Defilada - Andrzej Fidyk (1989)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Defilada - Andrzej Fidyk (1989)
Originaltitel: Defilada
Produktionsland: Polen/Nordkorea 1989
Regie: Andrzej Fidyk
Abt.: Salvatores kleine Nordkorea-Reise
Je weiter ich mich in dieses Thema hineinknie desto mehr erstaunt es mich, wie oft es die isolationistische Volksrepublik Nordkorea dann doch in den letzten Jahrzehnten ausländischen Filmteams erlaubt hat, einen Blick hinter ihren Grenzzaun zu werfen. Gewiss ist es niemals einem ausländischen (oder, was das betrifft, gar einheimischen) Kameramann möglich gewesen, nach Gusto durch die Straßen Pjöngjangs zu streifen und all das einzufangen, was ihm vor die Linse kommt: Zufällige Beobachtungen, ungeskriptete Begegnungen mit Passanten, absichtslose Einblicke in den nordkoreanischen Alltag, bei denen naturgemäß auch seine weniger schönen Seite zu einer Sprache kommen müssten, wie sie gerade vom herrschenden Regime partout nicht gewünscht wird. Trotzdem die Partei also mit Argusaugen über die Dreharbeiten wacht, die externe Filmemacher im Märchenreich Kim Jong-uns anstellen, sorgfältig die jeweiligen Interviewpartner, die jeweiligen Drehorte, die jeweilige Themen auswählt, krampfhaft versucht, nichts dem Zufall zu überlassen, und gegebenenfalls auch nachträglich oder bereits während der jeweiligen Produktion den Filmemachern zensorisch ins Handwerk pfuscht, gewährt jeder in Nordkorea entstandene Dokumentarfilm aber natürlich doch einen Einblick ins Leben unter der Kim-Dynastie – wenn man das, was sie zeigen, eben nicht unhinterfragt für bare Münze nimmt, sondern für eine Münze, die ins Licht gehalten und von allen Seite betrachtet werden muss, um eine Ahnung davon zu bekommen, wo auf ihrer Gravur die Grenzlinie zwischen vermeintlicher Wahrheit und vermeintlicher Lüge verläuft.
Nach dem unter Regie des ukrainisch-russischen Regisseurs Vitaly Mansky entstandenen IM STRAHL DER SONNE aus dem Jahre 2015 und dem unter Regie der südkoreanisch-stämmigen, in Deutschland lebenden Regisseurin Cho Sung-hyoung entstandenen MY BROTHERS AND SISTERS FROM THE NORTH aus dem Jahre 2016 nun also DEFILADA des polnischen Regisseurs Andrzej Fidyk, der uns zurückkapituliert ins Jahre 1989, als noch Kim Il-sung, der Gründer Nordkoreas, der Große Führer, die Sonne der Menschheit, an der Macht gewesen ist und für die Delegation aus Osteuropa die Tore seines Landes öffnet, um damit zu protzen, welche wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, technologischen Fortschritte die Volksrepublik hingelegt hat.. Anlass des Films ist das vierzigste Staatsjubiläum bzw. die Feierlichkeiten, die aus diesem Grund abgehalten werden, und die Fidyks Kameraleute primär dokumentieren sollten, - weshalb DEFILADA, seinem Titel gemäß, dann auch zu mindestens einem Drittel aus pompösen, präzise choreographierten Militärparaden besteht, die durchaus Erinnerungen an die im Gleichschritt marschierenden, Fahnen schwenkenden und patriotische Lieder intonierenden Volksmassen in den Filmen Leni Riefenstahls wecken.
