Das 3. Auge - Mino Guerrini (1966)

Bava, Argento, Martino & Co.: Schwarze Handschuhe, Skalpelle & Thrills

Moderator: jogiwan

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horror1966
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von horror1966 »

Sehe ich auch so, ich finde Nero echt grandios. Und die Ähnlichkeiten zu Psycho liegen ja recht offensichtlich auf der Hand. Insgesamt ein wirklich toller Film. :thup:
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buxtebrawler
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von buxtebrawler »

Italo-Regisseur Mino Guerrini („Schulmädchen lieben heiß“) drehte mit „Das dritte Auge“ im Jahre 1966 einen interessanten Psycho-Thriller/Früh-Giallo komplett in Schwarzweiß und schuf damit die Grundlage für Joe D’Amatos wesentlich populärere Neuverfilmung „Sado – Stoß das Tor zur Hölle auf“.

Graf Mino ist mit Laura verlobt. Kurz vor der Hochzeit manipuliert die eifersüchtige Haushälterin Martha die Bremsen von Lauras Auto, worauf diese den Tod findet. Über das Ableben seiner großen Liebe kommt Mino nicht hinweg. Fortan lebt er allein mit Martha und seiner herrischen Mutter, die Laura abgrundtief verachtete, aus Angst, sie könne ihr ihren Sohn, der noch immer mit ihr im Bett zu nächtigen pflegt, entreißen. Als auch noch seine Mutter stirbt, verliert Mino endgültig den Verstand und ermordet eine junge Frau nach der anderen, während Martha um seine Liebe buhlt, er sich aber an die ausgestopfte Leiche Lauras hält, die er sich in sein Bett gelegt hat.

Die genretypisch bei den privilegierten Herrschaften angesiedelte Geschichte ist herrlich bösartig, krude und plakativ und zeigt den geistigen und sittlichen Verfall eines degenerierten, inzestuösen Adelsgeschlechts, das in seinen Gemäuern weitestgehend isoliert von der Außenwelt vegetiert und den Bezug zur Realität in erschreckendem Ausmaße verliert. Damit hat „Das dritte Auge“ viel von einem Gothic-Grusler und könnte prinzipiell ebenso im viktorianischen Zeitalter spielen, obgleich er zeitlich anscheinend in der Gegenwart angesiedelt wurde. Italo-Western-Star Franco Nero („Django“) ist als Graf Mino in einer für ihn ungewöhnlichen Rolle zu sehen, die mir trotz seines schauspielerischen Talents zu akzeptieren schwerfiel. Zunächst musste ich sogar zweimal hingucken, um zu glauben, dass es sich um Nero und nicht etwa um Fabio Testi handelt, der eigentlich für derartige Schönlingsrollen prädestiniert war. Erst einmal daran gewöhnt, wird das gelackte und pompöse Ambiente inkl. Nero aber zum schönen Kontrast gegenüber dem psychopathologischen Wahnsinn, der sich in ihm abspielt.

Nun setzte Guerrini, sicherlich auch dem Entstehungszeitpunkt geschuldet, nicht sonderlich auf die explizite Darstellung von Sex und Gewalt und verzichtete gar komplett auf Farbe. Das unterstreicht einerseits die unwirtliche Tristesse, in der Mino lebt, ist andererseits aber auch – Mario Bavas zwei Jahre zuvor erschienenen Genrebegründer „Blutige Seide“ im Hinterkopf habend – eine vertane Chance, die dieser bisweilen etwas pseudokünstlerisch und bemüht bedeutungsschwanger wirkenden Farblosigkeit geopfert wurde und dem Giallo das Knallige, Offensive nimmt.

„Das dritte Auge“ wird dramaturgisch ohne bemerkenswerte Längen erzählt und die Schockwirkung, die er seinerzeit mit Sicherheit hatte, ist noch immer spürbar, muss hinter etwas später gefolgten Genreproduktionen aber deutlich zurückstecken, zumal die Umsetzung gerade für einen Giallo trotz solider Leistungen aller Beteiligter eher bieder wirkt. Dennoch entfaltet die absonderliche Geschichte durchaus ihr Potential und weiß über die komplette Distanz ordentlich zu unterhalten. Doch während das unschwer erkennbare, große Vorbild „Psycho“ noch über ein „Whodunit?“ verfügte und andere Gialli knallbunt und/oder künstlerisch verspielt daherkommen und eine aufsehenerregende Ästhetisierung der Gewalt zu bieten haben, fehlt es Guerrinis Film einfach am gewissen Etwas, das ihn fest im Langzeitgedächtnis verankern oder zumindest dafür sorgen würde, dass man ihn sich immer wieder gerne ansieht. Letztlich wird er dadurch stets in erster Linie als Inspirationsquelle für D’Amato betrachtet werden, welcher den brutalen Konsequenzen des psychischen Defekts Minos visuell Ausdruck verlieh und damit seinen vermutlich besten Film schuf. Aber das ist ein anderes Kapitel des italienischen Genrekinos.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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CamperVan.Helsing
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von CamperVan.Helsing »

