Was vom Tage übrigblieb ...
Moderator: jogiwan
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
The Third Wave – Die Verschwörung (Anders Nilsson, 2003) 9/10
Eigentlich macht der Ex-Cop Johan Falk mit seiner Freundin Helén und deren Tochter nur einen Kurzurlaub in Dünkirchen, und auf dem Rückweg nach Schweden wird er dann mit sanftem Druck dazu gebracht, mal kurz bei seinem Ex-Chef Sellberg vorbeizuschauen, der mittlerweile Leiter der Abteilung für organisiertes Verbrechen bei Europol geworden ist. Klar, ein Abendessen mit Sellberg, lässt sich ja nicht viel gegen sagen. Doch, denn Falk ist definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort! Weil Sellberg sich hinterher noch mit einer Informantin trifft, die ausgesprochen tiefe Einblicke in ein Geldwäsche-Kartell besitzt und auch bereit ist Namen zu nennen, kommt Falk gerade richtig zu einer heftigen und blutigen Schießerei in einem Restaurant. Übrig bleiben sehr viele Tote, und ein lebendiger Falk, der eine wichtige Kronzeugin an der Backe hat, die er, man ist ja doch irgendwo noch Polizist, beschützen will.
Und was tun Verbrecher, wenn sie eine Zielperson nicht in ihre Finger bekommen? Sie holen sich die Familie der Zielperson. So sind Helén und Tochter plötzlich im Fokus der völlig skrupellosen Killer, und eine Jagd quer durch Europa beginnt, die jede Menge Leichen zurücklässt …
So kann modernes europäisches Genrekino aussehen, wenn man es nur ließe. Eine spannende und gute Story, die in der Mitte aktueller und tatsächlicher Probleme angesiedelt ist, und mit vernünftigen Dialogen und einigem an Hintergrundinformationen in die Vollen geht. Die Actionszenen sind knackig und reißen mit, die Schauspieler sind ein All-European-Cast mit sehr hohem Niveau, und das Ende ist … Tja, da gehen mir ein wenig die Attribute aus. Apokalyptisch würde die letzte halbe Stunde wahrscheinlich noch am Besten beschreiben. Das Zusammentreffen der Killer, der flüchtenden Zeugen und Sicherheitsleute und der Drahtzieher inmitten einer tödlichen Konfrontation von Schwarzem Block und Polizei – So stelle ich mir den Weltuntergang vor. Die Bilder, die Kameramann Per-Arne Svensson da auf den Bildschirm bringt, machen Angst und erschüttern in ihrer Intensität. Hass und Tod sprühen geradezu durch das Wohnzimmer, und die Aktionen der Charaktere, die durch diese Hölle der Gewalt müssen und dabei auch noch äußerst rücksichtslose Gegenspieler haben, sind unglaublich. Die Aktionen der Killer finden ihren Widerpart in den Aktionen der Demonstranten, und es scheint als ob die Hölle sich öffnet. Recht und Ordnung sind aufgelöst, die Ordnungsmacht Polizei wird blutig zurückgeschlagen und steht vor der Vernichtung, während diejenigen, die im Hintergrund eigentlich für das Chaos verantwortlich sind, eiskalt und rücksichtslos ihre Geschäfte machen und ihre eigenen Interessen bewahren, ja das Chaos sogar noch ausnutzen. Man achte auf die Bilder, wenn die Kriminellen Geld überweisen, das sie aus ihren Machenschaften gezogen haben, und es nun waschen wollen. Da lodert das Höllenfeuer persönlich, während die Polizei, zugegeben unabsichtlich, versucht die Interessen der Gangster zu schützen. Was für ein Kommentar zum grundsätzlichen Thema des Films, dass die organisierte Kriminalität unsere westliche Welt längst komplett vereinnahmt hat …
Auch die Flucht durch Europa kratzt hart an der Realität, genauso wie die Darstellungen des organisierten Verbrechens, welches wir schon lange finanzieren. Als Johan Falk einmal gallig kommentiert, dass die Kronzeugin Rebecca ja letzten Endes auch nur eine Marionette der Kriminellen sei, platzt Helén der Kragen und sie zeigt ihm auf, dass er im letzten Jahr durch ihre Boutique ebenfalls die organisierte Kriminalität großzügig unterstützt hat. Ein Höllenschlund, den ich bei Arne Dahls OpCon-Romanen auch immer wieder gesehen habe, und der ein Licht auf unsere Welt wirft, das zur Verzweiflung bringt. Die einzige Szene, in welcher der Zuschauer etwas Sitzfleisch benötigt, ist die, wenn Sellberg bei einer Pressekonferenz zu Beginn des Films mit vielen Worten erklärt, wie die organisierte Kriminalität Europa mittlerweile im Würgegriff hat. Es würde leicht fallen hier wegzuhören oder sich etwas zu trinken zu holen während die DVD weiterläuft. Aber gerade hier wird die Realität in die Fiktion eingebunden, werden die narrativen Grundlagen für den Film gelegt, und wird eine Welt aufgezeigt, von der ich sicher bin dass wir sie niemals wollten. Unsere Welt …
THE THIRD WAVE ist Thrillerkino wie man es viel zu selten sieht, mit einer ungeheuren Wucht, hochintelligent und megaspannend, technisch perfekt gemacht, düster und mitreißend. Warum nur hat sich dieses Format nicht durchgesetzt? Die Welt ist so ungerecht …
Eigentlich macht der Ex-Cop Johan Falk mit seiner Freundin Helén und deren Tochter nur einen Kurzurlaub in Dünkirchen, und auf dem Rückweg nach Schweden wird er dann mit sanftem Druck dazu gebracht, mal kurz bei seinem Ex-Chef Sellberg vorbeizuschauen, der mittlerweile Leiter der Abteilung für organisiertes Verbrechen bei Europol geworden ist. Klar, ein Abendessen mit Sellberg, lässt sich ja nicht viel gegen sagen. Doch, denn Falk ist definitiv zur falschen Zeit am falschen Ort! Weil Sellberg sich hinterher noch mit einer Informantin trifft, die ausgesprochen tiefe Einblicke in ein Geldwäsche-Kartell besitzt und auch bereit ist Namen zu nennen, kommt Falk gerade richtig zu einer heftigen und blutigen Schießerei in einem Restaurant. Übrig bleiben sehr viele Tote, und ein lebendiger Falk, der eine wichtige Kronzeugin an der Backe hat, die er, man ist ja doch irgendwo noch Polizist, beschützen will.
Und was tun Verbrecher, wenn sie eine Zielperson nicht in ihre Finger bekommen? Sie holen sich die Familie der Zielperson. So sind Helén und Tochter plötzlich im Fokus der völlig skrupellosen Killer, und eine Jagd quer durch Europa beginnt, die jede Menge Leichen zurücklässt …
So kann modernes europäisches Genrekino aussehen, wenn man es nur ließe. Eine spannende und gute Story, die in der Mitte aktueller und tatsächlicher Probleme angesiedelt ist, und mit vernünftigen Dialogen und einigem an Hintergrundinformationen in die Vollen geht. Die Actionszenen sind knackig und reißen mit, die Schauspieler sind ein All-European-Cast mit sehr hohem Niveau, und das Ende ist … Tja, da gehen mir ein wenig die Attribute aus. Apokalyptisch würde die letzte halbe Stunde wahrscheinlich noch am Besten beschreiben. Das Zusammentreffen der Killer, der flüchtenden Zeugen und Sicherheitsleute und der Drahtzieher inmitten einer tödlichen Konfrontation von Schwarzem Block und Polizei – So stelle ich mir den Weltuntergang vor. Die Bilder, die Kameramann Per-Arne Svensson da auf den Bildschirm bringt, machen Angst und erschüttern in ihrer Intensität. Hass und Tod sprühen geradezu durch das Wohnzimmer, und die Aktionen der Charaktere, die durch diese Hölle der Gewalt müssen und dabei auch noch äußerst rücksichtslose Gegenspieler haben, sind unglaublich. Die Aktionen der Killer finden ihren Widerpart in den Aktionen der Demonstranten, und es scheint als ob die Hölle sich öffnet. Recht und Ordnung sind aufgelöst, die Ordnungsmacht Polizei wird blutig zurückgeschlagen und steht vor der Vernichtung, während diejenigen, die im Hintergrund eigentlich für das Chaos verantwortlich sind, eiskalt und rücksichtslos ihre Geschäfte machen und ihre eigenen Interessen bewahren, ja das Chaos sogar noch ausnutzen. Man achte auf die Bilder, wenn die Kriminellen Geld überweisen, das sie aus ihren Machenschaften gezogen haben, und es nun waschen wollen. Da lodert das Höllenfeuer persönlich, während die Polizei, zugegeben unabsichtlich, versucht die Interessen der Gangster zu schützen. Was für ein Kommentar zum grundsätzlichen Thema des Films, dass die organisierte Kriminalität unsere westliche Welt längst komplett vereinnahmt hat …
Auch die Flucht durch Europa kratzt hart an der Realität, genauso wie die Darstellungen des organisierten Verbrechens, welches wir schon lange finanzieren. Als Johan Falk einmal gallig kommentiert, dass die Kronzeugin Rebecca ja letzten Endes auch nur eine Marionette der Kriminellen sei, platzt Helén der Kragen und sie zeigt ihm auf, dass er im letzten Jahr durch ihre Boutique ebenfalls die organisierte Kriminalität großzügig unterstützt hat. Ein Höllenschlund, den ich bei Arne Dahls OpCon-Romanen auch immer wieder gesehen habe, und der ein Licht auf unsere Welt wirft, das zur Verzweiflung bringt. Die einzige Szene, in welcher der Zuschauer etwas Sitzfleisch benötigt, ist die, wenn Sellberg bei einer Pressekonferenz zu Beginn des Films mit vielen Worten erklärt, wie die organisierte Kriminalität Europa mittlerweile im Würgegriff hat. Es würde leicht fallen hier wegzuhören oder sich etwas zu trinken zu holen während die DVD weiterläuft. Aber gerade hier wird die Realität in die Fiktion eingebunden, werden die narrativen Grundlagen für den Film gelegt, und wird eine Welt aufgezeigt, von der ich sicher bin dass wir sie niemals wollten. Unsere Welt …
THE THIRD WAVE ist Thrillerkino wie man es viel zu selten sieht, mit einer ungeheuren Wucht, hochintelligent und megaspannend, technisch perfekt gemacht, düster und mitreißend. Warum nur hat sich dieses Format nicht durchgesetzt? Die Welt ist so ungerecht …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Poliziotti (Giulio Base, 1996) 5/10
Im Zug nach Turin lernen sie sich kennen: Lorenzo Ferri, genannt Lazzaro, der, nachdem er einen Gangsterboss und dessen Leute zusammengeschossen hat, strafversetzt wurde, und Andrea, der seine Uniform voller Stolz trägt und sehr auf die Vorschriften achtet. So unterschiedlich die beiden sind, freunden sie sich trotzdem an. Turin ist kalt, und die Einsamkeit groß … Andrea soll den Gangster Sante Carella in dessen Krankenhausbett bewachen, wohin dieser sich mit Hilfe von ein paar Mittelchen hat „versetzen“ lassen. Sante lullt Andrea ein indem er ihm vorgaukelt, dass er es nur gut mit ihm meint, eigentlich nur auf Weiber scharf ist und sonst eigentlich ein ganz patenter Kerl ist. Was für eine harte Nummer Sante in Wirklichkeit ist muss Andrea lernen, als dieser ihm bei einem Ausflug in einen Nachtclub entwischt. Lazzaro versucht zwar zu helfen, aber so ganz sauber ist der schließlich auch nicht, hat er doch, anstatt bei Sante auf Wache zu sein, stattdessen den Mörder seines Bruders zusammengeschlagen und an die Polizei geliefert. 24 Stunden hat Lazzaro Zeit, Sante wiederzufinden, sonst ist Essig mit dem Polizistendasein.
Die 90er-Jahre waren für die italienische Filmwirtschaft keine leichte Zeit. Die goldenen Jahre der 60er und 70er waren durch, die Stars aus der guten Zeit waren alt geworden, und Geld gab es auch keines mehr. Die Umsätze wurden im Fernsehen des Silvio Berlusconi gemacht, was dann auf der Leinwand als Resultat zu Filmen wie SONJAS EXZESSE führte: Nett gemacht, nett gemeint, und was nett bedeutet wissen wir ja alle. Anspruchsvolleres Kino gab es nur noch im Arthouse-Bereich, und Genrekino mit Anspruch und Budget wurde immer seltener. DIE ESKORTE – IM VISIER DER ANGST fällt mir da ein, oder PALERMO MILANO – FLUCHT VOR DER MAFIA, aber die Masse der italienischen Filme aus dem 90ern schaut eher aus wie WENDEKREIS DER ANGST – Nett gemacht undsoweiterundsofort …
Es gehörte also eine gewisse Portion Chuzpe dazu, einen Film POLIZIOTTO zu nennen, immerhin die Überschrift über ein ganzes Genre das mal verdammt erfolgreich war, und die Hauptrollen mit den Kindern einstiger Größen zu besetzen: Claudio Amendola ist der Sohn von Feruccio Amendola (u.a. MACISTE – HELD VON SPARTA) und damit auch Großenkel des Drehbuchautors Mario Amendola (u.a. viele Nico Giraldi-Filme), und Kim Rossi Stuart ist natürlich der Sohn von Genrelegende Giacomo Rossi Stuart (der so viele Filme gedreht hat, dass ich hier jetzt glaube ich keinen nennen muss). Dazu Michele Placido, der noch von seinem Ruhm in ALLEIN GEGEN DIE MAFIA zehrte und den beiden Jungstars ein wenig Unterstützung geben konnte, sowie die schöne Marokkanerin Nadia Farès, die dann ein paar Jahre später in DIE PURPURNEN FLÜSSE mal kurzzeitig Ruhm einstreichen konnte, und hier eher für das Vergnügen des männlichen Kinobesuchers sorgen sollte.
Und das Ergebnis? Nun ja, POLIZIOTTI fängt fulminant an, mit einem Cop der seinen toten Bruder blutig rächt, sowie einer Parallelmontage aus einem Gefangenen der irgendwelches Zeugs zu sich nimmt um auf die Krankenstation zukommen, und einem impressiven Vorspann. Dazu harter Techno, Schnitt im Rhythmus der Musik, und der Zuschauer wird ganz schnell und ganz intensiv in die Geschichte hineingewirbelt.
Leider verliert die Story dann zunehmend an Tempo, was aber durch die ein oder andere Peinlichkeit fast ausgeglichen werden könnte. Der Tod eines Polizisten in Zeitlupe ist zum Beispiel dermaßen platt und einfallslos umgesetzt, dass die Inszenierung bedeutend mehr schmerzt als das, was da auf dem Bildschirm passiert. Nach diesem zelluloidgewordenen Klischee gewinnt der Film angenehmerweise wieder ein wenig Fahrt: Lazzaro macht sich auf die Mörderhatz, wofür er aus dramaturgischen Gründen 24 Stunden Zeit hat. 22 Stunden vertrödelt er damit, dass er sich eine Waffe besorgt und in der Gegend herumsteht. Dann stößt er auf Stella, vergibt zwei ziemlich einfache Möglichkeiten den Mörder in die Hände zu bekommen, und schläft erstmal mit Stella. Als nächstes schafft er es sich so dämlich anzustellen, dass er Stella, die ihm helfen könnte, nicht nur vergrätzt, sondern sie auch noch seine Knarre behält …
Kommt mir nicht mit Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit in einem Polizziotto würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass Lazzaro ganz Turin persönlich umpflügt, um den flüchtigen Sante in die Finger zu bekommen. Stattdessen gibt er sich alle Mühe, seine persönliche Schuld an der Situation zu ignorieren, die Konsequenzen aus dieser Schuld zu vergessen, und lieber mit der heißen Stella zu vögeln. Na gut, man muss ja Prioritäten setzen, aber nicht nur an dieser Stelle lahmt das gesamte Konstrukt einfach etwas …
Lazzaro wird als coole Socke dargestellt, der im Intro unter den Gangstern auf den Spuren eines Commissario Ferro ordentlich aufräumt. Sein Nachname ist Ferri, was mir der Übersetzer im Internet mit Werkzeug oder Messer angibt. Also gut, einigen wir uns vielleicht auf einen Cousin des eisenhaltigen Kommissars. Aber wir sind mittlerweile in den 90ern angelangt, und da hat Eigenmächtigkeit so seine Konsequenzen: Versetzung in den Norden, Besuch beim Friseur … Aber Lazzaro bleibt wild, in der Kaserne raucht er sogar im Schlafraum, der Schelm, und er ist trotz meiner leichten Ironie der Sympathieträger des Films.
Feiner herausgearbeitet, aber auf den ersten Blick nicht ganz so sympathisch, ist der Charakter des Andrea. Ein junger Polizist, der die Uniform angezogen hat, weil Großvater und Vater das auch schon gemacht haben, der aber viel zu weich ist für diesen Job. Sante kann ihn um den kleinen Finger wickeln, und das Schachspiel zwischen Sante und Andrea ist symptomatisch: Sante plant lange im Voraus, ist intrigant und raffiniert, und weiß genau wie er Menschen benutzen muss um für sich den maximalen Vorteil herauszuschlagen, ihnen dann aber anschließend vorspielt dass sie ach so klug seien. Andrea ist schwach und verführbar, er kann einem Manipulator wie Sante keine Gegenwehr bieten, und als er das erkennt sind die Konsequenzen tragisch. In der Figur des Andrea haben Drehbuch und Schauspieler eine wunderbare Synthese erschaffen, die einen Menschen aus Fleisch und Blut generiert, und der mit dem Maurizio Merli-Klon Lazzaro ein hübsches Gespann abgibt. Ein Buddy-Film italienischer Machart, Murtaugh und Riggs in Turin. Nur ohne die Kollateralschäden, die amerikanische Buddy-Cops im Allgemeinen so anrichten. Aber wenn Lazzaro mit den Waffendealern aufräumt kommt richtig Stimmung wie früher auf. Auch der Opener ist ordentlich inszeniert, und der Schlusskampf bietet einige heftige Härten.
