Was vom Tage übrigblieb ...

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Maulwurf
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Nacht fiel über Gotenhafen (Frank Wisbar, 1960) 8/10

Nacht fiel über Gotenhafen.jpg
Nacht fiel über Gotenhafen.jpg (19.82 KiB) 552 mal betrachtet

Einerseits läuft der Untergang der Wilhelm Gustloff im Januar 1945 als größte Schiffskatastrophe eines einzelnen Schiffes, mit geschätzt mehr als 9.000 Toten und 1.239 Überlebenden (1). Andererseits ist ein Film, der 15 Jahre nach dem Ereignis, in einer Zeit der Restauration und des öffentlichen Unwillens, sich mit dem erlittenen Terror auseinanderzusetzen, ist so ein Film auch immer mit einem gewissen Geschmäckle umgeben. Kann so ein Film funktionieren, sowohl auf cineastischer Ebene wie auch als zeithistorisches Dokument?

Um die Antwort bereits vorneweg zu nehmen, er kann. Es mag hier vielleicht nicht alles Gold sein, aber sowohl als Kriegsdrama wie auch als Dokumentation der tatsächlichen Ereignisse arbeitet Frank Wisbar hier auf einem sehr hohen Niveau. Einzig die Liebesgeschichte mag vielleicht nicht so ganz passen, dürfte aber aus cineastischen Gründen als unverzichtbar laufen.

NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN beginnt im Jahr 1939 bei einer KDF-Vergnügungsreise auf der Wilhelm Gustloff. Maria (Sonja Ziemann), Radiosprecherin in Berlin, vergnügt sich beim Tanz mit zwei ihrer Kollegen, Kurt Reiser (Gunnar Möller) und Dr. Beck (Wolfgang Preiss), und auch der junge und forsche Offizier Schott (Erik Schumann) hat mehr als nur ein Auge auf sie geworfen. Aber ihr Herz sagt ja zu Kurt, dessen Frau sie dann auch wird, während Schott, der einen Kuss von Maria erzwungen hat, von ihr ob dieses Affronts brüsk abgewiesen wird. Auf der Brücke trifft derweil die Nachricht zu einer sofortigen Kursänderung ein: Der Krieg hat begonnen.

Wir begegnen Maria wieder zu Silvester 1943 in Berlin. Sie lebt unter der Knute ihrer hypochondrischen und garstigen Schwiegermutter, während Kurt als Soldat irgendwo da draußen ist. Ihre einzige Freundin ist die Nachbarin Edith (Mady Rahl), eine Modezeichnerin, die aber alsbald Munition in Geschosshülsen packen soll, und vor dieser Aufgabe nach Ostpreußen flüchtet, wo ihr Vater einen kleinen Hof hat. Auf der Party dieser Silvesternacht trifft Maria wieder auf Schott, und nach der Verabschiedung Ediths finden sich die beiden durch ein paar unglückliche Umstände in Ediths Wohnung wieder. Ein gemeinsames Glas Cognac, Schotts Wunsch nach mehr, Marias Abwehr, doch plötzlich ist Fliegeralarm, der Dachstuhl brennt, Schott ist der Retter in der Not, und nach dieser gemeinsam durchstandenen Schreckensnacht ist Maria schwanger. Die Schwiegermutter wirft sie natürlich hochkant raus, und Maria geht zu Edith nach Ostpreußen, wo sie freudestrahlend aufgenommen wird. Sie lebt auf dem Gut der Frau Baronin (Brigitte Horney), genannt die Generalin, spielt Bridge, hilft wo sie kann, und sieht der Geburt ihres Kindes mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen, derweil Kurt auf Heimatbesuch in Berlin die Wahrheit erfährt und umgehend die Scheidung will.

Die Geburt des Kindes ist dann im Herbst 1944, und im Januar soll Taufe sein. Doch die Rote Armee beginnt mit ihrer Winteroffensive, und eine Welt rast dem Abgrund entgegen. Alle Bewohner des Dorfes müssen flüchten, und Kurt, der mit seinen Kameraden auf dem Rückzug gerade vorbeikommt, kümmert sich um Maria und ihre Freunde. Doch nach einem Artilleriebeschuss ist Kurt schwer verletzt und landet delirierend mitsamt dem Treck in Gotenhafen. Dank Schott, der als Oberleutnant auf der Wilhelm Gustloff Dienst tut, kommen alle Menschen aus dem Dorf auf dem Schiff unter, und sogar Kurt bekommt einen Platz. Am 30. Januar 1945 legt das Schiff mit über 10.000 Menschen an Bord (gebaut war es für 2.000 Passagiere) ab in Richtung Swinemünde.

Man merkt schon, die Exposition ist lang, sehr lang, und Wisbar hat im Drehbuch viele lange und umständliche Wege eingebaut, um dem Zuschauer die Personen nahezubringen, um Identifikationsfiguren aufzubauen, und um die Zeit zwischen Kriegsausbruch und Ende Januar 1945 aus menschlicher und cineastischer Sicht überzeugend darstellen zu können. Entsprechend sind es die vielen kleinen Details, die ein Zeitbild ergeben, welches, je nachdem wie sich der Zuschauer darauf einlassen mag, uninteressant bebildert ist oder sogar hochgradig beeindrucken kann. Da ist der Gutsverwalter Marquardt (Erich Dunskus), Ediths Vater, der anno 14/18 das Schießen gelernt hat, und jetzt im Volkssturm noch mal ran muss. Herr Volkssturm nennt ihn sarkastisch die Generalin, aber ihren Respekt verwehrt sie ihm nicht. Der Stationsvorsteher Pinkoweit (Georg Lehn), der seinen Dienst auch dann noch ernst nimmt, wenn die Russen schon vor der Tür stehen. Der Oberleutnant Dankel (Günter Pfitzmann), der im Etablissement Lustige Witwe tatenlos mitansieht wie die Wirtin von der SS abgeführt wird, und hinterher(!) eine bittere und selbstanklagende Rede über die Feigheit spricht, auch und gerade über die eigene Feigheit. Der Zwangsarbeiter Gaston (Dietmar Schönherr), die Bürohilfen Monika und Inge, die auf der Gustloff Dienst tun - So viele kleine Schicksale, die im Zusammenhang dann so ein großes und übermächtiges Bild ergeben. Frau Kahle, die ebenfalls ein Kind bekommt ohne dass ihr Mann in der Nähe ist, und die immer für Maria da ist, und sei es beim Säugen des kleinen Jungen. Die Frau, die am Ende im Schiff ertrinkt, und der Funker, dessen letzte Worte an die Außenwelt sind, dass er sich jetzt in den Tod verabschiedet …

