Der Rausch - Thomas Vinterberg (2020)
Moderator: jogiwan
- Salvatore Baccaro
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Re: Der Rausch - Thomas Vinterberg (2020)
Auch ich schließe mich den lobenden Worten meiner Vorredner vollumfänglich an: Was für ein witziger, berührender, vor allem auch schauspielerisch hervorragender und in vielen Belangen die klassischen Dogma-Regeln rekapitulierender Film, den ich zusammen mit FESTEN und JAGTEN zu Vinterbergs derzeitigem Meisterwerk-Triptychon bündeln würde. Ab ins Kino, solange DRUK noch läuft!
- buxtebrawler
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Re: Der Rausch - Thomas Vinterberg (2020)
Mit seinem im September 2020 veröffentlichten Film „Der Rausch“ hat der dänische Filmemacher Thomas Vinterberg („Die Jagd“), der die Tragikomödie/Dramödie inszenierte und zusammen mit Tobias Lindholm ihr Drehbuch verfasste, im Folgejahr den Oscar für den besten internationalen Film abgeräumt. Ob die Jury unter Alkoholeinfluss stand? Möglich, denn die gesellschaftliche Akzeptanz und quasi permanente Verfügbarkeit der legalen Droge in weiten Teilen der westlichen Welt ist eines der Hauptmotive dieses Films.
Martin (Mads Mikkelsen, „Die Tür“) unterrichtet Geschichte, Nikolaj (Magnus Millang, „Kursk“) Psychologie, Peter (Lars Ranthe, „Adams Äpfel“) Musik und Tommy (Thomas Bo Larsen, „Pusher“) Sport. Doch das dänische Lehrerquartett befindet sich kollektiv in einer Midlife-Crisis, worunter Privatleben und Beruf leiden. Bei Martin geht die Krise gar so weit, dass sich die Eltern seiner Schüler(innen) gegen ihn wenden. Als Nikolaj seinen 40. Geburtstag in einem Restaurant zusammen mit seinen drei Kollegen feiert, muss Martin erst mühsam zum Trinken überredet werden. Doch dann bringt Nikolaj die These des norwegischen Psychiaters Finn Skårderud auf den Tisch, nach der es Menschen grundsätzlich mit einem konstanten Alkoholpegel von 0,5 Promille besser gehe. Aus der Schnapsidee, es selbst einmal zu versuchen, wird Ernst: In dokumentierten Selbstversuchen wird sich tagsüber heimlich dieser Pegel angetrunken und aufrechterhalten, und tatsächlich: Die Auswirkungen sind auf alle Beteiligten überaus positiv. Doch auf der Suche nach dem Optimum respektive der Obergrenze steigt der Pegel – und damit entstehen Probleme…
Vinterberg stellt seinem Film ein philosophisches Zitat Søren Kierkegaards voran: „Was ist die Jugend? Ein Traum. Was ist die Liebe? Der Inhalt des Traums.“ Nun, die Jugend illustriert Vinterberg in den ersten Filmszenen, die die Schülerschaft beim traditionellen Bierkastenrennen zeigt, in dessen Rahmen sie sich dem hemmungslosen Alkoholexzess hingibt. Martins Hadern, auf Nikolajs Geburtstag auch nur einen Tropfen anzurühren, kontrastiert diese Bilder auf beinahe manipulative Weise: Dort die Jugend, lebenslustig, aktiv und alkoholisiert, hier der Mann „im besten Alter“, langweilig, selbst gelangweilt, stocknüchtern und kostverächtend. Die feucht-fröhliche Runde, die schließlich doch noch entsteht, inklusive ausgelassener Albernheit auf dem Heimweg, zeigt ausschließlich die positiven Seiten des Betrunkenseins – und man freut sich regelrecht für Martin, denkt sich, er habe das einmal dringend nötig gehabt.
Den Ansatz der 0,5-Promille-These kann ich sehr gut nachvollziehen. Oftmals wäre ich tatsächlich lieber von Natur aus so, wie ich es mit zwei Bier intus bin. Doch dann gibt es wiederum auch diejenigen, die bereits stocknüchtern und clean wirken, als seien sie naturbekokst. Dass Vinterberg seine Handlung im Lehrermilieu ansiedelt, erscheint mir naheliegend; eigentlich ging ich ohnehin davon aus, dass sich Lehrkörper mindestens einen kräftigen Schuss in ihren Kaffee kippen. „Der Rausch“ beweist großes Verständnis dafür, die neu erweckte Lebenslust der „Versuchsteilnehmer“ paart sich mit ein wenig Situationskomik und der Diskrepanz zwischen dem eigentlich als unvernünftig konnotierten Verhalten der Lehrer auf der einen und ihrer wissenschaftlich-akademischen Herangehensweise auf der anderen Seite. Das Identifikationspotential für das Publikum ist hoch und dürfte sich quer durch alle Schichten ziehen – denn getrunken wird letztlich doch überall.