Das Problem dabei ist: Viel mehr hat es nicht! Plattitüden à la Hure mit Herz auf dem rechten Fleck, die dem Cop trotz allem hilft, solche Flachheiten waren bereits 1996 schon nicht mehr allzu aufregend, und heute ist das nicht viel anders. Gerade dass die E-Gitarren nicht jaulen und die Synth-Drum tackert. Dabei ist die Musik gar nicht mal so schlecht. Unterlegt mal mit nervigem Jazz, mal mit einer knackig angejazzten Variante von Led Zeppelins Kashmir und mal mit Techno, macht die Tonspur ordentlich Stimmung, was man übrigens auch von der guten deutschen Synchro sagen kann. Aber irgendwie mag POLIZZIOTI nicht zu den Prioritäten meiner Filmsammlung gehören. Die Darsteller machen ihre Sache sehr gut, Michele Placido, den ich normalerweise nicht sonderlich schätze, hat hier eine sehr dankbare Rolle, und Nadia Farès nackt ist schon mehr als nur ein feuchter Traum. Aber es hat einfach zu viel Klischee um wirklich Spaß zu machen, und zu wenig Action um den Anspruch eines Buddy-Movies zu erfüllen. Die Mischung wirkt etwas unausgegoren, was eigentlich sehr schade ist, aber die ganz große Begeisterung mochte bei der Sichtung einfach nicht aufkommen.
Im Zug nach Turin lernen sie sich kennen: Lorenzo Ferri, genannt Lazzaro, der, nachdem er einen Gangsterboss und dessen Leute zusammengeschossen hat, strafversetzt wurde, und Andrea, der seine Uniform voller Stolz trägt und sehr auf die Vorschriften achtet. So unterschiedlich die beiden sind, freunden sie sich trotzdem an. Turin ist kalt, und die Einsamkeit groß … Andrea soll den Gangster Sante Carella in dessen Krankenhausbett bewachen, wohin dieser sich mit Hilfe von ein paar Mittelchen hat „versetzen“ lassen. Sante lullt Andrea ein indem er ihm vorgaukelt, dass er es nur gut mit ihm meint, eigentlich nur auf Weiber scharf ist und sonst eigentlich ein ganz patenter Kerl ist. Was für eine harte Nummer Sante in Wirklichkeit ist muss Andrea lernen, als dieser ihm bei einem Ausflug in einen Nachtclub entwischt. Lazzaro versucht zwar zu helfen, aber so ganz sauber ist der schließlich auch nicht, hat er doch, anstatt bei Sante auf Wache zu sein, stattdessen den Mörder seines Bruders zusammengeschlagen und an die Polizei geliefert. 24 Stunden hat Lazzaro Zeit, Sante wiederzufinden, sonst ist Essig mit dem Polizistendasein.
Die 90er-Jahre waren für die italienische Filmwirtschaft keine leichte Zeit. Die goldenen Jahre der 60er und 70er waren durch, die Stars aus der guten Zeit waren alt geworden, und Geld gab es auch keines mehr. Die Umsätze wurden im Fernsehen des Silvio Berlusconi gemacht, was dann auf der Leinwand als Resultat zu Filmen wie SONJAS EXZESSE führte: Nett gemacht, nett gemeint, und was nett bedeutet wissen wir ja alle. Anspruchsvolleres Kino gab es nur noch im Arthouse-Bereich, und Genrekino mit Anspruch und Budget wurde immer seltener. DIE ESKORTE – IM VISIER DER ANGST fällt mir da ein, oder PALERMO MILANO – FLUCHT VOR DER MAFIA, aber die Masse der italienischen Filme aus dem 90ern schaut eher aus wie WENDEKREIS DER ANGST – Nett gemacht undsoweiterundsofort …
Es gehörte also eine gewisse Portion Chuzpe dazu, einen Film POLIZIOTTO zu nennen, immerhin die Überschrift über ein ganzes Genre das mal verdammt erfolgreich war, und die Hauptrollen mit den Kindern einstiger Größen zu besetzen: Claudio Amendola ist der Sohn von Feruccio Amendola (u.a. MACISTE – HELD VON SPARTA) und damit auch Großenkel des Drehbuchautors Mario Amendola (u.a. viele Nico Giraldi-Filme), und Kim Rossi Stuart ist natürlich der Sohn von Genrelegende Giacomo Rossi Stuart (der so viele Filme gedreht hat, dass ich hier jetzt glaube ich keinen nennen muss). Dazu Michele Placido, der noch von seinem Ruhm in ALLEIN GEGEN DIE MAFIA zehrte und den beiden Jungstars ein wenig Unterstützung geben konnte, sowie die schöne Marokkanerin Nadia Farès, die dann ein paar Jahre später in DIE PURPURNEN FLÜSSE mal kurzzeitig Ruhm einstreichen konnte, und hier eher für das Vergnügen des männlichen Kinobesuchers sorgen sollte.
Und das Ergebnis? Nun ja, POLIZIOTTI fängt fulminant an, mit einem Cop der seinen toten Bruder blutig rächt, sowie einer Parallelmontage aus einem Gefangenen der irgendwelches Zeugs zu sich nimmt um auf die Krankenstation zukommen, und einem impressiven Vorspann. Dazu harter Techno, Schnitt im Rhythmus der Musik, und der Zuschauer wird ganz schnell und ganz intensiv in die Geschichte hineingewirbelt.
Leider verliert die Story dann zunehmend an Tempo, was aber durch die ein oder andere Peinlichkeit fast ausgeglichen werden könnte. Der Tod eines Polizisten in Zeitlupe ist zum Beispiel dermaßen platt und einfallslos umgesetzt, dass die Inszenierung bedeutend mehr schmerzt als das, was da auf dem Bildschirm passiert. Nach diesem zelluloidgewordenen Klischee gewinnt der Film angenehmerweise wieder ein wenig Fahrt: Lazzaro macht sich auf die Mörderhatz, wofür er aus dramaturgischen Gründen 24 Stunden Zeit hat. 22 Stunden vertrödelt er damit, dass er sich eine Waffe besorgt und in der Gegend herumsteht. Dann stößt er auf Stella, vergibt zwei ziemlich einfache Möglichkeiten den Mörder in die Hände zu bekommen, und schläft erstmal mit Stella. Als nächstes schafft er es sich so dämlich anzustellen, dass er Stella, die ihm helfen könnte, nicht nur vergrätzt, sondern sie auch noch seine Knarre behält …
Kommt mir nicht mit Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit in einem Polizziotto würde im vorliegenden Fall bedeuten, dass Lazzaro ganz Turin persönlich umpflügt, um den flüchtigen Sante in die Finger zu bekommen. Stattdessen gibt er sich alle Mühe, seine persönliche Schuld an der Situation zu ignorieren, die Konsequenzen aus dieser Schuld zu vergessen, und lieber mit der heißen Stella zu vögeln. Na gut, man muss ja Prioritäten setzen, aber nicht nur an dieser Stelle lahmt das gesamte Konstrukt einfach etwas …
Lazzaro wird als coole Socke dargestellt, der im Intro unter den Gangstern auf den Spuren eines Commissario Ferro ordentlich aufräumt. Sein Nachname ist Ferri, was mir der Übersetzer im Internet mit Werkzeug oder Messer angibt. Also gut, einigen wir uns vielleicht auf einen Cousin des eisenhaltigen Kommissars. Aber wir sind mittlerweile in den 90ern angelangt, und da hat Eigenmächtigkeit so seine Konsequenzen: Versetzung in den Norden, Besuch beim Friseur … Aber Lazzaro bleibt wild, in der Kaserne raucht er sogar im Schlafraum, der Schelm, und er ist trotz meiner leichten Ironie der Sympathieträger des Films.
Feiner herausgearbeitet, aber auf den ersten Blick nicht ganz so sympathisch, ist der Charakter des Andrea. Ein junger Polizist, der die Uniform angezogen hat, weil Großvater und Vater das auch schon gemacht haben, der aber viel zu weich ist für diesen Job. Sante kann ihn um den kleinen Finger wickeln, und das Schachspiel zwischen Sante und Andrea ist symptomatisch: Sante plant lange im Voraus, ist intrigant und raffiniert, und weiß genau wie er Menschen benutzen muss um für sich den maximalen Vorteil herauszuschlagen, ihnen dann aber anschließend vorspielt dass sie ach so klug seien. Andrea ist schwach und verführbar, er kann einem Manipulator wie Sante keine Gegenwehr bieten, und als er das erkennt sind die Konsequenzen tragisch. In der Figur des Andrea haben Drehbuch und Schauspieler eine wunderbare Synthese erschaffen, die einen Menschen aus Fleisch und Blut generiert, und der mit dem Maurizio Merli-Klon Lazzaro ein hübsches Gespann abgibt. Ein Buddy-Film italienischer Machart, Murtaugh und Riggs in Turin. Nur ohne die Kollateralschäden, die amerikanische Buddy-Cops im Allgemeinen so anrichten. Aber wenn Lazzaro mit den Waffendealern aufräumt kommt richtig Stimmung wie früher auf. Auch der Opener ist ordentlich inszeniert, und der Schlusskampf bietet einige heftige Härten.
Das Problem dabei ist: Viel mehr hat es nicht! Plattitüden à la Hure mit Herz auf dem rechten Fleck, die dem Cop trotz allem hilft, solche Flachheiten waren bereits 1996 schon nicht mehr allzu aufregend, und heute ist das nicht viel anders. Gerade dass die E-Gitarren nicht jaulen und die Synth-Drum tackert. Dabei ist die Musik gar nicht mal so schlecht. Unterlegt mal mit nervigem Jazz, mal mit einer knackig angejazzten Variante von Led Zeppelins Kashmir und mal mit Techno, macht die Tonspur ordentlich Stimmung, was man übrigens auch von der guten deutschen Synchro sagen kann. Aber irgendwie mag POLIZZIOTI nicht zu den Prioritäten meiner Filmsammlung gehören. Die Darsteller machen ihre Sache sehr gut, Michele Placido, den ich normalerweise nicht sonderlich schätze, hat hier eine sehr dankbare Rolle, und Nadia Farès nackt ist schon mehr als nur ein feuchter Traum. Aber es hat einfach zu viel Klischee um wirklich Spaß zu machen, und zu wenig Action um den Anspruch eines Buddy-Movies zu erfüllen. Die Mischung wirkt etwas unausgegoren, was eigentlich sehr schade ist, aber die ganz große Begeisterung mochte bei der Sichtung einfach nicht aufkommen.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Hot Spot – Spiel mit dem Feuer (Dennis Hopper, 1990) 6/10
Wieviele Filmbesprechungen fangen wohl mit diesem Satz an: Der Herumtreiber XY kommt in eine kleine Stadt. XY steht hier für Harry Madox, die kleine Stadt ist Landers an der heißesten Stelle von Texas, und die schwüle Luft treibt die Emotionen hoch. Madox nimmt eine Stelle als Autoverkäufer an. Warum? Vielleicht, weil er kein Geld mehr hat zum Weiterfahren, vielleicht aber auch weil er die Bank überfallen will. Er verknallt sich in die hübsche Gloria Harper aus dem Büro gegenüber und beginnt mit ihr auch tatsächlich eine zarte Romanze. Gleichzeitig aber fickt er auch die Frau seines Chefs, Dolly. Wobei nicht ganz klar ist wer da wen fickt, denn Dolly steht auf Madox, und wen sie einmal in ihren Klauen hat, den lässt sie nicht mehr los. Madox meint zwar, dass er die Situation jederzeit unter Kontrolle hat, aber nach dem Banküberfall, der eigentlich recht geschickt geplant und ausgeführt ist, nehmen die Cops sein Alibi komplett auseinander. Das sind keine einfachen Provinzbullen wie Madox ursprünglich dachte, die können denken und kombinieren, und der Strick um Madox‘ Hals zieht sich rasant zu – Bis ausgerechnet Dolly ihm ein Alibi schenkt. Die Gegenleistung ist klar: Sex bis zur Rente, und zwar exklusiv nur für sie. Das kleine dumme Flittchen Gloria stört da nur, muss also ebenfalls weg, und das verkommene Arschloch Sutton, das Gloria erpresst, und deswegen auf der Abschussliste von Madox steht, steht ebenfalls nur dumm im Weg rum. Die Hitze tropft von der Decke, und die Emotionen kochen immer höher. Bis sogar das Blut kocht …
Ein Herumtreiber kommt in eine kleine Stadt. Das Thermometer zeigt Temperaturen jenseits des Siedepunkts an, die Frauen sind dauergeil, und die Männer böse und verkommene Subjekte. Der Unterschied zwischen den Männern und den Frauen ist dabei, dass erstere dumm sind, und letztere deswegen die Oberhand behalten werden. Was Dolly da abzieht ist wahrlich nicht von schlechten Eltern, und der faulige Morast, der in ihren Schritten gedeiht, erweckt jede Menge Übelkeit und Fluchtgedanken. Aber Flucht, wenn da draußen noch 25.000 Dollar vergraben sind? Madox hofft auf einen anderen Weg, und außerdem ist er in Gloria wirklich verliebt. Und sie in ihn. Da findet auch kein Sex statt, diese Beziehung ist tatsächlich rein und ehrlich. Zu rein und ehrlich für das Kaff Landers, weswegen Typen wie Sutton oder Dolly hier auch die Nase vorn haben.
Jedes Mal wenn Sutton vor die Kamera tritt weht ein Gestank von Scheisse durch das Bild, und jedes Mal wenn Dolly zu sehen ist explodiert der Bildschirm geradezu vor Verlangen und Sex. Gewalt, Sex, Bosheit … Sowieso schon eine gemeine Mischung, aber dann auch noch bei diesem Temperaturen? HOT SPOT ist ein lakonischer Neo-Noir, der in erster Linie die erwähnten Zutaten beinhaltet - Nein, nicht offensiv und billig, sondern unterschwellig und abgründig. Gerade Virginia Madsen als Dolly beherrscht hier die Szenerie, und wenn sie sich die Beine rasiert, oder mit hochgezogenem Kleid und ohne Höschen einen Sandhügel hinaufrennt, dann ist auch klar, warum Madox nicht so recht von ihr loskommt. Die Frau ist purer Sex, und was sie im Gegenzug einfordert ist nichts anderes als bedingungslose Ergebenheit.
Was sie will, das bekommt sie auch, das muss auch Madox irgendwann einsehen, und sie geht ihren Weg erbarmungslos. Eine Femme Fatale von einer bösen Durchtriebenheit, wie sie nur selten zu finden ist. Und wenn, dann sichert sie sich normalerweise auch ihren Platz in den Annalen des Kinos. Warum hier nicht? Schwer zu sagen, denn an sich passt alles gut zusammen. Die Charaktere sind gut gesetzt, die Schauspieler erstklassig, der schwere Blues, der die heißen Bilder perfekt untermalt, gibt der Schwüle noch den letzten Kick, und die Kamera schwelgt in zum (Dahin-) Schmelzen schönen Bildern. Vielleicht hätte Regisseur Dennis Hopper den Film 20 Minuten kürzer machen sollen. Ein klein wenig am Zügel reißen, vielleicht die ein oder andere Länge herausnehmen, und den Schluss ein klein wenig gemeiner machen – Dann wäre ihm mit Sicherheit ein Noir-Klassiker vor dem Herrn gelungen. So aber gibt es doch ab und zu ein Rendezvous mit der ein oder anderen Länge und folgend mit der Laufzeitanzeige. Aber in Summe trotzdem ein ordentlicher Film mit heißen Frauen bei heißen Temperaturen. Und dem heißen Knackarsch von Don Johnson. Nur zu der Aussage Ein heißer Film langt es leider nicht ganz …
Wieviele Filmbesprechungen fangen wohl mit diesem Satz an: Der Herumtreiber XY kommt in eine kleine Stadt. XY steht hier für Harry Madox, die kleine Stadt ist Landers an der heißesten Stelle von Texas, und die schwüle Luft treibt die Emotionen hoch. Madox nimmt eine Stelle als Autoverkäufer an. Warum? Vielleicht, weil er kein Geld mehr hat zum Weiterfahren, vielleicht aber auch weil er die Bank überfallen will. Er verknallt sich in die hübsche Gloria Harper aus dem Büro gegenüber und beginnt mit ihr auch tatsächlich eine zarte Romanze. Gleichzeitig aber fickt er auch die Frau seines Chefs, Dolly. Wobei nicht ganz klar ist wer da wen fickt, denn Dolly steht auf Madox, und wen sie einmal in ihren Klauen hat, den lässt sie nicht mehr los. Madox meint zwar, dass er die Situation jederzeit unter Kontrolle hat, aber nach dem Banküberfall, der eigentlich recht geschickt geplant und ausgeführt ist, nehmen die Cops sein Alibi komplett auseinander. Das sind keine einfachen Provinzbullen wie Madox ursprünglich dachte, die können denken und kombinieren, und der Strick um Madox‘ Hals zieht sich rasant zu – Bis ausgerechnet Dolly ihm ein Alibi schenkt. Die Gegenleistung ist klar: Sex bis zur Rente, und zwar exklusiv nur für sie. Das kleine dumme Flittchen Gloria stört da nur, muss also ebenfalls weg, und das verkommene Arschloch Sutton, das Gloria erpresst, und deswegen auf der Abschussliste von Madox steht, steht ebenfalls nur dumm im Weg rum. Die Hitze tropft von der Decke, und die Emotionen kochen immer höher. Bis sogar das Blut kocht …
Ein Herumtreiber kommt in eine kleine Stadt. Das Thermometer zeigt Temperaturen jenseits des Siedepunkts an, die Frauen sind dauergeil, und die Männer böse und verkommene Subjekte. Der Unterschied zwischen den Männern und den Frauen ist dabei, dass erstere dumm sind, und letztere deswegen die Oberhand behalten werden. Was Dolly da abzieht ist wahrlich nicht von schlechten Eltern, und der faulige Morast, der in ihren Schritten gedeiht, erweckt jede Menge Übelkeit und Fluchtgedanken. Aber Flucht, wenn da draußen noch 25.000 Dollar vergraben sind? Madox hofft auf einen anderen Weg, und außerdem ist er in Gloria wirklich verliebt. Und sie in ihn. Da findet auch kein Sex statt, diese Beziehung ist tatsächlich rein und ehrlich. Zu rein und ehrlich für das Kaff Landers, weswegen Typen wie Sutton oder Dolly hier auch die Nase vorn haben.
