Dachra - Abdelhamid Bouchnak (2018)
Moderator: jogiwan
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Dachra - Abdelhamid Bouchnak (2018)
Produktionsland: Tunesien 2018
Regie: Abdelhamid Bouchnak
Darsteller: Yassmine Dimassi, Hela Ayed, Aziz Jebali, Bilel Slatnia, Bahri Rahali, Hedi Mejri, Rachid Bougheriou
Eine Woche haben die drei Journalistik-Studenten Yassmine, Walid und Bilel Zeit, ihren Hochschulabschlussfilm in den Camcorder-Kasten zu bringen. Bei der Themenwahl garantiert ihnen ihr Professor völlig freie Hand. Bloß um die tunesische Revolution soll es nicht gehen. Allerdings nicht aus politischen Gründen, betont er nachdrücklich. Es sei nur so, dass schon die Vorgängerjahrgänge dieses Thema bis auf den letzten Halm abgegrast hätten.
Was liegt näher, wenn man sich nicht über die politische Situation seines Landes äußern darf, als eben den BLAIR-WITCH-Weg zu beschreiten, und eine Dokumentation über eine angebliche Hexe namens Mongia zu drehen, die im örtlichen Irrenhaus einsitzen soll. Bilel nämlich hat Kontakt zu einer Psychiatrie-Schwester, die ihm von der vor vielen Jahren schwerverletzt in einem Waldstück aufgefundene Frau erzählt hat, und die auch bereit ist, den Freunden Zutritt zu den Verliesen der Klinik zu verschaffen, nachdem der zum Interview gebetene Arzt rundheraus abgeschritten hat, überhaupt eine Patient diesen Namens zu beherbergen. Herauszubekommen ist aus der zum Kannibalismus neigenden Insassin indes wenig bis gar nichts, weshalb unsere Helden die Katakomben der Psychiatrie einzig mit einer Bisswunde an Yassmines Hand verlassen. Trotzdem soll der einmal gefasste Plan nicht verworfen werden: Bilel schlägt vor, dass man sich dann eben ins Hinterland aufmacht, zu dem Dorf, in dessen Nähe Mongia einst mit verletzter Kehle aufgefunden worden sein soll. Ihrem Onkel, bei dem die Waise Yassmine zeitlebens untergebracht ist, wird eine halbseidene Ausrede aufgetischt, gerade auch weil dieser wegen Träumen, die Yassmine seit ihrer Kindheit vom Schlaf abhalten und in der eine schwarzgewandete Frau umhergeistert, sowieso permanent im Sorgen-Modus agiert. Nach einer ziellosen Wald-und-Wiesen-Fahrt stößt das Trio dann doch endlich auf eine Ansammlung ärmlicher Hütten mitten im Forst: Die Frauen verhalten sich scheu, wechseln kein Wort mit den Fremden; dafür ist ein Mann, bei dem es sich scheinbar um den Dorfvorsitzenden handelt, umso jovialer und lädt Bilel, Walid und Yassmine kurzerhand zum Abendessen ein. Das besteht aus Schaf- und Ziegenfleisch, das überall von den Bäumen baumelt, und das von den Dorfbewohnern auf eine Wiese gierig herabgeschlungen wird, dass bei unseren Freunden eigentlich jetzt schon sämtliche Alarmglocken hätten schrillen sollen. Stattdessen verbringt man aber eine Nacht im Dorf, lässt sich mit der Ausrede abspeisen, dass ein paar Bengel angeblich die Reifen des PKWs stibitzt hätten, weswegen sich die Abreise auf unbestimmte Zeit verzögert, bekommt von einer schwangeren Frau die Warnung zugewispert, so schnell wie möglich Reißaus zu nehmen - tja, aber die Alarmglöckchen, die wollen immer noch nicht bimmeln! Währenddessen hat sich auch Yassmines Onkel aufgemacht, um seine Ziehtochter zu erretten, denn es gibt da ein Geheimnis in ihrer Vergangenheit, das eng vernetzt mit dem sonderlichen Treiben in dem Walddörfchen zu sein scheint…