Trotz, oder vielleicht gerade auch wegen, der scheinbar umständlich erzählten Geschichte, erschafft Wisbar tatsächlich einen Bilderbogen über mehrere Jahre Kriegsgeschehen, und rührt damit oft genug die Herzen der Zuschauer an. Wisbar beging nicht den Fehler, sich auf den Untergang des Schiffes zu konzentrieren, dies wäre mit schlecht gemachten Tricks, jeder Menge Geschrei und dramatischer Musik auch sicher nicht überzeugend geworden. Da müssen wir erst auf James Camerons TITANIC warten, um dem Bilderrausch eines untergehenden Schiffes restlos verfallen zu können. Stattdessen wird in GOTENHAFEN eine Liebes- und Kriegsgeschichte erzählt, in der eben als dramatischer Höhepunkt ein Schiff untergeht. Ein Vorgehen, welches in manchen Momenten etwas kolportagehaft wirkt (wie etwa die Konstellation der Figuren, sowie deren immer wiederkehrendes Aufeinandertreffen, auch aus einem Roman von Hedwig Courths-Mahler stammen könnte), in anderen Momenten hochdramatisch und ergreifend ist. Die Musik passt vielleicht nicht immer, und untermalt sogar den Untergang mit etwas arg pathetischem Heldengetöse wo Stille vielleicht eher angebracht gewesen wäre. Aber das ist dann schon Jammern auf hohem Niveau …

Und überhaupt dieses Heldengetöse: Im Booklet der Filmjuwelen-Veröffentlichung kann man lesen, dass der Autor Reiner Boller die Vergangenheitsbewältigung der 50er-Jahre, Filme wie CANARIS oder DES TEUFELS GENERAL, eher kritisch sieht: „Viel zu sehr wird dort das Heldenepos beschworen und das Kriegsgeschehen meistens als Erlebniswelt für Männer geschildert.“ (2) Wenn man darüber nachdenkt ist das richtig: DER STERN VON AFRIKA ist, genauso wie etwa ROMMEL RUFT KAIRO, Hurra-Kino der kriegerischen Sorte, abenteuerlich und aufregend, ganz auf die mittlerweile nachgewachsene Generation zugeschnitten, die das Grauen des Krieges selber nicht miterlebt hat. Aber selbst Filme wie CANARIS und DES TEUFELS GENERAL, die sich in Bezug auf die Vergangenheitsbewältigung einen durchaus kritischen Anstrich geben, schreien das Hohelied des aufrechten deutschen Offiziers heraus, der seine Pflicht gegenüber dem Vaterland mit Freude und Todesmut erfüllt. Sind die Filme von Frank Wisbar, die Trilogie HAIE UND KLEINE FISCHE, HUNDE WOLLT IHR EWIG LEBEN? und eben NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN denn anders?

Ich behaupte nein, denn bei allem Realismus, trotz der dargestellten Grausamkeiten und den zum Teil entsetzlichen Schicksalen geht auch hier der deutsche Soldat immer noch tapfer und mutig seinem Schicksal entgegen. Der Sinn des Kampfs um Stalingrad wird in HUNDE nicht wirklich in Frage gestellt, und das Beispiel des sterbenden Funkers, genauso wie das der Offiziere der Wilhelm Gustloff, die sich heldenhaft für Frauen und Kinder opfern, ist bei allem Anspruch an die Realität immer noch eine Idealisierung deutscher Soldatentugenden. Erst Wolfgang Staudte wird im gleichen Jahr wie GOTENHAFEN den Soldaten (vor allem der Jahre 1944/45) als das zeigen was er meistens wirklich war – Als ein schmutziges kleines Bündel, bestehend aus Hunger, Dreck, Verzweiflung und Angst. Und dieser Film, KIRMES, fiel bekanntlich bei Kritik und Publikum restlos durch. Am Image der deutschen Wehrmacht darf eben nicht gekratzt werden, das mussten die Veranstalter der Wehrmachtsausstellung in den 90er-Jahren genauso erleben wie eben Wolfgang Staudte.

Frank Wisbar setzt sich also mit seiner Trilogie gekonnt zwischen die Stühle: Auf der einen Seite ist es großartig mitanzusehen, wie der Kamerad von Kurt Reiser sich um seine Männer kümmert und gleichzeitig noch Kurt darin unterstützt, seine Frau zu retten, genauso wie Oberleutnant Dankel zwar immer wieder ironische Kommentare über sein verlorenes Auge raushaut, aber darüber nicht ein einziges Mal verzweifelt. Schnaps und gute Laune, das sind Dankels Maximen, und so scheinen es alle Männer in seinem Umfeld zu sehen.
Auf der anderen Seite dann aber auch wieder das Leiden der Zivilbevölkerung, die originalen Wochenschaubilder der Flüchtlingstrecks, des brennenden Berlin oder der russischen Soldaten, die sich wie die Wilden über Edith hermachen wollen (und das ist jetzt nicht ironisch gemeint: Diese Bilder erzeugen auch heute noch ein unschönes Gefühl im Magen, und wie das den Menschen im Kino 1960 ergangen sein mag möchte ich erst gar nicht wissen). Harte und realistische Bilder, die Schmerz erzeugen und Unbehagen auslösen.

An NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN kann man einiges bekritteln: Die stellenweise recht maue Dramaturgie, die manchmal etwas dürftigen Dialoge (Wolfgang Preiss dürfte mit seiner Rolle nicht wirklich zufrieden gewesen sein), die schlecht bemäntelte Heroisierung germanischer Tugenden und die nicht immer passende Musik stehen beeindruckenden und eindringlichen Szenen gegenüber, die auch heute noch zu Tränen rühren können, und die das gerade in unserer Zeit so oft gebrauchte Wort Flüchtling in einen Kontext setzen, über den sich das Nachdenken lohnt. Der Film packt das Publikum beim Schlafittchen, und er zieht vor allem den heutigen Zuschauer tief in eine schreckliche und bei aller Heroisierung erdrückende Welt und haut ihm entsetzliche Einzelschicksale um die Ohren dass ihm Hören und Sehen vergehen. Der militärische Teil betont das zivile Drama und erzeugt damit eine bittere und grausame Stimmung. NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN ist sicher kein Anti-Kriegsfilm, aber er ist ein großartiges Drama mit großartigen Darstellern vor dem Hintergrund einer schlimmen Zeit, und als solches ein absolut sehenswerter Film.

(1) (1) https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhe ... f_(Schiff)
(2) Reiner Boller: Entstehung und Dreharbeiten, im Booklet der DVD-Veröffentlichung NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN von Filmjuwelen
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Maulwurf
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GSI – Spezialeinheit Göteborg: Blutige Fehde (Richard Holm, 2009) 3/10

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Eine ganz schwache Folge! Johann Falk möchte das Verhältnis mit Anja beenden, gleichzeitig muss er lernen, dass Helén ein Verhältnis mit einem anderen Mann hat. Gerade als man sich wieder zusammenrauft, entdeckt wiederum Helén Beweise für die Untreue Johanns. Dies alles breit ausgewalzt und, zugegeben, als gute Schauspielerarbeit in vielen Großaufnahmen müder und verzweifelter Gesichter. Aber verdammt nochmal, war das nicht irgendwann mal eine Krimiserie? In BLUTIGE FEHDE geht es um eine Gruppe Gangster, die sich in Restaurants „einkaufen“ wollen um so Umschlagplätze für Drogengeschäfte zu erschaffen, aber dieser eigentlich stimmige Plot wird so gnadenlos unter Johann Falks Privatprobleme untergebuttert, dass man schon aufpassen muss, den Krimi überhaupt mitzubekommen. Erst die letzte halbe Stunde dreht an der Spannungsschraube, setzt aber auch hier wieder die Ehe Leo Gauts in den Vordergrund (ja, der soziopathische Leo Gaut aus dem allerersten Teil ist wieder da und wird hier als Sympathieträger präsentiert), gemeinsam mit dem autistischen Sohn Gauts.