Neben all den hochgradig durchinszenierten Feierlichkeiten zu Ehren Kim Il-sungs liefert DEFILADA aber auch eine kleine Tour zu landesspezifischen Attraktionen, die die nordkoreanische Führung offenkundig für repräsentabel und prestigeträchtig genug erachtet hat, dass sie bei einem westlichen Publikum herunterklappende Unterkiefer verursachen dürften: Gleich zu Beginn besuchen wir das wichtigste nordkoreanische Filmstudio, das vom Cineasten Kim Jung-il, Sohn des amtierenden Staatschefs, höchstpersönlich begründet worden sei, und das er, wie die Interviewpartner aus den Reihen der Studioleitung stolz erzählen, bereits 332 Male besucht haben soll; im gleichen Atemzug wird verkündet, dass der Filmemacher im kapitalistischen Ausland nichts weiter sei als ein bezahlter Handlanger des verbrecherischen Wirtschaftssystems, während man sich in Nordkorea als Regisseur völlig frei entfalten könne, unabhängig sei von jedweden Restriktionen, einzig und allein den Direktiven der Partei unterworfen. Derlei Aussagen, deren Widersprüchlichkeit denen, die sie tätigen, offenbar kein bisschen auffallen, finden sich in DEFILADA häufiger und werden von Fidyk nicht nachträglich mit einem Off-Kommentar ins rechte Licht gerückt: Die Qualität von DEFILADA liegt darin, dass der Film sich eines beinahe klinischen Blicks auf Nordkorea, seine Menschen, sein Menschenbild befleißigt; jedes gesprochene Wort, das wir zu hören bekommen, ist eine 1:1-Übersetzung vom Nordkoreanischen ins Polnische; als Autor tritt Fidyk völlig hinter seinen Bildern zurück, lässt allein diese sprechen, und natürlich die Personen, die in ihnen auftreten. Dadurch wirkt DEFILADA streckenweise beinahe, als würden wir mit den Augen außerirdischer Lebewesen auf die Volksrepublik blicken – eine Inszenierungsstrategie, die natürlich unweigerlich bewirkt, dass die nüchternen, emotionslosen Bilder zu einem Spiegel werden, in dessen glatter Fläche wir uns selbst erkennen können und, in einem zweiten Schritt, unsere eigene Kultur zu hinterfragen beginnen. DEFILADA verweigert sich einer konkreten Position: Der Film verurteilt weder, was er zeigt, noch partizipiert er an der Propagandamaschinerie, in die er sein Objektiv taucht – eine Haltung, die man entweder als Eskapismus abkanzeln oder als Zwang zur eigenständigen Reflexionsleistung des Publikums beklatschenswert finden kann.
Ich tendiere ja eher zu letzterem, entlarvt das Regime sich doch, auch wenn Fidyk uns nicht permanent mit der Nase darauf stößt, permanent selbst: In einer Kindergartenklasse wird eine Gruppe junger Mädchen zum Leben Kim Il-sungs abgefragt, wozu man ein Modell seines Geburtshauses im Unterrichtssaal aufgebaut und eine Tafel mit den Portraits der nordkoreanischen Führer, ihrer Gattinnen sowie ihrer Vorfahren aufgebaut hat; in nahezu militärischem Drill postieren sich die Kinder, wenn die Lehrerin sie aufruft, vor der Klasse und rezitierten auswendiggelernte Sätze dazu, wann genau der Große Kim geboren wurde, wie der vollständige Name seines Vaters gewesen sei, wie oft der Geliebte Führer bereits den Kindergarten besucht habe. Buddhistische Mönche schwärmen genauso davon, dass Kim Il-sung ihnen ihren im Zweiten Weltkrieg zerstörten Tempel wiedererrichtet habe, wie ein Grenzsoldat sich über die verwerflichen Sitten in Südkorea auslässt, wo das Volk unter dem Diktat des US-Imperialismus nicht mal mehr Reis essen dürfe, sondern gezwungen werden würde, Brot als Grundnahrungsmittel zu sich zu nehmen. Eine Touristenführerinnen stellt uns anschaulich die Bedeutsamkeit eines Monuments vor Augen, das zum 70. Geburtstag Kim Il-sungs errichtet wurde: Es besteht aus 70 Granitblöcken, entsprechend den Lebensjahren des geliebten Führers; außerdem sei eine vor dem Turm angebrachte Platte mit eingraviertem Gedicht 15 Meter breit und 4 Meter hoch, denn Kamerad Kim habe am 15. April das Licht der Welt erblickt; ebenso entsprechen die 12 Verse, aus denen sich das Poem zu seinen Ehren zusammensetzt, dem Geburtsjahr der Menschheitssonne 1912; in Sichtweite der wichtigsten Universität Pjöngjangs rage das Monument in die Höhe, um jeden Studenten, der einen zweifelnden Blick aus dem Fenster wirft, sofort darin zu ermutigen, seine Studien gewissenhaft und unter Aufgabe der eigenen Bedürfnisse zum Wohle des koreanischen Volkes fortzusetzen.
