La Papesse - Mario Mercier (1975)

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Salvatore Baccaro
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La Papesse - Mario Mercier (1975)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: La Papesse

Produktionsland: Frankreich 1975

Regie: Mario Mercier

Darsteller: Jean-Francois Delacour, Lisa Livane, Géziale, Erika Maaz, Mathias von Huppert, Lina Olsen

Irgendwo auf der Welt, doch außerhalb von ihr, gibt es eine seltsame Sekte, deren Ursprünge in den Nebeln der Zeit verloren liegen, und die über gewisse Kräfte verfügt, die sich in einer Päpstin manifestieren. Eine Frau namens Géziale steht in dieser Traditionslinie. Ein Mann wollte von dieser Frau initiiert werden. Mit diesen drei schlichten Sätzen, gesprochen aus dem Off über den menschenleeren Bildern einer steinigen Einöde, beginnt LA PAPESSE fast schon mit der Unschuld eines Märchens. Da haben wir eine Frau, da haben wir einen Mann, und da haben wir eine schwarzmagische Welt außerhalb der unseren, die die beiden zusammenbringen oder trennen wird.

Mario Mercier wurde 1945 in Nizza geboren, und kann wohl als Universalkünstler bezeichnet werden. Er hat zahllose Bücher verfasst, darunter sowohl Romane mit Titeln wie LE NÉCROPHILE als auch esoterische Sachliteratur, die auf Namen hören wie LA NATURE ET LA SACRÉ, sowohl selbstillustrierte Neuausgaben von Gedichten Rimbauds als auch schamanistische Manifeste. Daneben nimmt sich sein kinematographisches Schaffen nahezu gering aus. Gerade einmal drei Filme hat Mercier zwischen 1970 und 1975 gedreht. Es sind: der Kurzfilm LES DIEUX EN COLÉRE von 1970, LA GOULVE von 1971, gemeinsam mit Bepi Fontana, und zuletzt LA PAPESSE von 1975. Sie alle sollen dem sogenannten Witch Cinema zugeordnet sein, das von Mercier selbst begründet und mit LA PAPESSE zum Abschluss gebracht worden ist. Im Prinzip setzen sich alle drei Filme das Ziel, die eigentlich unsichtbare Welt des Übernatürlichen, der Magie, der Poesie einer angemessenen visuellen Repräsentation zu unterziehen. Ich muss nicht extra betonen, dass keiner dieser Filme in irgendeiner Geschichte des Kinos, wenn überhaupt, über eine unscheinbare Randnotiz hinausgekommen ist.

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LA PAPESSE ist fiebrig, delirierend wie meine Träume zurzeit. Eine kohärente Geschichte existiert in ihm genauso wenig wie irgendeine Prämisse, die seiner Handlung vorausginge, oder ein Endpunkt, auf den diese Handlung hinauslaufen würde. Stattdessen ist LA PAPESSE aufgeladen mit Symbolen, die für den Nicht-Eingeweihten schwerlich verständlich sein dürften. Ähnlich wie es Alejandro Jodorowsky in EL TOPO oder MONTANA SACRA tut, holt Mercier sein Publikum nicht etwa dort ab, wo es selbst gerade steht, und erklärt ihnen, worauf er mit seinem Bilderrausch eigentlich hinauswill. Vielmehr überschüttet er uns mit okkulten, heidnischen, christlichen Querverweisen, die möglicherweise gar keinen Inhalt in sich bergen als dass sie uns irritieren und überwältigen sollen, andererseits aber genauso gut – denn immerhin wird im Vorspann ein conseiller en occultisme genannt – höchstsinnträchtig miteinanderverflochtene Bedeutungsträger sind, die man allerdings erst entschlüsseln kann, wenn man so tief in die Materie eingetaucht ist wie Meister Mercier selbst.