Wenn man ein Familiendrama mit ein paar Gangstern im Hintergrund sehen möchte, dann ist BLUTIGE FEHDE sicher in Ordnung. Aber für einen Krimi ist mir das alles wesentlich zu weinerlich und zu unerheblich. Daumen runter …
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Beitrag von Maulwurf »

Verblendung (Niels Arden Oplev, 2009) 7/10

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Der Journalist Michael Blomkvist hat eine aufsehenerregende Enthüllungsreportage über den Großindustriellen Wennerström in den Sand gesetzt und muss abtauchen. Da kommt ihm das Angebot des zurückgezogen lebenden Millionärs Henrik Vanger gerade recht: Blomkvist soll recherchieren, warum Vangers Nichte Harriet vor 40 Jahren spurlos verschwand. Vanger ist sich sicher dass damals ein Mord geschah, und Blomkvist soll herausfinden wer der Mörder war. Und außer einer Menge Geld gibt es auch eine Belohnung: Informationen über Wennerström, die Blomkvist helfen werden, seinen Ruf wieder reinzuwaschen und Wennerström ins Gefängnis zu bringen. Blomkvist wendet sich an die Ermittlerin, die Vanger geholfen hat Informationen über ihn selber herauszufinden, Lisbeth Salander, und die wiederum findet schnell heraus, dass Harriet nicht das einzige Opfer war, sondern dass in den 50er- und 60er-Jahren ein unentdeckter Serienmörder in Schweden umging. Der heute anscheinend immer noch mordet. Und der es gar nicht mag, dass seine Mordserie plötzlich aufgedeckt wird …

Muss man zu diesem Film, zu dieser Geschichte, wirklich noch eine Inhaltsangabe schreiben? Der Roman hatte in den Jahren nach 2005 (schwedische Originalausgabe) bzw. 2006 (deutsche Erstausgabe) ein Abonnement auf den ersten Platz aller weltweiten Bestsellerlisten, die Nachfolgeromane ebenfalls, und wer immer in der zweiten Hälfte der 00er-Jahre Thriller las, kam an diesen Romanen sowieso nicht vorbei. Zu intensiv das Leseerlebnis, zu umfassend der Erfolg, als dass man sich daran hätte vorbeimogeln können.


Soweit meine Einleitung zu der 2011 von David Fincher gedrehten Version, im Folgenden 2011 genannt. Jetzt erst, einige Monate nach 2011, habe ich die Erstverfilmung von 2009 gesehen. Im Gegensatz zur Hollywood-Fassung waren meine Erwartungen höher, reden wir hier doch immerhin von einem düsteren skandinavischen Thriller. Einem Genre, das seit Jahrzehnten die Bestsellerlisten und Primetime-Plätze europäischer Fernsehanstalten für sich reserviert hat. Doch kann man zwei so gleiche und doch unterschiedliche Filme überhaupt vergleichen? Und macht so ein Vergleich Sinn?

Grundsätzlich ist es ausgesprochen spannend zu sehen, wie zwei Filme, die sich beide sehr stark an der literarischen Vorlage orientieren und entsprechend die exakt gleiche Geschichte erzählen, wie zwei solche Filme sich doch so unterscheiden können. Und gleichzeitig auch wieder nicht. Wenn ich so meinen Text zu 2011 lese, und das mit den sehr frischen Erinnerungen an 2009 vergleiche, dann fällt mir als erstes auf, wie stark der (im Folgenden kursiv dargestellte) Fincher-Film tatsächlich ist, und wie schwächlich dagegen die Oplev-Version wirkt.

… dass Fincher sich in Bezug auf (sexuelle) Gewalt und vor allem Sexualität im Besonderen keinerlei Zurückhaltung auferlegt, und zum Beispiel Rooney Mara auch mal schnell und kompromisslos nackt zeigt. Und ich meine komplett(!) nackt. Auch die Vergewaltigung Lisbeth Salanders schmerzt den Zuschauer sehr …

David Fincher ist David Fincher, und der Mann ist halt nun mal ein alter Hase was dunkle und gewalttätige Stories angeht, genauso wie die Sache mit der Sexualität bei ihm zum (filmischen) Leben dazugehört. Auf der anderen Seite bekommt Michael Nyqvist bei Oplev zwar regelmäßig was aufs Maul, aber wirklich übel zugerichtet wird er erst gegen Schluss. Die Gewalt wird gebremst dargestellt, genauso wie die Sexualität. Lisbeths Vergewaltigung ist bei Fincher hingegen ein echter Schock, bei Oplev nicht so sehr. Und dieses “nicht so sehr“ durchzieht auch in anderen Bereichen den gesamten Film:
Daniel Craig zeigt mit seinem feinen und sensiblen Spiel Nuancen – Michael Niqvist wiederum erinnert in seiner ganzen Art in vielen Momenten fast ein wenig an einen zahmen Tobias Moretti, ihm fehlt aber der Biss, der Craig in 2011 so auszeichnet. Rooney Mara scheint zwar im Überblick auf Autopilot in Richtung Stierblick-Punkette zu steuern, deutet aber spätestens in der zweiten Hälfte ebenfalls Tiefblicke in ihre Seele an, die fast ein klein wenig schaudern lassen. Noomi Rapace ist stark, aber ihre Aggressivität und ihre Wildheit sind gegenüber Rooney Mara bis auf eine Szene deutlich zurückgenommen. Diese eine Szene ist die kurze Kampfsequenz in der U-Bahn, in der ein Arschloch Lisbeths Notebook versucht zu stehlen, und Lisbeth sich nachhaltig wehrt. Für einen intensiven und schmerzhaften Moment kommt genau diese intendierte Wildheit plötzlich durch, und Noomi Rapace kann zeigen was sie drauf hat, bevor der Regisseur wieder „Nicht so sehr“ ruft. Rooney Mara trägt Lisbeths Hass auf die Menschheit deutlich vor sich her, ohne dabei aber zu übertreiben, und generiert damit eine ungemein kraftvolle und erinnerungswürdige Filmfigur, was Noomi Rapace leider verwehrt wird.
Person A reist nicht nach Ort B, sie ist einfach da, und nur Lisbeth Salander sehen wir regelmäßig beim Reisen – Da sie aber versucht, der Giacomo Agostini Schwedens zu werden, bleibt das Tempo bei diesen Szenen unverändert hoch. 2009 zeigt die Menschen öfters einmal beim Reisen, gerade wenn Blomkvist und Lisbeth die alten Tatorte abklappern erzeugt Oplev eine ganz eigene Stimmung. Durch die ruhigen und schönen Bilder Schwedens erzeugt er keine atemlose Hochspannung wie sie 2011 innewohnt, dafür aber breitet sich Ruhe aus - Eine Art Stille, die dann von der Mörderjagd auf konträre Weise wieder unterbrochen wird. Das Tempo ist nicht so hoch, die Intensität dafür aber fast genauso mitreißend. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass beide Filme Überlänge haben (2009 mit 147 Minuten, 2011 mit 158 Minuten), 2009 aber einige Handlungselemente fortlässt, und sich auch der Überleitung zu den nachfolgenden Teilen verweigert. Gerade dass Lisbeth am Ende des Films Wennerström abzockt wird in 2011 schon fast Heist-mäßig inszeniert, was dem Film ganz klar ein Krönchen aufsetzt, während 2009 diesen Handlungsstrang ein wenig verschämt unter den Tisch fallen lässt: Weder wird klar was Blomkvist von Vanger dafür erhält, dass er die Ermittlung über Harriets Verschwinden durchführt, noch wird irgendwann klargestellt, warum Lisbeth Blomkvist überhaupt hilft. Blomkvist steht in Lisbeths Wohnung, redet ein wenig, und Lisbeth ist wie angefixt und will unbedingt ermitteln. Nicht unbedingt nachvollziehbar das, vor allem wenn man an die Romanvorlage denkt, die einen solchen Moment naturgemäß sehr logisch aufbaut. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in einem Film weniger Zeit zur Verfügung steht als in einem Buch, zeigt Fincher, dass dieser zentrale Moment, in der die beiden Hauptfiguren emotional miteinander verbandelt werden, gründlich aufgebaut werden kann. Oplev geht über diesen Moment drüber als würde er sich dafür nicht wirklich interessieren, was die Beziehung der beiden Figuren ein wenig erschwert.

