24 Horas de Sexo Explícito - José Mojica Marins (1985)

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Salvatore Baccaro
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24 Horas de Sexo Explícito - José Mojica Marins (1985)

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Originaltitel: 24 Horas de Sexo Explícito

Produktionsland: Brasilien 1985

Regie: José Mojica Marins

Darsteller: Vânia Bonier, Albano Catozzi, Bené de Oliveira, Walter Laurentis, Sílvio Júnior
In den 80ern befindet sich nicht nur die brasilianische Filmindustrie im Allgemeinen in einer Krise, sondern mit ihr auch einer ihrer eigenwilligsten Vertreter. Bereits im Verlauf des vorherigen Jahrzehnts hat Regisseur, Drehbuchautor und Schauspieler José Mojica Marins sukzessive an Popularität eingebüßt. Zum integralen Bestandteil der Popkultur seines Heimatlandes ist er 1964 geworden, als sein dritter Spielfilm À MEIA NOITE LEVAREI SUA ALMA das Vielfache seiner außerordentlich limitierten Produktionskosten einspielen konnte. Seine Rolle als nihilistischer, blasphemischer, für seinen Wunsch, einen Sohn zu zeugen, über Leichen gehender Totengräber Zé do Caixao macht ihn quasi über Nacht zum Nischenstar. Auch in der Fortsetzung ESTA NOITE ENCARNAREI NO TEU CADÁVER drei Jahre später bleibt Mojica seiner Kunstfigur treu, die mit ihren krallenartigen Fingernägeln, ihrem Dracula-Cape und einem ausgeprägten Sadismus die wohl einzige genuin brasilianische Schreckgestalt sein dürfte, die das dortige Kino hervorgebracht hat. Die Budgets mögen weiterhin in den unteren Sektoren angesiedelt sein, Mojica schafft es mit seinen kruden Visionen irgendwo zwischen klassischem Universal-Horror und Herrschell-Gordon-Lewis-Blutfesten trotzdem (oder gerade deshalb) zugleich die Zensoren des brasilianischen Militärregimes auf den Plan zu rufen als auch in der Gunst eines eher jüngeren Publikums so weit zu steigen, dass er mit TV-Auftritten, öffentlichkeitswirksamen Kampagnen wie seiner Kandidatur für ein lokalpolitisches Amt, und natürlich einer kontinuierlichen Produktion von Filmen, in denen er sich und seine Kunstfigur zunehmend von einer Meta-Ebene auf die nächste hievt, alsbald zu einem der schillerndsten Flecken lateinamerikanischer Unterhaltungskultur zu werden.

Dennoch sind Anfang der 80er die Wellen des Ruhms dabei, in eine finanzielle und künstlerische Flaute überzugehen. Mit Geld hat er nie haushalten können, erklärt Mojica im Interview für die 2000 entstandene Dokumentation MALDITO – und wenn er nur zehn Prozent all der Chancen ergriffen hätte, die sich ihm im Lauf seiner Karriere geboten haben, würde er heute ganz anders dastehen. Was er zwei Jahrzehnte zuvor jedoch ergriffen hat, das ist ein Angebot der Pornoproduktionsfirma Fotocenas Films: Falls er für sie eine Handvoll expliziter Sexfilme schießen würde, würde die ihm im Gegenzug aus den erzielten Einnahmen den finalen Teil seiner noch unabgeschlossenen Zé-do-Caixao-Trilogie finanzieren. Ihren Sitz hat die vertrauenswürdige Firma im Viertel Boca di Lixo in Sao Paulo, nach dem ein ganzes Filmgenre benannt worden ist, dem letztlich auch die Filme zugeordnet werden müssen, die Mojica für seine Auftraggeber unter dem Pseudonym J. Avela herunterkurbelt: Für den schnellen Konsum konzipierte pornochanchada (= leichte Komödien mit sexuellen Obertönen, vergleichbar der commedia sexy all’italiana, die teilweise als unpolitisches Massenopium Unterstützung von der Regierung erfuhren), aber auch, gerade nach dem Sturz der Militärdiktatur 1985, handfeste Porno-Ware, in der mit Vorliebe harte Vergewaltigungen zur sexuellen Stimulation des (vorwiegend männlichen) Publikums dienen sollen. Der Film, den Mojica nach einem Drehbuch seines langjährigen Freundes und Wegbegleiters Mário Lima letztendlich realisiert, heißt 24 HORAS DE SEXO EXPLÍCTIO, und trägt seinen Titel zu Recht, wenn er auch nur eine Laufzeit von knappen achtzig Minuten besitzt.

