieser Mischung aus Tragikomödie und Road-Movie, die im Jahre 1974 in die Kinos kam, ein internationaler Erfolg wurde und sogar mehrere Preise gewann, u.a. den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle. Auf dieser Basis konnte Scorsese sich weitestgehend von finanziellem Druck befreit an die Arbeit zu „Taxi Driver“ machen.
„Wenn noch ein Mann in diesem Bums mich blöd anquatscht, dann kriegt er eins in die Fresse!“
Der mürrische Ehemann (Billy Green Bush, „Harley-Davidson 344“) der 35-jährigen Alice (Ellen Burstyn) verunglückt bei einem Verkehrsunfall tödlich, woraufhin sie ihr Haus in New Mexico verkauft und mit ihrem elfjährigen Sohn Tommy (Alfred Lutter III, „Die letzte Nacht des Boris Gruschenko“) nach Monterey in Kalifornien gehen will, wo sie in jungen Jahren als Sängerin aufgetreten war. Sie machen jedoch notgedrungen Zwischenstation in Phoenix, Arizona, wo Alice sich in allen Lokalen als Sängerin bewirbt, eine Anstellung erhält und sich auf eine Affäre mit einem verheirateten Mann (Harvey Keitel, „Hexenkessel“) einlässt. Als dieser gewalttätig wird, packt sie Hals über Kopf ihre Sachen, schnappt sich Tommy und zieht weiter, wobei sie den Ranchbesitzer David (Kris Kristofferson, „Pat Garrett jagt Billy the Kid“) kennenlernt, der das Gegenteil ihrer bisherigen Männer zu sein scheint…
Der mit einem satten Rotfilter und im 4:3-Format gedrehte Prolog zeigt Alice als fröhliches singendes Kind, das bei seiner Ankunft im Elternhaus von seiner Mutter Prügel angedroht bekommt – eine Schlüsselszene zu ihrem Traum von einer Karriere als Sängerin und Hommage an „Der Zauberer von Oz“ zugleich. Dann der Zeitsprung in die Gegenwart, 27 Jahre später: Ein schmissiger Rocksong von Mott The Hoople ertönt, denn von diesem ist Tommy ein Fan. Alice‘ Mann Donald neigt zu Jähzorn, ist permanent mies gelaunt und macht ihr Vorwürfe, sie würde Tommy nicht richtig erziehen. Tatsächlich ist Tommy ein rotzfrecher Bengel, wenn auch sehr charmant und intelligent, zugleich aber neunmalklug und sehr eigensinnig. Dennoch avanciert er mit seinem Wesen zu einem Sympathieträger des Films. Nach Donalds Tod besinnt sich Alice wieder auf ihr Gesangstalent, das sie wie ein Licht am Ende des Tunnels, einen Hoffnungsschimmer, stets vor sich herträgt, ja, das ihr Kraft verleiht.
Der kindische Ben, beeindruckend gespielt vom damaligen Scorsese-Stammmimen Harvey Keitel, gräbt Alice in Phoenix an. Und nachdem sie sich anfänglich noch ziert, hat er schließlich Erfolg, Alice kann sich wieder ein Leben an der Seite eines Mannes vorstellen. Leider entpuppt er sich jedoch als verheirateter Hallodri, der seine Familie vernachlässigt und sogar zu arbeiten aufgehört hat. Richtiggehend erschreckend ist die Szene, in der er zu allem Überfluss auch noch gewalttätig wird. Es kristallisiert sich heraus: Alice scheint kein Glück mit den Männern zu haben.
In einem neuen Ort fängt sie als Kellnerin in einem Imbiss an, woraufhin Mann Nummer 3 in ihr Leben tritt, der Film aber auch immer komödiantischer wird und dadurch eine Leichtigkeit erhält, die zum grundsympathischen David, einem sanften Naturburschen, der mit Alice anbändelt, passt. Die Szenen im Imbiss sind humoristisch gestaltet, insbesondere durch die Konstellation aus drei Kellnerinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch es kommt zum Streit zwischen David und Tommy, daraufhin zwischen Alice und David. Was bis hierhin in aller Harmonie inszeniert wurde, scheint schon wieder vorbei zu sein. Der große Unterschied jedoch ist, dass diesmal Alice und Tommy die Schuld zu treffen scheint. Denn anstatt Tommy erzieherisch Grenzen zu setzen und damit zu akzeptieren, dass er ein Kind ist, ist die Mutter-Sohn-Beziehung hier eine auf Augenhöhe, beinahe, als sei Tommy Alice‘ eigentlicher Partner im Leben (wenn auch nicht im ödipalen Sinne). Darunter muss David leiden, zudem projiziert Alice ihre negativen Erfahrungen auf David – eine Art Klassiker unter sich mit neuen Beziehungen schwertuenden Alleinerziehenden. Heutzutage indes würde man David allerdings wohl wirklich nicht mehr den Klaps auf Tommys Po durchgehen lassen. Tommy indes ist mittlerweile elf und beginnt zu pubertieren, trinkt gar schon mit einer Freundin (Jodie Foster, „Round Up“) Wein…
Der Imbiss rückt daraufhin mit weiteren turbulenten Szenen wieder stark in den Fokus, ist er doch kurioserweise immer wieder Bühne hysterischer Anfälle, zwischenmenschlicher Dramen und von Nervenzusammenbrüchen. Das offene Ende deutet ein mögliches Happy End an und umgeht damit sowohl Romantikkitsch als auch desillusionierenden Fatalismus. „Alice lebt hier nicht mehr“ gewinnt mit sensibler Figurenzeichnung, großartigen Dialogen (insbesondere jenen zwischen Tommy und Alice) und zu gleichen Teilen Humor auf der einen und bodenständigem Drama auf der anderen Seite. Scorsese umschifft dabei jegliches Mansplaining, sondern lässt alles, was gesagt werden muss, über seine tolle Hauptdarstellerin transportieren, deren Mimik, Habitus, Macken und Lebenseinstellung das Publikum zu dechiffrieren angehalten ist, um sich einen Reim auf sie, ihr Leben und ihre Träume zu machen.