Aber trotz der vielen Kritikpunkte, trotz der schwächeren Schauspieler (Noomi Rapace selbstverständlich ausgenommen) und trotz der gebremsten Darstellung, trotzdem ist 2009 ein ausgesprochen gelungener Film. Oplev arbeitet viel mit grafischen Überblendungen während der Ermittlungsarbeit, seine kurze Zeitsprünge und bildhaft dargestellten Gedanken erzeugen eine sehr intensive Atmosphäre, die den Film tatsächlich in trockene Tücher rettet. Und erst im Vergleich der beiden Filme zeigt sich, dass die trocken-gewalttätige Art Finchers gegenüber dem sanfteren Oplev die Nase vorne hat. Ein putziges Gedankenspiel drängt sich auf, dass die beiden Regisseure sich getroffen haben und Ideen verteilt haben: Ich baue die Story gewalttätiger auf, dafür bekommst Du die interessanteren optischen Ideen …

Beide sind gute Filme, beide haben ihre Vor- und ihre Nachteile. Ich glaube, bei einer Zweitsichtung würde ich 2011 bevorzugen, und ich finde es unglaublich schade, das keine Fortsetzungen mit dem gleichen starken amerikanisch-europäischen Team gedreht wurden. Und die skandinavischen Nachfolger wurden dann gottseidank nicht mehr von Oplev gedreht sondern von Daniel Alfredson, der zwar auch kein David Fincher ist, aber VERDAMMNIS und VERGEBUNG mit Action und dunkler Atmosphäre sicher und stimmungsvoll umgesetzt hat. Insofern kann man den Oplev-Film mit ein wenig Wohlwollen als interessantes und durchaus gelungenes Experiment einstufen, das stimmungsmäßig der Romanvorlage vielleicht nicht so ganz entspricht, dafür aber eigene Töne einbringt. Aber, und das ist eine persönliche Meinung, sowohl der Fincher wie auch die Alfredsons sind stärker …
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Re: Was vom Tage übrigblieb ...

Beitrag von Maulwurf »

Verdammnis (Daniel Alfredson, 2009) 8/10

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Es ist sehr interessant anzusehen, wie der Regisseur Daniel Alfredson aus dieser hochkomplexen Geschichte, mit vielen Namen und einer extrem verästelten Handlung, wie er es schafft, aus einem zweiten Teil eines Dreiteilers einen eigenständigen Film zu erschaffen, und trotz aller Kompliziertheit in den Beziehungen und Abläufen eine stringente und spannende Geschichte zu erzählen. OK, über stringent lässt sich streiten – Die vielen kleinen Nebenhandlungen, die alle irgendwann in den Hauptplot münden und die Puzzlesteinchen der übergeordneten Geschichte in die passenden Löcher schubsen, sind in der ersten halben Stunde nicht immer einfach nachzuvollziehen, das gebe ich zu.

Prinzipiell geht es um Dag und Mia, zwei junge Journalisten, die mit Hilfe von Michael Blomqvist den Zusammenhang zwischen Mädchenhandel und organisierter Kriminalität sowie deren Verstrickung in die höchsten Kreise Schwedens aufdecken wollen. Die beiden werden ermordet und auf der Waffe finden sich die Fingerabdrücke von Lisbeth Salander. Im Gegensatz zur stupiden Polizei glaubt Blomqvist natürlich an Lisbeths Unschuld und versucht, dies zu beweisen. Gleichzeitig werden wir, analog zur literarischen Vorlage, in die Vergangenheit Lisbeths zurückkatapultiert und lernen ihre Kindheit und Jugend kennen – Ihren Vater, dessen geheimdienstliche Geschichte, und insgesamt gibt es noch mehr Namen, noch mehr entsetzliche Ereignisse, und es ist eigentlich überhaupt kein Wunder, dass Lisbeth so wurde wie sie ist. Und trotzdem, nein: Gerade deswegen ist sie die Sympathieträgerin, gilt ihr unser Mitgefühl, ist sie für die Spannung und spannenderweise auch für die Action zuständig.

Und beides, Spannung und Action, sind erstklassig eingesetzt. Perfekt verteilt, stark inszeniert, der Zuschauer wird durch ein Wechselbad der Gefühle gejagt, muss sich enorm konzentrieren um in dem Sturm aus Namen und Ereignisse nicht den Faden zu verlieren, und findet sich am Ende mit einem hochgradig befriedigenden Bild wieder, dass seine immer befürchteten Ahnungen um die Korruptheit der sogenannten Eliten bestätigt, ist aber gleichzeitig außerordentlich zufrieden wegen der gesehenen Action. Hart, blutig, und dabei sehr realistisch inszeniert, immer auf einem hohen und konstanten Niveau, ohne aber in den Overkill eines US-amerikanischen Films zu verfallen: Als Paul und Miriam aus einem brennenden Schuppen versuchen zu flüchten sagt meine Frau, dass die beiden bestimmt den LKW nehmen der dort steht und mit dem die Wand durchbrechen. Nein sage ich, das tun sie nicht, denn dies ist kein amerikanischer Film. Dort würden sie den LKW nehmen, die Wand durchbrechen, und dann gerade noch rechtzeitig abspringen können bevor er explodiert. Alles Dinge, die dieser Film nicht nötig hat, bezieht er seine Spannung doch nicht aus reißerischer Hektik, sondern aus der grundlegenden starken Story und überzeugenden Schauspielern.