Jedes Mal wenn Sutton vor die Kamera tritt weht ein Gestank von Scheisse durch das Bild, und jedes Mal wenn Dolly zu sehen ist explodiert der Bildschirm geradezu vor Verlangen und Sex. Gewalt, Sex, Bosheit … Sowieso schon eine gemeine Mischung, aber dann auch noch bei diesem Temperaturen? HOT SPOT ist ein lakonischer Neo-Noir, der in erster Linie die erwähnten Zutaten beinhaltet - Nein, nicht offensiv und billig, sondern unterschwellig und abgründig. Gerade Virginia Madsen als Dolly beherrscht hier die Szenerie, und wenn sie sich die Beine rasiert, oder mit hochgezogenem Kleid und ohne Höschen einen Sandhügel hinaufrennt, dann ist auch klar, warum Madox nicht so recht von ihr loskommt. Die Frau ist purer Sex, und was sie im Gegenzug einfordert ist nichts anderes als bedingungslose Ergebenheit.
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Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Amulett des Bösen (Lucio Fulci, 1982) 6/10
Der Archäologe George Hacker hat seine Familie mitgenommen zu Ausgrabungen in Ägypten. Während er das obskure Grab eines Pharaos untersucht, und dabei durch mysteriöse Vorkommnisse sein Augenlicht verliert, schenkt eine seltsame Frau der Tochter Susie ein Amulett. Zurück in New York zeigt sich, dass Susie mit Hilfe dieses Amuletts offensichtlich Reisen durch Raum und Zeit unternehmen, ja sogar ihren Bruder Tommy dabei mitnehmen kann. Und jeder, der ihr während einer dieser Reisen zu nahe kommt verschwindet spurlos. Derweil Hacker ganz plötzlich wieder sehen kann, erweist sich das Amulett als eine Quelle des Bösen, die Susie fest in ihrer Hand hat. Nur ein seltsamer Antiquar scheint Susie helfen zu können.
Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, mit was für einfachen Mitteln Lucio Fulci Horror erzeugen konnte. Wie simpel es für ihn zu sein schien, den Zuschauer in ein unbehagliches Zwischenreich zu entführen, in welchem er sich zur gleichen Zeit wunderschönen Bildern hingeben kann und einer kratzigen und unangenehmen Geschichte stellen muss. Vor allem diese Bilder, die selbst sperrige oder dumme Stories in wunderschöne und einzigartige Schätze verwandeln konnten, stellen für mich immer wieder kleine Wunder dar. Wo andere Regisseure auf zunehmend widerwärtige Effekte vertrauen (vor allem in den letzten 20 Jahren), nahm Fulci den Zuschauer bei der Hand und zeigte ihm die Schönheit im Grauen, die Magie des Alptraums. Nicht dass die direkten Vorgänger von AMULETT DES BÖSEN nicht mit widerwärtigen Effekten hantiert haben, aber Fulci konnte eben auch anders.
Natürlich ist AMULETT DES BÖSEN prinzipiell hanebüchener Schwachsinn, und offensichtlich sind die Schauspieler entweder völlig lustlos dabei gewesen, oder sie litten unter einem akuten Anfall von absoluter Arbeitsverweigerung. Was Laura Lenzi als Ehefrau von George Hacker hier abliefert spottet jeder Beschreibung, und auch Christopher Connelly hat man schon mal lebendiger und interessierter gesehen. Aber was macht das schon gegen die Magie, die diesen Bildern entspringt. Die von der eindringlichen Musik unterfüttert wird. Und die spätestens von den beiden großartigen Kinderdarstellern Brigitta Boccoli und Giovanni Frezza umgewandelt wird in einen Schrecken, der nicht von irgendwelchen dummen Erklärungen und mühsam konstruierten Interpretationen vernichtet wird, sondern der nur für sich allein steht. Das Böse existiert, und damit ist alles gesagt. Wer meint, dass logische Antworten auf mystische Vorgänge einem Horrorfilm weiterhelfen, der ist bei AMULETT DES BÖSEN völlig falsch. Der Schrecken ruht in sich selbst und greift über auf die Menschen. Dies und die beeindruckenden Bilder, mehr braucht es nicht um eine Atmosphäre des Unwohlseins und der Angst zu erzeugen.
AMULETT DES BÖSEN mag sicher nicht Fulcis bester Film sein, aber er hat reichlich Ausstrahlung und Stimmung. Vor allem Stimmung, denn Fulci vertraut hier, anders als in den Vorgängerfilmen und im fast Back-to-Back gedrehten NEW YORK RIPPER, nicht auf die Darstellung von Blut und aufgerissenem und gemartertem Fleisch, sondern tatsächlich auf Atmosphäre. Bei allem magischen Hokuspokus ist viel Ruhe in diesem Film, und mit besseren Darstellern wären die Angriffe aus dem Zwischenreich sicher um einiges gehaltvoller und intensiver geworden. So wie sich AMULETT DES BÖSEN jetzt präsentiert, bleiben vor allem die Szenen in Ägypten in Erinnerung, genauso wie die Momente in denen das Kinderzimmer voll ist mit Sand. Im Gedächtnis festsetzen tut sich auch der Kollege der Ehefrau, der, wie so viele in diesem Film, spurlos verschwindet, und nur der Zuschauer weiß, dass Luke tot im Sand der Wüste Ägyptens liegt, die Augen weit aufgerissen. Er sah Dinge, die nicht für Menschen gedacht sind. Er hatte sich mit seinen dämlichen Masken ja auch immer über die Augen lustig gemacht …
Die Augen. Fulci definiert diesen Film über die Augen. Ganze Dialoge finden über die Augen statt, immer wieder werden die Augen in den Mittelpunkt der Kameraarbeit gestellt, und wenn es mal keine Augen sind, dann sind es Spiegel. Der Film heißt im Original ja auch übersetzt DAS AUGE DES BÖSEN, was durchaus seinen Grund hat. Und natürlich fällt der arabische Helfer von Hacker in der Pyramide genau so in die Falle, dass die Stahlspieße seine Augen durchbohren.
Witzig auch der Umstand, dass hinter Tommys Bett ein Poster von Winsor McCays Little Nemo in Slumberland hängt. Die Geschichte eines Jungen, der in seinen Träumen Abenteuer erlebt, setzt sich in der Figur des Tommy fort, der über das Amulett ebenfalls reisen kann, genauso wie Little Nemo. Nur halt ein klein wenig weniger märchenhaft. Aber genau solche Momente sind es, die ebenfalls zu dieser erwähnten Magie beitragen.
Auf der anderen Seite ergibt auch nicht alles wirklich Sinn, sind manche Episoden eher schludrig und zusammenhanglos inszeniert. Die Hand auf der Decke, die einen verbrannten Schemen hinterlässt, wirkt im Kontext des Films und seiner Symbole genauso deplatziert wie das Spielzeug das auf der Treppe verteilt wurde. Aber solche Kleinigkeiten müssen wahrscheinlich einfach ignoriert werden zugunsten eines Gesamtbildes, das zeigt was für ein herausragender Regisseur Lucio Fulci mal irgendwann war. Und dass die Filme, an denen er immer und immer wieder gemessen wird, auf keinen Fall für sein Gesamtoeuvre hergenommen werden dürfen, sondern vielleicht sogar nur als kommerziell erfolgreiche Ausrutscher angesehen werden können. AMULETT DES BÖSEN jedenfalls lebt von seinen ruhigen Momenten und der unheilvollen Stimmung, und diese beiden Komponenten kann er richtig gut.
Der Archäologe George Hacker hat seine Familie mitgenommen zu Ausgrabungen in Ägypten. Während er das obskure Grab eines Pharaos untersucht, und dabei durch mysteriöse Vorkommnisse sein Augenlicht verliert, schenkt eine seltsame Frau der Tochter Susie ein Amulett. Zurück in New York zeigt sich, dass Susie mit Hilfe dieses Amuletts offensichtlich Reisen durch Raum und Zeit unternehmen, ja sogar ihren Bruder Tommy dabei mitnehmen kann. Und jeder, der ihr während einer dieser Reisen zu nahe kommt verschwindet spurlos. Derweil Hacker ganz plötzlich wieder sehen kann, erweist sich das Amulett als eine Quelle des Bösen, die Susie fest in ihrer Hand hat. Nur ein seltsamer Antiquar scheint Susie helfen zu können.
Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, mit was für einfachen Mitteln Lucio Fulci Horror erzeugen konnte. Wie simpel es für ihn zu sein schien, den Zuschauer in ein unbehagliches Zwischenreich zu entführen, in welchem er sich zur gleichen Zeit wunderschönen Bildern hingeben kann und einer kratzigen und unangenehmen Geschichte stellen muss. Vor allem diese Bilder, die selbst sperrige oder dumme Stories in wunderschöne und einzigartige Schätze verwandeln konnten, stellen für mich immer wieder kleine Wunder dar. Wo andere Regisseure auf zunehmend widerwärtige Effekte vertrauen (vor allem in den letzten 20 Jahren), nahm Fulci den Zuschauer bei der Hand und zeigte ihm die Schönheit im Grauen, die Magie des Alptraums. Nicht dass die direkten Vorgänger von AMULETT DES BÖSEN nicht mit widerwärtigen Effekten hantiert haben, aber Fulci konnte eben auch anders.
Natürlich ist AMULETT DES BÖSEN prinzipiell hanebüchener Schwachsinn, und offensichtlich sind die Schauspieler entweder völlig lustlos dabei gewesen, oder sie litten unter einem akuten Anfall von absoluter Arbeitsverweigerung. Was Laura Lenzi als Ehefrau von George Hacker hier abliefert spottet jeder Beschreibung, und auch Christopher Connelly hat man schon mal lebendiger und interessierter gesehen. Aber was macht das schon gegen die Magie, die diesen Bildern entspringt. Die von der eindringlichen Musik unterfüttert wird. Und die spätestens von den beiden großartigen Kinderdarstellern Brigitta Boccoli und Giovanni Frezza umgewandelt wird in einen Schrecken, der nicht von irgendwelchen dummen Erklärungen und mühsam konstruierten Interpretationen vernichtet wird, sondern der nur für sich allein steht. Das Böse existiert, und damit ist alles gesagt. Wer meint, dass logische Antworten auf mystische Vorgänge einem Horrorfilm weiterhelfen, der ist bei AMULETT DES BÖSEN völlig falsch. Der Schrecken ruht in sich selbst und greift über auf die Menschen. Dies und die beeindruckenden Bilder, mehr braucht es nicht um eine Atmosphäre des Unwohlseins und der Angst zu erzeugen.
AMULETT DES BÖSEN mag sicher nicht Fulcis bester Film sein, aber er hat reichlich Ausstrahlung und Stimmung. Vor allem Stimmung, denn Fulci vertraut hier, anders als in den Vorgängerfilmen und im fast Back-to-Back gedrehten NEW YORK RIPPER, nicht auf die Darstellung von Blut und aufgerissenem und gemartertem Fleisch, sondern tatsächlich auf Atmosphäre. Bei allem magischen Hokuspokus ist viel Ruhe in diesem Film, und mit besseren Darstellern wären die Angriffe aus dem Zwischenreich sicher um einiges gehaltvoller und intensiver geworden. So wie sich AMULETT DES BÖSEN jetzt präsentiert, bleiben vor allem die Szenen in Ägypten in Erinnerung, genauso wie die Momente in denen das Kinderzimmer voll ist mit Sand. Im Gedächtnis festsetzen tut sich auch der Kollege der Ehefrau, der, wie so viele in diesem Film, spurlos verschwindet, und nur der Zuschauer weiß, dass Luke tot im Sand der Wüste Ägyptens liegt, die Augen weit aufgerissen. Er sah Dinge, die nicht für Menschen gedacht sind. Er hatte sich mit seinen dämlichen Masken ja auch immer über die Augen lustig gemacht …
Die Augen. Fulci definiert diesen Film über die Augen. Ganze Dialoge finden über die Augen statt, immer wieder werden die Augen in den Mittelpunkt der Kameraarbeit gestellt, und wenn es mal keine Augen sind, dann sind es Spiegel. Der Film heißt im Original ja auch übersetzt DAS AUGE DES BÖSEN, was durchaus seinen Grund hat. Und natürlich fällt der arabische Helfer von Hacker in der Pyramide genau so in die Falle, dass die Stahlspieße seine Augen durchbohren.
Witzig auch der Umstand, dass hinter Tommys Bett ein Poster von Winsor McCays Little Nemo in Slumberland hängt. Die Geschichte eines Jungen, der in seinen Träumen Abenteuer erlebt, setzt sich in der Figur des Tommy fort, der über das Amulett ebenfalls reisen kann, genauso wie Little Nemo. Nur halt ein klein wenig weniger märchenhaft. Aber genau solche Momente sind es, die ebenfalls zu dieser erwähnten Magie beitragen.
Auf der anderen Seite ergibt auch nicht alles wirklich Sinn, sind manche Episoden eher schludrig und zusammenhanglos inszeniert. Die Hand auf der Decke, die einen verbrannten Schemen hinterlässt, wirkt im Kontext des Films und seiner Symbole genauso deplatziert wie das Spielzeug das auf der Treppe verteilt wurde. Aber solche Kleinigkeiten müssen wahrscheinlich einfach ignoriert werden zugunsten eines Gesamtbildes, das zeigt was für ein herausragender Regisseur Lucio Fulci mal irgendwann war. Und dass die Filme, an denen er immer und immer wieder gemessen wird, auf keinen Fall für sein Gesamtoeuvre hergenommen werden dürfen, sondern vielleicht sogar nur als kommerziell erfolgreiche Ausrutscher angesehen werden können. AMULETT DES BÖSEN jedenfalls lebt von seinen ruhigen Momenten und der unheilvollen Stimmung, und diese beiden Komponenten kann er richtig gut.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
The Hooligan Club – Fear and Fight (Neil Thompson, 2008) 7/10
Auch im neuen Jahrtausend sind deutsche Filmverleiher richtig kreativ, wenn es darum geht, vermeintlich zugkräftige Eindeutschungen für ausländische Filme zu finden. CLUBBED wurde dann einfach mal eben „übersetzt“ zu HOOLIGAN (Hooligan-Filme verkaufen sich immer gut), weil FIGHT CLUB ein Riesenerfolg war und das Wort Club ja nun im Originaltitel vorkommt, macht man aus den Türstehern einen CLUB, und weil der Erzähler im Film sich seinen Ängsten stellt und gegen sie kämpft, kommt man zu FEAR AND FIGHT. Nun ja, Die Abenteuer von Erwin dem Straßenbahnschaffner hätte genauso viel Bezug gehabt zum Film wie HOOLIGAN CLUB …
Dabei ist HOOLIGAN CLUB das genaue Gegenteil eines Films über prügelnde Asoziale mit jeder Menge Gewalt und Blut. Die Geschichte wird vor allem im zweiten Drittel sehr leise erzählt, und Regisseur Neil Thompson gibt sich viel Mühe, jede einzelne Figur einzuführen und zu charakterisieren: Der sanfte Danny ist der geborene Looser. Voller Ängste, vom Leben immer wieder zurückgeschlagen, lebt er seit seiner Scheidung in einer miesen Hochhauswohnung, arbeitet als Putzkraft in einer Fabrik, und muss sich ständig mit der wesentlich stärkeren Ex darum zoffen, die gemeinsamen Kinder sehen zu dürfen. Ein sehr schmerzliches Zusammentreffen mit drei Schlägern in einem Pub bringt ihn dazu, mit dem Boxen zu beginnen. Der Trainer, Louis, arbeitet als Türsteher in einem Club und ist ein wahrer Adept SunTzus, des Meisters der Kriegskunst: Louis ist ein großer Kämpfer der den Kampf vermeidet. Kämpfen hat er nicht nötig, er ist geistig stärker als das Kroppzeug, das er und seine Freunde Starky und Rob Nacht für Nacht aus dem Club befördern. Danny freundet sich mit allen Dreien an (ja ja, sie bilden eine Art Club …) und beginnt ebenfalls im Club zu arbeiten. Denn Starky gerät parallel auf Abwege und erledigt Botengänge für den Gangster Hennessy, der mit Drogen seine vielen Kohlen verdient. Unter anderem auch durch Dealereien in besagtem Club, wo allerdings Rob die Dealer schneller zur Hintertür hinausbefördert, als Starky sie vorne reinlassen kann. Die miese Type, die Danny damals im Pub zusammenschlug, gehört auch zu Hennessy, und so ist der Konflikt vorprogrammiert: Hennessy ist nicht bereit, sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen, und geht mit Fäusten und Baseballschlägern auf die Freunde los, deren Zusammenhalt durch Starkys Eskapaden zu schwinden beginnt …
Ja, das mag wie ein typischer britischer Gangsterflick im Gefolge des ein Jahr zuvor entstandenen FOOTSOLDIER klingen, doch die Saga um Türsteher und Gangstertum entpuppt sich in er Wirklichkeit als sehr intelligentes Drama um Angst und Mut, und darum sich seinen Ängsten zu stellen um sie zu besiegen. Freilich ist der Film mit reichlich Gewalt durchsetzt, die letzte halbe Stunde hat einige sehr unangenehme Szenen im Gepäck, und die desolate und aggressive Stimmung im England der frühen 80er-Jahre ist perfekt umgesetzt. Aber das Hauptding ist Danny, der so gar nicht dem Prototypen des wilden Haudrauf entspricht, und der erst lernen muss damit umzugehen, dass Gewalt im Kopf beginnt, und nicht im Oberarm. Und dort auch entschieden wird.