Ich hab da doch ziemliche Probleme, den Film unter Giallo einzuordnen. Insofern geht auch dort auch der Hinweis auf Mario Bava als Genrebegründer etwas fehl, für mich stammt das 3. Auge doch aus der Gothic-Ecke.

Ein sehenswerter Film, der belegt, dass Drastizität (gibt es dieses Wort?) nicht immer notwendig ist, um zu beeindrucken (auch wenn das Ergebnis ein paar Jahre später wohl schon wieder ganz anders ausgefallen wäre)
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DrDjangoMD
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von DrDjangoMD »

ugo-piazza hat geschrieben:Ein sehenswerter Film, der belegt, dass Drastizität (gibt es dieses Wort?) nicht immer notwendig ist, um zu beeindrucken (auch wenn das Ergebnis ein paar Jahre später wohl schon wieder ganz anders ausgefallen wäre)
Ich finde zwar sowohl "Sado" alsauch "Das dritte Auge" äußerst gelungen und fühle mich nicht im Stande einen als "besser" als den anderen zu bezeichnen, aber dennoch muss ich im Nachhinein betrachtet gestehen, dass "Sado" doch eher im Gedächtnis bleibt. Fast jede Einstellung dieses Filmes ist nach einmaliger Sichtung in meinen Gehirn verankert, wogegen ich auf viele Aspekte aus "Das Dritte Auge" nur nach längerem Nachdenken oder der Lektüre der wie immer großartig gelungenen Bux'schen Kritik komme. Dies liegt möglicherweise auch an der Drastizität (Copyright by the Ugo), aber sicherlich nicht nur, denn auch diverse harmlosere Szenen wie die diversen Landschaftsaufnahmen, die Autofahrt mit der Leiche im Kofferraum oder das phenomenale Ende mit dem Sarg sind mir wesentlich klarer geblieben als sämtliche Sequenzen aus "Das dritte Auge". Das nur nebenbei bemerkt ohne einen der beiden Filme dadurch abzuwerten.
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buxtebrawler
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von buxtebrawler »

ugo-piazza hat geschrieben:Ich hab da doch ziemliche Probleme, den Film unter Giallo einzuordnen. Insofern geht auch dort auch der Hinweis auf Mario Bava als Genrebegründer etwas fehl, für mich stammt das 3. Auge doch aus der Gothic-Ecke.

Ein sehenswerter Film, der belegt, dass Drastizität (gibt es dieses Wort?) nicht immer notwendig ist, um zu beeindrucken (auch wenn das Ergebnis ein paar Jahre später wohl schon wieder ganz anders ausgefallen wäre)
Ja, ist schon eine eigenwillige Mixtur, irgendwie. "Psycho" trifft auf Gothic trifft auf Giallo. Oder so.

@Doc2: Danke! Was die Erinnerung an Filmszenen betrifft, ergeht es mir übrigens genau wie dir. Für mich persönlich empfinde ich "Sado" daher schon als den beeindruckenderen Film.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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jogiwan
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von jogiwan »

Vor Jahren tippte ich mal Folgendes:

Mino Guerrinis "Das 3. Auge" ist ein interessanter und kurzweiliger Schwarzweiss-Gothic-Grusler im Stile von Hitchcocks „Psycho“, mit bekannten Gesichtern und grandiosen Darstellern, der über weite Strecken sehr gut zu unterhalten weiß. Eine züchtige Psychostudie über einen verwirrten jungen Menschen, der im Grunde nichts anderes als lieben und sich geborgen fühlen möchte. Das Ganze ist eingefangen in schicken, schönen Bildern im gediegener Atmosphäre und flotter Musik. Das Tempo ist dabei eher gemächlich und hat mit dem reißerischen und weichzeichnerischen Quasi-Remake „Sado“ wenig gemeinsam. „Tore zur Hölle“ werden jedenfalls auch keine aufgestoßen und die Gewaltszenen wirken allesamt etwas altbacken und so wie die Tanzdarbietung der Stripperin – pardon – des internationalen Tanzstars Maria Margot teils beinahe erheiternd... Weil aber auch das Preis-/Leistungsverhältnis der DVD stimmt, Erika Blanc mit von der Partie ist und das Teil auch noch der Vorläufer eines meiner Alltime-Fave-Filme ist, gibt es natürlich zusätzlich Bonus-Punkte. Somit gibt’s an dieser Stelle für diesen absoluten Zufalls-Glückskauf auch 7 - 8 von 10 über die Klippen gejagte Alfa Romeros. Cool!
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McBrewer
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von McBrewer »