Letzten Endes ist aber vor allem der Unterschied zum ersten Teil VERBLENDUNG bemerkenswert: Dort eine etwas biedere Kriminalhandlung, hier ein moderner und intelligenter Thriller. Dort Schauspieler die oft wie gebremst wirken, hier vor allem eine Noomi Rapace die zeigen kann was sie drauf hat, und ihre nach diesem Film steil durchstartende Karriere sauber begründet. Dort ein Filmoriginal, welches vom Remake tatsächlich getoppt wird, hier ein klares Beispiel dafür, wie modernes Thriller-Kino aussehen kann, das kaum noch zu übertreffen ist. Eine gute und passende Fortsetzung mit sehr hohem Unterhaltungswert. Klasse! Und wie Paul und Miriam nun aus dem brennenden Schuppen flüchten können? Selber anschauen! Es lohnt!!
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Gemini 13 – Todesstrahlen auf Kap Canaveral (Antonio Margheriti, 1966) 6/10

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Die Raketen, die aus Kap Canaveral mit dem Ziel Mond starten, werden alle Opfer geheimnisvoller Strahlung: Sie explodieren sofort nach dem Start und hinterlassen eine raumfahrttechnische Katastrophe. Ein Fall für die FSIC, den ganz besonders geheimen Geheimdienst, und deren Abteilung 9 unter Captain Flanagan. Der Captain ist eine attraktive Dame, und ihr bester und einziger Mitarbeiter ist Lieutenant Harry Sennitt, der keine Waffen mag, und lieber mit dem Scheckbuch hantiert, weswegen ihm das Finanzamt unbegrenzte Möglichkeiten eingeräumt hat. Doch außer mit dem Geld der Steuerzahler schmeißt der Lieutenant im Einsatz vor allem hemmungslos mit seinem hölzernen Charme um sich – Er flirtet ununterbrochen mit allem was einen Bikini trägt, und kommt so schnell in Kontakt mit Luisa und ihrem onkelhaften Liebhaber Archie, die sich ganz schnell als Kontakt zu dem Mann im Hintergrund entpuppen. Können Captain und Lieutenant die Welt vor dem abgefeimten Schurken retten? Kann Captain Flanagan ihre Unschuld vor der Libido Harrys retten? Kann sich der Zuschauer vor dem Schlaf retten?

Zumindest auf die letzte Frage kann ich antworten: Er kann. GEMINI 13 ist ein sympathischer kleiner Euro-Spy mit hohem Trash-Faktor, der weder Anspruch noch Ernsthaftigkeit bietet, dafür aber jede Menge (maskulinen) Spaß bietet. Man muss einfach nur mal sehen, wie die verzweifelte und zu allem entschlossene Kary in ihrem schwarzen Hautengstrampler die Treppe zum Bösewicht hinunterlaszivt – Ein Alptraum für jede Feministin, ein Traum für jeden Playboy. Überhaupt ist der Film aus heutiger Sicht ein einziges Statement für hemmungs- und rücksichtslose Flirterei, und sollte jemand wie Alice Schwarzer jemals Bundeskanzlerin werden, würde GEMINI 13 sicher umgehend auf dem Scheiterhaufen landen. Der Film ist dümmlich, sexistisch, anspruchslos, die Modelle können ausnahmslos als billiges Spielzeug entlarvt werden (während im Gegenzug die Models sich als teure Spielzeuge gerieren), und viele Momente in den Actionszenen werden einfach mehrfach verwendet um Geld zu sparen. Frau Captain wird zwar als männermordende (wörtlich gemeint) und knallharte Superagentin eingeführt, hat dann aber während des Films nicht anderes zu tun als ihren Lieutenant hemmungslos anzuschmachten und sich erfolgreich seinen Kussattacken zu stellen. Die Lava, die am Ende die Unterwasserstation 20.000 Meilen unter dem Meer durchflutet, ist deutlich erkennbar Ketchup, und die Handlanger des pösen Folco Lulli tragen alle einen Diabolik-Gedächtnis-Gesichtsschutz. Kurz: Ein einziges Vergnügen für alte weiße Männer mit schwerem Hang zum Schundfilm. Alle anderen sollten tunlichst einen Bogen um GEMINI 13 machen …
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Beitrag von Maulwurf »

Tower of London (Rowland V. Lee, 1939) 7/10

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Die Wikipedia erklärt uns: Die Prinzen im Tower von London (engl. the princes in the tower) waren Eduard V. von England (* 1470; † 1483?) und Richard of Shrewsbury, 1. Duke of York (* 1473; † 1483?), die Söhne von König Eduard IV. und Elizabeth Woodville.

Ihr Onkel, Richard of Gloucester, ließ sie nach dem Tod des Königs durch das Parlamentsstatut Titulus Regius für illegitim und somit nicht erbfähig erklären und bestieg anstelle von Eduard selbst als Richard III. den Thron. Die Brüder hatte er zuvor im Tower von London untergebracht, zunächst angeblich um Eduards Krönung vorzubereiten. Zuletzt wurden die Prinzen dort lebend im Sommer 1483 gesehen. Danach verschwanden sie spurlos, und allgemein wird angenommen, dass sie ermordet wurden.
(1)

Und damit wäre auch die Handlung dieses historischen Schurkenstücks erzählt: Richard von Gloucester möchte zu Beginn der 1480er-Jahre den englischen Thron besteigen. Allerdings ist er die Nummer sechs in der Thronfolge, also beginnt er das Feld von hinten aufzurollen. Mit Hilfe seines ergebenen Gehilfen („Für mich seid ihr der König. Für mich seid ihr Gott.“) mit dem wunderbaren Namen Mord, der der Henker von London ist und die markanten Züge Boris Karloffs trägt, trägt er den Terror in das damalige Königsschloss Englands, den Tower.

Dies tut Richard zwar relativ getragen und unblutig, immerhin muss er ja Rücksicht nehmen auf den Hays Code und dessen Befindlichkeiten, aber die Schauspieler sind es, die dem schön gefilmten Film viel Farbe und vor allem Blut geben (was durchaus wörtlich zu verstehen ist). Ian Hunter als Edward IV. hat einen gewissen Hang zu soziopathischen Ratgebern und neigt selber sehr zu hysterischem Gelächter, vor allem wenn einer seiner mörderischen Pläne aufgeht (was durch kluge Planung öfters mal der Fall ist), und Vincent Price, als Herzog von Clarence in seiner dritten Filmrolle ein verweichlichter und mordlustiger Alkoholiker, gibt einen wunderbaren Vorgeschmack auf seine zukünftige Rollenwahl, wenngleich eben immer unter einem gewissen gebremsten Vorzeichen. Nan Grey als Lady Alice Barton ist zuckersüß und hat einen leichten Hang zum überdimensionierten Dekolleté, was von Rose Hobart in ihren wenigen Filmminuten aber locker übertroffen wird: Dass das Kleid mit diesem Ausschnitt durch die Zensur gekommen ist, das ist ein mittleres Wunder (oder ein königlich-perfider Plan).