Scorsese bewies damit, dass er nicht nur urbanes Kino beherrscht, und zeigte einmal mehr ein Händchen für den Umgang mit toxischen männlichen Figuren, die sich wie eine Konstante durch viele seiner Filme ziehen (womit die Brücke zu Scorseses Œuvre geschlagen wäre). Wenn er auch für meinen Geschmack zuweilen gern ein wenig konkreter werden und sich etwas mehr trauen hätte dürfen, statt hier stets der Familientauglichkeit verpflichtet zu bleiben.
Mit der Sitcom „Imbiss mit Biss“ wurde die Geschichte zwei Jahre später abgewandelt in Serienform adaptiert, in der Linda Lavin die Rolle der Alice übernahm; die Serie wurde offenbar satte zehn Jahre lang produziert. Die Serie kenne ich nicht, aber der Film ist mir 7,5 von 10 Imbissbesuchen wert.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Revolution! Making-of Bonnie und Clyde
Auf der deutschen „Bonnie und Clyde“-Blu-ray von Warner befindet sich im Bonusmaterial zum einen eine hochinteressante Dokumentation des History Channels mit dem Titel „Liebe und Tod: Die Geschichte von Bonnie und Clyde“, in der neben einem Off-Erzähler Clydes Schwester und die Drehbuchautoren zu Wort kommen. Illustriert mit vielen Schwarzweißfotos erfährt man reichlich Biographisches, Gesellschaftliches und Soziales über die Hintergründe des realen Falls. Clyde habe als Kleinkrimineller begonnen; Bonnie und er seien aufrichtig Liebende gewesen, die zu Zeiten der Großen Depression zurecht einen Hass auf die Exekutive entwickelt und das getan hätten, was sich andere nur nicht getraut hätten. So wird der Eindruck vermittelt, die Banküberfälle seien moralisch vertretbar gewesen und sie hätten mit einer Ausnahme nie die Falschen getötet. Einem Ex-Häftling wie Clyde habe das System quasi keine andere Wahl gelassen.
Unter dem Titel „Revolution! Making-of Bonnie und Clyde“ findet sich jedoch darüber hinaus ein 65-minütiger Dokumentarfilm des französischen Regisseurs Laurent Bouzereau, einem Experten für Making-of-Filme, aus dem Jahre 2008 auf der Disk. Begleitet von vielen Filmausschnitten und alten Fotos treten hier zunächst Clyde-Darsteller Warren Beatty und die Autorschaft in Erscheinung, die die Einflüsse der Nouvelle Vague beschreiben und sich erinnern, wie lange sie nach einem Regisseur hatten suchen müssen. Der kreative Berater kommt zu Wort, ebenso Regisseur Arthur Penn. Die Drehbuchänderungen um Clydes sexuelle Ausrichtung werden genannt; Curtis Hanson berichtet von seiner Entdeckung Faye Dunaways und wie er sie an diesen Film vermittelte. Diese betritt sodann die Szenerie und erzählt von ihren Vorbereitungen sowie dem Dreh. Ähnliches plaudert C.W.-Moss-Darsteller Michael J. Pollard aus dem Nähkästchen, zu dessen Filmfigur, wie man erfährt, drei reale Personen miteinander verschmolzen. Gene Hackmann, Estelle Parsons und später auch Evans Evans reihen sich ein und teilen ihre Erinnerungen mit den Zuschauerinnen und Zuschauern.