DAS 3. AUGE...ein guter Einstieg in den langen "Buio-Omega" Abend :D
Es gibt glaube ich nichts, was nicht von meinen Vorrednern (allen voran @Jogi) nicht schon gesagt wurde.
guter (an PSYCHO angelehnter) Gothic-Grusel mit einem tollen (jungen) Franco Nero, für die damalige Zeit sicher sehr sleazy...
Nur kam der mir in einige Handlungsszenen doch gekürzt vor, gerade zum Schluss/Final hin :? :|
...das ging mir dann doch zu schnell :pfeif:
Eine gute 7/10 ziehe ich trotzdem...natürlich mit Blick auf BUIO OMEGA
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Il Grande Racket
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini

Beitrag von Il Grande Racket »

Ouh, den fand ich schrecklich! Seinerzeit bestimmt skandalös, entlockten mir die meisten Schocks eher ein müdes Gähnen oder im besten Fall ein lautes Lachen. Franco Nero nahm ich seinen Charakter mit fortlaufender Entwicklung kaum mehr ab. Ne, der war nicht mein Fall...4/10
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sid.vicious
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini (1966)

Beitrag von sid.vicious »

Originaltitel: Il terzo occhio
Regisseur: Mino Guerrini
Kamera: Alessandro D'Eva
Musik: Francesco De Masi
Drehbuch: Gilles De Reys, Mino Guerrini, Piero Regnoli, Phil Young
3193858.jpg
3193858.jpg (17.25 KiB) 435 mal betrachtet
Mino lebt gemeinsam mit seiner Mutter (Contessa Alberti) und der Haushälterin Marta in der Villa Alberti. Die enge Bindung, die zwischen dem attraktiven jungen Mann und seiner Mutter (mit der er im selben Zimmer schläft) besteht, ist vermutlich dem Verlust seines Vaters geschuldet. Konträr zu dieser Bindung und seines befremdlichen Verhalten hat Mino vor geraumer Zeit ein hübsches Mädel kennen gelernt. Jener Augenstern, der sich Laura nennt, ist seither ein ständiger, allerdings auch unwillkommener Gast im Hause Alberti. Doch als ob ihre Unerwünschtheit nicht schon schlimm genug wäre, will Mino in naher Zukunft mit seiner Errungenschaft in den Hafen der Ehe einlaufen. Die Contessa, die nicht nur Antipathie und Aversion gegen Laura, sondern gegen alle Frauen, die ihrem Filius zu nahe treten könnten, hegt, ist von den Plänen freilich nicht im Geringsten angefixt und will die Heirat mit aller Gewalt und ohne Rücksicht auf Verluste vereiteln. Um dieses Ziel zu erreichen ist sie bereit, über Leichen zu gehen. Da sich eine Contessa jedoch ungern die Hände schmutzig macht, geschweige denn mit Blut befleckt, fällt die Drecksarbeit in Martas Ressort. Jene Haushälterin, die in der Villa Alberti das Licht der Welt erblickte, seit jeher für die Albertis ackert wie rackert und im Zuge von vorgespielter Loyalität und der hoffnungsreichen Aussicht auf fürstliche Entlohnung auch vor einem Mordauftrag nicht zurückschreckt. Demgemäß manipuliert Marta die Bremsen in Lauras Auto, und ausgerechnet Mino muss kurze Zeit später mit ansehen, wie die große Liebe seines Lebens in den Tod rast. Doch die heimtückische Tat ist erst der Auftakt zu einer Reihe von Morden, die von Stund an vom blutigen Wahnsinn flankiert werden.

Da ich mit dem Gedanken jongliere, zusätzlich Regale für meine umfangreiche Filmsammlung zu erwerben, habe ich kürzlich ein wenig vorselektiert und bin über manch DVD gestolpert, die ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gesichtet habe. Eine dieser Entdeckungen ist DAS DRITTE AUGE. Ein von Mino Guerrini inszenierter Psycho-Thriller, der rund 13 Jahre nach seinem Erscheinen als Vorlage für Joe D´Amatos berüchtigtem SADO - STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF fungierte. Seine Inspirationen zog Guerrini (vermutlich) aus der Hammer-Schmiede (DER SATAN MIT DEN LANGEN WIMPERN, HAUS DES GRAUENS) sowie aus PSYCHO und einigen weiteren Hitchcock-Vehikeln, die ich im Laufe der Besprechung noch benamsen werde.