Die Hauptrollen aber sind es, die den Film über alle Maßen beherrschen. Basil Rathbone ist Richard von Gloucester, und er macht seinem Ruf als erstklassiger Filmschurke dabei alle Ehre. Höflich, engelszüngig, intrigant, und gleichzeitig unglaublich verschlagen und gierig nach Macht. Wenn Richard in die Kamera schaut, dann ballen sich die Bosheit der Menschen und die Verderbtheit der Schurken zusammen zu einer einzigen schwarzen und bedrohlichen Wolke. Rathbone schafft dabei das Kunststück, in solchen Momenten ohne Text auszukommen – Allein sein Blick reicht völlig aus, eine Atmosphäre des schmerzvollen Todes zu schaffen. Richard hat sich ein geheimes Puppenhaus gebaut, in dessen Mitte der König auf seinem Thron sitzt, und auf den Stufen davor die Thronfolger in ihrer Reihenfolge stehen. Nach und nach rückt er nach vorne, und seine Freude über die gelungenen Intrigen ist geradezu mit Händen zu greifen. Und wenn dann doch mal ein Plan schief geht, so wie die Absicht, den Papierkronenkönig Henry VI in einer Schlacht aus Versehen erschlagen zu lassen, dann kann Richard sogar souverän improvisieren. Und seinen Widersacher halt anderweitig aus dem Weg räumen.

Ihm zur Seite steht Mord, der Henker von London. Boris Karloff mit glatt rasiertem Kopf, seinem ausgesprochen markanten Profil und mit Hinkefuß ist der Alptraum aller zartbesaiteten Menschen. Wenn er durch die Gänge schlurft zieht die Angst mit ihm. Entsprechend gestattet sich die Kamera sogar den Mord an einem Kind zu zeigen! Der Mann ist der personifizierte Schrecken, und dabei macht ihm sein Job sogar richtigen Spaß: So lässt er es sich nicht nehmen, im Vorübergehen mal eben noch schnell ein Gewicht auf einen gefolterten Mann zu legen um dessen Qualen zu vergrößern – Mord ist eben mit Liebe bei der Sache …

Die etwas sterile Inszenierung, die Undurchsichtigkeit englischer Renaissance-Historie, das Namedropping im Sekundentakt, das etwas lahme Showdown …? Geschenkt, die herausragenden Darsteller sind es, und die erschaffen einen Film, der sich als Grusel-Geschichts-Drama nicht hinter modernen Filmen zu verstecken braucht. Zwar ist die Nähe zu William Dieterles DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME aus dem gleichen Jahr deutlich zu spüren – Die Kulissen sind oft ähnlich, die Schar der Bettler scheint fast von dem einem Film in den anderen hinübergereicht zu sein, und da die Zeit der Dreharbeiten der beiden Filme in etwa die gleiche gewesen ist, nämlich der Sommer 1939, haben sich vielleicht die kreativen Menschen in Hollywood wirklich nur gegenseitig befruchtet. Wer weiß …

Nichtsdestotrotz ist DER HENKER VON LONDON ein starker früher Exploitationer, der Höhepunkt an Höhepunkt reiht, und unter dem Fluch des Hays Codes herausholt was nur möglich ist. Sehr sehenswert!

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Prinzen_im_Tower
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More (Barbet Schroeder, 1969) 7/10

Irgendwo in den Tiefen des Internets begraben.jpg
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Stefan Brückner hat das Mathestudium abgeschlossen, und nun brennt er darauf zu brennen. Leben will er, etwas er-leben, und sollte er dabei verbrennen, dann ist das halt eben so. Er trampt aus dem bürgerlichen Lübeck nach Paris, wo er Charlie kennenlernt. Charlie hält sich mit Glücksspiel und krummen Sachen über Wasser, und über Charlie lernt Stefan Estelle kennen. Die kommt aus New York und ist brandgefährlich. Sagt Charlie, aber warum Estelle so gefährlich ist, das verschweigt er. Klar, das macht neugierig, und Stefan legt es darauf an, Estelle kennenzulernen. Man versteht sich, man raucht was, man landet im Bett, aber am nächsten Tag fliegt Estelle nach Ibiza, zu Ernesto Wolf, während Stefan zugesagt hat noch bei einem Einbruch mitzumachen.
Nach dem Bruch fliegt Stefan ebenfalls nach Ibiza. Er lernt Ernesto kennen, der mit seinen Freunden Messer mit Hakenkreuzverzierung auf eine Zielscheibe wirft, und irgendwann findet er auch Estelle wieder. Gemeinsam flüchtet man aus der Überwachung von Ernesto und auf die andere Seite der Insel, auf die einsame Seite. Dort findet man im Haus eines Freundes das Paradies: Den ganzen lieben langen Tag nur ficken, Dope rauchen und das Leben genießen. Irgendwann kommt Cathy vorbei, Estelles Freundin, und Stefan muss lernen, dass Estelle die ganze Zeit Heroin dabei hat, und sich ab und zu auch einen Schuss gesetzt hat. Sie überredet Stefan, das ebenfalls mal zu probieren. Das gewollte Ende des Paradieses, die freiwillige Zerstörung aller Träume …

MORE wurde im Mai 1969 in Cannes präsentiert, also ist er vermutlich im Winter 1968/69 über gedreht worden. Das war die Zeit nach den großen weltweiten Jugendunruhen des Jahres 1968, und noch vor dem sogenannten, auch damals bereits so aufgefassten, Höhepunkt der Hippie-Bewegung, dem Festival in Woodstock im August 1969. Die Ereignisse in Altamont im Dezember 1969, als die Hells Angels während eines Rolling Stones-Konzerts einen Besucher erstachen, lagen noch genauso in der Zukunft wie der Bombenanschlag auf der Piazza Fontana in Mailand (ebenfalls im Dezember) und die Manson-Morde im August des selben Jahres. Das Ende der Unschuld lag also noch in den Nebeln der Zeit verborgen, und doch ist die Einschätzung Barbet Schroeders über die kommenden Jahre bemerkenswert hellsichtig und fast erschreckend prophetisch. Das Ende der Hippies, der Sieg der Gewalt, der Rückzug ins Private und die Flucht in die Drogen, bis dann irgendwann Ende der 70er-Jahre die einstigen Ideen und Träume alle in einer verschmutzten Nadel staken.