Es wird deutlich, welch großen Einfluss Beatty auf den Film hatte; er habe sich im ständigen kreativen Disput mit Regisseur Penn befunden. Kostümbildnerin Theadora Van Runkle kommt im weiteren Verlauf ebenso zu Wort wie Presseagent Guttman, Art Director Dean Tavoularis, Dunaways Double, Editorin Dede Allen und Special Consultant Robert Towne. Daraus ergibt sich ein multiperspektivischer, bunter Strauß an Eindrücken und Anekdoten. Man geht auf die
veränderte Arbeitsweise und damit einhergehenden Konflikte mit Kameramann Burnett Guffey ein – der zwischendurch kündigte, aber den Oscar für seine Arbeit erhielt. Die Doku gewinnt weiter an Tiefgang, als das Verhältnis von Gewalt, Komik und Tragik beleuchtet wird. Man klassifiziert „Bonnie und Clyde“ als einen der ersten Antihelden-/Gangsterfilme, die das Publikum Empathie und sogar Sympathie empfinden ließen, und adelt Beatty als Schauspiel-Produzent. Technischer wird’s wieder, wenn Tempo, Energie und Schnitt thematisiert und die Oralsex-Szene als Besonderheit herausgestellt werden. Die Filmmusik habe zum Teil schon im Vorhinein festgestanden.
Abschließend widmet man sich der Rezeption: Warner Brothers habe der Film gar nicht gefallen, das Publikum ihn aber angenommen. Ein dummer, aber populärer Kritiker habe ihn wegen seiner neuartigen, realitätsnahen Gewaltdarstellung verrissen und die Vermarktung habe zunächst eine echte Herausforderung dargestellt, doch auf die ersten positiven Kritiken hin machte man aus der Not eine Tugend und griff die Kontroverse um den Film für eine neue Werbekampagne auf, wodurch „Bonnie und Clyde“ richtig durchstartete – auch international. Eine grobe filmhistorische Einordnung des Films rundet diese Making-of-Doku ab. Klar, hier wird sich – wie so oft in derartigen Features – viel gegenseitig auf die Schultern geklopft und Honig um den Bart geschmiert. Dafür erhält man aber auch überaus interessante Einblicke sowie etwas Tiefgang und werden viele Facetten berücksichtigt, die auch gerade Jahrzehnte nach seinem Erscheinungsjahr helfen, den Film in den Kontext seiner Zeit zu setzen und damit besser zu durchzudringen.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
La Bamba
„In meinen Träumen gibt's nur Rock'n'Roll!“
Man sagt, dass alle 30 Jahre die Populärkultur eines Jahrzehnts eine Renaissance erlebt, und tatsächlich traf dies in den 1980ern auf die 1950er und ihren Rock’n’Roll zu. Dazu beitragender Teil war das Biopic „La Bamba“ aus dem Jahre 1987 über den mit nur 17 Jahren am „day the music died“ zusammen mit Buddy Holly und dem Big Bopper tödlich verunglückten Musiker Ritchie Valens. Dem Film folgten im selben Jahr der Dokumentarfilm „Hail! Hail! Rock'n' Roll“ über Chuck Berry und zwei Jahre später der Spielfilm „Great Balls of Fire“ über Jerry Lee Lewis. Valens hieß eigentlich Richard Steven Valenzuela und war zwar gebürtiger US-Amerikaner, aber mexikanischer Abstammung und Teil eben dieser Gemeinschaft innerhalb der USA. Dies trifft auch auf Regisseur und Drehbuchautor Luis Valdez („Zoot Suit“) zu, der daher vielleicht einen besonderen Zugang zu diesem Film hatte. In jedem Falle hat er ihn zu Valens‘ Familie, mit der er eng zusammenarbeiten konnte und die teilweise sogar kleinere Rollen übernahmen.
„All unsere Träume werden langsam wahr!“
(Drei Absätze lang fasse ich in erster Linie die Handlung zusammen. Wer dies umgehen will, sich aber trotzdem für mein Fazit interessiert, kann ab dem vorletzten Absatz weiterlesen.)