Es ist faszinierend zuzusehen, wie Danny allmählich aus seiner Looserrolle herauskommt und zunehmend bereiter wird, Verantwortung zu übernehmen. Zu sich selbst zu stehen, und auch die Konsequenzen zu tragen. Nicht unbedingt im Sinne des Stand Your Ground der Fußball-Hools, sondern als Mensch im realen Leben: Seiner Ex-Frau, die sich längst angewöhnt hat ihn mit dem Besuchsrecht bei den Kindern zu erpressen, und ihren eigenen Zeitplan und ihre eigenen Vorstellungen dem nachgiebigen Danny willkürlich um die Ohren haut, bietet er überraschend Paroli – Was der Beziehung gar nicht mal so schlecht tut.
HOOLIGAN CLUB ist die Coming-of-Age-Geschichte eines 30-jährigen Mannes, der beginnt mit einer Existenz am Rand der Unterschicht klarzukommen, und der versucht, mehr aus seinem Leben zu machen. Garniert mit guter Musik (in erster Linie Northern Soul und Bluebeat), der richtigen Menge an Gewalt und einem sehr realistischen 80er-Umfeld rockt der Film ungeheuer und hinterlässt vor allem durch das letzte Drittel, in dem die Handlung um den Drogengangster Hennessy eskaliert, mächtig Eindruck. Toll!
Auch im neuen Jahrtausend sind deutsche Filmverleiher richtig kreativ, wenn es darum geht, vermeintlich zugkräftige Eindeutschungen für ausländische Filme zu finden. CLUBBED wurde dann einfach mal eben „übersetzt“ zu HOOLIGAN (Hooligan-Filme verkaufen sich immer gut), weil FIGHT CLUB ein Riesenerfolg war und das Wort Club ja nun im Originaltitel vorkommt, macht man aus den Türstehern einen CLUB, und weil der Erzähler im Film sich seinen Ängsten stellt und gegen sie kämpft, kommt man zu FEAR AND FIGHT. Nun ja, Die Abenteuer von Erwin dem Straßenbahnschaffner hätte genauso viel Bezug gehabt zum Film wie HOOLIGAN CLUB …
Dabei ist HOOLIGAN CLUB das genaue Gegenteil eines Films über prügelnde Asoziale mit jeder Menge Gewalt und Blut. Die Geschichte wird vor allem im zweiten Drittel sehr leise erzählt, und Regisseur Neil Thompson gibt sich viel Mühe, jede einzelne Figur einzuführen und zu charakterisieren: Der sanfte Danny ist der geborene Looser. Voller Ängste, vom Leben immer wieder zurückgeschlagen, lebt er seit seiner Scheidung in einer miesen Hochhauswohnung, arbeitet als Putzkraft in einer Fabrik, und muss sich ständig mit der wesentlich stärkeren Ex darum zoffen, die gemeinsamen Kinder sehen zu dürfen. Ein sehr schmerzliches Zusammentreffen mit drei Schlägern in einem Pub bringt ihn dazu, mit dem Boxen zu beginnen. Der Trainer, Louis, arbeitet als Türsteher in einem Club und ist ein wahrer Adept SunTzus, des Meisters der Kriegskunst: Louis ist ein großer Kämpfer der den Kampf vermeidet. Kämpfen hat er nicht nötig, er ist geistig stärker als das Kroppzeug, das er und seine Freunde Starky und Rob Nacht für Nacht aus dem Club befördern. Danny freundet sich mit allen Dreien an (ja ja, sie bilden eine Art Club …) und beginnt ebenfalls im Club zu arbeiten. Denn Starky gerät parallel auf Abwege und erledigt Botengänge für den Gangster Hennessy, der mit Drogen seine vielen Kohlen verdient. Unter anderem auch durch Dealereien in besagtem Club, wo allerdings Rob die Dealer schneller zur Hintertür hinausbefördert, als Starky sie vorne reinlassen kann. Die miese Type, die Danny damals im Pub zusammenschlug, gehört auch zu Hennessy, und so ist der Konflikt vorprogrammiert: Hennessy ist nicht bereit, sich die Butter vom Brot nehmen zu lassen, und geht mit Fäusten und Baseballschlägern auf die Freunde los, deren Zusammenhalt durch Starkys Eskapaden zu schwinden beginnt …
Ja, das mag wie ein typischer britischer Gangsterflick im Gefolge des ein Jahr zuvor entstandenen FOOTSOLDIER klingen, doch die Saga um Türsteher und Gangstertum entpuppt sich in er Wirklichkeit als sehr intelligentes Drama um Angst und Mut, und darum sich seinen Ängsten zu stellen um sie zu besiegen. Freilich ist der Film mit reichlich Gewalt durchsetzt, die letzte halbe Stunde hat einige sehr unangenehme Szenen im Gepäck, und die desolate und aggressive Stimmung im England der frühen 80er-Jahre ist perfekt umgesetzt. Aber das Hauptding ist Danny, der so gar nicht dem Prototypen des wilden Haudrauf entspricht, und der erst lernen muss damit umzugehen, dass Gewalt im Kopf beginnt, und nicht im Oberarm. Und dort auch entschieden wird.
Es ist faszinierend zuzusehen, wie Danny allmählich aus seiner Looserrolle herauskommt und zunehmend bereiter wird, Verantwortung zu übernehmen. Zu sich selbst zu stehen, und auch die Konsequenzen zu tragen. Nicht unbedingt im Sinne des Stand Your Ground der Fußball-Hools, sondern als Mensch im realen Leben: Seiner Ex-Frau, die sich längst angewöhnt hat ihn mit dem Besuchsrecht bei den Kindern zu erpressen, und ihren eigenen Zeitplan und ihre eigenen Vorstellungen dem nachgiebigen Danny willkürlich um die Ohren haut, bietet er überraschend Paroli – Was der Beziehung gar nicht mal so schlecht tut.
HOOLIGAN CLUB ist die Coming-of-Age-Geschichte eines 30-jährigen Mannes, der beginnt mit einer Existenz am Rand der Unterschicht klarzukommen, und der versucht, mehr aus seinem Leben zu machen. Garniert mit guter Musik (in erster Linie Northern Soul und Bluebeat), der richtigen Menge an Gewalt und einem sehr realistischen 80er-Umfeld rockt der Film ungeheuer und hinterlässt vor allem durch das letzte Drittel, in dem die Handlung um den Drogengangster Hennessy eskaliert, mächtig Eindruck. Toll!
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Decoder (Muscha, 1984) -/10
Gedankensplitter zu einer Reise in die Gegenwart der Vergangenheit …
Die Nacht wird vom Licht der Neonröhren erhellt, und der Rhythmus wird von den Baustellen und den desinteressiert vorbeifahrenden Autos vorgegeben. Muzak hat sich breit gemacht im Reiche der Musik. Muzak verkleistert das Gehirn, zerstört die Synapsen, und gaukelt dem Menschen vor, dass amerikanisches Fast Food schmeckt und dem Wohlbefinden dient. Doch ein Mann hat sich vorgenommen, das Diktat der Muzak zu durchbrechen. Fieberhaft sucht er nach der einen Frequenz, welche die Muzak überlagert und den Menschen das freie Denken wiedergeben soll. Trotzdem ihm ein Agent der Regierung hart auf den Fersen ist, findet er die Frequenz, und die Konsequenzen sind weitreichend …
Bildüberlagerungen. Frequenzrauschen. Dumpf klopfender Rhythmus. Genesis P. Orridge erzählt etwas über Informationen. William S. Burroughs zerstört mit dem Schraubenzieher eine Festplatte. FM Einheit und Christiane F. zoffen sich. Magnetbänder werden gehortet damit keine Information verloren geht. Die Frösche des Todes sind unterwegs. Geheimnisvolle Wesen schmieden im Feuer der Unterwelt Informationen. Sonnenaufgänge über einer kalten Stadt.
DECODER erzeugt Unruhe, erzeugt ein Nagen an der Seele ob der Gleichförmigkeit der Welt. Wurde die Welt 1984 mittels Muzak regiert, so sind es heute Genderwahn, politische Korrektheit, bewusste Berücksichtigung und sorgfältige und vorsätzliche Einbeziehung von allem was nicht weiß, angelsächsisch und protestantisch ist. Wie groß ist da der Unterschied? Wo es in Slava Tsukermans LIQUID SKY noch Außerirdische benötigt hat, die den Drogenabhängigen und den Sexsüchtigen das Gehirn abgesaugt haben, ist es in DECODER die Industrie die das Gleiche macht. Ist es im Jahr 2021 der Druck der emanzipierten und emanzipierenden Bürgerrechtsbewegungen die alles niedermachen, was sich nicht dem Diktat der unbedingten Egalität beugt.
Wo ist Decoder wenn man ihn braucht? Wer findet jetzt die richtige Frequenz, um aus dem Prinzip der Gleichmacherei auszubrechen und Individualität wieder zu etwas zu machen, was sich nicht aus den immergleichen und stereotypen Attributen speist, und auch wieder zum Begriff der Persönlichkeit passt? Das bewusste Abseits, das Anderssein als 24/7-Profession und Lebenszweck wird heute zelebriert und zur Schau gestellt, aber die Originalität einer natürlich gewachsenen Subkultur, in der die eigene Neugier geschärft und erweitert wird, die ist der markt- und markenbeherrschenden Kontrolle in Form einer Industrialisierung der Individualität gewichen, die aus uns allen, vor allem aber den Jüngeren, gut funktionierende Marktteilnehmer macht. Wer heute neben der Gesellschaft steht wird in noch viel größerem Maße als damals entweder beschimpft, oder mittels süßer Lockstoffe aufgesogen, verarbeitet und wiederum zur Schau gestellt. Die De-Individualität des Jahres 2021 ist somit nichts anderes als das Synonym der Muzak aus dem Jahr 1984.
Themenwechsel: aus dem handbuch des kleinen anarcho-filmemachers: cutup-texte als filmische ausdrucksform. das auflösen narrativer strukturen zugunsten einer orientierungs- und hemmungslosen und einfach-draufhalten-mentalität. nimm dir eine kamera und leg los. unterleg deine bilder mit der wildesten elektronik-avantgarde die du finden kannst. pack genesis p. orridge und william s. burroughs in deinen film, damit sprichst du die kunstelite an, die dann zwar mit dem film nichts anfangen kann, dir aber gutes geld bringt. pack fm einheit in den film, den zwar die kunststudenten nicht kennen, der aber die postpunks und die waver ins kino bringt und dir gutes geld bringt. garniere das ganze mit einer kruden story aus unterdrückung, überwachung und freiheitskampf, um individualität, sex und todesfrösche. und das wichtigste: nimm eine kamera in die hand und leg einfach los!
Doch ist es wirklich so einfach? DECODER ist mehr als nur der Versuch eines Performance-Künstlers, sich filmisch zu betätigen. DECODER kann ich aus der Rückschau(!) als Versuch erkennen, das Lebensgefühl einer Jugendbewegung zu dechiffrieren, die sich nicht als Jugendbewegung gefühlt hat. Der Film ist ein Manifest für die Anordnung elektronischer Frequenzen als Musik, für das Geräusch als Quelle der intellektuellen Weiterentwicklung und Möglichkeit der Information. Die britischen Avantgardekünstler Throbbing Gristle haben bereits 1976 festgestellt: “We’re interested in information, we’re not interested in music as such. And we believe that the whole battlefield, if there is one in the human situation, is about information.” Etwas, was Genesis P. Orridge im Film auch wiederholen wird (1), und prophetische Worte, wenn man sich die Welt 50 Jahre später anschaut und dabei feststellt, dass sich dem Wunsch nach (vermeintlicher) Information alles andere unterzuordnen hat. Und wer immer außerhalb seiner eigenen Blase auf der Suche nach Information ist, oder wer, noch schlimmer, nicht bereit ist sich dem Diktat der Informationstechnologie zu beugen, wird schnell als Außenseiter verspottet und beschimpft. Im Gegensatz zu heute war das Gefühl der Überwachung 1984 (!) sehr wohl vorhanden und es gab auch ein breites Bewusstsein für diesen Umstand. Im Film wird dies durch den Regierungsagenten dargestellt. Ein Mann in einem Trenchcoat, der für eine undefinierte Behörde und im Auftrag der amerikanischen Konsumindustrie verhindern soll, dass die Umsätze einbrechen (2). Oder dass die Menschen gar das eigenständige Denken anfangen. Was passiert, als der Decoder seine Störsignale sendet? Die Jünger des Fastfoods kotzen alles aus, sie verlassen fluchtartig die Tempel ihrer vormaligen Herren, sie zerstören die Städte … Das ist zwar ein Zitat aus Kollaps von den Einstürzenden Neubauten, passt aber richtig gut. Denn genauso wie damals ist gefühlt bis zum Kollaps nicht viel Zeit …
DECODER kann nicht verglichen werden mit dem sich anbiedernden NEONSTADT, dem flachen ASPHALTNACHT oder dem unentschiedenen JETZT UND ALLES. Eher noch mit KALT WIE EIS, aber DECODER ist mehr. DECODER ist eine Nacht im Jahr 1984, zwischen Kneipe und Disco, zwischen Gruppen von Punks, Skins und amerikanischen Soldaten. Decoder ist ein Weg durch nächtliche Städte, in denen um 22 Uhr noch die Bürgersteige hochgeklappt wurden und Ruhe einkehrte. Nur Taxifahrer und Jugendliche waren da noch unterwegs, auf dem Weg zum nächsten Bier, oder auf dem Rückweg von der Kneipe, wo man sich im Straßenverkauf ein paar Bier geholt hat.
Aber vor allem war überall Musik. Musik hat das Leben beherrscht und das Denken. Das Größte was man besitzen konnte war ein Walkman, mit dem man seine eigene Musik hören konnte und unabhängig war von der Muzak in Kaufhäusern und Fresstempeln. Die Musik im Film, für die in erster Linie FM Einheit und Dave Ball von Soft Cell zuständig waren, erinnert in ihrer Kompromisslosigkeit und Härte oft an die Epen der amerikanischen Postpunkband Chrome. DECODER spiegelt dieses Lebensgefühl zwischen kühl-chicen Interieurs und abgeranzten Stadtvierteln, zwischen Neonröhren und versifften Kneipen, zwischen hartem und nervösem Wave und dunklen Soundscapes. DECODER ist die bisher beste Non-Doku-Zeitreise in die frühen 80er, die mir filmisch über den Weg gelaufen ist. Weil er, anstatt sich auf die Beschreibung der Oberfläche zu beschränken, auf den Geist dieser Zeit zielt.
Und wir tanzten bis zum Ende, zum Rhythmus der besten Musik
Jeden Abend jeden Tag, wir dachten schon das ist der Sieg …
(1)Und Throbbing Gristle werden hintergründig zitiert, indem als Film im Film etwas gezeigt wird, was wie eine Vasektomie aussieht. Throbbing Gristle hatten eine Zeitlang einen Film über eine Vasektomie im Gepäck, der vor oder während des Auftritts gezeigt wurde.
(2) Etwas, was bekanntlich auch heute noch gerne als Zusammenbruch der Zivilisation gedeutet wird, und was das vielgeliebte und -gebrauchte Totschlagargument Nummer Eins ist wenn es darum geht, Mensch und Natur für die Umsetzung wirtschaftlicher Interessen zu zerstören.
Gedankensplitter zu einer Reise in die Gegenwart der Vergangenheit …
Die Nacht wird vom Licht der Neonröhren erhellt, und der Rhythmus wird von den Baustellen und den desinteressiert vorbeifahrenden Autos vorgegeben. Muzak hat sich breit gemacht im Reiche der Musik. Muzak verkleistert das Gehirn, zerstört die Synapsen, und gaukelt dem Menschen vor, dass amerikanisches Fast Food schmeckt und dem Wohlbefinden dient. Doch ein Mann hat sich vorgenommen, das Diktat der Muzak zu durchbrechen. Fieberhaft sucht er nach der einen Frequenz, welche die Muzak überlagert und den Menschen das freie Denken wiedergeben soll. Trotzdem ihm ein Agent der Regierung hart auf den Fersen ist, findet er die Frequenz, und die Konsequenzen sind weitreichend …
Bildüberlagerungen. Frequenzrauschen. Dumpf klopfender Rhythmus. Genesis P. Orridge erzählt etwas über Informationen. William S. Burroughs zerstört mit dem Schraubenzieher eine Festplatte. FM Einheit und Christiane F. zoffen sich. Magnetbänder werden gehortet damit keine Information verloren geht. Die Frösche des Todes sind unterwegs. Geheimnisvolle Wesen schmieden im Feuer der Unterwelt Informationen. Sonnenaufgänge über einer kalten Stadt.
