Studentin, 19, sucht... - Emmanuelle Bercot (2010)

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38763
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Studentin, 19, sucht... - Emmanuelle Bercot (2010)

Beitrag von buxtebrawler »

mes-cheres-etudes-french-movie-poster.jpg
mes-cheres-etudes-french-movie-poster.jpg (284.91 KiB) 55 mal betrachtet

Originaltitel: Mes chères études

Herstellungsland: Frankreich / 2010

Regie: Emmanuelle Bercot

Darsteller(innen): Déborah François, Mathieu Demy, Alain Cauchi, Benjamin Siksou, Anna Sigalevitch, Marc Chapiteau u. A.

Laura ist neu an der Universität. Trotz ihres Nebenjobs kommt sie einfach nicht über die Runden. Als sie wieder einmal knapp bei Kasse ist findet sie im Internet eine Kontaktanzeige. Joe sucht eine Studentin für "zärtliche Momente". Aus lauter Verzweiflung antwortet Laura und beschließt sich mit Joe zu treffen, nur ein einziges Mal. Vom schnellen Geld angelockt, trifft sie sich mit immer mehr Männern und rutscht tiefer in die Prostitution ab. Als sie sich in den charmanten Benjamin verliebt, will Laura damit aufhören. Doch das ist nicht so einfach ... (Covertext)

Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Benutzeravatar
buxtebrawler
Forum Admin
Beiträge: 38763
Registriert: Mo 14. Dez 2009, 23:13
Wohnort: Wo der Hund mit dem Schwanz bellt.
Kontaktdaten:

Re: Studentin, 19, sucht... - Emmanuelle Bercot (2010)

Beitrag von buxtebrawler »

Vom Callcenter zum Callgirl

„Wir haben genug geredet!“

Die französische Schauspielerin und Regisseurin Emmanuelle Bercot („Viel zu jung“) verfilmte im Jahre 2010 für das französische Fernsehen einen anonym veröffentlichten, autobiografischen Roman über Studentinnenprostitution, der 2008 erschienen war. Buch und Film greifen das gesellschaftliche Phänomen und Problem auf, dass ein angeblich nicht unbeträchtlicher Anteil Studentinnen sexuelle Dienstleistungen anbietet, um sich sein Auskommen während des Studiums zu finanzieren.

„Ob du dich vielleicht freimachen könntest?“

Laura (Déborah François, „Das Mädchen, das die Seiten umblättert“) ist 19 Jahre jung und hat gerade begonnen, an der Universität Fremdsprachen zu studieren. Trotz ihres Nebenjobs in einem Callcenter haben ihr Freund (Benjamin Siksou, „Blau ist eine warme Farbe“) und sie Probleme, das Geld für die Miete der gemeinsamen Wohnung aufzutreiben. Als sie sich im Internet nach alternativen Verdienstmöglichkeiten umsieht, stößt sie auf Kontaktanzeigen, in denen nach Sexarbeit gesucht wird. Sie lässt sich darauf ein und macht trotz schlechter Erfahrungen weiter, woran die Beziehung zu ihrem Freund zerbricht, wodurch sie aber immerhin ein stattliches Einkommen erzielt…

„Ja, sei sexy!“

Bei diesem Film, dessen Handlung ich hier grob wiedergeben werde, handelt es sich ausdrücklich um ein Drama, ohne „Erotik-“-Präfix. Trotz freizügiger Hauptdarstellerin und Inszenierung ist „Studentin, 19, sucht…“ nicht auf eine anregende Wirkung hin konzipiert, sondern rückt eine nach gängigen Maßstäben eher durchschnittlich attraktive Figur, die zudem nicht als klassische Sympathieträgerin gezeichnet ist, in den Mittelpunkt eines schroffen Realismus. Es handelt sich aber auch um keinen moralistischen Film, denn mit grundlegenden Verurteilungen in die eine oder andere Richtung hält er sich zurück. Das mag zunächst irritieren und trägt dann auch zum ambivalenten, nicht nach gewohnten dramaturgischen Strukturen funktionierenden Filmerlebnis bei.

„Was erwartest du? Du bist keine Kate Moss!“

Laura wirkt überaus naiv, als sie überrascht auf die Forderung ihres Freunds reagiert, sie möge sich doch bitte an der Miete beteiligen. Ihr unterernährungsbedingter Kreislaufzusammenbruch im Hörsaal ist in seiner Suggestion, sie würde aus Armut hungern, arg dick aufgetragen, und wie schnell sie beim bezahlten Sex landet, scheint erzählerisch überhastet und dadurch zu wenig motiviert. Ab dem Moment, ab dem man ihr bei der Ausübung ihres neuen „Jobs“ beiwohnt, packt einen der Film aber mit dieser Mischung aus Abscheu und Neugier, die einen dann eben doch dranbleiben lässt: Während ihres ersten Auftrags ist sie noch sehr verunsichert, tut dann aber rasch sehr abgeklärt. Bereits ihr zweiter Job fühlt sich jedoch mehr wie eine Vergewaltigung an. Die Beziehung zu ihrem Freund, dem sie nichts davon erzählt hatte, beendet sie im Anschluss – was auch bedeutet, dass sie die Miete für die Wohnung zukünftig allein stemmen muss.

