End of the Wicked - Teco Benson (1999)

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Salvatore Baccaro
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End of the Wicked - Teco Benson (1999)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: End of the Wicked

Produktionsland: Nigeria 1999

Regie: Teco Benson

Darsteller: Helen Ukpabio, Charles Okafor, Alex Usifo Omiagbo, Patience Oseni, Hilda Dokubo

Helen Ukpabio ist mit Sicherheit eine der schillerndsten Figuren der zeitgenössischen religiösen Szene Westafrikas. Seit sie 1992 mit den sogenannten Liberty Foundation Gospel Ministries eine evangelikale Freikirche gründete, die sich einer wortwörtlichen Auslegung der biblischen Texte verschrieben hat, widmet sie ihr Leben vor allem dem Kampf gegen Hexenkult und Teufelsspuk – nicht etwa aber dahingehend, dass sie eventuell noch vorhandenen Aberglauben in den ländlicheren Gebieten ihres Heimatlandes zu beseitigen strebt, vielmehr zielen ihre Aktivitäten in die komplett entgegengesetzte Richtung. Für Helen Ukpabio ist es eine unumstößliche Tatsache, dass Dämonen tatsächlich existieren, dass sie im Auftrag des Leibhaftigen von Menschenkörpern Besitz ergreifen können, und dass sie diese armen Besessenen sodann zu unheilvollen, gotteslästerlichen Taten anstacheln. Ein Großteil ihrer öffentlichen Predigten, Pamphlete und pastoralen Handlungen warnt vor den Gefahren, die für einen unbedarften Christenmenschen von Hexen und Hexern ausgehen können. In einer Figur wie Helen Ukpabio scheinen sich, meine ich, mehrere spirituelle Traditionslinien – am prominentesten natürlich zum einen ein äußerst strenger, rigider Protestantismus, zum andern eher animistische, naturreligiöse Vorstellungen, die ihrem eigenen westafrikanischen Kulturraum entstammen dürften -, nicht nur zu überschneiden, sondern sich regelrecht ineinander zu einem synkretistischen Knoten zu verkrampfen, den keine Vernunft mehr zu lösen imstande ist. Zumal der missionarische Eifer Ukpabios in ihrer direkten Einflusssphäre nicht erfolglos bleibt und bereits zu nicht wenigen Familientragödien geführt hat. Ein Punkt, auf den Ukpabio immer wieder rekurriert, behandelt nämlich die prinzipielle Eignung, die gerade Kinderkörper als Gefäße für die unsichtbaren Teufelsmächte haben. Wenn beispielweise ein Kind, das jünger als zwei Jahre ist, zunehmend nachts in seinem Bettchen schreit und auch bei Tage nervöse bis aggressive Verhaltensweisen zeigt, ist das, laut Ukpabio, ein sicheres Anzeichen dafür, dass das Kleine von einem Dämon besessen sein muss. Zahllose Kinder sollen von Anhängern Helen Ukpabios bereits Exorzismen unterzogen, verstoßen oder verbrannt worden seien, nachdem ihre Eltern zu der Überzeugung gelangten, es mit Teufeln in Men-schengestalt zu tun zu haben. Erst kürzlich, im Frühjahr 2014, hat Großbritannien ein Zeichen gegen den blinden Fanatismus Frau Ukpabios gesetzt und eine ihrer Predigttouren jäh mit einem Landesverweis beendet.