Estelle bringt es, während sie an einer Wasserpfeife nuckelt, irgendwann mal auf den Punkt: Leute, die Heroin nehmen, wollen dem Leben entfliehen. Leute, die das hier rauchen oder Acid nehmen, wollen ihr Lebensgefühl steigern. Hippies verachten Heroin. Junkies verachten diese kleinen Narren, die glauben, sie hätten die Welt entdeckt. Sie haben so gut wie nichts miteinander zu tun. Sie leben in anderen Welten. Und doch nimmt Stefan, der Heroin hasst, und alles tut damit Estelle davon runterkommt, trotzdem nimmt er irgendwann seinen ersten Schuss. Der erste ist gigantisch, der zweite war beschissen. Also macht er den dritten zum zweiten … Eine Entwicklung, die in der Realität auch immer wieder zu beobachten ist, und die bis hin zu Filmen wie NON CONTATE SU DI NOI und natürlich CHRISTIANE F. – WIR KINDER VOM BAHNHOF ZOO immer wieder genau so gezeigt wird: Uns kann doch nichts passieren, wir können jederzeit aufhören …

Aber zu dem Zeitpunkt, zu dem der Film spielt, ist die Welt der Aussteiger noch ein wenig in Ordnung. Ibiza als Traumziel der Gesellschaftsverweigerer und Idealisten wird als eine Art Blaue Blume für Kiffer dargestellt, wo rauschhafte Partys gefeiert werden, und wo Altnazis in friedlicher Koexistenz mit feiernden Langhaarigen leben können. War das wirklich so? In MORE ist Ernesto Wolf eine klare Bedrohung für die friedliche Atmosphäre, er wirkt wie ein Redneck in EASY RIDER als stille Bedrohung, aber gleichzeitig versorgt er die Insel auch mit (harten) Drogen. Klar, auch frühere SS-Männer müssen sich ihr Leben finanzieren, und das Netzwerk, das Wolf dafür über die Insel gespannt hat, wird in einigen Szenen kurz und schmerzhaft skizziert. Selbst im Paradies gibt es also die Schlange, die den Apfel in Form von Rauschgift an die Nichtsahnenden weitergibt, und damit den Auszug aus dem vermeintlichen Garten Eden provoziert.

Und so zeigt MORE einen traurig-realistischen Blick auf eine untergegangene Zeit, auf ihre Träume und Wünsche genauso wie auf ihr Scheitern, wobei dieser Aspekt spannenderweise tatsächlich ein hellseherischer Ausblick ist. Das Besitzergreifende Stefans, der es nicht aushält nicht zu wissen was Estelle gestern Abend getan hat, ist für dieses Scheitern letzten Endes genauso ursächlich wie die Unehrlichkeit Estelles; das lustig-abgedrehte Miteinander aus FEAR AND LOATHING IN LAS VERGAS wird mit MORE dahin geschickt wo es hin gehört, nämlich in das Reich der komödiantischen Fabelwelt, und wird ersetzt durch eine bittere Realität. Dass nämlich der Untergang der Ideale immer und bei jeder Idee darin begründet ist, dass verschiedene Menschen verschiedene Vorstellungen von Idealen haben, und im Zusammenspiel dieser Verschiedenartigkeiten die Hölle implizit keimt. Dazu kommt dann noch etwas, was man Wirklichkeit nennt: Stefan geht allmählich vor die Hunde, auf Ibiza ist es im Winter bitterkalt, und die Arbeit in der Bar, um die Schulden bei Ernesto abzuzahlen, das ist ein Alltag, der selbst die schönsten und romantischsten Wunschvorstellungen irgendwann zum Scheitern bringt. Und daraus folgernd die Drogen in die Kanüle und in den Arm …

Was überhaupt nicht zum Scheitern verurteilt ist, das ist die filmische Seite von MORE. Die schauspielerischen Leistungen sind einzigartig, vor allem Mimsy Farmer als Estelle spielt mit vollem körperlichen und psychischem Einsatz die Frau, die sich von sich selbst entfremdet hat und diese Leere nur noch mit Drogen und Lügen zu füllen weiß. Der im Herzen spießbürgerliche Stefan wird von Klaus Grünberg genauso erstklassig skizziert wie die leise Bedrohung durch den früheren Nazi Ernesto Wolf von Heinz Engelmann angedeutet wird. Dazu der wundervolle und perfekt passende Soundtrack von Pink Floyd und eine sehr schöne und unauffällige Kamera, die sich darin gefällt, mit leichten Strichen Stimmungen einzufangen und Atmosphäre aufzubauen, gleich ob am Montmarte in Paris oder am Strand von Ibiza. Filmisch ist MORE mehr als sehenswert, und inhaltlich ebenfalls. Ein Film, der dringend seiner Wiederentdeckung harrt.
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Emanuela – Dein wilder Erdbeermund (Paolo Poeti, 1976) 6/10

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Peter Smart ist ein Herumtreiber auf der Welt. Ein Berufsspieler und Glücksritter. Einer, der mit lässiger Kleidung, Cowboystiefeln und –hut die Welt bereist, hier ein wenig Geschäfte macht, dort ein wenig Glück hat, und woanders ein wenig Pech. Ein freier Mensch durch und durch, und er sieht die Sache mit der Liebe genauso frei wie den Rest des Lebens. In Nordafrika lernt er die reiche Witwe Carol kennen, die das genaue Gegenteil von ihm ist. Carol ist zynisch und durch und durch menschenverachtend. Sie sieht in allen Dingen nur den Preis, nicht den Wert, Liebe ist gleichbedeutend mit gefühlsarmem Sex, und wenn ihre bedauernswerte Sekretärin Anna eine Beziehung zu dem jungen Robert eingehen möchte, dann wirft Carol sich mit aller Wucht zwischen die beiden, erzählt Anna von der Schlechtigkeit der Männer, und verführt Robert so, dass Anna es auch mitbekommt. Hauptsache andere Menschen sind genauso unglücklich wie sie es ist.
Nur mit Peter hat Carol so ihre Probleme. Ihrer Gefühlskälte setzt Peter sein Selbstbewusstsein entgegen, und ihrem Zynismus steht seine menschenliebende und humanistische Lebensauffassung entgegen. Für Carol sind Geld und Macht alles, sie ist Materialist durch und durch, während für Peter die persönliche Freiheit das höchste Gut ist. Ein Sonnenuntergang: Peter sieht darin etwas Poetisches, Carol hasst es zuzusehen, wenn etwas stirbt. Carol will diesem freien Mann ihre Weltsicht aufdrücken – Wer ist am Ende stärker?

Was hier als Soft-Erotiker vermarktet wird, in Deutschland gleich noch mit dem Präfix zur damals gerade boomenden Emanuelle-Reihe, ist in Wirklichkeit ein interessantes und schön anzuschauendes Drama. Dort die dem Materialismus und der Macht zugewendete Carol, die den neuen Freund ihrer Sekretärin in einem durchsichtigen Hauch von gar nichts begrüßt, und hier der vollkommen freie Mann, der sein im Spiel gewonnenes Rennpferd dazu nutzt, am Strand entlang der Wellen zu reiten und die Sonne zu genießen. Dort die Gift und Galle spuckende Männerhasserin, die es nicht ertragen kann, andere Menschen glücklich zu sehen. Hier der Mann, dessen einzige Besitztümer seine Reisekleidung und sein Abendanzug für das Spiel sind, und der sämtliche Beziehungen mit der gleichen Leichtigkeit nimmt wie er das ganze Leben nimmt. Pleite? Na und, es wird sich was ergeben. Eine schöne Frau die sich betrinken will? Noch einen Whisky für die Dame, und für mich gleich einen mit. Peter Smart(!) ist so, wie so viele heutzutage gerne wären (und damals natürlich ebenfalls), und die sich doch dem Diktat des Materialismus, bestehend aus Lohnabhängigkeit und sozialer Sicherheit, unterwerfen. Und es ist bestechend zuzusehen, wie das Duell zwischen Carol und Peter wohl ausgeht.