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Dabei hat LA PAPESSE aber zumindest Figuren, die irgendwelche Dinge tun, anhand derer man vielleicht keine nach Maßstäben der menschlichen Logik in sich schlüssige Narration rekonstruieren kann, die aber trotzdem zumindest so etwas Ähnliches wie eine Geschichte erzählen: Da ist der oben erwähnte Mann. Er möchte Mitglied der oben erwähnten Sekte werden. Hierfür lässt er einige Mutproben über sich ergehen. Bis zum Hals in die Erde eingegraben, muss er die Bisse giftiger Schlangen ertragen. Bis aufs Blut gepeitscht werdend, muss er an einem Andreaskreuz die Nacht verbringen. Da ist die oben erwähnte Frau, die Päpstin Géziale, die plant, mit diesem Mann ein Kind des Bösen zu zeugen. Da ist aber noch eine andere Frau, die Gattin des Mannes. Ihre Ehe ist schon lange verblüht, trotzdem sorgt sie sich um ihren Angetrauten. Sie stellt ihm nach, findet sein grausiges Geheimnis heraus. Die Strafe folgt auf den Fuß. Die Frau gerät in die Fänge der Sekte. Sie wird erniedrigt, gedemütigt, vergewaltigt, angepisst, soll schließlich geopfert werden. Dazu feiern die Sektenmitglieder satanische Orgien, schlachten Hähne, ergehen sich in allerhand weiteren, schier unbeschreiblichen Ritualen und sagen viel, was ich nicht verstanden habe.

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Dabei schäumt Mario Mercier fast über vor Ideen, wie er seinen Film in ein Sammelbecken an Subversionen verwandeln kann. Gerade das, was die arme Frau ab der Filmmitte erdulden muss, kann man vielleicht schon als Antizipation der Leiden Annas im knapp dreißig Jahre später erschienen MARTYRS verstehen. Sie wird zwangsernährt, im Schweinestall gehalten, mit Urin benetzt, von zwei grotesken Gladiatoren sexuell missbraucht, mit dem Blut eines frischgeschlachteten Hahnes übergossen, schließlich in einer Höhle eingesperrt, in der ein seltsames Wesen haust, das man den Ghoul nennt, und das mir eine Mischung aus Reptil und Fledermaus zu sein scheint, und es natürlich ebenfalls hauptsächlich auf den noch nicht genug malträtierten Unterleib der Frau abgesehen hat. Doch auch abseits etwaiger misogyner Phantasien ist Mercier nicht zimperlich in der Wahl seiner visuellen Kampfansagen an gesellschaftliche Normen. Sperma schießt in hohem Bogen in Messkelche. Gottlose Mönche peitschen wehrlose Männer- und Frauenrücken. Zu unbeherrschtem Getrommel verlieren die Satansjünger jedwede Hemmungen und zucken in unkontrollierter Geilheit. Einem schwarzen Hahn wird in Großaufnahme die Gurgel durchtrennt.

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Überraschenderweise ist LA PAPESSE, was seine reine Inszenierung betrifft, jedoch wesentlich zahmer und dann doch konventioneller als es dieser Versuch einer Inhaltsangabe erwarten ließe. Ein Name, der sich mir förmlich aufdrängt, ist der Jean Rollins. Ebenso ruhig, ebenso bedacht im Umgang mit Zeit und Raum, ebenso daran interessiert, nichts zu übereilen und dem Zuschauer ausgiebige Gelegenheit zu geben, die außergewöhnlichen Figuren, Landschaften und Ereignisse in ihrer stillen Subversion genießen zu können, geht Mercier ans Werk, wenn er seinem Film selbst in Momenten, wo dies dem Gang der Geschichte nicht zuwiderlaufen würde, ein allzu rapides Tempo regelrecht verweigert. Viele manchmal fast schon poetische Dialogszenen, viele zurückgenommene Aufnahmen der kargen, tristen Felsenlandschaften, viele lange Szenen, in denen wir den Figuren beinahe in Echtzeit bei Tätigkeiten wie beispielweise dem Schließen einer Grottenhöhle mit Steinen zuschauen dürfen, verdichten sich in LA PAPESSE zu einer sich von der ersten bis zur letzten Sekunde des Films durchziehenden elegischen, melancholischen, morbiden Stimmung – fast so, als würde man den Bestattungsriten eines uns fremden Kulturkreises zuschauen: man spürt, dass dem Akt eine gewisse Trauer und Würde innewohnt, und zugleich ist man von den einem skurril oder schräg erscheinenden Vorkehrungen genügend irritiert, dass einen die Trauer und die Würde nie weit genug überwältigen können, um einen das Gefühl einer fast schon erheiterten Irritation verlieren zu lassen.