DECODER erzeugt Unruhe, erzeugt ein Nagen an der Seele ob der Gleichförmigkeit der Welt. Wurde die Welt 1984 mittels Muzak regiert, so sind es heute Genderwahn, politische Korrektheit, bewusste Berücksichtigung und sorgfältige und vorsätzliche Einbeziehung von allem was nicht weiß, angelsächsisch und protestantisch ist. Wie groß ist da der Unterschied? Wo es in Slava Tsukermans LIQUID SKY noch Außerirdische benötigt hat, die den Drogenabhängigen und den Sexsüchtigen das Gehirn abgesaugt haben, ist es in DECODER die Industrie die das Gleiche macht. Ist es im Jahr 2021 der Druck der emanzipierten und emanzipierenden Bürgerrechtsbewegungen die alles niedermachen, was sich nicht dem Diktat der unbedingten Egalität beugt.
Wo ist Decoder wenn man ihn braucht? Wer findet jetzt die richtige Frequenz, um aus dem Prinzip der Gleichmacherei auszubrechen und Individualität wieder zu etwas zu machen, was sich nicht aus den immergleichen und stereotypen Attributen speist, und auch wieder zum Begriff der Persönlichkeit passt? Das bewusste Abseits, das Anderssein als 24/7-Profession und Lebenszweck wird heute zelebriert und zur Schau gestellt, aber die Originalität einer natürlich gewachsenen Subkultur, in der die eigene Neugier geschärft und erweitert wird, die ist der markt- und markenbeherrschenden Kontrolle in Form einer Industrialisierung der Individualität gewichen, die aus uns allen, vor allem aber den Jüngeren, gut funktionierende Marktteilnehmer macht. Wer heute neben der Gesellschaft steht wird in noch viel größerem Maße als damals entweder beschimpft, oder mittels süßer Lockstoffe aufgesogen, verarbeitet und wiederum zur Schau gestellt. Die De-Individualität des Jahres 2021 ist somit nichts anderes als das Synonym der Muzak aus dem Jahr 1984.
Themenwechsel: aus dem handbuch des kleinen anarcho-filmemachers: cutup-texte als filmische ausdrucksform. das auflösen narrativer strukturen zugunsten einer orientierungs- und hemmungslosen und einfach-draufhalten-mentalität. nimm dir eine kamera und leg los. unterleg deine bilder mit der wildesten elektronik-avantgarde die du finden kannst. pack genesis p. orridge und william s. burroughs in deinen film, damit sprichst du die kunstelite an, die dann zwar mit dem film nichts anfangen kann, dir aber gutes geld bringt. pack fm einheit in den film, den zwar die kunststudenten nicht kennen, der aber die postpunks und die waver ins kino bringt und dir gutes geld bringt. garniere das ganze mit einer kruden story aus unterdrückung, überwachung und freiheitskampf, um individualität, sex und todesfrösche. und das wichtigste: nimm eine kamera in die hand und leg einfach los!
Doch ist es wirklich so einfach? DECODER ist mehr als nur der Versuch eines Performance-Künstlers, sich filmisch zu betätigen. DECODER kann ich aus der Rückschau(!) als Versuch erkennen, das Lebensgefühl einer Jugendbewegung zu dechiffrieren, die sich nicht als Jugendbewegung gefühlt hat. Der Film ist ein Manifest für die Anordnung elektronischer Frequenzen als Musik, für das Geräusch als Quelle der intellektuellen Weiterentwicklung und Möglichkeit der Information. Die britischen Avantgardekünstler Throbbing Gristle haben bereits 1976 festgestellt: “We’re interested in information, we’re not interested in music as such. And we believe that the whole battlefield, if there is one in the human situation, is about information.” Etwas, was Genesis P. Orridge im Film auch wiederholen wird (1), und prophetische Worte, wenn man sich die Welt 50 Jahre später anschaut und dabei feststellt, dass sich dem Wunsch nach (vermeintlicher) Information alles andere unterzuordnen hat. Und wer immer außerhalb seiner eigenen Blase auf der Suche nach Information ist, oder wer, noch schlimmer, nicht bereit ist sich dem Diktat der Informationstechnologie zu beugen, wird schnell als Außenseiter verspottet und beschimpft. Im Gegensatz zu heute war das Gefühl der Überwachung 1984 (!) sehr wohl vorhanden und es gab auch ein breites Bewusstsein für diesen Umstand. Im Film wird dies durch den Regierungsagenten dargestellt. Ein Mann in einem Trenchcoat, der für eine undefinierte Behörde und im Auftrag der amerikanischen Konsumindustrie verhindern soll, dass die Umsätze einbrechen (2). Oder dass die Menschen gar das eigenständige Denken anfangen. Was passiert, als der Decoder seine Störsignale sendet? Die Jünger des Fastfoods kotzen alles aus, sie verlassen fluchtartig die Tempel ihrer vormaligen Herren, sie zerstören die Städte … Das ist zwar ein Zitat aus Kollaps von den Einstürzenden Neubauten, passt aber richtig gut. Denn genauso wie damals ist gefühlt bis zum Kollaps nicht viel Zeit …
DECODER kann nicht verglichen werden mit dem sich anbiedernden NEONSTADT, dem flachen ASPHALTNACHT oder dem unentschiedenen JETZT UND ALLES. Eher noch mit KALT WIE EIS, aber DECODER ist mehr. DECODER ist eine Nacht im Jahr 1984, zwischen Kneipe und Disco, zwischen Gruppen von Punks, Skins und amerikanischen Soldaten. Decoder ist ein Weg durch nächtliche Städte, in denen um 22 Uhr noch die Bürgersteige hochgeklappt wurden und Ruhe einkehrte. Nur Taxifahrer und Jugendliche waren da noch unterwegs, auf dem Weg zum nächsten Bier, oder auf dem Rückweg von der Kneipe, wo man sich im Straßenverkauf ein paar Bier geholt hat.
Aber vor allem war überall Musik. Musik hat das Leben beherrscht und das Denken. Das Größte was man besitzen konnte war ein Walkman, mit dem man seine eigene Musik hören konnte und unabhängig war von der Muzak in Kaufhäusern und Fresstempeln. Die Musik im Film, für die in erster Linie FM Einheit und Dave Ball von Soft Cell zuständig waren, erinnert in ihrer Kompromisslosigkeit und Härte oft an die Epen der amerikanischen Postpunkband Chrome. DECODER spiegelt dieses Lebensgefühl zwischen kühl-chicen Interieurs und abgeranzten Stadtvierteln, zwischen Neonröhren und versifften Kneipen, zwischen hartem und nervösem Wave und dunklen Soundscapes. DECODER ist die bisher beste Non-Doku-Zeitreise in die frühen 80er, die mir filmisch über den Weg gelaufen ist. Weil er, anstatt sich auf die Beschreibung der Oberfläche zu beschränken, auf den Geist dieser Zeit zielt.
Und wir tanzten bis zum Ende, zum Rhythmus der besten Musik
Jeden Abend jeden Tag, wir dachten schon das ist der Sieg …
(1)Und Throbbing Gristle werden hintergründig zitiert, indem als Film im Film etwas gezeigt wird, was wie eine Vasektomie aussieht. Throbbing Gristle hatten eine Zeitlang einen Film über eine Vasektomie im Gepäck, der vor oder während des Auftritts gezeigt wurde.
(2) Etwas, was bekanntlich auch heute noch gerne als Zusammenbruch der Zivilisation gedeutet wird, und was das vielgeliebte und -gebrauchte Totschlagargument Nummer Eins ist wenn es darum geht, Mensch und Natur für die Umsetzung wirtschaftlicher Interessen zu zerstören.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Des Rockers tolle Hunde (Jerry Jameson, 1971) 7/10
Was machen Söldner eigentlich so den ganzen lieben Tag lang? Also nicht in Afrika, wo sie ganze Dörfer mitsamt Frauen und Kindern ausradieren, oder sich schwarze Gespielinnen halten. Nein daheim, in der trauten Etappe, wenn sie mehr oder weniger auf dem Weg zu einem Auftrag in Mittelamerika sind, also quasi Freizeit haben? Nun, sie versuchen mexikanische Chiquitas mit guten Dollars zu kaufen, erschießen Rocker, treiben Wehrsport im mexikanischen Hinterland, hauen sich gegenseitig zum Vergnügen die Hucke voll, und vergewaltigen zufällig des Weges kommende Anhalterinnen und halten sich diese als Sexsklavinnen.
Zumindest passiert das der schnuckeligen Terry, die in ihrer knappen Lederbekleidung und „mit gut gefüllter Bluse“ (O-Ton Film) nicht versteht, dass die Rangeleien mit ausgehungerten Mann-Männern nur zu einem einzigen Ergebnis führen können. Ihr Begleiter, der pazifistische Kevin, hat da noch Glück: Nach einer für ihn eher erniedrigenden Prügelei wird er in Ruhe gelassen und kann sich heimlich absetzen, um Hilfe für die geschundene Terry zu organisieren. Doch zwei der Söldner hetzen ihn durch das ausgetrocknete Buschland, derweil das Martyrium von Terry erst so richtig beginnt.
Und mit der Inhaltsangabe ist dann auch eigentlich schon alles gesagt: Richtige kernige Männer, deren Lebensinhalt das Kämpfen und Töten ist, die einen Sinn darin sehen andere Menschen zu töten, also eben so richtige Mann-Männer, versuchen eine junge und attraktive, Leben und Liebe suchende, Anhalterin zur Buschnutte abzurichten, derweil ihr Begleiter am mexikanischen Alko-Sheriff verzweifelt („Wie sind Sie bloß Sheriff geworden?“ „Es hat sich kein Dümmerer gefunden.“). Die Söldner sind durch die Bank verkommene Subjekte, die sich am Leid anderer aufgeilen, und der besonders widerliche Wicks hängt in seinem Zelt sogar ein Plakat auf, welches ihn zeigt, wie er mit einer einzigen Patrone eine Frau und ein Kind gleichzeitig tötet, und er platzt fast vor Stolz wenn er es zeigt.
Nur Ross ist anders. Ross sieht zwar ebenfalls einen Sinn im Kämpfen und Töten, aber sein moralischer Standpunkt ist etwas höher. Weswegen er sich dann auch irgendwann gegen seine Freunde(?) wendet und ein erbitterter Kampf Söldner gegen Söldner beginnt. Der Preis ist das Fickfleisch von Terry, dafür lohnt es sich auch aufs Ganze zu gehen.
BRUTE CORPS ist böses, menschenverachtendes, notgeiles, zynisches und billiges Mitternachtskino, das die niedrigsten Instinkte des Zuschauers anspricht. Und er ist technisch und narrativ packend und macht tierisch Laune. Große Empfehlung für alle, die was übrig haben für brunzdumme Machos die sich gegenseitig zerfleischen, nur um an die Brüste einer hübschen Frau zu gelangen.
Was machen Söldner eigentlich so den ganzen lieben Tag lang? Also nicht in Afrika, wo sie ganze Dörfer mitsamt Frauen und Kindern ausradieren, oder sich schwarze Gespielinnen halten. Nein daheim, in der trauten Etappe, wenn sie mehr oder weniger auf dem Weg zu einem Auftrag in Mittelamerika sind, also quasi Freizeit haben? Nun, sie versuchen mexikanische Chiquitas mit guten Dollars zu kaufen, erschießen Rocker, treiben Wehrsport im mexikanischen Hinterland, hauen sich gegenseitig zum Vergnügen die Hucke voll, und vergewaltigen zufällig des Weges kommende Anhalterinnen und halten sich diese als Sexsklavinnen.
Zumindest passiert das der schnuckeligen Terry, die in ihrer knappen Lederbekleidung und „mit gut gefüllter Bluse“ (O-Ton Film) nicht versteht, dass die Rangeleien mit ausgehungerten Mann-Männern nur zu einem einzigen Ergebnis führen können. Ihr Begleiter, der pazifistische Kevin, hat da noch Glück: Nach einer für ihn eher erniedrigenden Prügelei wird er in Ruhe gelassen und kann sich heimlich absetzen, um Hilfe für die geschundene Terry zu organisieren. Doch zwei der Söldner hetzen ihn durch das ausgetrocknete Buschland, derweil das Martyrium von Terry erst so richtig beginnt.
Und mit der Inhaltsangabe ist dann auch eigentlich schon alles gesagt: Richtige kernige Männer, deren Lebensinhalt das Kämpfen und Töten ist, die einen Sinn darin sehen andere Menschen zu töten, also eben so richtige Mann-Männer, versuchen eine junge und attraktive, Leben und Liebe suchende, Anhalterin zur Buschnutte abzurichten, derweil ihr Begleiter am mexikanischen Alko-Sheriff verzweifelt („Wie sind Sie bloß Sheriff geworden?“ „Es hat sich kein Dümmerer gefunden.“). Die Söldner sind durch die Bank verkommene Subjekte, die sich am Leid anderer aufgeilen, und der besonders widerliche Wicks hängt in seinem Zelt sogar ein Plakat auf, welches ihn zeigt, wie er mit einer einzigen Patrone eine Frau und ein Kind gleichzeitig tötet, und er platzt fast vor Stolz wenn er es zeigt.
Nur Ross ist anders. Ross sieht zwar ebenfalls einen Sinn im Kämpfen und Töten, aber sein moralischer Standpunkt ist etwas höher. Weswegen er sich dann auch irgendwann gegen seine Freunde(?) wendet und ein erbitterter Kampf Söldner gegen Söldner beginnt. Der Preis ist das Fickfleisch von Terry, dafür lohnt es sich auch aufs Ganze zu gehen.
BRUTE CORPS ist böses, menschenverachtendes, notgeiles, zynisches und billiges Mitternachtskino, das die niedrigsten Instinkte des Zuschauers anspricht. Und er ist technisch und narrativ packend und macht tierisch Laune. Große Empfehlung für alle, die was übrig haben für brunzdumme Machos die sich gegenseitig zerfleischen, nur um an die Brüste einer hübschen Frau zu gelangen.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Neonstadt (G. Weilemann & H. v. Lützelburg & D. Graf & H. Schmid & W. Büld, 1982) 3/10
Fünf Episoden rund um das Leben in der Großstadt.
Verliebt verlobt verheiratet BRDigt – Gisela Weilemann
Auf der Suche nach Zigaretten kommt ein jungscher Typ in eine Kneipe, wo er bei einem Stromausfall mit der Bedienung vögelt. Seine Freundin, die im Hotelzimmer auf ihn wartet, verlässt ihn bei seiner Rückkehr und bezahlt ohne sein Wissen das Zimmer. Die Freundin gabelt einen anderen Typen auf, aber zwischen den beiden läuft nichts. Dieser andere Typ geht dann in eine Disco, wo er eine notgeile Betrunkene findet, die mit ihm ins Bett will. Der Portier im Hotel gibt den beiden dann den Schlüssel für genau das Zimmer, wo der Typ vom Anfang noch schläft.
Star – Helmer von Lützelburg
Billie Zöckler ist eine graue Maus, die bei der Telefonauskunft arbeitet, und sich in ihrer Freizeit einen Prinzen erträumt. Mit Hilfe eines Schönheitssets wird sie zur, etwas altjüngferlich aussehenden, Prinzessin der Nacht und besucht einen Ball der einsamen Herzen. Wo ihr eigener Postbote auf sie aufmerksam wird. Doch sie macht das Aschenputtel und flüchtet.
Running Blue – Dominik Graf
Zwei Männer treffen sich in einem Park. Es geht wahrscheinlich um einen Waffendeal. Doch der eine der beiden argwöhnt, dass sein Geschäftspartner von der Polizei ist.
Panter Neus – Hans Schmid
Panter Noice lebt bei seiner Mutter, die ihn aber gerade hochkant rauswirft. Er zieht durch die Stadt, die Frauen fliegen völlig auf ihn, und er macht eigentlich gar nichts. Flirtet hier ein wenig, klaut dort eine Jacke, unterhält sich mit einem Kumpel, hält einem Banker ein Messer an den Hals und das war‘s.
Disco Satanica – Wolfgang Büld
Die junge Tina vom Land geht in der Großstadtdisco völlig auf. Tanzen, knutschen, vögeln – Sie hat ihr Ding gefunden. Ihr Bauernfreund Hans will sie aus der Disco herausholen, kommt aber bei der Auseinandersetzung mit dem Türsteher unter einen LKW. Nach 3 Monaten ist er katatonisch und schwerst verletzt, erst der üppige Ausschnitt der Krankenschwester und laute Musik aus einem Radio erwecken ihn wieder zum Leben. Mit einer John Travolta-Maske über seinem zerstören Gesicht geht er wieder in die Disco – Sein Ziel heißt Rache!
Schon seltsam, wie es manchmal so läuft. In der vergangenen Woche habe ich fünf Filme gesehen, von denen drei unter den Begriff Etikettenschwindel fallen. THE HOOLIGAN CLUB ist ein starkes Drama, das aber mit Hooligans genauso viel zu tun hat wie zum Beispiel mit Cowboys. In DES ROCKERS TOLLE HUNDE treten Rocker ziemlich genau drei Minuten auf, und die dafür verantwortlichen Marketingsäcke sollten vielleicht mal ein paar Kilometer hinter den Maschinen der nicht existenten Biker hergezogen werden. Und dann ist da noch NEONSTADT.
Neonstadt, das klingt nach Plastik Neon und Beton. Leben im Herzen der toten Städte. Zurück zur U-Bahn, zurück zum Beton. Beim Elektrizitätswerk da traf ich sie wieder. Wir leben im Computerstaat. Einsame junge Menschen auf der Suche nach Liebe, Musik und einem Bier. Oder zweien.