Drei Freunde – und, um den selbstreflexiven Tendenzen treuzubleiben, die Mojica spätestens Anfang der 70er entwickelt, außerdem hauptberufliche Pornodarsteller – kommen eines Tages auf die grandiose Idee, gemeinsam eine Wette abzuschließen: Wer von ihnen innerhalb eines Tages die meisten Frauen beglücken könne, der würde als Sieger aus dem Contest hervorgehen. Damit man jedoch nicht schummeln kann, muss ein Schiedsrichter her – und den findet man im schmuddeligen Nachtclub um die Ecke in Gestalt eines dicklichen Homosexuellen, der gerne bereit ist, die drei Herren zu einem entlegenen Landhaus außerhalb Sao Paulos zu begleiten, wohin sie außerdem eine Gruppe Prostituierten geordert haben, die wiederum angeblich die „hässlichsten Frauen“ sein sollen, die man hat auftreiben können – (während sie für mich nun nicht wirklich besser oder schlechter aussehen als die Akteurinnen, die ich sonst vor allem aus italienischen Pornos der 80er Jahre kenne; immerhin gibt diese Behauptung dem Film aber Gelegenheit für eine weitere Meta-Spitze, denn beim Strandspaziergang fragt einer unserer Helden seinen Kumpel, der sich um die Organisation des weiblichen Körpermaterials gekümmert hat, wo er denn die Schabracken herhabe, etwa aus einem Zé-do-Caixao-Film?, und ja, dabei musste ich kurz schmunzeln). Ebenfalls mit von der Partie: Ein plappernder Papagei, der das nun folgende Treiben permanent kommentieren muss, und einem schon nach fünf Minuten gehörig die Nerven mit seinem rastlosen Schnabel malträtiert. Erträglicher ist er aber immerhin noch als der freilich um kein Schwulenklischee verlegene Ringrichter, der ebenso pausenlos die Kopulationsakte zählt, damit er nichts verpasst, immer wieder seine prüfende Miene, analog zur Kamera, ganz nah an die Geschlechtsteile unserer Darsteller heranschiebt, und jedes Mal, wenn einer unserer Helden zum Orgasmus gekommen ist, eine Münze in das ihm zugehörige Spardöschen wirft. Da ich den Film auf Portugiesisch ohne Untertitel gesehen habe, weiß ich nun nicht im Detail, worauf die unaufhaltsame Wortflut des guten Mannes hinauswill, kann mir aber irgendwie kaum vorstellen, besonders Substantielles versäumt zu haben.

Wichtiger scheint Mojica sowieso zu sein, - und das hat er in einem anderen Interview eigentlich recht offen zugegeben -, die Hauptattraktion seines Films – schnörkellosen Gruppensex in allen erdenklichen und unerdenklichen Variationen – so unerotisch wie möglich zu inszenieren. Seine Erklärung: Da er 24 HORAS DE SEXO EXPLÍCITO als reine Auftragsarbeit verstanden hat, will er eher mit einer dezidiert subversiven Haltung auf dem Regiestuhl Platz genommen haben – im Sinne von: Wenn ich schon beischlafende Leiber dirigieren muss, dann soll wenigstens niemand meiner Zuschauer von denselben in irgendeiner Weise positiv affiziert werden. Falls das wirklich Marins‘ Ansatz war und nicht nur ein weiterer elaborierter Scherz des um elaborierte Scherze nie Verlegenen, hat er sein Ziel voll und ganz erreicht: Es gibt wirklich keine einzige Szene in vorliegendem Film, von der ich mir ansatzweise vorstellen könnte, dass sie irgendeinen Menschen auf dieser Erde dazu bringt, auch nur den kleinen Finger zur Stimulation nach dem eigenen Geschlechtsteil auszustrecken. Marins‘ Stil ist – wie eigentlich üblich für die Boca-di-Lixo-Produktionen; zumindest die, die ich bislang kenne – schmutzig, rau, holprig, und wenn das im Horror-Kino – wie seine frühen Meisterwerke beweisen – durchaus funktioniert, hat es hier auf mich die gegenteilige Wirkung, und ich muss mich bewusst auf Distanz zu den Bildern setzen, um sie überhaupt goutieren zu können. Es hilft dem sichtlich ohne nennenswertes Budget, ohne Drehbuch und ohne viel technische Sorgfalt gestemmten Film freilich ebenso kein bisschen, dass seine Tonspur, zusätzlich zu dem überdrehten Redeschwall des erwähnten Live-Kommentators, angefüllt ist mit Musikstücken, die unpassender kaum sein könnten. Es fällt tatsächlich aber schon schwer, zu glauben, dass ein versierter Filmemacher wie Mojica es nicht ironisch gemeint haben sollte, wenn wir quasi unermüdlich mit alberner Zirkusmusik, schwülem Jazz und Synthie-Geblubber beschallt werden – (und wenn dann auch noch völlig unvermittelt eine englischsprachige Version von Kraftwerks DIE ROBOTER erklingt, schmunzle ich bei diesem freudlosen Vergnügen zum insgesamt zweiten Mal.) Jenseits des guten Geschmacks sind zudem einige der pubertären Witze, mit denen der Film nicht sparsam umgeht. Soll ich wirklich darüber lachen, wenn eine der Frauen beim Analsex plötzlich Blähungen bekommt, oder wenn ein Penis und eine Vagina in Großaufnahme derart mit Comic-Stimmen unterlegt werden, dass es den Eindruck erweckt, sie würden miteinander Zwiesprache halten – (beim zustimmenden Nicken wedelt der erigierte Penis übrigens auf und ab, und irgendwie schafft es die Darstellerin ihre Schamlippen so zum Pulsieren zu bringen, dass sie halbwegs synchron zu der weiblichen Stimme aus dem Off kontrahieren.) Habe ich schon erwähnt, dass wir neben dem uninspirierten, ermüdenden Balzen, das etwa achtzig Prozent des Filmmaterials in Beschlag nimmt, noch mit einem umhertollenden Homosexuellenklischee und einem sprechenden Papagei konfrontiert sind?