„Ich gäbe sonst was dafür, wenn man mich von dieser Laura befreien würde!“ (Contessa Alberti)

Entgegen der beruhigenden Eingangsmusik, die harmonische Melodien in unsere Ohren schweben lässt, wirkt die Atmosphäre im Hause Alberti. Disharmonie ist ein zu humanes Wort, um den hier herrschenden Hass und dessen treuen Begleiter, die Missgunst, zu umschreiben. In der Villa Kunterbunt geht es derbe rund und man treibt man es deutlich zu bunt, denn hier leben und machinieren bzw. leiden und intrigieren Mutter, Sohn und eine bemerkenswert tüchtige Hausangestellte. Wie und woran der hier fehlende Hausherr, die starke Hand, der Vater, starb oder ob er evt. die Familie verlassen hat, erfahren wir nicht¹, aber unvollständige Familien sind schließlich keine Rarität innert derart ambitionierter Filmproduktionen. Ebenfalls keine Ausnahme sind in diesem Zusammenhang die Eindringlinge. Jene Personen, die Hass und Missgunst bewusst in eine an sich intakte Gemeinschaft tragen oder - wie in diesem Fall - latent vorhandenen Hass und Missgunst unbewusst additional befruchten und simultan katastrophale Folgen heraufbeschwören.

Gemäß der Haushälterin Marta sind die Contessa und ihr Sohn eine Person. Aus dieser Aussage lässt sich lesen, dass Mino eine maternistische Persönlichkeit ist, die ihre Sozialisation mittels der Mutteridentifikation (Remember: der fehlende Vater / der Verlust des Vaters) durchlief. Die Contessa will nun unter allen Umständen verhindern, dass ihr Sohn seine Laura ehelicht. Sie ist eifersüchtig auf jedes x-beliebige weibliche Wesen, das ihrem Mino zu nahe kommt, und fürchtet ihren Sohn sowie die Macht über ihn zu verlieren. Um ihre Souveränität zu bewahren, ihre nahezu totalitäre Tyrannei zu kräftigen, einhergehende Kontrolle auszuüben und somit über jeden Schritt ihres Sohns auf dem Laufenden zu sein, ließ die Contessa diverse Löcher in die Wände bohren. Spätestens jetzt werden Sie an Hitchcocks (Mütter spielen in Hitchs Filmen übrigens oft eine zentrale Rolle) PSYCHO und im Besonderen an Norman Bates denken, der Marion Crane ebenfalls mittels eines Lochs in der Wand nachspionierte. An jenen Norman Bates, der die Leiche seiner Mutter stahl, sie so gut wie möglich konservierte und im Keller verbarg, mitunter in deren Kleider schlüpfte, um anschließend emsig mit dem Küchenmesser zu morden.

Mino ist ein passionierter Tierpräparator, der seine ermordete Freundin ausstopfte (der Vorgang wird nicht visualisiert und ereignet sich nur auf der Metaebene) und anschließend wie Frank Wyler (SADO - STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF) in seinem Bett platzierte. Auch wenn Mino seine ebenfalls früh zu Tode gekommene Mutter nicht präpariert und in den Sessel oder in den Schaukelstuhl setzt, ist es offenkundig, dass der junge Mann vorübergehend in die Rolle seiner M schlüpft² und alle Frauen, die ihm zu nahe kommen, tötet. Wer seine Augen aufhält, der kann im Kontext der Persönlichkeitsstörung notabene eine Szene beobachten, in der sich Mino typisch weiblich verhält. Gemeint ist die Szene, in der er sich verzweifelt zu Boden wirft und Martas Beine umklammert. Ein solches Gebaren schreibt man gemeinhin hysterischen Frauen zu.

Wir erfahren Mino, und das sollte nun allen klar sein, als einen gestörten Charakter, der uns in keiner Weise einen Halt spendiert. Seine anfänglich zumindest zwiespältige Verhaltensweise weicht wenig später einem durch und durch beunruhigenden Habitus, der uns jeglicher Hoffnung, Mino könne sich zum Guten wandeln und uns schlussendlich doch noch als Identifikationsfigur dienen, beraubt. Laura, Minos angehende Ehefrau, bietet sich in ihrer Eigenschaft als Eindringling freilich als Identifikationsfigur an, aber sie segnet wie Marion in PSYCHO sehr früh das Zeitliche. Guerrini lässt kurze Zeit später deren Schwester (Daniela) ins Geschehen eingreifen, womit eine weitere Parallele (Lili Crane) zu PSYCHO (der Mord unter der Dusche wird, wenn auch in abgewandelter Manier, ebenfalls zitiert) erkennbar ist. Da keine der Personen unseren Identifikationsansprüchen gerecht wird, werden wir zum neutralen wie aufmerksamen Beobachter. Wir beobachten, wir warten ab und lassen das Geschehene respektive das Gesehene reflektieren…