„Besser das als Kassiererin im Supermarkt!“

Dass sie sich zum Lernen ausgerechnet in einen Livemusik-Club setzt, erscheint bizarr, ist für die Handlung aber insofern von Bedeutung, als sie dort jemanden kennenlernt. Sie lässt Erotikfotos von sich schießen und scheint dem horizontalen Gewerbe zu entkommen. Ein Zeitsprung führt zum Ende des ersten Semesters. Nur noch ein einziges Mal möchte sie sich prostituieren und gerät dabei ausgerechnet wieder an ihren allerersten Kunden: Joe (Alain Cauchi, „Wir waren Zeugen“). Der bezahlt sie mit einem neuen Notebook, benutzt sie für eine Bondage-Nummer und vergewaltigt sie mit einem Dildo. Das sind kranke, schwer erträgliche Szenen. In Benjamin (Mathieu Demy, „Stille Jagd“) findet sie einen neuen Freund, mit dem sie auch über ihre Erfahrungen sprechen kann. Ihre permanenten Geldsorgen werden nun wiederholt erwähnt – und in aneinandergereihten Szenenfragmenten wird gezeigt, dass sie sich ihren Vorhaben und Gewalterfahrungen zum Trotz weiterhin prostituiert. Die Summe, die sie jeweils einnimmt, wird dabei wie an einer Registrierkasse eingeblendet. Einer der Freier bescheißt sie, zahlt nur 20,- statt 200,- Euro. Und als ein weiterer Freier zu nerven beginnt, reagiert Benjamin gereizt. Er bekommt zunehmend Probleme mit ihrem Job. Die Beziehung zerbricht.

„Heutzutage ist alles käuflich...“

Es eskaliert, als sie von ihrem Fotografen ihre Aktfotos zurückfordert. Sie will nach Paris gehen und einen Neuanfang wagen, trifft sich trotz allem aber doch wieder mit Joe, der sie in einen Sexclub mitnimmt. Was dort geschieht, wird ausgespart, außer Lauras Entsetzen. Dennoch kassiert sie ihre 1.000,- Euro. Hinterher ist sie ganz aufgelöst und angewidert. Und dann hat Joe auch noch weniger Geld als vereinbart in den Umschlag gepackt, weil er sie noch einmal wiedersehen will. Er verarscht und belästigt sie weiterhin. Spätestens in diesen Momenten ist’s mit der Nachvollziehbarkeit Lauras Verhaltens ganz dahin, das eher an das eines Junkies denn an eine Studentin in finanziellen Nöten erinnert. Der Alternativlosigkeit, die sie empfinden muss, stellt der Film dann auch nichts zur Seite, sodass er das fatale Signal zu senden droht, dem sei tatsächlich so. Was nicht stimmt, denn, und das ist für alle Betroffenen wichtig zu wissen: Es gibt immer eine Alternative. Und, siehe da: Plötzlich nimmt sie dann doch einen Job in der Gastronomie an. Ihr zweites Semester besteht sie mit „gut“. Dann ruft sie Joe an, um ihm das zu sagen, weil er doch eine Art Vaterersatz geworden sei – das ist grotesk und erschreckend, aber immerhin ein Hinweis darauf, dass bei Laura psychologisch etwas sehr im Argen liegen muss.

Was genau das ist und ob es sich um eine Folge ihrer Erfahrungen als Prostituierte oder um eine bereits zuvor vorhandene Disposition handelt, beantwortet der Film nicht. Auch lässt er offen, ob sie nicht doch wieder mit der Sexarbeit angefangen hat, um sich eine Luxuswohnung leisten zu können. Der Epilog zeigt sie im TV-Studio, wo sie ihre Geschichte erzählt. Der Talkmaster unterstreicht diese mit Statistiken, die die prekäre finanzielle Situation von Studierenden untermauern. „Studentin, 19, sucht...” geht damit zurück auf Anfang, zurück zum Sozialdrama über mittellose Studentinnen und über die allgemeine Käuflichkeit von beinahe allem (wahrscheinlich die stärkste Aussage des Films). Eine psychologische Vertiefung bleibt aus, Laura einem seltsam fremd und das Ende offen, ohne Pointe, ohne Fazit. Das ist unbefriedigend und erweckt den Eindruck, als wisse der Film respektive Bercot respektive die anonyme Autorin der Literaturvorlage selbst nicht so recht, worauf sie eigentlich hinauswollen bzw. warum Laura – respektive die Buchautorin – sich eigentlich so verhält, wie sie es tut.

Wer Antworten, die über eine klamme Kasse hinausgehen, sucht, scheint mir hier an der falschen Adresse. Eine durch Sexarbeit erlernte Sucht nach dem schnellen Geld, die das eigene Gewissen und Selbstwertgefühl korrumpiert, wäre eine mögliche Antwort, doch das ist reine Interpreta- und Spekulation. Wer eine mitunter recht drastische Entromantisierung der Prostitution sucht, dürfte hier hingegen fündig werden.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
Antworten