Valdez eröffnet seinen Film mit einem in Zeitlupe visualisierten Alptraum Ritchies (Lou Diamond Phillips, „Trespasses“), musikalisch mit der Surfnummer „Sleep Walk“ unterlegt. Die eigentliche Handlung beginnt im Sommer 1957, in dem Ritchies Bruder Bob (Esai Morales, „Der Prinzipal – Einer gegen alle“) aus dem Knast zurückkommt, auf einer Obstfarm – womit Ritchies familiäres Milieu sozial eingeordnet wird. Ritchie läuft sogar in der Schule mit seiner Klampfe herum und spielt bei den Silhouettes vor, deren Mitglied er daraufhin wird. Der erste Auftritt folgt schnell und gerät humoristisch, denn der Sänger der Band (nicht Ritchie) ist unheimlich mies. Bob wird gegenüber seiner Freundin Rosie (Elizabeth Peña, „Das Wunder in der 8. Straße“) gewalttätig, aber Ritchie ist das genaue Gegenteil seines rüpelhaften Bruders. Er hat noch keine Freundin, sich aber in Mitschülerin Donna (Danielle von Zerneck , „Summer Fantasy“) verknallt. Ritchies zweiter Auftritt erfolgt nur mit seinem Bruder als Drummer zusammen in einer Bar und wird ein überraschender Erfolg, doch der immer gleiche Alptraum verfolgt Ritchie wie ein böses Omen. Ritchies Mutter (Rosanna DeSoto, „Schakale der Nacht“) beginnt, die musikalische Karriere ihres Sprosses zu fördern, doch der Kopf der Silhouettes verspürt keine Lust auf ein von ihr arrangiertes Konzert. Ergo tritt Ritchie ohne ihn, dafür mit Unterstützung anderer Silhouettes-Mitglieder auf. Auch dieses Konzert wird ein voller Erfolg, wenngleich Bob eine Massenschlägerei anzettelt.
„Rock'n'Roll auf Spanisch? Du musst verrückt sein!“
Ritchie wird vom Label Delphi Records entdeckt, doch man will nur ihn – ohne seine Band. Nach anfänglichem Zögern lässt er sich darauf ein. Bob entdeckt derweil sein Zeichentalent, wird darin aber leider nicht von seiner Mutter unterstützt. Kurz darauf wird er Vater und Ritchie kommt mit Donna zusammen – eine Beziehung, die Donnas Vater (Sam Anderson, „Ein Grieche erobert Chicago“) nicht kommod ist. Es stellt sich heraus, dass Ritchies Alpträume von einem Freund handeln, der von abstürzenden Flugzeugteilen erschlagen worden war. Valdez zeigt Ritchie, der von seinem Künstlernamen nicht begeistert ist, bei Plattenaufnahmen. Er landet direkt einen Radiohit, woraufhin Bob ihn in einen mexikanischen Puff mitschleppt. Dort spielen Los Lobos das Volkslied „La Bamba“ in der Folkversion. In derselben Nacht bringt Rosie ihr Baby zur Welt. Obwohl – fun fact – Ritchie gar kein Spanisch sprach, adaptierte er später „La Bamba“ in einer Rock’n’Roll-Version und landete damit seinen größten Hit.
„Yo no soy marinero, soy capitán!”
Am nächsten Morgen gibt’s Schlange zum Frühstück und für die Zuschauerinnen und Zuschauer eine fiese Häutungsszene. Wir lernen: Seiner Herkunft und seinem größten Hit zum Trotz war Ritchie die mexikanische Kultur eher fremd. Trotz seiner Flugangst geht er auf Tour und überwindet diese, um nach Philadelphia zu gelangen. Für Donna schreibt er einen Song landet damit einen weiteren Treffer. Sein Bruder Bob hingegen hat sich so gar nicht im Griff, ist neidisch, eifersüchtig und hat ein Alkoholproblem entwickelt. Ritchie kauft von seinen Einnahmen seiner Familie ein Haus und fährt zum American Rock Festival, wo man auf Eddie Cochran (gespielt von „Stray Cats“-Neo-Rockabilly-Bandkopf Brian Setzer) und Jackie Wilson (Howard Huntsberry) trifft. Nach ihnen kommt Ritchie mit der „La Bamba“-Livepremiere auf die Bühne. Bei einem Kampf mit seinem Bruder verliert er seinen Talisman, den er einst gegen seine Flugangst geschenkt bekommen hatte… Die nächste Tour findet u.a. zusammen mit Buddy Holly (im Filme live zu sehen, gespielt von Marshall Crenshaw, „Peggy Sue hat geheiratet“) und The Big Bopper (Stephen Lee, „China Blue bei Tag und Nacht“) statt, doch als man einen Teil der Strecke im kalten Winter mit dem Flugzeug zurücklegen wollte, nimmt nicht nur die Tour, sondern auch das Leben drei junger, unheimlich talentierter Rock’n’Roller ein jähes Ende. Der Absturz wird nicht gezeigt und der Film schließt, wie er begann: mit „Sleep Walk“.
Vor allem aber endet er mit Gänsehaut und Traurigkeit meinerseits über diese tragische und zugleich so reale Geschichte, aber auch mit Freude aufgrund der Qualität dieses Films, der zwar sicherlich den einen oder anderen Dollar eingespielt, vor allem aber Ritchie Valens und seiner Musik ein unumstößliches Denkmal gesetzt hat. Lou Diamond Phillips spielt seine Rolle in jeder Hinsicht überzeugend (wenngleich der echte Ritchie wohl ein bisschen fülliger war), die Dramaturgie ist trotz des bekannten Ausgangs über jeden Zweifel erhaben und die Musik natürlich durch die Bank weg großartig, eine Aneinanderreihung von Evergreens. Valdez scheint sich relativ nah an der Realität orientiert, diese aber um das eine oder andere mystische Element ausgeschmückt zu haben. Das erinnert zuweilen ein wenig an die erst Jahre später gestartete „Final Destination“-Filmreihe, und an mindestens einer Stelle hat Valdez die Überlieferung umgeformt: Nicht Valens hatte sich im klapprigen Tourbus eine Grippe aufgesackt, sondern The Big Bopper. Wie Valdez immer wieder das Thema Fliegen mit Träumen, Ängsten und schicksalhaften Entscheidungen in Verbindung bringt, lässt einen immer wieder schlucken, während einem Ritchie immer mehr ans Herz wächst.