Dies skizziert auch eine Art Einspieler, eine Collage aus authentischem Archivmaterial öffentlicher Auftritte hochrangiger Politiker in eindeutig alkoholbeeinflusstem Zustand (die eindrucksvoll Martins Ausführungen im Geschichtsunterricht ergänzt). Das ist zwar überaus lustig anzusehen, jedoch nicht mehr ohne weiteres als positive Folge des Alkoholgenusses zu werten. Problematisch wird es mit steigendem Pegel dann auch für die Lehrer: Auf nächtliche Exzesse folgen schwere Kater, das Bett bleibt nicht immer trocken, im Beruf wird man als Trinker enttarnt (bzw. enttarnt sich ungewollt selbst), die eigene Familie wendet sich ab. Der letztgenannte Aspekt wird indes mit einer nicht unbedingt alkoholindizierten Ehekrise vermengt, zu der die Ehefrau ihr Scherflein entschieden beigetragen hat. Lustig ist nun nichts mehr – schon gar nicht, als einer der vier den Absprung nicht mehr schafft.
Auch damit bleibt „Der Rausch“ bissig realistisch: Ist es nicht tatsächlich so, dass mehr oder weniger gesellschaftlich hingenommen wird, dass eine Vielzahl der Alkoholkonsumentinnen und -konsumenten mit der Droge nicht umgehen kann und schwerwiegende Zerwürfnisse und Probleme bis hin zum Tod die Folgen sind? Alkohol enthemmt, was gerade für etwas introvertiertere oder schüchterne bis ängstliche Menschen ein Segen sein kann, er schafft es, dich zu beruhigen und dir die Prüfungsangst zu nehmen, wie der Film zeigt, macht dich lockerer, umgänglicher und schlagfertiger – kann aber auch in schwere Abhängigkeit, Depression und Frust bis hin zur Selbstaufgabe führen.
Der erhobene Zeigefinger bleibt bei Vinterbergs Film jedoch aus, er wertet oder verurteilt nicht, sondern schafft ein Panoptikum der Ambivalenz. Das Ende des durchweg stark gespielten Films lässt sich in seiner Stimmung und Aussage in verschiedene Richtungen auslegen und bleibt dabei letztlich offen. Der Tanz, den Mikkelsen am Schluss aufführt, steht für mich schon jetzt auf einer Stufe mit Alan Bates‘ Sirtaki in „Alexis Sorbas“. Der an Vinterbergs Dogma-Vergangenheit erinnernde natürliche Look des Films mit seiner zumeist diegetischen Musik und seiner Nähe zu den Figuren intensiviert das Filmerlebnis und macht es nahbarer.
Als wenig verantwortungsvoll empfinde ich aber, dass mit keinem Filmmeter auf die nicht unwahrscheinlichen körperlich-organischen Folgen eines permanenten 0,5-Promille-Pegels eingegangen wird – immerhin scheint ja erst die Erhöhung der täglichen Dosis zu Problemen geführt zu haben, während mit 0,5 Promille alles eitel Sonnenschein war. Das wäre dann aber auch schon mein einziger Kritikpunkt. Ergo: „Auf den Alkohol – den Ursprung und die Lösung sämtlicher Lebensprobleme!“ (Homer Simpson)
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: Der Rausch - Thomas Vinterberg (2020)
Da der Film sein Publikum ernst zu nehmen scheint, traut er diesem wohl zu, von selber darauf zu kommen...hat ja bei Dir auch geklapptbuxtebrawler hat geschrieben: ↑Do 26. Aug 2021, 17:24 Als wenig verantwortungsvoll empfinde ich aber, dass mit keinem Filmmeter auf die nicht unwahrscheinlichen körperlich-organischen Folgen eines permanenten 0,5-Promille-Pegels eingegangen wird...
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Re: Der Rausch - Thomas Vinterberg (2020)
Bei mir war's jedenfalls schon knappDick Cockboner hat geschrieben: ↑Do 26. Aug 2021, 18:07 Da der Film sein Publikum ernst zu nehmen scheint, traut er diesem wohl zu, von selber darauf zu kommen...hat ja bei Dir auch geklappt
Erscheint übrigens voraussichtlich am 31.12.2021 (evtl. Platzhalterdatum für "irgendwann dieses Jahr"?) bei Leonine auf Blu-ray und DVD:
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Re: Der Rausch - Thomas Vinterberg (2020)
buxtebrawler hat geschrieben: ↑Fr 27. Aug 2021, 08:39Bei mir war's jedenfalls schon knappDick Cockboner hat geschrieben: ↑Do 26. Aug 2021, 18:07 Da der Film sein Publikum ernst zu nehmen scheint, traut er diesem wohl zu, von selber darauf zu kommen...hat ja bei Dir auch geklappt
Erscheint übrigens voraussichtlich am 31.12.2021 (evtl. Platzhalterdatum für "irgendwann dieses Jahr"?) bei Leonine auf Blu-ray und DVD:
Soll wohl demnächst am 26.11.2021 von Weltkino Filmverleih GmbH (Vertrieb LEONINE) auf DVD/BluRay erscheinen