„Sie sind sehr müde, oder?“
Der italienische Regisseur Luigi Bazzoni, der es lediglich auf ungefähr eine Handvoll Inszenierungen brachte, ist in erster Linie für seine „Carmen“-im-Italo-Westerngewand-Adaption „Mit Django kam der Tod“, seinen Giallo „Ein schwarzer Tag für den Widder“ sowie den Mystery-/Psycho-Thriller „Spuren auf dem Mond“ bekannt. Er debütierte jedoch bereits im Jahre 1965 (lässt man seine ersten Gehversuche in Form eines Kurzfilms außer Acht) mit dem bis heute nie deutsch synchronisierten, noch (bzw. wahrscheinlich bewusst) in Schwarzweiß gedrehten Frühgiallo „La donna del lago“, den er zusammen mit Co-Regisseur Franco Rossellini realisierte. Es handelt sich um die Verfilmung eines Romans Giovanni Comissos.
„Ich stand Seen immer recht misstrauisch gegenüber...“
Schriftsteller Bernard (Peter Baldwin, „Die zehn Gebote“) spürt, dass er eine Veränderung in seinem Leben braucht, und trennt sich von seiner Lebensgefährtin Claudia. Er nimmt sich eine Auszeit und reist zu einem entlegenen Tiroler Örtchen an einem malerischen See, den er seit Kindheitstagen regelmäßig besucht – und wo er im vergangenen Jahr das attraktive Dienstmädchen Tilde (Virna Lisi, „Wie bringt man seine Frau um?“) heimlich beim Sex beobachtete. Seither geht sie ihm nicht mehr aus dem Kopf; er verspürt einen beinahe manischen Drang, sie wiederzusehen. Vor Ort trifft er statt auf Tilde jedoch auf eine Mauer des Schweigens, bis er erfährt, dass Tilde Suizid begangen haben soll. Der ortsansässige Fotograf Francesco (Pier Giovanni Anchisi, „Die sündigen Nonnen von St. Valentin“) hingegen behauptet Bernard gegenüber, Tilde sei schwanger gewesen und ermordet worden. Da die Polizei die Ermittlungen bereits eingestellt hat, ermittelt der entsetzte Bernard auf eigene Faust. Doch die Mauer des Schweigens bleibt undurchdringlich. Wer es wagt, sie zu durchstoßen, verliert ebenfalls sein Leben – wie Adriane (Pia Lindström, „Hochzeit auf Italienisch“), Tochter des Hotelbetreibers Enrico (Salvo Randone, „Das 10. Opfer“) …
„Sie war sehr hübsch.“
Bernard fungiert auch als Off-Erzähler im Präteritum, ein an den Film noir gemahnendes Stilmittel – und zumindest mit einem Bein scheint „La donna del lago“ auch in jener Gattung zu stehen, der auch die allgegenwärtige Melancholie entlehnt hat. Die Geheimniskrämerei und der sehr zurückgenommene Erzählrhythmus wiederum lassen Rückschlüsse auf ein Mystery-Drama zu (zudem soll er Parallelen zum von mir leider noch immer ungesehenen „Letztes Jahr in Marienbad“ aufweisen), während als typische Giallo-Charakteristika die Ermittlungen eines Fremden ohne Hilfe der Polizei, ein einzelnes, wichtiges Detail (hier auf einem Foto), eine nicht ungefähre Portion Psycho-Thrill und die Dopplung in der Auflösung durchgehen.
„Nur eine schwere Grippe, sonst nichts.“
Nicht zu vergessen ist in dieser Aufzählung der Stilwille: Trotz Farblosigkeit werden visualisierte Erinnerungen Bernards bemerkenswert ausgeleuchtet und inszeniert, während Tirol seit Tildes Tod trostlos und trist wirkt (was man wohl auch erst einmal hinkriegen muss) – Leonida Barboni zeigt, was er an der Kamera kann. Bernard träumt schlecht von Enricos Tochter Irma (Valentina Cortese, „Julia und die Geister“), und jene Situation, in der Bernard Tilde beim Sex beobachtete, wird in Form von Rückblenden wiederholt rekapituliert, was seine Besessenheit von ihr illustriert. Die, was das Tempo anbelangt, gemächliche Dramaturgie wird von einer zur Dramatisierung neigenden orchestralen musikalischen Untermalung kontrastiert. Bazzoni und Rossellini arbeiteten mit einer renommierten Besetzung internationaler Schauspieler und italienischer Diven, sodass auch in dieser Hinsicht nichts anbrennt. Der Schnitt jedoch beschert einem mitunter verwirrende Szenenwechsel und die Pointe ist irgendwo zwischen vorhersehbar und abgefahren einzuordnen.
Bazzonis und Rossellinis Debüt geht als gelungener Giallo aus der Prä-Fenech-&-Co.-Phase durch, der mit der in einer Sinnkrise gefangenen, Hoffnungen und Obsessionen auf eine ihm eigentlich nur flüchtig Bekannte projizierenden, künstlerisch und nachdenklich veranlagten männlichen Hauptrolle eine interessante Identifikationsfigur bietet. Diese lässt man genüsslich durch ein düsteres Verwirrspiel irren und das Publikum manch roten Hering schlucken. „La donna del lago“ vermengt seine eingangs erwähnten Gattungs- und Genre-Merkmale mit der einen oder anderen Kriminalfilmkonvention und wirkt dabei noch nicht so leichtfüßig und frei in Stil, Ästhetik und nicht zuletzt Inhalt wie Bazzonis spätere Großtaten, ist aber ein nicht nur für Giallo-Archäologinnen und -Archäologen zweifelsfrei sehenswertes Stück italienischer Genrefilm-Geschichte.
The Lady of the Lake - L. Bazzoni / F. Rossellini (1965)
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Re: The Lady of the Lake - L. Bazzoni / F. Rossellini (1965)
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!