Bei jemandem, der derart umtriebig ist und sich zudem von Jesus persönlich geleitet wähnt, verwundert es nicht, dass kein Mittel ungenutzt gelassen wird, mit dem man die eigene wichtige Botschaft effektiv unter Menschen bringen kann, die bereit sind, sie vorbehaltlos als bare Münze zu kaufen. Schon Ende der 90er hat Helen Ukpabio deshalb Kontakte zur nigerianischen Filmindustrie geknüpft. Diese sitzt im Süden des Landes in Lagos und läuft bereits seit Jahrzehnten auf Hochtouren. Liebevoll als Nollywood betitelt, zeichnen sich nigerianische Spielfilme durch ihre kostengünstige home-video-Ästhetik aus. Nigeria ist nicht gezwungen, irgendwelchen internationalen Standards zu genügen. Man operiert in Westafrika für ein genuin westafrikanisches Publikum und behandelt dabei spezifisch westafrikanische Themen. Somit existiert Nollywood in einer Art Seifenblase, die von sämtlichen äußeren Einflüssen abgeschirmt scheint. Weder das asiatische noch das europäische oder das US-amerikanische Kino stehen für die in Lagos mit wenig Budget, aber viel Leidenschaft inszenierten Filme Pate. Für den Filmhistoriker ist das natürlich eine Situation, die er gar nicht genug feiern kann, denn wann stößt man Ende des zwanzigsten Jahrhunderts schon noch auf eine Filmlandschaft, die quasi völlig für sich allein steht und keine Tradition kennt außer die eigene? Noch interessanter wird es freilich, wenn eine Person wie Helen Ukpabio auftritt, und die vorgefundenen Mittel für ihre persönlichen, mehr als befremdlichen Glaubensagenden einspannt. Das Ergebnis ihres Ausflugs in die Welt des Kinos heißt END OF THE WICKED und stammt aus dem Jahre 1999. Regie führt der verdiente und noch immer eifrig im Geschäft mitmischende nigerianische Regisseur Teco Benson, der auch gemeinsam mit Ukpabio für das Drehbuch verantwortlich gemacht werden muss. Ukpabio selbst begnügt sich indes nicht damit, hinter der Kamera zu wirken, sie versucht sich ebenfalls als Schauspielerin – und die Lichtgestaltrolle einer evangelikalen Priesterin, die ein Dorf von dem Einfluss Beelzebubs säubert, ist ihr tatsächlich wie auf den Leib geschrieben.

END OF THE WICKED ist ein Film, dessen Inhaltsangabe mir wahrscheinlich niemals gelingen wird. Das liegt schlicht daran, dass ich große Teile des Filminhalts nicht verstanden habe – und das wiederum lag definitiv nicht (nur) an dem außergewöhnlich akzentreichen Englisch, das sämtliche Schauspieler, Ukpabio miteingeschlossen, sprechen. Mögen kulturelle Barrieren der Grund sein – über Glaube und Aberglaube in Westafrika weiß ich nicht viel mehr als das, was ich einmal im Booklet einer CD gelesen habe, auf der angeblich echte westafrikanische Geisterbeschwörungs- und Teufelsaustreibungszeremonien akustisch verewigt worden sind -, oder mag END OF THE WICKED tatsächlich in sich keinen Sinn ergeben, über keine logische Kohärenz verfügen, seine Geschichte weniger erzählen als vielmehr in Gestalt wirrer Bilder wahllos aneinanderreihen, Fakt ist: der Weirdness-Faktor dieses Machwerks ist dermaßen hoch, dass es einem schon merklich an die Substanz geht. In seinen knapp zwei Stunden bringt END OF THE WICKED es für mich fertig, keine zwei aufeinanderfolgenden Szenen so wirken zu lassen, als würde die eine die andere zwangsläufig bedingen. Immerhin kann man den Inhalt vielleicht grob auf folgenden Nenner bringen: Beelzebub, dessen Gesicht weiß geschminkt ist bis auf den Bereich direkt unterhalb seines Mundes, wo ständig frisches Blut schimmert, versammelt sich zu Beginn mit einem Haufen Hexen mitten im nigerianischen Dschungel, wobei letztere stilecht gackernd und kichernd auf ihren Besen angeflogen kommen. Was soll das Meeting um Mitternacht? Soweit ich das begriffen habe, plant Beelzebub, einem gewissen Chris, der mit seiner unübersehbar großen Familie in einem Luxusanwesen der nächsten Ortschaft lebt, übel mitzuspielen. Hierfür verwandelt er unter anderem einige seiner Untergebenen in Tiere – darunter eine Eule, ein Hund, ein Affe - beziehungsweise lässt wiederum andere Hexen und Hexer auftreten, die ihm, nehme ich an, die Seelen seiner zukünftigen Opfer zuschleusen sollen, wobei die erforderlichen Spezialeffekte nun wirklich jeder Beschreibung spotten.