Und was ist NEONSTADT tatsächlich? Nun, wenn ich positiv sein soll geht es um Leben in der Großstadt in seinen verschiedenen Facetten. Allein lebende Menschen (STAR), Schicki-Mickis beim Schwofen (DISCO SATANICA), modernes Großstadtleben im Jahre X nach Oskar Kolle (VERLIEBT …), modern-verwirrte Jugendliche auf Sinnsuche (PANTER NEUS), coole Agentenspielchen im Halbschatten der großen Stadt (RUNNING BLUE). Das Problem dabei: Mit dem, was das Wort Neonstadt assoziiert, hat das genauso viel zu tun wie zum Beispiel Hooligans mit Cowboys – Nämlich rein gar nichts.
Stattdessen ärgert der Zuschauer sich über eine Zusammenstellung seltsamer Kurzfilmchen, die ohne ernsthaften Zusammenhang hintereinander geklatscht werden, und mit dem alten Punk-Klassiker Paul ist tot der Fehlfarben zusammengehalten werden. Allein die Profanisierung dieses Liedes, die Negation dessen, was dieses Lied eigentlich aussagen möchte, schmerzt schon sehr. Die eigentliche Aussage des Songs, Ich will nicht was ich seh‘, ich will was ich erträume wird ausgeblendet, stattdessen sehen wir Menschen beim Essen Trinken Poppen die nicht das bekommen was sie eigentlich haben wollen, und sich dann beim Singen der Zeilen Was ich haben will das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann das gefällt mir nicht filmen lassen. Ein Stück Kuchen, sexuelle Befriedigung, Befreiung vom Abwasch. Das ist ungefähr so, wie wenn ich John Lennons Imagine damit bebildere, dass sich jemand ein Stück Kuchen vorstellt, oder ein buntes Auto. Ist es wahr, dass Eckhart Schmidt NEONSTADT produziert hat? Eigentlich hätte der es doch besser wissen sollen …
Es soll also, das lese ich in der Wikipedia, darum gehen, dass „das illusionslose Dasein der Jugend zu Beginn der 1980er Jahre“ dargestellt wird. Abgesehen davon, dass so ein Satz plakativ-nichtssagend ist und eher das Marketing berücksichtigt als inhaltliche Aspekte, abgesehen davon frage ich mich, welche Jugend im Film damit gemeint ist? Die gestylten Hupfdohlen in VERLIEBT… oder DISCO SATANICA? Die Agenten in RUNNING BLUE? Die ältere Frau in STAR? Einzig PANTER NEUS hätte das Zeug dazu eine Jugend im Auf- und Umbruch darstellen, aber die Mutlosigkeit Hans Schmids, die diesen Film komplett in den Sand setzt, ist schon bemerkenswert. Was noch so ein klein wenig beginnt wie das düstere Skinheaddrama MADE IN BRITAIN, mit einem nach Gewalt riechenden und schwer erklärbaren Youngster mit häuslichen Problemen, mündet schnell in einer dümmlich-durchgeknallten Farce um einen Deppen, dem die Frauen hinterherrennen (warum, kann ich in keinster Weise nachvollziehen), und der außer ein paar dämlichen Streichen nichts macht. Panter Neus hat keine Wut, keine Attitüde, keinen Charakter – Er hat einfach gar nichts. Und dafür gab es ein Filmband in Gold? Wow, warum nicht gleich einen verkackten Oscar …?
Ja, in den Jugendlichen in VERLIEBT… kann ich mich selbst rückblickend durchaus ein Stückchen wiederkennen. Das Treibenlassen, die Ziellosigkeit, das pragmatische Mal sehen … Gleichzeitig wird aber auch hier wieder dieses Mutlosigkeit sichtbar, welche die Regisseurin dazu brachte, sich auf die Darstellung eines mal mehr und mal weniger erfolgreichen Flirtens zu beschränken. Schauspielerisch mag es für Michaela May eine Wohltat gewesen sein, parallel zu den weichgespülten Fernsehrollen auch mal eine Femme Fatale spielen zu können, inhaltlich bringt das der Folge rein gar nichts. Als authentisch betrachte ich die kurze Romanze zwischen dem ersten Typen und der Bedienung – Ein schneller Fick im Hinterzimmer, und weiter. Sehr wohl in der Realität angesiedelt, aber bei allem anderen außenrum, den Typen, dem Ambiente, der schlechten Musik, wird die Dekadenz einer Promistadt wie München sichtbar, die mit der erdigen und schmutzigen Realität in den großen Städten der BRD rein gar nichts zu tun hatte. Der Brennpunkt der Jugend des Landes zu dieser Zeit lag in Berlin-Kreuzberg, im Hamburger Hafenviertel oder in der Kölner Altstadt. Aber bestimmt nicht in München, da kamen der Wahrnehmung nach eh nur die feinen Pinkel her. Was dann auch wieder irgendwo passt, wirkt der ganze Film NEONSTADT doch wie die Musik der zu dieser Zeit so erfolgreichen Band Münchner Freiheit: Weichgewaschen, schmusig, dümmlich …
Einzig die letzte Folge hat zumindest Witz, wenn der einstige Punk-Dokumentarist Wolfgang Büld (BRENNENDE LANGEWEILE) eine launige Geschichte darum spinnt, dass ein fast Toter zurückkehrt, um blutige Rache zu nehmen an der Frau die ihn so schmählich verraten hat. Zwar ist auch hier das Ambiente eher das der Popper, unterlegt mit den damals gerade aktuellen Hits des deutschen Postpunks (was man den Tanzszenen auch ansieht: Wer beim Mussolini so desinteressiert mit dem Arsch gewackelt hat, der war sicher niemals in einer derjenigen Discos, in denen beim Mussolini die Tanzfläche gekocht hat …), aber hier kommt wenigstens ein wenig Authentizität auf, und die Geschichte ist wirklich drollig. Die Verbindung von etwas Sex (die Krankenschwester in Strapsen) und etwas Horror (die Enthüllung des Gesichts unter der Maske) ist typisch Wolfgang Büld, und macht Spaß anzuschauen. Mehr von einem der beiden (oder gar von beidem gleichzeitig) wäre aber für den Produzenten wahrscheinlich zuviel gewesen. Wobei, hat Eckhart Schmid nicht ein paar Jahre später ALPHA CITY gedreht? Und LOFT? 1982 war DER FAN ja auch nicht ganz arm an Sex und Horror – Warum hier so zurückhaltend??
Diese letzte Folge könnte den Zuschauer fast ein wenig versöhnen, aber der Schwachsinn vor allem der zweiten und dritten Folge ist dann einfach zu viel: Die märchenhafte Geschichte um Billie Zöckler ist nett, und könnte so auch in jedes Hollywood-Melodram passen, hat aber in einer Kompilation über jugendliches Befinden nichts, aber auch rein gar nichts verloren. Und die Agentenstory ist nicht nur vollkommen deplatziert, sondern auch noch voller kruder Details, die einfach nur ärgern und zum Fremdschämen einladen.
Fremdschämen, das ist das Wort. Schon bei der ersten Episode habe ich mich ein paar Mal über mein Handy hergemacht und mich um andere Dinge gekümmert. Es war mir schlicht und ergreifend unangenehm, das Treiben auf dem Bildschirm zu verfolgen. Unangenehm im Sinne von schlechten Darstellern mit mieser Sprechtechnik, die sich durch eine Handlung eiern die diesen Namen nicht verdient. Mir tut es leid um Christiane Felscherinow, die hier einen echten Glanzpunkt setzt, sowohl in Bezug auf die Authentizität als auch auf das schauspielerische Können, deren glänzende und wunderschöne Augen die Episode beschließen, und ich hätte es gerne gesehen wenn sie bei der Schauspielerei geblieben wäre. Diese Attribute treffen auch auf die Darstellerinnen der letzten Episode zu, die echt und in hohem Maße authentisch wirken. So waren die Disco-Tussis damals, aber, meine Wortwahl ist Absicht, eben die Disco-Tussis. In der Postpunk- und gerade vorsichtig beginnenden Wave-Szene war die Attitüde eine andere. Grundlegend anders. Wer sehen will, was damals anstatt in den Münchener Szene-Discos auf den Berliner Straßen los war, der soll sich Carl Schenkels KALT WIE EIS geben. Der zeigt die Zeit wie sie wirklich war, mit einem griffigen Action-Aufhänger versehen und rundum gelungen. Und um die Stimmung der Zeit zu erfassen empfehle ich entweder den avantgardistischen DECODER, dessen Grundhaltung den damaligen Zeitgeist perfekt traf. Oder den erstklassigen Dokumentarfilm B-MOVIE: LUST & SOUND IN WEST-BERLIN 1979-1989, der die Stimmung dieser Tage ungeschminkt wiedergibt. Na ja, wahrscheinlich nicht die Stimmung in München …
NEONSTADT kann verstanden werden als anbiedernder und spießiger Versuch, aus einer Jugendbewegung, denn das war es 1981 sehr wohl noch, so viel Geld herauszuschlagen wie es geht. Das beginnt bei dem Werbespruch „Gewitter der Gefühle. Immer unter Strom. Der Rest ist uns egal.“, der ohne weiteres aus einer Schnulze einer drittklassigen NDW-Hitparaden-Combo stammen könnte, und endet beim peinlichen BRDdigt im Titel der ersten Episode. BRDigt – das klingt nach Unruhe, nach Aufbegehren gegen die Politik, nach Steinewerfen in 36, nach Soundtrack zum Untergang oder generell nach frecher Jugend-Gegen-Kultur. Aber als Titel einer Episode, in der es um eine Gelegenheit zum Sex geht und um nichts anderes, ist das, höflich ausgedrückt, Etikettenschwindel. Oder einfach nur Verarsche. Das, was 1978 dem Punk in England passiert ist, hat dann ab 1982 auch den Weg nach Deutschland gefunden: Die Kommerzialisierung einer geerdeten und bodenständigen Jugendkultur. Und auch, wenn NEONSTADT damals nicht wirklich erfolgreich in den Kinos lief, so bezeichne ich dieses Machwerk trotzdem allen Ernstes als einen der Grabsteine dieser Entwicklung.
Fünf Episoden rund um das Leben in der Großstadt.
Verliebt verlobt verheiratet BRDigt – Gisela Weilemann
Auf der Suche nach Zigaretten kommt ein jungscher Typ in eine Kneipe, wo er bei einem Stromausfall mit der Bedienung vögelt. Seine Freundin, die im Hotelzimmer auf ihn wartet, verlässt ihn bei seiner Rückkehr und bezahlt ohne sein Wissen das Zimmer. Die Freundin gabelt einen anderen Typen auf, aber zwischen den beiden läuft nichts. Dieser andere Typ geht dann in eine Disco, wo er eine notgeile Betrunkene findet, die mit ihm ins Bett will. Der Portier im Hotel gibt den beiden dann den Schlüssel für genau das Zimmer, wo der Typ vom Anfang noch schläft.
Star – Helmer von Lützelburg
Billie Zöckler ist eine graue Maus, die bei der Telefonauskunft arbeitet, und sich in ihrer Freizeit einen Prinzen erträumt. Mit Hilfe eines Schönheitssets wird sie zur, etwas altjüngferlich aussehenden, Prinzessin der Nacht und besucht einen Ball der einsamen Herzen. Wo ihr eigener Postbote auf sie aufmerksam wird. Doch sie macht das Aschenputtel und flüchtet.
Running Blue – Dominik Graf
Zwei Männer treffen sich in einem Park. Es geht wahrscheinlich um einen Waffendeal. Doch der eine der beiden argwöhnt, dass sein Geschäftspartner von der Polizei ist.
Panter Neus – Hans Schmid
Panter Noice lebt bei seiner Mutter, die ihn aber gerade hochkant rauswirft. Er zieht durch die Stadt, die Frauen fliegen völlig auf ihn, und er macht eigentlich gar nichts. Flirtet hier ein wenig, klaut dort eine Jacke, unterhält sich mit einem Kumpel, hält einem Banker ein Messer an den Hals und das war‘s.
Disco Satanica – Wolfgang Büld
Die junge Tina vom Land geht in der Großstadtdisco völlig auf. Tanzen, knutschen, vögeln – Sie hat ihr Ding gefunden. Ihr Bauernfreund Hans will sie aus der Disco herausholen, kommt aber bei der Auseinandersetzung mit dem Türsteher unter einen LKW. Nach 3 Monaten ist er katatonisch und schwerst verletzt, erst der üppige Ausschnitt der Krankenschwester und laute Musik aus einem Radio erwecken ihn wieder zum Leben. Mit einer John Travolta-Maske über seinem zerstören Gesicht geht er wieder in die Disco – Sein Ziel heißt Rache!
Schon seltsam, wie es manchmal so läuft. In der vergangenen Woche habe ich fünf Filme gesehen, von denen drei unter den Begriff Etikettenschwindel fallen. THE HOOLIGAN CLUB ist ein starkes Drama, das aber mit Hooligans genauso viel zu tun hat wie zum Beispiel mit Cowboys. In DES ROCKERS TOLLE HUNDE treten Rocker ziemlich genau drei Minuten auf, und die dafür verantwortlichen Marketingsäcke sollten vielleicht mal ein paar Kilometer hinter den Maschinen der nicht existenten Biker hergezogen werden. Und dann ist da noch NEONSTADT.
Neonstadt, das klingt nach Plastik Neon und Beton. Leben im Herzen der toten Städte. Zurück zur U-Bahn, zurück zum Beton. Beim Elektrizitätswerk da traf ich sie wieder. Wir leben im Computerstaat. Einsame junge Menschen auf der Suche nach Liebe, Musik und einem Bier. Oder zweien.
Und was ist NEONSTADT tatsächlich? Nun, wenn ich positiv sein soll geht es um Leben in der Großstadt in seinen verschiedenen Facetten. Allein lebende Menschen (STAR), Schicki-Mickis beim Schwofen (DISCO SATANICA), modernes Großstadtleben im Jahre X nach Oskar Kolle (VERLIEBT …), modern-verwirrte Jugendliche auf Sinnsuche (PANTER NEUS), coole Agentenspielchen im Halbschatten der großen Stadt (RUNNING BLUE). Das Problem dabei: Mit dem, was das Wort Neonstadt assoziiert, hat das genauso viel zu tun wie zum Beispiel Hooligans mit Cowboys – Nämlich rein gar nichts.
Stattdessen ärgert der Zuschauer sich über eine Zusammenstellung seltsamer Kurzfilmchen, die ohne ernsthaften Zusammenhang hintereinander geklatscht werden, und mit dem alten Punk-Klassiker Paul ist tot der Fehlfarben zusammengehalten werden. Allein die Profanisierung dieses Liedes, die Negation dessen, was dieses Lied eigentlich aussagen möchte, schmerzt schon sehr. Die eigentliche Aussage des Songs, Ich will nicht was ich seh‘, ich will was ich erträume wird ausgeblendet, stattdessen sehen wir Menschen beim Essen Trinken Poppen die nicht das bekommen was sie eigentlich haben wollen, und sich dann beim Singen der Zeilen Was ich haben will das krieg ich nicht, und was ich kriegen kann das gefällt mir nicht filmen lassen. Ein Stück Kuchen, sexuelle Befriedigung, Befreiung vom Abwasch. Das ist ungefähr so, wie wenn ich John Lennons Imagine damit bebildere, dass sich jemand ein Stück Kuchen vorstellt, oder ein buntes Auto. Ist es wahr, dass Eckhart Schmidt NEONSTADT produziert hat? Eigentlich hätte der es doch besser wissen sollen …
Es soll also, das lese ich in der Wikipedia, darum gehen, dass „das illusionslose Dasein der Jugend zu Beginn der 1980er Jahre“ dargestellt wird. Abgesehen davon, dass so ein Satz plakativ-nichtssagend ist und eher das Marketing berücksichtigt als inhaltliche Aspekte, abgesehen davon frage ich mich, welche Jugend im Film damit gemeint ist? Die gestylten Hupfdohlen in VERLIEBT… oder DISCO SATANICA? Die Agenten in RUNNING BLUE? Die ältere Frau in STAR? Einzig PANTER NEUS hätte das Zeug dazu eine Jugend im Auf- und Umbruch darstellen, aber die Mutlosigkeit Hans Schmids, die diesen Film komplett in den Sand setzt, ist schon bemerkenswert. Was noch so ein klein wenig beginnt wie das düstere Skinheaddrama MADE IN BRITAIN, mit einem nach Gewalt riechenden und schwer erklärbaren Youngster mit häuslichen Problemen, mündet schnell in einer dümmlich-durchgeknallten Farce um einen Deppen, dem die Frauen hinterherrennen (warum, kann ich in keinster Weise nachvollziehen), und der außer ein paar dämlichen Streichen nichts macht. Panter Neus hat keine Wut, keine Attitüde, keinen Charakter – Er hat einfach gar nichts. Und dafür gab es ein Filmband in Gold? Wow, warum nicht gleich einen verkackten Oscar …?
