Originaltitel: La région centrale
Produktionsland: Kanada 1971
Regie: Michael Snow
Was wir hören: Elektrisches Fiepen, Summen, Brummen. Teilweise stimmt es mit den Bewegungen der Kamera, die im Laufe des Films immer abenteuerlicher werden, überein, wirkt, als seien das akustische Signale, die ihre Fahrtrichtung steuern. Doch selbst wenn die Kreuze für den Projektoren erscheinen, sind die Sounds zu hören. Teilweise stimmen sie überhaupt nicht überein mit den Bewegungen der Kamera, die im Laufe des Films jede erdenklichen Winkel zu der gleichgültigen Landschaft einnimmt, auf dem Kopf steht, horizontal, vertikal umherwirbelt, präzise auf Details zoomt, so dicht über den Boden gleitet, dass er in Unschärfe verschwimmt. Manchmal haben sie etwas von einem konstanten, monotonen Herzschlag, diese Sounds. Oft überlagern sie die Bilder, werden zu den eigentlichen Akteuren des Films. Sie sind, obwohl mechanisch erzeugt, in gewisser Weise das Lebendigste in dieser Sammlung toter Materie. Nach über drei Stunden fällt es schwer, sie wieder aus dem Kopf zu bekommen. Sie sind zum eigenen Herzschlag geworden, diese Sounds.
Was wir nicht sehen: Experimentalfilmer Michael Snow begibt sich Anfang der 70er auf ein entlegenes Gebirgsplateau in der kanadischen Wildnis. Mit sich trägt er einen Apparat, extra für den Film konstruiert, der dort oben, in der winterlichen Einöde, entstehen soll. Es handelt sich um einen Tripod, an dem eine Art Roboterarm befestigt ist, der wiederum in einer Kamera ausläuft. Durch die absolute Beweglichkeit ihres mechanischen Arms ist es ihr möglich, sich in jede Richtung zu bewegen, sich in jeden beliebigen Winkel zu versetzen, jedes Tempo anzunehmen. Hinter einem großen Felsen überwacht Snow das Treiben seines Apparatus. Immer wieder, über mehrere Tage hinweg, programmiert er die Parameter, denen sie unterworfen ist, neu, schreibt sie dem Magnetband ein, das dafür sorgt, dass jedes Segment einer ihm immanenten Routine folgt. Nachträglich wird die Tonspur hinzugefügt: Schrille Synthesizer-Sounds, die den stummen Landschaftsbilder Struktur und Rhythmus geben. LA RÉGION CENTRALE ist wohl einer der schwierigsten und schönsten Filme, die jemals gedreht worden sind.
Was ich sehe: Nach einer Stunde werde ich unruhig. Vor meinen Augen wirbelt seit Minuten schon derselbe Ausschnitt der Landschaft. Der Himmel kippt dorthin, wo der Boden sein sollte. Dann ist der Boden wieder unten, und die Wolken sind oben. Ich halte es nicht mehr aus, konzentriere mich auf einen Fussel, der unten am Filmband klebt. Ich werde ruhiger – solange jedenfalls bis der Fussel plötzlich verweht ist und mich der Wirbel wieder hat. Das ist ein Derwisch-Tanz, denke ich, ein Schamanen-Ritual. Das ist wie ein Spaziergang, denke ich. Mit Höhepunkten und Langweiligkeiten, denke ich, als wenig später minutenlang einfach nur der blanke Himmel im Bild ist, und man nicht weiß: Bewegt die Kamera sich überhaupt noch? So müssen sich irdische Sonden fühlen, die auf fremden Planeten gestrandet sind. So würden möglicherweise Außerirdische die Erde sehen, wenn sie zufällig auf Snows Plateau gelandet wären. Das ist die Magie des Kinos: Meine Augen allein wären dazu nie in der Lage gewesen. Ich muss lächeln, denn es ist Nacht geworden, und nichts zu sehen außer dem Mond über den Bergen, und die Kamera lässt ihn kreisen wie einen Lampion bei einem Martinsumzug. Das ist die Magie des Kinos: Als Kind vielleicht wären meine Auge dazu in der Lage gewesen.