Bestechend ist es deswegen, weil der Film mit einigen Dingen das gefürchtete Level des Privatfernsehen-Softsexers ganz weit hinter sich lässt. Da ist die wunderschöne Fotografie, die nicht nur die nackten Körper veredelt, sondern aus den Sonnenuntergängen tatsächlich poetische Höhepunkte zaubern kann, genauso wie die Romantik nordafrikanischer Städte geradezu betörend in Szene gesetzt wird. Weiter die Musik der De Angelis-Brüder, die immer den richtigen Ton trifft (und die in der Szene in der Diskothek aus dem Vorjahresfilm STETSON – DREI HALUNKEN ERSTER KLASSE stibitzt wird). Und zu guter Letzt natürlich die erstklassigen Schauspieler. OK, Ilona Staller ist ein wenig überfordert und hat an den Liebesszenen deutlich mehr Spaß als an drögen Dialogen oder gar dem gewaltsamen Unterwerfungsversuch Carols. Aber gerade Claudine Beccarie als Carol zeigt, dass sie deutlich mehr drauf hatte als nur die Rein-Raus-Nummern ihres üblichen Filmprogramms. Sie spielt erstklassig, sie transportiert Gefühle, und dafür schenkt die Kamera ihrem schönen Körper Einstellungen, von denen andere Schauspieler nur träumen können. Ivan Rassimov, last but not least, ruht in sich und gibt diesem unabhängigen und starken Mann genau die richtige Kraft und Ausstrahlung.

EMANUELA – DEIN WILDER ERDBEEMUND entpuppt sich in Folge tatsächlich als Drama mit Erotiktouch und starker Geschichte im Spannungsfeld zwischen Lässigkeit und Zwang. Ein deutlich besserer Film als erwartet, und das kann man als Vielseher nicht wirklich oft sagen …
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Boy Missing (Mar Targarona, 2016) 6/10

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Patricia de Lucas ist eine extrem erfolgreiche Anwältin, die selbst die schwierigsten Fälle gewinnt. Wahrscheinlich hat sie sich eine Menge Feinde gemacht, und als ihr 10-jähriger Sohn Victor eines Tages blutverschmiert aufgegriffen wird und erklärt, er sei entführt worden, da ist es nur natürlich, dass die Polizei eine Großfahndung auslöst. Denn Victor hat seinen Entführer gesehen und kann ihn ausgesprochen gut beschreiben – Es ist der Ex-Knacki Charlie, der krumme Dinge macht und 20.000 Euro versteckt hält, von denen nicht einmal seine hochschwangere Frau weiß wo sie herkommen sollen. Also ist alles klar, Charlie hat Victor entführt, und die fehlenden Beweise, die werden schon noch irgendwie aufgetrieben werden. Nö, werden sie nicht, denn es gibt keine Beweise. Schade nur, dass Charlie ein ziemlich dummer Hund ist, und der Inspektor mit allen Wassern gewaschen ist.

Je weniger man über den Ablauf des Films weiß, desto besser. Dann kann man die Wendungen erst recht genießen, kann die zunehmende Absurdität vollends in sich aufnehmen, und erkennt am Schluss, dass ein Film, der als eiskaltes Entführungsdrama beginnt, unter Umständen auch mal ganz anders enden kann, als man sich das als gewiefter Zuschauer so ausmalt. Mar Targarona scheint mehr als nur einen genauen Blick auf die Arbeitsweise seines Kollegen Alex de la Iglesia geworfen zu haben, denn das hier abgeschossene Feuerwerk an Abnormitäten und haarsträubenden Situationen, immer bierernst dargebracht und garantiert humorfrei präsentiert, erinnert enorm an das Schwergewicht des spanischen Kinos. Und wie gesagt, an dieser Stelle mehr über die Handlung zu verraten wäre gemein. Von daher eine klare Empfehlung an alle die es gerne wild und schräg mögen, dabei aber Probleme haben mit Komödien, wie immer diese auch definiert werden.
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Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse (Harald Reinl, 1962) 7/10

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Als der FBI-Agent Nick Prado tot in einem Überseekoffer am Hafen gefunden wird, schickt Washington den Spitzenagenten Joe Como nach Deutschland. Er hat zwei Aufgaben, die Kommissar Brahm geschickt zu einer einzigen zusammenfasst: Den Mörder von Nick Prado finden, und wenn man den hat, dann hat man auch den Mann, der hinter der Aktion X steht. Aktion X, das ist ein Masterplan um die Welt zu beherrschen, und wer der Aktion X im Wege steht, der wird erbarmungslos ausgelöscht. So wie Nick Prado. Oder der Nachtportier, der den Tod Prados dummerweise beobachtet hat …
Joe Como hat gleich so einen Verdacht, und auch wenn Kommissar Brahm noch mauert, so weiß Joe, dass er Recht hat: Hier geht es nicht um einen gewöhnlichen Kriminalfall, hier geht es um Dr. Mabuse! Er ahnt gar nicht wie recht er hat, denn Mabuse hat sich einen Apparat besorgt der ihn unsichtbar macht. Und einen unsichtbaren Attentäter kann man nicht fangen … Der Herrschaft des Verbrechens steht nur noch Joe Como im Wege …

Klar, cineastische Höhenflüge schauen anders aus, gleich ob man nun auf Genreware oder auf Arthouse steht. Aber irgendwo ist es schon faszinierend wie Harald Reinl es geschafft hat, ohne große Umwege, ohne Spielereien und ganz auf den damaligen Publikumsgeschmack zugeschnitten, eine Geschichte zu erzählen, die bei aller Einfachheit direkt auf den Punkt kommt und auch heute noch spannend unterhält. Natürlich weiß man wie die Story ausgeht, natürlich gibt es keine überraschenden Wendungen oder doppelbödige Charaktere, DIE UNSICHTBAREN KRALLEN DES DR. MABUSE ist Popcorn-Kino aus der Zeit meiner Eltern mit hohem Unterhaltungs- und Nostalgiefaktor. Sexy Lexy Barker geht sowieso immer, genauso wie die attraktiv-unterkühlte Karin Dor, Werner Peters ist ganz ohne Spezialeffekte mindestens so gruselig wie der Clown Pennywise aus ES, und überhaupt ist das Ganze einfach spannend anzuschauen. Punkt. Zwischendurch hat es dann sogar einige sehr dichte und starke Sequenzen, die teilweise sogar mit (für damalige Zeiten) leichten Härten glänzen, eine überflüssige Liebesgeschichte fällt angenehmerweise gleich ganz fort, und das Ende mit dem Angriff der unsichtbaren Massen ist als Steigerung einer ähnlichen Szene in DIE 1000 AUGEN DES DR. MABUSE richtiggehend packend.

Eine Affinität zu Filmen von gestern sollte natürlich vorhanden sein, dann aber ist DIE UNSICHTBAREN KRALLEN DES DR. MABUSE sicher nicht der schlechteste Film aus der Mabuse-Reihe. Passt richtig gut!
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