Ja, in den Jugendlichen in VERLIEBT… kann ich mich selbst rückblickend durchaus ein Stückchen wiederkennen. Das Treibenlassen, die Ziellosigkeit, das pragmatische Mal sehen … Gleichzeitig wird aber auch hier wieder dieses Mutlosigkeit sichtbar, welche die Regisseurin dazu brachte, sich auf die Darstellung eines mal mehr und mal weniger erfolgreichen Flirtens zu beschränken. Schauspielerisch mag es für Michaela May eine Wohltat gewesen sein, parallel zu den weichgespülten Fernsehrollen auch mal eine Femme Fatale spielen zu können, inhaltlich bringt das der Folge rein gar nichts. Als authentisch betrachte ich die kurze Romanze zwischen dem ersten Typen und der Bedienung – Ein schneller Fick im Hinterzimmer, und weiter. Sehr wohl in der Realität angesiedelt, aber bei allem anderen außenrum, den Typen, dem Ambiente, der schlechten Musik, wird die Dekadenz einer Promistadt wie München sichtbar, die mit der erdigen und schmutzigen Realität in den großen Städten der BRD rein gar nichts zu tun hatte. Der Brennpunkt der Jugend des Landes zu dieser Zeit lag in Berlin-Kreuzberg, im Hamburger Hafenviertel oder in der Kölner Altstadt. Aber bestimmt nicht in München, da kamen der Wahrnehmung nach eh nur die feinen Pinkel her. Was dann auch wieder irgendwo passt, wirkt der ganze Film NEONSTADT doch wie die Musik der zu dieser Zeit so erfolgreichen Band Münchner Freiheit: Weichgewaschen, schmusig, dümmlich …
Einzig die letzte Folge hat zumindest Witz, wenn der einstige Punk-Dokumentarist Wolfgang Büld (BRENNENDE LANGEWEILE) eine launige Geschichte darum spinnt, dass ein fast Toter zurückkehrt, um blutige Rache zu nehmen an der Frau die ihn so schmählich verraten hat. Zwar ist auch hier das Ambiente eher das der Popper, unterlegt mit den damals gerade aktuellen Hits des deutschen Postpunks (was man den Tanzszenen auch ansieht: Wer beim Mussolini so desinteressiert mit dem Arsch gewackelt hat, der war sicher niemals in einer derjenigen Discos, in denen beim Mussolini die Tanzfläche gekocht hat …), aber hier kommt wenigstens ein wenig Authentizität auf, und die Geschichte ist wirklich drollig. Die Verbindung von etwas Sex (die Krankenschwester in Strapsen) und etwas Horror (die Enthüllung des Gesichts unter der Maske) ist typisch Wolfgang Büld, und macht Spaß anzuschauen. Mehr von einem der beiden (oder gar von beidem gleichzeitig) wäre aber für den Produzenten wahrscheinlich zuviel gewesen. Wobei, hat Eckhart Schmid nicht ein paar Jahre später ALPHA CITY gedreht? Und LOFT? 1982 war DER FAN ja auch nicht ganz arm an Sex und Horror – Warum hier so zurückhaltend??
Diese letzte Folge könnte den Zuschauer fast ein wenig versöhnen, aber der Schwachsinn vor allem der zweiten und dritten Folge ist dann einfach zu viel: Die märchenhafte Geschichte um Billie Zöckler ist nett, und könnte so auch in jedes Hollywood-Melodram passen, hat aber in einer Kompilation über jugendliches Befinden nichts, aber auch rein gar nichts verloren. Und die Agentenstory ist nicht nur vollkommen deplatziert, sondern auch noch voller kruder Details, die einfach nur ärgern und zum Fremdschämen einladen.
Fremdschämen, das ist das Wort. Schon bei der ersten Episode habe ich mich ein paar Mal über mein Handy hergemacht und mich um andere Dinge gekümmert. Es war mir schlicht und ergreifend unangenehm, das Treiben auf dem Bildschirm zu verfolgen. Unangenehm im Sinne von schlechten Darstellern mit mieser Sprechtechnik, die sich durch eine Handlung eiern die diesen Namen nicht verdient. Mir tut es leid um Christiane Felscherinow, die hier einen echten Glanzpunkt setzt, sowohl in Bezug auf die Authentizität als auch auf das schauspielerische Können, deren glänzende und wunderschöne Augen die Episode beschließen, und ich hätte es gerne gesehen wenn sie bei der Schauspielerei geblieben wäre. Diese Attribute treffen auch auf die Darstellerinnen der letzten Episode zu, die echt und in hohem Maße authentisch wirken. So waren die Disco-Tussis damals, aber, meine Wortwahl ist Absicht, eben die Disco-Tussis. In der Postpunk- und gerade vorsichtig beginnenden Wave-Szene war die Attitüde eine andere. Grundlegend anders. Wer sehen will, was damals anstatt in den Münchener Szene-Discos auf den Berliner Straßen los war, der soll sich Carl Schenkels KALT WIE EIS geben. Der zeigt die Zeit wie sie wirklich war, mit einem griffigen Action-Aufhänger versehen und rundum gelungen. Und um die Stimmung der Zeit zu erfassen empfehle ich entweder den avantgardistischen DECODER, dessen Grundhaltung den damaligen Zeitgeist perfekt traf. Oder den erstklassigen Dokumentarfilm B-MOVIE: LUST & SOUND IN WEST-BERLIN 1979-1989, der die Stimmung dieser Tage ungeschminkt wiedergibt. Na ja, wahrscheinlich nicht die Stimmung in München …
NEONSTADT kann verstanden werden als anbiedernder und spießiger Versuch, aus einer Jugendbewegung, denn das war es 1981 sehr wohl noch, so viel Geld herauszuschlagen wie es geht. Das beginnt bei dem Werbespruch „Gewitter der Gefühle. Immer unter Strom. Der Rest ist uns egal.“, der ohne weiteres aus einer Schnulze einer drittklassigen NDW-Hitparaden-Combo stammen könnte, und endet beim peinlichen BRDdigt im Titel der ersten Episode. BRDigt – das klingt nach Unruhe, nach Aufbegehren gegen die Politik, nach Steinewerfen in 36, nach Soundtrack zum Untergang oder generell nach frecher Jugend-Gegen-Kultur. Aber als Titel einer Episode, in der es um eine Gelegenheit zum Sex geht und um nichts anderes, ist das, höflich ausgedrückt, Etikettenschwindel. Oder einfach nur Verarsche. Das, was 1978 dem Punk in England passiert ist, hat dann ab 1982 auch den Weg nach Deutschland gefunden: Die Kommerzialisierung einer geerdeten und bodenständigen Jugendkultur. Und auch, wenn NEONSTADT damals nicht wirklich erfolgreich in den Kinos lief, so bezeichne ich dieses Machwerk trotzdem allen Ernstes als einen der Grabsteine dieser Entwicklung.
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
The night holds terror (Andrew L. Stone, 1955) 8/10
Der Ingenieur Gene Courtier nimmt auf dem Heimweg einen Anhalter mit, und zum Dank hält der ihm eine Knarre unter die Nase. Die beiden Kumpels der Typen sind im Wagen hinter ihnen, und zusammen geht es in die Wüste. Die drei Grausamen sind knallharte Burschen, die auf diese Weise mit reichen Typen in die Einsamkeit fahren und sie dort umlegen. Aber bei Courtier haben sie Skrupel – Einen Mord für 10 Dollar? Sie fahren mit ihm in die Stadt und lassen sich Courtiers Auto überschreiben. Außerdem wollen sie an sein Erspartes, aber da müssen sie erst auf den nächsten Tag warten. Was liegt also näher, als zu Courtier nach Hause zu fahren, wo die beiden Kinder und seine hübsche Frau auf ihn warten. Die kommende Nacht ist hart und schmerzhaft für alle Beteiligten, doch auch die geht rum, und am nächsten Tag geht es endlich zur Bank. Mit Courtier, der anschließend nicht mehr gebraucht wird. Doch einer von den Dreien hatte sich das anders vorgestellt und will nicht wegen so einem Mist auf dem elektrischen Stuhl enden …
THE HITCH-HIKER von 1953 kenne ich nicht, und AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE habe ich vor deutlich mehr als 40 Jahren zuletzt gesehen, die entsprechenden filmhistorischen Bezüge müssen also leider wegfallen. Aber damit ist auf jeden Fall klar, in welche Kerbe THE NIGHT HOLDS TERROR schlägt: Ein unbescholtener und braver Bürger lässt den falschen Mann in seine Nähe und wird dadurch mit eiskalten Kriminellen konfrontiert, die sein wohlgeordnetes Leben zur Hölle machen. Home Invasion nennt man das Genre heute, und ich hätte nie gedacht, dass es dies 1955 schon gab. THE NIGHT HOLDS TERROR ist knüppelhart und düster, und hat einiges an bemerkenswerten Spannungsspitzen zu bieten. Die Geschichte, die tatsächlich passiert ist, treibt mit ungeheurem Druck voran, ständig ist Bewegung, sind die Personen auf Konfrontationskurs, und selbst in den wenigen ruhigeren Momenten wird unter äußerster Anspannung geredet, werden Entscheidungen getroffen, und werden Pläne geschmiedet. Der Druck, unter dem sowohl die Familie wie auch die Gangster stehen, überträgt sich fast spürbar auf den Zuschauer, was auch durch ein paar andere Kleinigkeiten begünstigt wird. Denn anders als AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE ist dies kein High-Budget-Hollywood-Streifen, sondern eine kleine Produktion, die sichtlich nicht viel Geld gekostet hat. Trotzdem ist die Ausstattung exquisit, die Wohnungen und Büros liebevoll und ausgesprochen realistisch eingerichtet, die Kamerafahrten packend, und das ganz wirkt einfach, gerade weil es in der Herstellung etwas billiger war, schmutzig und düster. So wie die Geschichte nunmal auch ist.
John Cassavetes glänzt als knallharter und smarter Gangster, der durch seine diabolische Intelligenz einen Plan nach dem anderen schmiedet, alle Eventualitäten berücksichtigt, und immer die Oberhand behält. Der genau weiß, wann er Gewalt braucht und wann er sein Köpfchen einschalten muss. Eine wahrhaft teuflische Figur! Sein Nebenmann Vince Edwards ist böse und klug in einer sehr unheiligen Kombination, aber wenn er eine Frau sieht brennen seine Sicherungen sofort durch. Und jetzt muss er die ganze Nacht in einem Haus mit einer Frau verbringen! Und hat dabei auch noch eine Knarre in der Hand!
Erst als sich die Polizei einschaltet beginnt die Geschichte ein wenig an Intensität zu verlieren. Die Polizisten sind einfach uninteressant, da beißt die Maus keinen Faden ab, und gegen die gut charakterisierten und erstklassig dargestellten Gangster haben die zeitgeistig unabdingbaren Gesetzeshüter einfach keine Chance. Filmisch gesehen. Dafür beeindruckt Hildy Parks als terrorisierte Frau und löwenartige Mutter, die kein Problem damit hat, sich gegenüber drei eiskalten und bewaffneten Typen in Szene zu setzen, wenn es darum geht die eigenen Kinder zu beschützen …
THE NIGHT HOLDS TERROR ist ein packender und hochdramatischer Thriller über einige verdammt üble Stunden im Leben von Mr. und Mrs. Smith, die Burschen in die Hände fallen die tatsächlich außerhalb der Gesellschaft und absolut jeder Norm stehen. Eiskalte Männer, deren einziges Gesetz ihr eigenes ist. Und was jetzt klingt wie ein billiger Western, soll einfach nur die Wucht bezeichnen, mit der diese Gegensätze aufeinanderprallen und dabei alles drohen in den Abgrund zu reißen, wofür so eine saubere amerikanische Familie steht. Großes Terror-Kino mit Gänsehautgarantie …
Der Ingenieur Gene Courtier nimmt auf dem Heimweg einen Anhalter mit, und zum Dank hält der ihm eine Knarre unter die Nase. Die beiden Kumpels der Typen sind im Wagen hinter ihnen, und zusammen geht es in die Wüste. Die drei Grausamen sind knallharte Burschen, die auf diese Weise mit reichen Typen in die Einsamkeit fahren und sie dort umlegen. Aber bei Courtier haben sie Skrupel – Einen Mord für 10 Dollar? Sie fahren mit ihm in die Stadt und lassen sich Courtiers Auto überschreiben. Außerdem wollen sie an sein Erspartes, aber da müssen sie erst auf den nächsten Tag warten. Was liegt also näher, als zu Courtier nach Hause zu fahren, wo die beiden Kinder und seine hübsche Frau auf ihn warten. Die kommende Nacht ist hart und schmerzhaft für alle Beteiligten, doch auch die geht rum, und am nächsten Tag geht es endlich zur Bank. Mit Courtier, der anschließend nicht mehr gebraucht wird. Doch einer von den Dreien hatte sich das anders vorgestellt und will nicht wegen so einem Mist auf dem elektrischen Stuhl enden …
THE HITCH-HIKER von 1953 kenne ich nicht, und AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE habe ich vor deutlich mehr als 40 Jahren zuletzt gesehen, die entsprechenden filmhistorischen Bezüge müssen also leider wegfallen. Aber damit ist auf jeden Fall klar, in welche Kerbe THE NIGHT HOLDS TERROR schlägt: Ein unbescholtener und braver Bürger lässt den falschen Mann in seine Nähe und wird dadurch mit eiskalten Kriminellen konfrontiert, die sein wohlgeordnetes Leben zur Hölle machen. Home Invasion nennt man das Genre heute, und ich hätte nie gedacht, dass es dies 1955 schon gab. THE NIGHT HOLDS TERROR ist knüppelhart und düster, und hat einiges an bemerkenswerten Spannungsspitzen zu bieten. Die Geschichte, die tatsächlich passiert ist, treibt mit ungeheurem Druck voran, ständig ist Bewegung, sind die Personen auf Konfrontationskurs, und selbst in den wenigen ruhigeren Momenten wird unter äußerster Anspannung geredet, werden Entscheidungen getroffen, und werden Pläne geschmiedet. Der Druck, unter dem sowohl die Familie wie auch die Gangster stehen, überträgt sich fast spürbar auf den Zuschauer, was auch durch ein paar andere Kleinigkeiten begünstigt wird. Denn anders als AN EINEM TAG WIE JEDER ANDERE ist dies kein High-Budget-Hollywood-Streifen, sondern eine kleine Produktion, die sichtlich nicht viel Geld gekostet hat. Trotzdem ist die Ausstattung exquisit, die Wohnungen und Büros liebevoll und ausgesprochen realistisch eingerichtet, die Kamerafahrten packend, und das ganz wirkt einfach, gerade weil es in der Herstellung etwas billiger war, schmutzig und düster. So wie die Geschichte nunmal auch ist.
John Cassavetes glänzt als knallharter und smarter Gangster, der durch seine diabolische Intelligenz einen Plan nach dem anderen schmiedet, alle Eventualitäten berücksichtigt, und immer die Oberhand behält. Der genau weiß, wann er Gewalt braucht und wann er sein Köpfchen einschalten muss. Eine wahrhaft teuflische Figur! Sein Nebenmann Vince Edwards ist böse und klug in einer sehr unheiligen Kombination, aber wenn er eine Frau sieht brennen seine Sicherungen sofort durch. Und jetzt muss er die ganze Nacht in einem Haus mit einer Frau verbringen! Und hat dabei auch noch eine Knarre in der Hand!
Erst als sich die Polizei einschaltet beginnt die Geschichte ein wenig an Intensität zu verlieren. Die Polizisten sind einfach uninteressant, da beißt die Maus keinen Faden ab, und gegen die gut charakterisierten und erstklassig dargestellten Gangster haben die zeitgeistig unabdingbaren Gesetzeshüter einfach keine Chance. Filmisch gesehen. Dafür beeindruckt Hildy Parks als terrorisierte Frau und löwenartige Mutter, die kein Problem damit hat, sich gegenüber drei eiskalten und bewaffneten Typen in Szene zu setzen, wenn es darum geht die eigenen Kinder zu beschützen …
THE NIGHT HOLDS TERROR ist ein packender und hochdramatischer Thriller über einige verdammt üble Stunden im Leben von Mr. und Mrs. Smith, die Burschen in die Hände fallen die tatsächlich außerhalb der Gesellschaft und absolut jeder Norm stehen. Eiskalte Männer, deren einziges Gesetz ihr eigenes ist. Und was jetzt klingt wie ein billiger Western, soll einfach nur die Wucht bezeichnen, mit der diese Gegensätze aufeinanderprallen und dabei alles drohen in den Abgrund zu reißen, wofür so eine saubere amerikanische Familie steht. Großes Terror-Kino mit Gänsehautgarantie …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
Jack Grimaldi
Re: Was vom Tage übrigblieb ...
Eine Jungfrau in den Krallen von Frankenstein (Jess Franco, 1973) 8/10
Wie muss man eigentlich drauf sein, um sich einen Film wie EINE JUNGFRAU IN DEN KRALLEN VON FRANKENSTEIN anzuschauen? Und so einen Stuss dann auch noch gut zu finden? Ich meine, da passt einfach gar nichts mehr, sollte man meinen. Die Schauspieler sind „bemüht“, die Settings deutlich unterbudgetiert, die Musik schräg, die Geschichte ist nicht vorhanden und die Anschlüsse zwischen den Szenen sind wild.
Sollte man meinen. Aber ich glaube in erster Linie muss man diese extrem miese deutsche Synchro überhören, die den Film problemlos mehrere Stufen nach unten zieht und ihm ein Billigflair verleiht, das er überhaupt nicht hat. Wenn man diesen Punkt in den Griff bekommt, ist die psychedelische Story vielleicht gar nicht mehr so tragisch.
Es beginnt damit, dass Dr. Frankenstein in seinem Labor, bestehend aus zwei kleinen Schaltschränken, einer Liege und einem Assistenten, per Stromschalter ein Monster mit silbernem Körper zum Leben erwecken kann. Er freut sich ganz narrisch, doch parallel dringen zwei finstere Gestalten in die Villa des Menschenerweckers ein. Die eine Gestalt ist Luis Barboo all dressed in Black, und die andere ist die Vogelfrau Melisa, die unter ihrem schwarzen Umhang nur ein paar blaue Federn trägt, dafür aber grüne Federhände hat. Die beiden dringen in das Labor ein, töten Frankenstein und seinen Assistenten, entführen das Monster und bringen es zu seinem neuen Meister, Cagliostro. Dieser will die Menschheit ausrotten, und darum eine ganze Rasse von Monstren erschaffen. Dafür wiederum benötigt er zum einen die schönsten Frauen, aus deren schönsten Körperteilen er Superfrauen erschaffen will, und zum anderen eben das Monster. Eine Win-Win-Situation also: Das Monster kann vögeln auf Teufel komm raus, und Cagliostro kann jede Menge spannen. Und die Vogelfrau darf als Belohnung für die gute Arbeit einen Gefangenen zerfleischen.