So lange mir nicht jemand einen noch älteren Genre-Vertreter aus dem Hut zaubert, dürfte Abdelhamid Bouchnak mit seinem Debut-Langspielfilm DACHRA im Jahre 2018 dann wohl den ersten dezidierten Horrorfilm Tunesiens realisiert haben – und zudem einen der profitabelsten tunesischen Filme überhaupt der letzten Jahre, der ohne ausländische Gelder gestemmt werden konnte. Eine eigene Handschrift ist Bouchnak nicht abzusprechen: Sein Film ist auffällig schmucklos, die Farben entschlackt, es dominiert viel Grau und Herbstbraun; zudem liebt es der Regisseur offensichtlich, seine Figuren in den minimalistischen Kulissen kaum einmal zentriert anzuordnen, sodass beispielweise bei einer Großaufnahme das Gesicht eines der Darsteller ganz links unten in den Kader gepresst wird. Zu lachen gibt es in DACHRA demgemäß wenig: Der Film präsentiert sich bierernst, im Finale, das man wahlweise für überladen mit merkwürdigen Plot-Twists oder aber gerade aufgrund seiner Fülle unwahrscheinlicher Entwicklungen für außerordentlich originell halten kann, (und in dem Bouchnak scheinbar nicht nur Nicholas Roeg, sondern auch Dario Argento zitiert), nachgerade grausam, wobei mich einige der Ekeleffekte in ihrer Drastik ziemlich überrascht haben. Glücklicherweise verschont uns Bouchnak, obwohl sein Drehbuch dies durchaus zugelassen hätte, mit verwackelten Kameraaufnahmen aus Ego-Perspektive der drei Studenten, (deren Filmmaterial wir tatsächlich kein einziges Mal zu Gesicht bekommen.) Statt einfallsloser Found-Footage-Ästhetik hapert es bei DACHRA indes an ganz anderer Stelle: Wirklich plausibel nämlich macht es mir Bouchnaks Skript nicht, weshalb unsere Helden so lange Zeit in dem Dorf verweilen, wo doch schon ein kurzer Schlüssellochblick in dessen abstruse, zuweilen blutrünstige Rituale jeden potentiellen Besucher sogleich in die Flucht hätte schlagen müssen, - zumal allerallerspätestens dann, wenn der Dorfvorsteher einen mit immer neuen Ausreden hinhält, weshalb er das Auto des Trios nicht in Gang bringe, und allerspätestens, wenn einem selbst einzelne Dorfbewohner nahelegen, besser stiften zu gehen, bevor es ungemütlich wird. Auch dramaturgisch zieht sich DACHRA stellenweise wie Kaugummi. Die Laufzeit von bald zwei Stunden tut dem Film definitiv keinen Gefallen. All diese Füllszenen mit Yassmines Onkel, dem wir per Parallelmontage dabei zusehen, wie er seiner Ziehtochter hinterherreist, oder aber das komplette Psychiatrie-Segment, das im Licht der letztlichen Auflösung eher redundant wirkt, hätten wirklich nicht sein müssen, und ermüden nicht zuletzt auch aufgrund der konsequent reduzierten Ästhetik, der sich Bouchnak verschrieben hat.
Alles in allem bin ich jedoch durchaus positiv angetan von diesem Streifen: False Scares werden in wohldosiertem Maße eingesetzt, die Hauptfiguren sind mir zwar nicht übermäßig sympathisch, dafür aber auch lange nicht so nervtötend wie in manch anderem vergleichsweise Streifen von jenseits des Großen Teichs, die Schauspieler agieren solide, und an die Musik habe ich so wenige Erinnerungen, dass sie mich sicherlich nicht mit etwaiger Überorchestrierung provoziert haben kann. Tja, und wenn ein Film gleichzeitig DON’T LOOK NOW und MOTHER OF TEARS seine Reverenz erweist, dann fühle ich micih am Ende eines bitterkalten Tages, an dem ich mit einer Gruppe Studierender tatsächlich Joe D'Amatos EVA NERA gesichtet habe, eigentlich durchaus zufrieden…