Der Film wurde ein Erfolg, ebenso sein Soundtrack, auf dem Los Lobos Valens’ Lieder nachspielen und den Film damit überdauerten: Ihre „La Bamba“-Version läuft bis heute regelmäßig im Radio – und ich erinnere mich noch, wie allgegenwärtig sie seinerzeit, 1987 und 1988, war. Welch Ironie, dass nicht etwa Fruchtsafthersteller VALENSina, sondern Konkurrent Granini einen Orangensaft „La Bamba“ genannt und den Fernsehwerbespot im Jahre 1987 mit eben jenem Lied (wenn auch in einer wiederum anderen Version) unterlegt hatte. Valdez‘ Film nimmt sein Publikum in die Pionierzeit des Rock’n’Rolls mit, dokumentiert, welch große Chancen er für musikbegeisterte Kids aus der Unterschicht bedeuten konnte und welche Leidenschaft er transportierte. Zudem ist er ein schönes Zeitgeistdokument des ‘50er-Revival-Trends in den ‘80ern.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Tatort: Schweigegeld
„Ich hab‘ kein gutes Gefühl, Klaus…“
Die Essener Kriminalkommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) ermitteln im „Tatort: Schweigegeld“ in ihrem achtzehnten Fall, der zugleich ihr vorvorletzter ist. Als Drehbuch niedergeschrieben hat ihn Herbert Lichtenfeld, während Hartmut Griesmayr mit der Inszenierung betraut wurde. Griesmayr hatte bereits beim vorausgegangenen Essener „Tatort: Ein Schuss zuviel“ die Regie geführt. „Schweigegeld“ wurde am 18. November 1975 erstausgestrahlt.
„Der Dieb muss ausgeraubt worden sein!“
Klaus Storck (Dieter Kirchlechner, „Alle Sünden dieser Erde“) beobachtet durchs Fenster einen Einbruch im Haus gegenüber, das sein Schwager Helmuth Klaven (Wolfgang Kieling, „Die Abenteuer des Kardinal Braun“) bewohnt. Er verfolgt den Einbrecher (Helmut Stange, „Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt“), es kommt zu einem kurzen Kampf. Dabei stürzt der Einbrecher derart unglücklich, dass er an Ort und Stelle stirbt. Klaus steckt die Beute ein, geht wieder nach Hause und erzählt seiner Frau Ira (Hannelore Hoger, „Bella Block“) alles. Zudem wundert er sich darüber, dass der Einbrecher vor Verlassen des Tatorts noch ein Telefonat geführt hatte – und dass im Tresor lediglich ein Bündel Geldscheine lag. Als er kurze Zeit später in der Zeitung von vermeintlich gestohlenen Briefmarken liest, vermutet er Versicherungsbetrug. Dabei ist Klaven im Gegensatz zu Klaus bereits sehr vermögend. Da kommt ihm die Idee, seinen Schwager um Schweigegeld zu erpressen – anonym, versteht sich…
Klaus ist eigentlich gar kein Unsympathischer, das ist eher Klaven. Dieser steckt Klaus‘ Ehefrau Ira, also seiner Schwester, gern mal etwas Geld zu – um sie finanziell ein wenig zu unterstützen, wie er sagt. Es wirkt jedoch vielmehr so, als wolle er in diesen Momenten seine Schwester spüren lassen, welchen – aus seiner Sicht – Versager sie geheiratet hat. Dabei ist Klaus zwar arbeitslos, jedoch unverschuldet: Er ist chronisch krank, weshalb all seine Vorstellungsgespräche erfolglos enden. Nun hat Klaus, der gern gegen seinen Schachcomputer spielt, ziemlich freie Sicht aufs Nachbargrundstück, immer wieder beobachtet er die Geschehnisse von gegenüber (was mitunter ein wenig an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ gemahnt). Gertrud (Liane Hielscher, „Cardillac“), die Frau des Einbrechers, und ihr Bruder Stefan (Erich Ludwig, „Titanic – Nachspiel einer Katastrophe“) machen sich Sorgen um Karl – so der Name des Toten Bauern in Klavens Spiel. Spätestens jetzt wird auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer klar, dass hier etwas nicht stimmt.