Im Folgenden spielt der Film dann stets auf zwei verschiedenen Ebenen. Die eine ist die dessen, was man die reale Welt nennen könnte. Dort wohnen wir diversen Unglücksfällen und Schicksalsschlägen bei, die Chris und seine Familie ereilen. Offenbar muss seine Firma Konkurs anmelden, außerdem bricht einer seiner Söhne beim Fußballspiel mitten auf dem Sportplatz tot zusammen, und nachdem er einmal das Gesicht seiner Ehefrau zu einer schrecklichen Fratze verzerrt wahrgenommen hat, droht sogar seine eigentlich glückliche Ehe zu zerbrechen. Demgegenüber entführt uns der Film in schöner Regelmäßigkeit auf die Waldlichtung, wo Beelzebub mit seinem Hofstaat tagt. Hierarchisch geordnete Dämonenfiguren, die offenbar verstorbene Verwandte Chris‘ sein sollen, die nach ihrem Tod dem Teufel anheimgefallen sind und nun eine Optik bieten, vor der sich kein italienischer B-Movie-Zombie zu verstecken braucht, führen lange Anklagereden gegen die Menschen, die sie verderben wollen, man tanzt umher und gefällt sich in obszönen Handlungen, die ich in einem dezidiert christlichen Film nun wirklich nicht erwartet hätte. Eine der unfassbarsten Szenen des Films zeigt eine der Hexen beim unzüchtigen Tänzchen. Plötzlich hält sie zwischen ihren Händen einen übergroßen Penis, den sie in Stoßbewegungen mehrmals vor und zurück schnellen lässt. Nach einem Schnitt sind wir im Schlafzimmer einer der weiblichen Verwandten Chris‘. Die Frau träumt schlecht, wälzt sich im Bett hin und her. Als sie erwacht, sitzt ihr die Hexe von eben, scheinbar, wenn ich das richtig verstanden habe, zu allem Überfluss ihre eigene Schwiegermutter, auf dem Körper und vergewaltigt sie mit ihrem frischgewachsenen Penis. Eine andere Szene hat mit Ukpabios ambivalentem Verhältnis gegenüber Kindern zu tun. Einer der Dämonen ist nämlich ein solches, seine Aufgabe: möglichst viele Buben der Dorfjugend für seine satanische Zwecke zu rekrutieren. Chris schläft derweil den schönsten Schlummer, als der Kinderdämon mit seinen Anwärtern in das Schlafzimmer eindringt und ihm eine Platte mit allerlei Köstlichkeiten auf den nackten Rücken stellt. Daraufhin eilen die Kinder zu ihm und verzehren gierig, was sie kriegen können. Chris erwacht und klagt über Rückenschmerzen. Man sieht: der Aufbau ist fast immer derselbe. Einer der Protagonisten schlummert, träumt irgendetwas Groteskes und als er erwacht, muss er feststellen, dass die Realität die Träume eingeholt hat. Ein Mann, von dem ich keine Ahnung habe, wer das nun eigentlich gewesen sein soll, bekommt im Schlaf von unserem Kinderdämon beide Augäpfel aus dem Kopf gerissen - übrigens eine Szene, auf die Fulci hätte stolz sein können! -, und realisiert nach dem Erwachsen, dass er tatsächlich auf beiden Augen erblindet ist. Geisterwelt und Menschenwelt sind in Ukpabios Paralleluniversum äußerst eng miteinander verzahnt. Was auf der einen Seite passiert, hat direkte Auswirkungen auf die andere, und umgekehrt. Jedenfalls liefert dieses ständige Verwischen der Grenze zwischen Fakt und Fiktion, Traum und Realität dem Film genügend Gelegenheit, sich in nahezu surreale Gefilde zu verabschieden – und kaum eine lässt er ungenutzt.

