Don't torture a duckling - Lucio Fulci (1972)

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buxtebrawler
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Re: Don't torture a duckling - Lucio Fulci (1972)

Beitrag von buxtebrawler »

„Der Mörder ist unter uns!“

Auf „A Lizard in a Woman's Skin” folgte im Jahre 1972, also nur ein Jahr später, der nächste Giallo des italienischen Filmemachers Lucio Fulci: Der unter dem Titel „Don't Torture a Duckling“ geläufigste Film fand seinerzeit leider keinen deutschen Verleih, dank der vom deutschen Label „’84 Entertainment“ in Auftrag gegebenen deutschen Synchronisation ist er jedoch seit 2015 endlich auf Deutsch verfügbar. Das Drehbuch verfasste Fulci zusammen mit Gianfranco Clerici und Roberto Gianviti, die beide so einige Italo-Klassiker in der Vita haben, und arbeitete erneut mit der Schauspielerin Florinda Bolkan zusammen.

„Guiseppe ist ein Spanner!“

In einem apulischen Dorf grassiert eine Kindermordserie. Man sucht den Schuldigen und glaubt ihn zunächst im geistig zurückgebliebenen Guiseppe (Vito Passeri, „Die sieben schwarzen Noten“) gefunden zu haben. Als klar wird, dass es sich bei ihm lediglich um einen Trittbrettfahrer handelt, fällt der Verdacht auf die als Hexe verschriene Maciara (Florinda Bolkan, „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“) und scheint sich zu bestätigen. In einem Anfall von Selbstjustiz wird sie grausam totgeschlagen. Auch die moderne, attraktive Patrizia (Barbara Bouchet, „Die rote Dame“), die aus der Stadt zugezogen ist und ein besonderes Interesse an Jungen zu haben scheint, hat sich verdächtig gemacht. Mit dieser tut sich der Journalist Martelli (Tomás Milián, „Der Gehetzte der Sierra Madre“) zusammen, um den Täter ausfindig zu machen. Eine Spur führt zum Dorfpfarrer Don Alberto Avallone (Marc Porel, „Tödlicher Hass“) …

„Ein fürchterliches Verbrechen – aus Ignoranz und Aberglaube. Wir bauen Autobahnen, sind aber Meilen entfernt von aufgeklärter Denkweise. Was für eine Schande, wie rückständig die Leute hier sind!“

Fulci inszeniert das Dorf Accedura als einen abgeschiedenen Ort, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Die über eine Brücke führende einfache Zufahrtstraße führt die Menschen und damit moderne Einflüsse eher an Accedura vorbei denn hinein. Wunderschöne, sonnendurchflutete Landschaftsbilder kontrastieren die Vorgänge im Dorf und seine Bewohnerinnen und Bewohner. Die Kinder, die eines nach dem anderen ermordet werden, sind keine unbeschriebenen Blätter, sondern quälen Tiere und rauchen dabei Gaulloises. Guiseppe erfüllt die Funktion des klassischen Dorfdepps, der dennoch glaubt, andere übertölpeln zu können, zwei dicke Prostituierte warten auf Kundschaft und Maciara malträtiert Voodoopuppen. Patrizia, dargestellt von einer gewohnt zeigefreudigen Barbara Bouchet, ist der große Fremdkörper in diesem Dorf; ausgerechnet sie scheint einen Narren an den Jungs gefressen zu haben, sie spielt mit deren in Ansätzen vorhandenen Libidoentwicklung und versucht, sie zu verführen. Frei von moralischer Verwerflichkeit ist hier also kaum niemand. Patrizia bringt dabei das einzige Giallo-typische Glamouröse ein. In jeder Szene trägt sie ein anderes Outfit (oder auch gar keines) und ihre durchgestylte Wohnung wirkt inmitten der kargen, felsigen Dorflandschaft wie Science-Fiction.

Eine kurze Point-of-View-Szene des einen ungewöhnlich geringen Betrag verlangenden vermeintlichen Entführers führt zunächst auf eine falsche Fährte, die rasch aufgedeckt wird. Mehrere weitere Figuren machen sich verdächtig, ein Familiendrama kommt zur Sprache und schließlich wird Maciara gefasst, die ein falsches Geständnis ablegt und einen epileptischen Anfall erleidet. Für den Aufbau dieser Sequenz arbeitet Fulci mit Rückblenden, die schließlich in einen verstörenden Fall von Selbstjustiz münden: Ähnlich grausam wie Jahre später in „Über dem Jenseits“ der Maler Schweick wird Maciara Opfer eines grafisch überaus explizit inszenierten Lynchmords, zu dem von der Tonspur handlungsimmanente Radiomusik dudelt. Urlauber fahren anschließend achtlos an der Sterbenden vorbei. Genretypisch benötigt die Polizei Hilfe von außen, also kommt der Reporter Martelli ins Spiel, der sich mit ungetrübtem, rationalem Blick auf die Geschehnisse durch ein Dickicht aus (Aber-)Glaube, Wahnsinn, Gewalt und Inkompetenz wühlt.

Unterlegt von Riz Ortolanis Musik arbeitet Fulci mit einer prachtvollen Kameraführung, die sich die Zeit für einige beunruhigend langsame Fahrten nehmen darf. Das Finale fällt wahrlich schwindelerregend aus; bei einer Sturzszene muss auch Fulci Abstriche bei den Spezialeffekten machen und sich einer (wie auch später in „The Psychic“) klar als solche erkennbaren Puppe bedienen. Der/die Täter(in) erklärt sich angesichts seines/ihres Todes per Voice-over und die Kinderstimmen, die am Ende das Tal durchdringen, scheinen zu signalisieren: Auch die rückwärtsgewandte Kirche wird die neuen Generationen letztlich nicht aufhalten können. Fulcis vielleicht hochwertigster Giallo ist in seiner gekonnt transportierten unangenehmen Atmosphäre, seinem pessimistischen Weltbild und seinen blutigen Szenen überaus stimmig geraten, bleibt lediglich in der Figurenzeichnung etwas oberflächlich – nämlich zugunsten eines plakativen Wutausbruchs gegen die katholische Kirche und unaufgeklärten dörflichen Aberglauben, der trotz seines (im Rahmen des Films relativ) hoffnungsvollen Endes nihilistische und misanthropische Anleihen enthält.

Der Originaltitel „Non si sevizia un Paperino“ gibt mit „Paperino“ bereits einen Hinweis auf eine im Film Bedeutung erlangende Donald-Duck-Figur, womit „Don’t Torture a Duckling“ eine Parallele zu Fulcis späterem, von einer ähnlich düsteren Sicht auf die Menschheit geprägten „Der New York Ripper“ aufweist. Und mit seinem Drehort existiert offenbar eine Parallele zu Brunello Rondis „Il Demonio“, in dem es ebenfalls eine Dorfgemeinschaft auf eine Hexe abgesehen hat.
Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)
Diese Filme sind züchisch krank!
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