Letzteres Verb liefert die minder gelenke Überleitung zu den Reflektionen, treffender formuliert zu den Schattenspielereien (ungeachtet ob Primär- oder Sekundärschatten), die DAS DRITTE AUGE inkludiert. Die Beleuchtung hat zu diesem Zweck die Traditionen des Expressionismus aufgenommen und der Kamera einige vorzügliche Kompositionen serviert. Das fertige Produkt lässt auch in diesem Zusammenhang Gemeinsamkeiten mit Hitchcock (man schaue DER FALL PARADIN, DIE 39 STUFEN als auch REBECCA) erkennen. Ähnlich komponierte Schattenspiele können Sie freilich auch in den bereits zu Vergleichszwecken genannten Hammer-Produktionen sowie - um Italien treu zu bleiben - in zahlreichen italienischen Gothic-Horror-Produktionen beobachten. Diese schaurig schönen Gothic-Vehikel verlagern ihre Schauplätze in dito schaurig schöne Gebäude, in denen monströse Halbwesen, verunstaltete als auch geisteskranke Menschen Bewohner wie Gäste gleichermaßen bedrohen. Nicht selten hausen diese Bedrohungen in einem bestimmten Teil des Gebäudes: Nord-, Süd- Ost- oder Westflügel. Gebäudeteile, die man aufgrund der bekannten Gefahr meiden soll, was aber zumeist nicht beachtet wird. Ab und an werden diese Gebäudeteile auch abgesperrt, weil ein Angehöriger, der in diesem Trakt lebte, zu Tode kam. So ordnet auch Mino nach dem Tod seiner Mutter an, dass fortan niemand den Flügel des Hauses betreten darf, in dem die Verblichene einst lebte. Eine Anweisung, die mich erneut an Hitch, im Besonderen an seinen wunderschönen Film REBECCA erinnert. Dort, im malerischen Manderley, musste der Westflügel, in dem die verblichene Rebecca de Winter lebte, unangetastet bleiben.

Wie eingangs gesagt handelt es sich bei DAS DRITTE AUGE um die Inspirationsquelle zu SADO - STOß DAS TOR ZUR HÖLLE AUF. Wer jenes berüchtigte Remake auf dessen Ekel- und Goreszenen reduziert, der hat sie erfahrungsgemäß eh nicht alle auf dem Christbaum. Zudem wird dem angesprochenen Personenkreis, und dafür sprechen ebenfalls meine Erwahrungswerte, auch die extrem morbide Atmosphäre, die SADO zueigen hat und die D´Amatos Film nach meinem Dafürhalten erst einmal interessant macht, entgangen sein.

Trotz des fortwährend bedrückenden Todesflairs, das mich immerzu erfolgreich zu SADO verführen kann, sehe ich im direkten Vergleich das Original vor dem Remake. Dafür sorgen gute Darsteller, eine spannende Inszenierungsweise sowie eine aparte, zwischen Hitchcock, Hammer und Italo-Gothic schwingende Schwarzweiß-Fotografie. Die Schwarzweiß-Fotografie eines Films, in dem Hass und Wahn zum Greifen nahe sind und wo der Tod das erste wie auch letzte Wort spricht. Ein Film, der leider ein eher unbekanntes Dasein fristet und deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient hat.

Fußnoten:
¹ Zumindest lässt uns die deutsche TV-Synchronisation darüber im Unklaren, warum und wie der Vater die Familie verlassen hat.

² Auch wenn Bodo Fründt in seinem Buch „Hitchcock und seine Filme“ im Kontext von PSYCHO behauptet, dass die Einschätzung des Psychiaters, Dr. Fred Richmond, absichtlich unbefriedigend ausgefallen ist, sollte uns Richmonds Behauptung hinsichtlich der Entwicklung Norman Bates, zwecks eines Vergleichs mit Mino Alberti, interessieren: „Normans kritisches Stadium hat mit dem Tod seines Vaters begonnen, seine Mutter hatte danach rücksichtslos von ihm Besitz ergriffen.“
https://italo-cinema.de/item/3-auge-das
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jogiwan
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Re: Das 3. Auge - Mino Guerrini (1966)

Beitrag von jogiwan »

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