In der bereits erwähnten MALDITO-Dokumentation, die Mojica in gesetztem Alter und mit Klauen statt Fingernägeln in seiner Privatwohnung besucht, wird 24 HORAS DE SEXO EXPLÍCITO so viel Platz eingeräumt wie sonst nur dem allerersten Zé-do-Caixao-Abenteuer. Das liegt vor allem, heißt es dort, an den weiten Kreisen, die der Film in der brasilianischen Klatschpresse gezogen hat. Den Grund hierfür finden wir relativ am Ende des schalen Reigens, wenn nämlich einer der drei Herren unverhofft von der Villa aufbricht, um seine Angetraute aufzusuchen, diese aber in den Armen bzw. Vorderläufen eines Schäferhunds namens Jack in flagranti erwischt. Ein Großteil des renommée von 24 HORAS DE SEXO EXPLÍCITO resultiert offenbar wirklich daraus, dass der Film der erste brasilianische Porno gewesen sein soll, in dem man Zoophilie-Szenen bestaunen konnte. Ganz so schlimm wird es in der mehrminütigen Schäferhund-Szene zwar nicht, sprich: eine sichtbare Penetration zwischen Hundeschweif und der Lustpforte der Porno-Veteranin Vânia Bournier fängt die Kamera nicht ein. Dennoch werden die Szenen, in denen ein offenbar sehr erregter Vierbeiner sich zumindest ausgiebig am Körper der völlig übertrieben stöhnenden, kreischenden und Fratzen schneidenden Darstellerin reibt, wohl nicht nur Tierschützern mindestens grenzwertig finden. Mojica setzt aber – ich sage doch: elaborierte Scherze sind das Metier dieses Manns! – noch einen drauf, und lässt seinen Helden sich auf, sagen wir, absonderliche Weise an der treulosen Gattin rächen. Es zieht ihn hinaus auf die Weide, wo er Kontakt mit einem sprechenden (!) Hengst aufnimmt, diesem ans Gemächt greift, und dazu überredet, ihn von hinten zu besteigen. Davon bekommen wir zum Glück noch weniger explizite Einblicke zu sehen, und mit den davongaloppierenden Phantasien eines gewissen Herrn Massacessi hat die kurze Szene glücklicherweise nichts zu tun - obwohl natürlich trotzdem auch hier gilt: Eine manipulierende Männerhand an einem Pferdepenis, habe ich das nun wirklich sehen müssen? Mit dem Schäferhund Jack hat es übrigens, erfahre ich erneut in MALDITO, ein schlimmes Ende genommen: Nachdem sein Besitzer den Publicity-Rummel um sein Haustier nicht mehr ertragen konnte – angeblich druckte eine brasilianische Schmuddelzeitschrift sogar ein Interview mit dem Rüden! -, soll er ihn einfach vergiftet haben. Manchmal schreibt das Leben Geschichten, von denen man sich wünscht, sie niemals gelesen zu haben.

Eine weitere dieser Geschichten kann auch Mojica erzählen. 24 HORAS DE SEXO EXPLÍCITO – der mit Abstand abstruseste und abtörnendste Film des Meisters, den ich bislang gesehen habe, und ich habe fast alles von ihm gesehen – sollte sich bereits gleich nach seiner Veröffentlichung im Mai 1985 zu Mojicas größtem wirtschaftlichen Erfolg mausern – was angesichts solcher Großtaten wie der avantgardistischen Live-Performance FINIS HOMINIS (1971), dem schauerromantischen Episoden-Horror O ESTRANHO MUNDO DE ZÉ DO CAIXAO (1968) oder einem Frühwerk wie dem anrührenden Jugenddrama MEU DESTINO EM TUAS MAOS (1963) nicht mal mehr wie Ironie, sondern wie blanker Huhn anmutet. Den versprochenen Abschluss der Zé-do-Caixao-Trilogie hat ihm die Fotocenas Filmes übrigens ebenfalls nicht finanziert – was wiederum Mojica, wohl froh, überhaupt seit langer Zeit gutes Geld zu sehen, nicht davon abhält, 1987 eine Fortsetzung seines „Skandalerfolgs“ unter dem verheißungsvollen Titel 48 HORAS DE SEXO ALUCINANTE auf die Beine zu stellen. Ob ich mir den in nächster Zeit allerdings anschauen werde, darüber muss ich noch lange mit meinem Beichtvater diskutieren…
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