Kurz nachdem Haferkamp & Co. den Toten finden, liest Klaus besagte Zeitungsmeldung. Als er von Klavens Zuwendungen an seine Frau erfährt, reift sein Entschluss, den mutmaßlichen Kriminellen mit kriminellen Methoden um ein wenig Geld zu erleichtern. Kommissar Kreutzer ermittelt unterdessen die Identität des Toten und kabbelt sich mit Haferkamp, der gar nicht gut drauf ist, weil seine Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) einen Unfall erlitten hat und notoperiert werden musste. Dennoch sucht man gemeinsam Gertrud und Stefan auf – u.a. um die Todesnachricht zu überbringen, auf die Gertrud sehr aufgelöst reagiert. Stefan glaubt nun, Klaven habe Einbrecher Karl reingelegt, und will ihn nun ebenfalls erpressen. Nun hat Klaven also mehrere Leute gegen sich und keinen rechten Durchblick, was diesem „Tatort“ stärker zu seinem dramaturgischen Reiz verhilft als die polizeilichen Ermittlungen – wenngleich auch die Frage im Raum steht, wie Haferkamp und Kreutzer dieses Geflecht denn zu entwirren gedenken.
Ihnen gegenüber gibt Klaven zu Protokoll, dass er Stefan für des Einbruchs verdächtig hält – und als Klaus ihn um 200.000 DM erpresst, hält er ihn für Stefan, kommt aber irgendwann darauf, dass es auch Klaus sein könnte, und trickst diesen böse aus. Das ist ein bisschen jeder gegen jeden in einer komplizierten Gemengelage, zu der Haferkamp schließlich dennoch Zugang findet, bis er in ein spektakuläres Finale auf Bahnschienen verwickelt wird. Zuvor war er öfter im Krankenhaus, um Ingrid zu besuchen; für die Einbruchsermittlungen ist eigentlich Kollege Nägel (Holger Hildmann, „Die erste Polka“) zuständig.
Dieser „Tatort“ punktet mit einer gelungenen Charakterzeichnung seiner Figuren und seiner ungewöhnlichen Struktur, in der es keinen klassischen Mörder gibt, man anfangs zusammen mit Klaus rätselt, später aber einen Wissensvorsprung vor der Polizei hat und einer Mischung aus außer Kontrolle geratenem Betrugsversuch und Familiendrama beiwohnt. Immer mal wieder wird das Display des Schachcomputers eingeblendet, dafür verzichtet man aber auf echte Schauwerte. Nervenkitzel oder gar Action sind ebenso Fehlanzeige wie aus der Haut fahrende Soziopathen, stattdessen bewahrt man bis zum Ende - gemessen an den Umständen - die Contenance. Das Erzähltempo ist ein wenig gering, sodass „Schweigegeld“ eher ent- denn anspannt. Dazu passt dann auch die sehr zurückhaltende, leicht melancholische Filmmusik.
So will man seine Krimis heutzutage vermutlich nicht mehr sehen, ein bisschen mehr darf dann schon los sein. Nichtsdestotrotz ist diese Episode passabel gelöst. Freundinnen und Freunde des gediegenen, etwas biederen Fernsehkrimis vergangener Zeiten kommen hier auf ihre Kosten, weil Team und Ensemble daran gelegen war, eine schlüssige Geschichte seriös zu erzählen, nach der man mit stabilem Blutdrucklevel einschlafen kann.
„Ich hab‘ kein gutes Gefühl, Klaus…“
Die Essener Kriminalkommissare Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) und Willy Kreutzer (Willy Semmelrogge) ermitteln im „Tatort: Schweigegeld“ in ihrem achtzehnten Fall, der zugleich ihr vorvorletzter ist. Als Drehbuch niedergeschrieben hat ihn Herbert Lichtenfeld, während Hartmut Griesmayr mit der Inszenierung betraut wurde. Griesmayr hatte bereits beim vorausgegangenen Essener „Tatort: Ein Schuss zuviel“ die Regie geführt. „Schweigegeld“ wurde am 18. November 1975 erstausgestrahlt.