Als besonders absurd empfand ich ein weiteres Monument, das irgendwo im nordkoreanischen Gebirge an einem Wanderweg aufragt, und zu dem eine weitere Touristenführerin, mit der wir zuvor Kim Il-sungs Geburtshaus in realiter aufgesucht habe, folgende Anekdote zum Besten gibt: Genau an der Stelle, wo heute der mit einer Inschrift versehene Stein stehe, habe Kim Jong-suk, ihres Zeichens erste Ehefrau Kim Il-sungs und Mutter Kim Jung-ils, im Jahre 1947, als sie sich eigentlich auf dem Weg zu einer der schönsten Bergspitzen Nordkoreas befand, festgestellt, dass sie vor Anbruch ihrer Wanderung völlig vergessen habe, ihrem Ehemann das Mittagessen vorzubereiten. Für einen kurzen Moment habe Kim Jong-suk zwischen den beiden Möglichkeiten geschwankt, entweder ihren eigenen Traum zu verwirklichen und eine der atemberaubendsten Ausblicke der Welt zu genießen, oder aber umzukehren, um noch rechtzeitig zurück zu Hause anzugelangen, und für das leibliche Wohl ihres Ehemanns zu sorgen. Wie sich Kim Jong-suk entschieden hat, dürfte klar sein – und auch die allegorische Bedeutung dieser Parabel muss wohl nicht extra erwähnt werden. Es sind genau solche Offensichtlichkeiten, die ein zusätzlicher Off-Kommentar möglicherweise nur verwässert oder ins Lächerliche gezogen hätte. Ein weiteres Beispiel wäre das Segment,, wenn wir uns in einem Museum, das sich ganz dem schriftstellerischen und künstlerischen Output des Universalgenies Kim Il-sung widmet, sowohl einer uferlosen Sammlung von Büchern gegenübersehen, die angeblich alle aus seiner Feder stammen – Kinderfabeln, Kurzgeschichten, Abhandlungen zur Filmkunst, Handbücher für angehende Agrarwissenschaftler, Philosophische Aphorismen –, wie auch wandhohen Gemälden im Stile des Sozialistischen Realismus: Der immer lächelnde, immer tadellos gekleidete Kim Il-sung, wie ihm eine Bäuerin ihre Ernte präsentiert; wie er seinen Chauffeur den Wagen anhalten lässt, um einer alten Frau am Straßenrand eine Mitfahrgelegenheit zu geben; wie er in einer Fabrik mit einem Blick Probleme löst, an denen alle anwesenden Techniker und Wissenschaftler sich die Köpfe zerbrochen haben.
Inwieweit DEFILADA als polnischer Film im Jahre 1989 durchaus auch von Fidyk als Gleichnis auf Polen unterm Sowjetstern intendiert gewesen sein könnte, indem der Filmemacher seinen Fokus nur ein bisschen gen Osten verschiebt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, mir aber durchaus vorstellen. Fakt ist wohl, dass das nordkoreanische Regime zunächst mit Begeisterung auf DEFILADA reagiert haben soll, um Fidyk nur etwas später zur Persona Non Grata zu erklären, die der Volksrepublik mit seinem Film einen erheblichen Reputationsschaden verschafft haben soll. Auch diese Rezeptionshaltung ist wiederum so absurd und widersprüchlich, dass man nicht weiß, ob man den Kloß im eigenen Hals nun weglachen oder wegheulen soll…
- buxtebrawler
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Re: Defilada - Andrzej Fidyk (1989)
Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Fr 19. Feb 2021, 16:22 (...) während man sich in Nordkorea als Regisseur völlig frei entfalten könne, unabhängig sei von jedweden Restriktionen, einzig und allein den Direktiven der Partei unterworfen.
![Mr. Green :mrgreen:](./../images/smilies/icon_mrgreen.gif)
Bitte ebenfalls auswendig lernen, wird beim nächsten Forentreffen abgefragt.Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Fr 19. Feb 2021, 16:22(...) in nahezu militärischem Drill postieren sich die Kinder, wenn die Lehrerin sie aufruft, vor der Klasse und rezitierten auswendiggelernte Sätze dazu, wann genau der Große Kim geboren wurde, wie der vollständige Name seines Vaters gewesen sei, wie oft der Geliebte Führer bereits den Kindergarten besucht habe.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
Diese Filme sind züchisch krank!
- Salvatore Baccaro
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Re: Defilada - Andrzej Fidyk (1989)
Aber dann bitte mit Foren-Bezug!buxtebrawler hat geschrieben: ↑Mo 22. Feb 2021, 09:38 Bitte ebenfalls auswendig lernen, wird beim nächsten Forentreffen abgefragt.
Wie oft ist Klaus Kinski bereits bei Deliria-Veranstaltungen zu sehen gewesen? Wie viele Sitze hatte der bislang größte bespielte Kinosaal? Was ist eigentlich mit Andreas Bethmanns Heizung passiert?!