Als nächstes entführt das Monster ein Aktmodell, aber da wirft sich Vera Frankenstein, die Tochter des Alten, in den Weg und programmiert das Monster neu. Sie will zu Cagliostro, um den Tod ihres Vaters zu rächen. Cagliostro schaut zwar aus wie der Obermufti von Absurdistan, ist aber nicht so blöd wie er maskiert ist und erkennt Vera Frankenstein. Er übernimmt die Kontrolle über ihr Gehirn und macht sie zu seiner Arbeitssklavin. Doch Dr. Seward, der Konkurrent von Frankenstein, und Inspektor Tanner sind auf der Spur von Vera. Können die beiden tapferen Helden den schrecklichen Plan Cagliostros vereiteln? Wird die schrecklich-schöne Melisa ihre Krallen auch weiterhin an unschuldigen Menschen wetzen? Kann Howard Vernon jemals wieder ohne Lachanfall in den Spiegel schauen, wenn er an den idiotischen Bart denkt den er in diesem Film tragen muss? Wird es Zuschauer geben, die sich diesem Schmarrn rückhaltlos hingeben und den Film am Ende auch noch gut finden?
Fragen über Fragen - Und da könnte man noch weiter machen! Wer zum Beispiel ist das spitzohrige Männchen im Verlies von Cagliostro, das aussieht wie eine Mischung aus Mr. Spock und einem türkischen Basarhändler? Wieso kommt Jess Franco immer wieder auf die Idee, dass Totenköpfe aus erkennbarem und ausgesprochen sauberem weißen Plastik wandelnde Tote darstellen könnten (den gleichen lachhaften Effekt setzt er 1982 in MANSION OF THE LIVING DEAD erneut ein, und wieder mit dem gleichen lächerlichen Ergebnis)? Wieso hat Luis Barboo Striemen von Peitschenhieben auf dem Leib, wenn doch der Prügelaugust immer nur auf Vera Frankenstein einschlägt? Aber gut, da gehen wir schon deutlich in das Reich der Filmfehler, und sowas zählt bei Jess Franco nicht!
Was bei Jess Franco zählt, und zwar vor allem bei Filmen aus dieser Schaffensperiode, ist die Atmosphäre, die der Regisseur mit ganz wenigen Mitteln zaubert. Ein Wald, ganz leichter Nebel, vielleicht ein wenig feucht und vor allem düster wirkend, und eine Gruppe Gestalten bewegt sich langsam in weißen Tüchern vorwärts. M. Night Shyamalan könnte so etwas überzeugend und stimmungsvoll-gruselig auf Film bannen – Und Jess Franco ebenfalls. Erinnerungen an ENTFESSELTE BEGIERDE aus dem gleichen Jahr werden wach, wo Lina Romay überirdisch schön in einen Umhang gehüllt durch den Wald läuft, auf der Suche nach Liebe, Sperma und Tod. Ohne dass diese Gestalten irgendeinen Sinn haben, ohne dass auch nur das Geringste passiert, sind diese Momente so magisch, so poetisch und zugleich gruselig. Tatsächlich ist der Wald in beiden Filmen der gleiche - Diese Szenen wurden bei den Dreharbeiten zu LA COMTESSE PERVERSE gedreht und nachträglich in JUNGFRAU eingefügt. Aber das ist geschenkt, der Stimmung des Films sind diese Szenen nur zuträglich. Nicht so überzeugend sind allerdings die Momente, die nach den Dreharbeiten zu LA COMTESSE PERVERSE mit Lina Romay als Zigeunermädchen eingefügt wurden. Sie ergeben keinen Sinn und bremsen die Geschichte aus, zudem wirkt das Zigeunermädchen in hohen schwarzen Lederstiefeln etwas eigenartig. Aber man muss auch zugeben, dass Lina in diesen Bildern geradezu überirdisch schön ist …
Wunderschön ist auch Anne Libert als Vogelfrau Melisa. Schön im Sinne einer Barbara Steele - Ihre Kleidung, die gotische Schminke im attraktiven Gesicht, diese Zerbrechlichkeit und gleichzeitige Härte im Ausdruck, und dann noch die Vogelschreie … Wer würde sich nicht gerne dieser Frau in einer Orgie aus Sex und Blut hingeben wollen? Anne Libert spielt überragend und wirkt wie eine Gestalt aus einer anderen Welt, genauso wie ihr Nebenmann Howard Vernon als Cagliostro. Dem unsterblichen Magier, der die europäische (Pop-) Kultur schon seit Jahrhunderten bereichert, wird hier ein eindrückliches und starkes Gesicht (mit einem der Lächerlichkeit preisgebenden Bart) gegeben. Ein Gesicht voller Grausamkeit und Machtgier, aber auch voller Liebe zu seiner Melisa. Die Kamera betont immer wieder Vernons Augen, die hier tiefgründig und finster wirken, und dem ganzen Film sehr viel Ausstrahlung geben.
Während ich die Screenshots für JUNGFRAU erstellte lief im Hintergrund Musik der amerikanischen Gothic-Band Lycia, die den Film ganz vortrefflich untermalte. Diese geheimnisvolle und ruhige Stimmung des Films wurde durch die passende Musik noch verstärkt und versetzte mich fast in ein Zauberland. Doch andererseits malen die im Film tatsächlich verwendeten Dissonanzen geschickt eine weitere Schicht der Unwirklichkeit hinzu. Vor einem nervösen und oft surrealen musikalischen Hintergrund wirken die in sich ruhenden Bilder des Zauberers und seiner Gehilfin wie zwei Seiten eines sich entfaltenden Märchens.
Zu warnen ist auf jeden Fall vor der deutschen Synchro! Sätze wie „Es war sehr traumatisierend. Sie ist völlig inkontinent.“ sollten schon Warnung genug sein. Auf der anderen Seite möchte ich genauso sterben wie Dr. Frankenstein, dessen letzte Worte „Merken Sie sich eines, es ist sehr wichtig: Uuuuhhhuhuh …“ ich in meiner letzten Minute auch gerne von mir geben möchte. Aber insgesamt ist die Synchro billig, billig und vor allem billig. Die Stimmen sind schlecht gewählt, und einzig die Sprecherin von Anne Libert hat den Mut und das Können gehabt aus sich heraus zu gehen, und den Schreien und dem Gegurre der Vogelfrau überzeugend Leben einzuhauchen. Wenn irgend möglich sollte auf die englische Synchro ausgewichen werden, die den Film merklich aufwertet …
Und um die Eingangsfrage zu beantworten, wie man als Zuschauer denn drauf sein muss, um so etwas gut zu finden? Man sollte auf jeden Fall ein Herz haben für Filme, die nicht den Gesetzen des modernen Blockbusters gehorchen. Man sollte Filme mögen, die ihre Geschichte nicht mit aller Kraft voraus verfolgen, sondern auch mal Umwege gehen, oder sich in skurrilen Nebenhandlungen verlieren, die voller liebreizender Details sind, und eine Fantasiewelt heraufbeschwören, die nicht das Produkt gewiefter Marketing-Experten ist, sondern einfach mal eben so entsteht. Aus der schöpferischen Kraft eines Künstlers und seines Teams. Denen sehr wohl bewusst ist, dass ihr Kunstwerk niemals groß Geld machen wird, die aber stattdessen etwas geschaffen haben, was auch dann noch Bestand haben wird, wenn all die nichtssagenden Superhelden und blassen Action-Langweiler bereits zu Staub verfallen sind. Denn auch dann werden noch weißgewandete Gestalten durch vernebelte Wälder ziehen. Ohne Sinn, ohne Zweck. Einfach, weil sie es können …
Wie muss man eigentlich drauf sein, um sich einen Film wie EINE JUNGFRAU IN DEN KRALLEN VON FRANKENSTEIN anzuschauen? Und so einen Stuss dann auch noch gut zu finden? Ich meine, da passt einfach gar nichts mehr, sollte man meinen. Die Schauspieler sind „bemüht“, die Settings deutlich unterbudgetiert, die Musik schräg, die Geschichte ist nicht vorhanden und die Anschlüsse zwischen den Szenen sind wild.
Sollte man meinen. Aber ich glaube in erster Linie muss man diese extrem miese deutsche Synchro überhören, die den Film problemlos mehrere Stufen nach unten zieht und ihm ein Billigflair verleiht, das er überhaupt nicht hat. Wenn man diesen Punkt in den Griff bekommt, ist die psychedelische Story vielleicht gar nicht mehr so tragisch.
Es beginnt damit, dass Dr. Frankenstein in seinem Labor, bestehend aus zwei kleinen Schaltschränken, einer Liege und einem Assistenten, per Stromschalter ein Monster mit silbernem Körper zum Leben erwecken kann. Er freut sich ganz narrisch, doch parallel dringen zwei finstere Gestalten in die Villa des Menschenerweckers ein. Die eine Gestalt ist Luis Barboo all dressed in Black, und die andere ist die Vogelfrau Melisa, die unter ihrem schwarzen Umhang nur ein paar blaue Federn trägt, dafür aber grüne Federhände hat. Die beiden dringen in das Labor ein, töten Frankenstein und seinen Assistenten, entführen das Monster und bringen es zu seinem neuen Meister, Cagliostro. Dieser will die Menschheit ausrotten, und darum eine ganze Rasse von Monstren erschaffen. Dafür wiederum benötigt er zum einen die schönsten Frauen, aus deren schönsten Körperteilen er Superfrauen erschaffen will, und zum anderen eben das Monster. Eine Win-Win-Situation also: Das Monster kann vögeln auf Teufel komm raus, und Cagliostro kann jede Menge spannen. Und die Vogelfrau darf als Belohnung für die gute Arbeit einen Gefangenen zerfleischen.
Als nächstes entführt das Monster ein Aktmodell, aber da wirft sich Vera Frankenstein, die Tochter des Alten, in den Weg und programmiert das Monster neu. Sie will zu Cagliostro, um den Tod ihres Vaters zu rächen. Cagliostro schaut zwar aus wie der Obermufti von Absurdistan, ist aber nicht so blöd wie er maskiert ist und erkennt Vera Frankenstein. Er übernimmt die Kontrolle über ihr Gehirn und macht sie zu seiner Arbeitssklavin. Doch Dr. Seward, der Konkurrent von Frankenstein, und Inspektor Tanner sind auf der Spur von Vera. Können die beiden tapferen Helden den schrecklichen Plan Cagliostros vereiteln? Wird die schrecklich-schöne Melisa ihre Krallen auch weiterhin an unschuldigen Menschen wetzen? Kann Howard Vernon jemals wieder ohne Lachanfall in den Spiegel schauen, wenn er an den idiotischen Bart denkt den er in diesem Film tragen muss? Wird es Zuschauer geben, die sich diesem Schmarrn rückhaltlos hingeben und den Film am Ende auch noch gut finden?
Fragen über Fragen - Und da könnte man noch weiter machen! Wer zum Beispiel ist das spitzohrige Männchen im Verlies von Cagliostro, das aussieht wie eine Mischung aus Mr. Spock und einem türkischen Basarhändler? Wieso kommt Jess Franco immer wieder auf die Idee, dass Totenköpfe aus erkennbarem und ausgesprochen sauberem weißen Plastik wandelnde Tote darstellen könnten (den gleichen lachhaften Effekt setzt er 1982 in MANSION OF THE LIVING DEAD erneut ein, und wieder mit dem gleichen lächerlichen Ergebnis)? Wieso hat Luis Barboo Striemen von Peitschenhieben auf dem Leib, wenn doch der Prügelaugust immer nur auf Vera Frankenstein einschlägt? Aber gut, da gehen wir schon deutlich in das Reich der Filmfehler, und sowas zählt bei Jess Franco nicht!
Was bei Jess Franco zählt, und zwar vor allem bei Filmen aus dieser Schaffensperiode, ist die Atmosphäre, die der Regisseur mit ganz wenigen Mitteln zaubert. Ein Wald, ganz leichter Nebel, vielleicht ein wenig feucht und vor allem düster wirkend, und eine Gruppe Gestalten bewegt sich langsam in weißen Tüchern vorwärts. M. Night Shyamalan könnte so etwas überzeugend und stimmungsvoll-gruselig auf Film bannen – Und Jess Franco ebenfalls. Erinnerungen an ENTFESSELTE BEGIERDE aus dem gleichen Jahr werden wach, wo Lina Romay überirdisch schön in einen Umhang gehüllt durch den Wald läuft, auf der Suche nach Liebe, Sperma und Tod. Ohne dass diese Gestalten irgendeinen Sinn haben, ohne dass auch nur das Geringste passiert, sind diese Momente so magisch, so poetisch und zugleich gruselig. Tatsächlich ist der Wald in beiden Filmen der gleiche - Diese Szenen wurden bei den Dreharbeiten zu LA COMTESSE PERVERSE gedreht und nachträglich in JUNGFRAU eingefügt. Aber das ist geschenkt, der Stimmung des Films sind diese Szenen nur zuträglich. Nicht so überzeugend sind allerdings die Momente, die nach den Dreharbeiten zu LA COMTESSE PERVERSE mit Lina Romay als Zigeunermädchen eingefügt wurden. Sie ergeben keinen Sinn und bremsen die Geschichte aus, zudem wirkt das Zigeunermädchen in hohen schwarzen Lederstiefeln etwas eigenartig. Aber man muss auch zugeben, dass Lina in diesen Bildern geradezu überirdisch schön ist …
Wunderschön ist auch Anne Libert als Vogelfrau Melisa. Schön im Sinne einer Barbara Steele - Ihre Kleidung, die gotische Schminke im attraktiven Gesicht, diese Zerbrechlichkeit und gleichzeitige Härte im Ausdruck, und dann noch die Vogelschreie … Wer würde sich nicht gerne dieser Frau in einer Orgie aus Sex und Blut hingeben wollen? Anne Libert spielt überragend und wirkt wie eine Gestalt aus einer anderen Welt, genauso wie ihr Nebenmann Howard Vernon als Cagliostro. Dem unsterblichen Magier, der die europäische (Pop-) Kultur schon seit Jahrhunderten bereichert, wird hier ein eindrückliches und starkes Gesicht (mit einem der Lächerlichkeit preisgebenden Bart) gegeben. Ein Gesicht voller Grausamkeit und Machtgier, aber auch voller Liebe zu seiner Melisa. Die Kamera betont immer wieder Vernons Augen, die hier tiefgründig und finster wirken, und dem ganzen Film sehr viel Ausstrahlung geben.
Während ich die Screenshots für JUNGFRAU erstellte lief im Hintergrund Musik der amerikanischen Gothic-Band Lycia, die den Film ganz vortrefflich untermalte. Diese geheimnisvolle und ruhige Stimmung des Films wurde durch die passende Musik noch verstärkt und versetzte mich fast in ein Zauberland. Doch andererseits malen die im Film tatsächlich verwendeten Dissonanzen geschickt eine weitere Schicht der Unwirklichkeit hinzu. Vor einem nervösen und oft surrealen musikalischen Hintergrund wirken die in sich ruhenden Bilder des Zauberers und seiner Gehilfin wie zwei Seiten eines sich entfaltenden Märchens.
Zu warnen ist auf jeden Fall vor der deutschen Synchro! Sätze wie „Es war sehr traumatisierend. Sie ist völlig inkontinent.“ sollten schon Warnung genug sein. Auf der anderen Seite möchte ich genauso sterben wie Dr. Frankenstein, dessen letzte Worte „Merken Sie sich eines, es ist sehr wichtig: Uuuuhhhuhuh …“ ich in meiner letzten Minute auch gerne von mir geben möchte. Aber insgesamt ist die Synchro billig, billig und vor allem billig. Die Stimmen sind schlecht gewählt, und einzig die Sprecherin von Anne Libert hat den Mut und das Können gehabt aus sich heraus zu gehen, und den Schreien und dem Gegurre der Vogelfrau überzeugend Leben einzuhauchen. Wenn irgend möglich sollte auf die englische Synchro ausgewichen werden, die den Film merklich aufwertet …
Und um die Eingangsfrage zu beantworten, wie man als Zuschauer denn drauf sein muss, um so etwas gut zu finden? Man sollte auf jeden Fall ein Herz haben für Filme, die nicht den Gesetzen des modernen Blockbusters gehorchen. Man sollte Filme mögen, die ihre Geschichte nicht mit aller Kraft voraus verfolgen, sondern auch mal Umwege gehen, oder sich in skurrilen Nebenhandlungen verlieren, die voller liebreizender Details sind, und eine Fantasiewelt heraufbeschwören, die nicht das Produkt gewiefter Marketing-Experten ist, sondern einfach mal eben so entsteht. Aus der schöpferischen Kraft eines Künstlers und seines Teams. Denen sehr wohl bewusst ist, dass ihr Kunstwerk niemals groß Geld machen wird, die aber stattdessen etwas geschaffen haben, was auch dann noch Bestand haben wird, wenn all die nichtssagenden Superhelden und blassen Action-Langweiler bereits zu Staub verfallen sind. Denn auch dann werden noch weißgewandete Gestalten durch vernebelte Wälder ziehen. Ohne Sinn, ohne Zweck. Einfach, weil sie es können …
Was ist die Hölle? Ein Augenblick, in dem man hätte aufpassen sollen, aber es nicht getan hat. Das ist die Hölle ...
Jack Grimaldi
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