Wobei es für mich als Außenstehenden schon allein surreal ist, dass zum Beispiel keiner der Charaktere wirklich vernünftig eingeführt wird. Von all den Personen, die im Umfeld Chris‘ zu finden sind, konnte ich höchstens einen Bruchteil richtig zuordnen. Figuren tauchen einmal auf, verschwinden dann für lange Zeit aus dem Film, andere werden gleich gar nicht mehr erwähnt, wiederum andere stehen ständig im Bild herum, doch weiß zumindest ich nicht, wer sie sind und was sie mit der eigentlichen Handlung zu tun haben sollen. Gerade die Spielszenen, in denen ausnahmsweise keine Schreckgespenster vorkommen, wirkten auf mich, als seien sie das Material, das übrigblieb, nachdem man versucht hat, eine nigerianische Vorabendsoap von knapp einhundert Folgen auf eine Laufzeit von eineinhalb Stunden zusammenzuschneiden. Die Montage ist holprig wie ein Besenritt, oftmals scheinen mir, dessen Augen an westliche Sehgewohnheiten angepasst sind, ganze Storyteile zum Verständnis zu fehlen, überhaupt vermittelt der Film für mich den Eindruck, weder einen richtigen Anfang noch ein richtiges Ende zu haben: er beginnt eben irgendwo und hört irgendwo auf. Sicher, ich halte es für durchaus wahrscheinlich, dass ein nigerianisches Publikum keine Probleme hat, diesen wilden Trip in die möglichsten und unmöglichsten Szenenabfolgen problemlos mitzugehen , mich hat er abwechselnd ratlos, entsetzt und amüsiert zurückgelassen. Die Ratlosigkeit stellt sich ein, wenn einmal mehr Dinge vor meinen Augen geschehen, die ich einfach nicht zuordnen kann. Beispielweise das große Finale, in dem eine alte Frau, die ich für Chris‘ Mutter halte, sich öffentlich der Hexerei bezichtigt, von einem aufgebrachten Mob fast totgeprügelt wird, worauf ihr der Bauch aufplatzt und diesem ein schlecht in die Szene hineinkopierter ausgewachsener Hund entsteigt, der dann gen Himmel fährt. Entsetzen mischt sich bei all den Szenen hinzu, die Kinder dabei zeigen wie sie Anschläge gegen ihre Eltern verüben, diesen mitunter sogar erfolgreich nach dem Leben trachten, eben weil ich im Hinterkopf das ganze Leid habe, dem Kinder in Westafrika nicht zuletzt wegen Ukpabios Propagandamaschinerie ausgesetzt sind. Besonders schlimm wird es, wenn Ukpabio selbst als Pastorin ihre seltenen, aber wirkungsmächtigen Auftritte absolviert, und solche Binsenweisheiten vom Stapel lässt wie dass sich Chris und seine Familie nur Herrn Jesus zuwenden müssten und schon seien sie vom Teufelsspuk erlöst. Das ist schon harte Kost, diese eigentlich freundlich und friedlich wirkende Frau in Aktion erleben. Amüsiert bin ich zuletzt vom Schauspiel der Akteure, die auf angenehme Weise keine Scham und keine Grenzen kennen. Erheiternd ist vor allem die oben bereits erwähnte Szene des Mannes, der sein Augenlicht verliert. Gefühlte fünfzigmal brüllte er herum, er habe keine Augen mehr, während seine Frau verzweifelt die Hände ringend daneben steht, und alsbald noch das Kind der Familie hinzugelaufen kommt, um in die Klagen miteinzustimmen.

END OF THE WICKED ist ein Film, bei dem ich meine Kapitulation einreichen muss. Vielleicht noch nie hat mich ein Stück Kino derart aus der Fassung gebracht wie dieses. Soll ich lachen? Soll ich weinen? Soll ich staunen? Tausend Fragezeichen schwirren um meinen Kopf herum. Ich weiß nur: so etwas habe ich noch nie gesehen, werde ich vielleicht nie wieder sehen und will ich vielleicht auch nie wieder sehen. Ab in den Giftschrank mit diesem Film und den Schlüssel in eine Eule verwandeln!
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