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Das unterscheidet LA PAPESSE letztlich von einem Film wie Kenneth Angers LUCIFER RISING, der sich mir zunächst ebenfalls als Bezugspunkt aufgedrängt hat. Wo Anger seine Revolte in die Machart des Films selbst überträgt, und einem Massengeschmackpublikum mittels unorthodoxer Montage, Überblendungen und manch anderer technischer Innovation vor die Stirn stößt, außerdem keinen Originalton verwendet und seine Ästhetik in jedem Moment den Vorrang über einen nacherzählbaren, erfassbaren Inhalt stellt, bleibt Merciers PAPESSE, wie gesagt, den Kinokonventionen, was Schnitt, Kameraführung, Bildaufbau betrifft, weitgehend verhaftet. Nur selten einmal traut er sich, auf der reinen Bildebene an Mechanismen des Experimentalkinos anzuknüpfen. Wenn er dann das Bild mit einem blutroten oder einem mattgrünen Filter überzieht, oder wenn er die feiernden Satanskinder in Negativbelichtung zeigt, oder wenn er so dicht an einen Vollmond heranzoomt, dass er zu einem unscharfen Klecks wird, der alles und nichts sein könnte, sind selbst das wenig innovative Spielereien, mit der die filmische Avantgarde schon seit den 60ern, wenn nicht, in Angers Falle, sogar den 50ern, Bekanntschaft geschlossen hat. Selbst der zumeist elektronische Score von Éric De Marsan klingt in meinen Ohren wie etwas, das ich schon mehr als einmal gehört haben dürfte.

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Wenn ich LA PAPESSE überhaupt irgendetwas vorwerfen kann, dann wäre dies, dass Mercier auf halber Strecke der Mut verlassen hat. Sein Drehbuch ist gegen jeden Strich gebürstet, eine unvernünftige Aneinanderreihung von Szenen, die uns tief hinein in einen schaurigen Kosmos jenseits der uns bekannten Welt führen: ohne Psychologie, ohne Moral, ohne Gott, könnte man sagen. Seine Adaption dieses Drehbuchs indes folgt altbekannten Bahnen: selbst wenn sie diese einmal verlässt, dann nur mit einem Bein, und das wird schnell zurückgezogen, vielleicht aus Angst, nicht mehr zurückzufinden in die Ordnung.

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Andererseits: hat nicht gerade diese merkwürdige Ambivalenz zwischen inhaltlichem Chaos und Ekstase und formaler Klarheit und Strenge ihren ganz eigenen Reiz? Vor allem ist LA PAPESSE nämlich ein Film voller kleiner, in sich großartiger, für sich stehen könnender Szenen, die nichts zu transportieren scheinen als das, was wir in ihnen sehen. Da wird eine Frau von einem Mann mit Bluthund verfolgt, flüchtet auf einen Baum, stürzt, wird von dem Hund zerfleischt, und dessen Besitzer, der sie eigentlich nicht hat zu Tode kommen lassen wollen und sollen, zwingt das Tier, um jedes Zeichen für den ungeplanten Todesfall zu tilgen, das entstandene Blut von der Wiese zu schlecken. Zuvor ist die gleiche Frau nachts allein im Wald unterwegs, fühlt sich verfolgt, sieht komisch dampfende Maskenköpfe auf Stecken aus dem Unterholz ragen, trifft schließlich auf zwei Räuber, die sich um ihre Beute streiten, sie entdecken und wiederum verfolgen bis zu ihr nach Hause, wo sie, aus Angst, von ihnen gefunden und getötet zu werden, lieber selbst eine Überdosis Schlaftabletten nimmt, um ihnen zuvorzukommen. Da ist natürlich die nun wirklich komplett in einem Paralleluniversum angesiedelte Höhlenszene, in der unsere Heldin dem oben genannten Ghoul begegnet, mit ihm eine unfreiwillige Liebesnacht verbringt, worauf er sich, ohne dass sein Auftritt in irgendeiner Weise kontextualisiert werden würde, so schnell aus der Handlung verabschiedet wie er in sie hineingeflattert kam.

Man könnte, am Ende von LA PAPESSE, schreiben: Irgendwo auf der Welt, doch außerhalb von ihr, gibt es einen seltsamen Film, dessen Ursprünge in den Nebeln der Zeit verloren liegen, und der über gewisse Kräfte verfügt, die sich in einer Päpstin manifestieren. Gerne sähe ich, dass mehr Menschen diesen Film sehen.
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jogiwan
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Re: La Papesse - Mario Mercier (1975)

Beitrag von jogiwan »

hui, das tönt doch super und genau nach meinem Geschmack! Danke für die interessante Vorstellung des Streifen!
it´s fun to stay at the YMCA!!!



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