„Der Dieb muss ausgeraubt worden sein!“
Klaus Storck (Dieter Kirchlechner, „Alle Sünden dieser Erde“) beobachtet durchs Fenster einen Einbruch im Haus gegenüber, das sein Schwager Helmuth Klaven (Wolfgang Kieling, „Die Abenteuer des Kardinal Braun“) bewohnt. Er verfolgt den Einbrecher (Helmut Stange, „Wehe, wenn Schwarzenbeck kommt“), es kommt zu einem kurzen Kampf. Dabei stürzt der Einbrecher derart unglücklich, dass er an Ort und Stelle stirbt. Klaus steckt die Beute ein, geht wieder nach Hause und erzählt seiner Frau Ira (Hannelore Hoger, „Bella Block“) alles. Zudem wundert er sich darüber, dass der Einbrecher vor Verlassen des Tatorts noch ein Telefonat geführt hatte – und dass im Tresor lediglich ein Bündel Geldscheine lag. Als er kurze Zeit später in der Zeitung von vermeintlich gestohlenen Briefmarken liest, vermutet er Versicherungsbetrug. Dabei ist Klaven im Gegensatz zu Klaus bereits sehr vermögend. Da kommt ihm die Idee, seinen Schwager um Schweigegeld zu erpressen – anonym, versteht sich…
Klaus ist eigentlich gar kein Unsympathischer, das ist eher Klaven. Dieser steckt Klaus‘ Ehefrau Ira, also seiner Schwester, gern mal etwas Geld zu – um sie finanziell ein wenig zu unterstützen, wie er sagt. Es wirkt jedoch vielmehr so, als wolle er in diesen Momenten seine Schwester spüren lassen, welchen – aus seiner Sicht – Versager sie geheiratet hat. Dabei ist Klaus zwar arbeitslos, jedoch unverschuldet: Er ist chronisch krank, weshalb all seine Vorstellungsgespräche erfolglos enden. Nun hat Klaus, der gern gegen seinen Schachcomputer spielt, ziemlich freie Sicht aufs Nachbargrundstück, immer wieder beobachtet er die Geschehnisse von gegenüber (was mitunter ein wenig an Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ gemahnt). Gertrud (Liane Hielscher, „Cardillac“), die Frau des Einbrechers, und ihr Bruder Stefan (Erich Ludwig, „Titanic – Nachspiel einer Katastrophe“) machen sich Sorgen um Karl – so der Name des Toten Bauern in Klavens Spiel. Spätestens jetzt wird auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer klar, dass hier etwas nicht stimmt.
Kurz nachdem Haferkamp & Co. den Toten finden, liest Klaus besagte Zeitungsmeldung. Als er von Klavens Zuwendungen an seine Frau erfährt, reift sein Entschluss, den mutmaßlichen Kriminellen mit kriminellen Methoden um ein wenig Geld zu erleichtern. Kommissar Kreutzer ermittelt unterdessen die Identität des Toten und kabbelt sich mit Haferkamp, der gar nicht gut drauf ist, weil seine Ex-Frau Ingrid (Karin Eickelbaum) einen Unfall erlitten hat und notoperiert werden musste. Dennoch sucht man gemeinsam Gertrud und Stefan auf – u.a. um die Todesnachricht zu überbringen, auf die Gertrud sehr aufgelöst reagiert. Stefan glaubt nun, Klaven habe Einbrecher Karl reingelegt, und will ihn nun ebenfalls erpressen. Nun hat Klaven also mehrere Leute gegen sich und keinen rechten Durchblick, was diesem „Tatort“ stärker zu seinem dramaturgischen Reiz verhilft als die polizeilichen Ermittlungen – wenngleich auch die Frage im Raum steht, wie Haferkamp und Kreutzer dieses Geflecht denn zu entwirren gedenken.
Ihnen gegenüber gibt Klaven zu Protokoll, dass er Stefan für des Einbruchs verdächtig hält – und als Klaus ihn um 200.000 DM erpresst, hält er ihn für Stefan, kommt aber irgendwann darauf, dass es auch Klaus sein könnte, und trickst diesen böse aus. Das ist ein bisschen jeder gegen jeden in einer komplizierten Gemengelage, zu der Haferkamp schließlich dennoch Zugang findet, bis er in ein spektakuläres Finale auf Bahnschienen verwickelt wird. Zuvor war er öfter im Krankenhaus, um Ingrid zu besuchen; für die Einbruchsermittlungen ist eigentlich Kollege Nägel (Holger Hildmann, „Die erste Polka“) zuständig.
Dieser „Tatort“ punktet mit einer gelungenen Charakterzeichnung seiner Figuren und seiner ungewöhnlichen Struktur, in der es keinen klassischen Mörder gibt, man anfangs zusammen mit Klaus rätselt, später aber einen Wissensvorsprung vor der Polizei hat und einer Mischung aus außer Kontrolle geratenem Betrugsversuch und Familiendrama beiwohnt. Immer mal wieder wird das Display des Schachcomputers eingeblendet, dafür verzichtet man aber auf echte Schauwerte. Nervenkitzel oder gar Action sind ebenso Fehlanzeige wie aus der Haut fahrende Soziopathen, stattdessen bewahrt man bis zum Ende - gemessen an den Umständen - die Contenance. Das Erzähltempo ist ein wenig gering, sodass „Schweigegeld“ eher ent- denn anspannt. Dazu passt dann auch die sehr zurückhaltende, leicht melancholische Filmmusik.
So will man seine Krimis heutzutage vermutlich nicht mehr sehen, ein bisschen mehr darf dann schon los sein. Nichtsdestotrotz ist diese Episode passabel gelöst. Freundinnen und Freunde des gediegenen, etwas biederen Fernsehkrimis vergangener Zeiten kommen hier auf ihre Kosten, weil Team und Ensemble daran gelegen war, eine schlüssige Geschichte seriös zu erzählen, nach der man mit stabilem Blutdrucklevel einschlafen kann.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- buxtebrawler
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Hexenkessel
„Ich schwör‘s bei meiner Mutter, nicht nur bei meiner Mutter – bei Jesus Christus!“
US-Ausnahmeregisseur Martin Scorseses dritter abendfüllender Spielfilm nach „Wer klopft denn da an meine Tür?“ und „Boxcar Bertha“, der im Jahre 1973 veröffentlichte „Hexenkessel“, markiert seine erste Zusammenarbeit mit Robert De Niro („Grüße“), seine zweite mit seinem früheren Stammmimen Harvey Keitel („Alice lebt hier nicht mehr“) und ist zudem seiner erster – wenn man es so nennen will – Mafiafilm. Er wurde zu seinem ersten wirklichen kommerziellen Erfolg und fand viel künstlerische Anerkennung.
„Was ist ein Moog?“
New York, „Little Italy“ in den 1960ern: Mafioso Charlie (Harvey Keitel) arbeitet für seinen Onkel Giovanni (Cesare Danova, „Che!“), ist mit der epilepsiekranken Teresa (Amy Robinson, „A Brand New Life“) liiert (was er allerdings geheimhält) und greift immer wieder seinem Cousin Johnny Boy (Robert De Niro), einem wahren Tunichtgut, unter die Arme, seit ihm dieser einst selbst aus der Patche geholfen hatte. Dies gestaltet sich nicht immer einfach, denn Johnny Boy ist aufgrund seines Lebens auf großem Fuße und seiner Spielsucht bei Gott und der Welt verschuldet. Leider sieht Charlie dadurch auch zunehmend sein Langzeitprojekt gefährdet, nämlich die Übernahme und Leitung eines Restaurants seines Onkels, der weder von Teresa noch von Johnny Boy sonderlich viel hält. Die Situation spitzt sich zu, als Charlies Freund Michael (Richard Romanus, „Walk the Walk“) es leid ist, von Johnny Boy länger hingehalten zu werden, und endlich sein Geld zurückhaben will…
„Be My Little Baby“ als Titelsong sorgt direkt für zeitliche Einordnung, dazu laufen Super-8-Aufnahmen Charlies. Auf einem Kneipenklo setzt sich jemand einen Schuss. „Hexenkessel“ spielt in Little Italy, wo Scorsese selbst aufgewachsen ist, weshalb der Film autobiografische Züge tragen dürfte – und weshalb diese Figuren, die mittels Namenseinblendungen vorgestellt werden, Scorsese so sehr liegen. In seinem ersten Mafiafilm zwischen dem Dreck New Yorks lässt er Charlies innere Monologe erklingen, damit vielleicht auch andere Zugang zu diesen Figuren finden, sie ein Stück weit verstehen lernen. In einem Billardsalon entbrennt eine wüste Schlägerei, gegen die (korrupte) Polizei wird dann aber zusammengehalten. Das hat viel Komik, veranschaulicht aber die Geisteshaltung innerhalb dieses Milieus. Auch der Rassismus gegen Schwarze wird zuweilen angerissen.
Allgegenwärtiges Dauerproblem ist es jedoch, dass Johnny Boy seine Schulden nicht zahlt. Dies wird häppchenweise bzw. episodenhaft immer wieder eingestreut, während als horizontale Handlung Charlies Übernahme des Restaurants dient. Scorsese nimmt sich Zeit, bis er den Konflikt Johnny Boy versus Michael in den Fokus rückt. Dabei verfügt „Hexenkessel“ über keine wirklichen Sympathieträger und wirkt dramaturgisch zunehmend ziellos. Offenbar war Scorsese mehr daran gelegen, ein Milieu- und Sittenbild zu zeichnen, statt auf eine bestimmte Pointe zuzusteuern. Hierfür arbeitet er mit Zeitlupen, sehr dominanter Musik und einer wunderbar kreativen Kameraführung. De Niro als Johnny Boy lispelt, Amy Robinson als Teresa lässt alle Hüllen fallen und wenn mich nicht alles täuscht, schaut man sich im Kino Roger Cormans „Schwarze Geschichten“ an.
„Hexenkessel“ ist allein schon aufgrund seines Ensembles ein filmhistorischer Meilenstein und tatsächlich bereitet dessen Zusammenspiel einige Freude. Diese Milieustudie mit einer spannenderen oder berührenderen Geschichte zu kombinieren, wäre die Königsdisziplin gewesen, deren Beherrschen Scorsese später mehrfach unter Beweis stellen sollte. Aber so oder so: Sehenswert!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!