Leptirica - Djordje Kadijevic (1973)
Moderator: jogiwan
Re: Leptirica - Djordje Kadijevic (1973)
die von Severin in der "All the Haunts be ours" wohl auch nicht...
it´s fun to stay at the YMCA!!!
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- Salvatore Baccaro
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Re: Leptirica - Djordje Kadijevic (1973)
Ha! Ich habe die Erzählung tatsächlich in deutscher Übersetzung auftreiben können! Das wird mir die allwochentliche Zugreise versüßen, brrrr... Ich werde berichten!
- sergio petroni
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Re: Leptirica - Djordje Kadijevic (1973)
Das scheint ja eine interessante Reihe zu sein......Salvatore Baccaro hat geschrieben: ↑Mi 23. Nov 2022, 22:08 Lep1.JPG
Ha! Ich habe die Erzählung tatsächlich in deutscher Übersetzung auftreiben können! Das wird mir die allwochentliche Zugreise versüßen, brrrr... Ich werde berichten!
DrDjangoMD hat geschrieben:„Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt, doch ach – es wankt der Grund auf dem wir bauten.“
- Salvatore Baccaro
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Re: Leptirica - Djordje Kadijevic (1973)
Endlich konnte ich nunmehr meine vollmundige Ankündigung in die Tat umsetzen und letztes Wochenende Milovan Glisics 1880er Erzählung POSLE DEVEDEST GODINA („Schon neunzig Jahre…“), - auf Deutsch erschienen in einer Übersetzung Joachim Britzes als Band 77 des „Kabinetts der Phantasten“ vom JBM-Verlag -, während einer knapp zweistündigen Zugfahrt in einem Rutsch verschlingen. Für alle, die die Verfilmung Djordje Kadijevics fürs jugoslawische Fernsehen – LEPTIRICA aus dem Jahre 1973 – noch nicht kennen, oder die planen, die zugrundeliegende Story völlig vorbehaltlos zu lesen, sei hier eine SPOILER-WARNUNG in großen roten Lettern vorangestellt…
Im außerordentlich informativen Nachwort Britzes erhält man tiefergehende Einblicke in Leben und Schreiben des außerhalb seiner serbischen Heimat so gut wie unbekannten Glisic sowie in die historischen und gesellschaftlichen Umstände, in denen der gute Mann geschrieben und gelebt hat. Neben seiner regen Übersetzungstätigkeiten – unter anderem hat der 1847 geborene und 1908 verstorbene Dichter solche Mammutwälzer wie Tolstois KRIEG UND FRIEDEN vom Russischen ins Serbische übertragen –, tat sich Glisic, der selbst aus einer bäuerlichen Familie stammt, vor allem als Autor von Dorfgeschichten hervor, deren mit schwankartigem Humor gewürzter Realismus ihm den Beinamen „Serbischer Gogol“ einbrachten. Die Erzählung POSLE DEVEDEST GODINA nimmt daher nicht so sehr durch ihr Setting eine Sonderstellung in Glisics Oeuvre ein – wir befinden uns in einer ruralen Region Serbiens irgendwann im frühen 19. Jahrhundert unter einfachem Landvolk –, sondern deshalb, weil der Autor hier exzessiv die Schauerfolklore seiner Heimat anzapft: Die Figur des Sava Savanovic, eines berühmt-berüchtigten Blutsaugers innerhalb des serbischen Volksglaubens, spielt eine derart zentrale Rolle in POSLE DEVEDEST GODINA, dass man den Text motivisch durchaus dem Horrorgenre zuschlagen kann. Ohne irgendeine andere Erzählung aus der Feder Glisics zu kennen, scheint er hier, wie Britze andeutet, zum ersten (und einzigen?) Mal phantastische Elemente mit seinem üblichen Repertoire an liebenswert-schrulligen Figuren, amüsant direkt aus dem Leben gegriffenen Dialogen und anekdotenhaften Alltagsszenarien zu vermengen. Das Resultat fasst in der deutschen Buchausgabe gerade mal knapp 50 Seiten, wirkt sehr aktionsgetrieben – wie Britze anmerkt, ist einer der häufigsten Kritikpunkte, die die Literaturwissenschaft an Glisic übt, dass bei ihm eine Psychologisierung seiner Charaktere gänzlich fehlt: Alles, was wir von ihnen wissen (müssen), findet rein an der Oberfläche statt, in dem, was sie sagen, in dem, wie sie handeln –, und erinnert von seiner Stilistik her teilweise an einen Erzähler, der zu später Stunde vorm Kaminfeuer mit engagierter Stimme eine Geschichte von vor langer Zeit zum Besten gibt: Zuweilen wird das Lesepublikum, was, wie Britze feststellt, eine Eigenheit Glisics zu sein scheint, gar direkt adressiert; an dramaturgisch besonders aufregenden Stellen meldet sich die Erzählinstanz mit Überraschungsausrufen oder wertenden Kommentar selbst zu Wort; vermittelt wird der Gang der Handlung zu einem nicht geringen Teil über Dialoge – so wie überhaupt der gesamte Text sich mit seiner offenbar bewusst schlichten Sprache, seinen plastischen Bildern, seinen lebhaften Formulierungen einer kinematographischen Bearbeitung nachgerade anbietet: Die Szene beispielweise, in der der Jüngling Strahinja sein Heimatdorf Ovcina zu verlassen gedenkt, konnte ich mir vor meinem inneren Auge bereits als veritable Montagesequenz imaginieren: „Strahinja seufzte tief auf, wieder drückte es ihm heftig die Kehle zu, wieder zog er zwei, drei Mal tief an seiner Pfeife, dann eilte er hinab ins Gebiet von Zarozje. Er hatte den Kahlenberg überquert. Vor ihm öffneten sich die tiefen Schluchten von Zarozje, dichtes Gesträuch und steile Wände, aber nur hin und wieder bebaute Flächen und noch seltener Häuser. […] Strahinja drehte sich noch einmal um. Von Ovcina war nichts mehr zu sehen.“
In seiner Verfilmung folgt Kadijevic der Erzählung Glisics zunächst sklavisch: Sowohl LEPTIRICA wie POSLE DEVEDEST GODINA kreisen im Kern um eine verbotene Liebe zwischen dem Waisenjungen Strahinja und Radojka, deren wohlbegüterter und herrischer Vater aus blindem Stolz partout nicht einwilligen will, dass sich die beiden Turteltäubchen miteinander vermählen dürfen. Auf Seiten Strahinjas ist Resignation die Folge: Er beschließt, seine Siebensachen zu packen und in die weite Welt hinauszuziehen, nachdem sämtliche Versuche Außenstehender, Radojkas Vater Zivan umzustimmen, als gescheitert erachtet werden müssen. Im Nachbardorf Zarozje indes trifft er auf den Bürgermeister nebst Entourage, die sich gerade die Köpfe darüber zerbrechen, was mit der Ortsmühle passieren soll. In der nämlich scheint es zu spuken. Sämtliche Müller, die man in letzter Zeit akquiriert hat, sind am nächsten Morgen mit umgedrehten Hals aufgefunden worden, weshalb sich nunmehr freilich niemand mehr finden lässt, der freiwillig eine Nacht in der verfluchten Mühe verbringen möchte. Strahinja, sowieso auf dem Gipfel der Verzweiflung, bietet sich an, das Amt zu übernehmen: Möglicherweise aus Todessehnsucht besteht er darauf, sich in der Mühle einzuquartieren und dem gottlosen Treiben auf den Grund zu gehen. Nachdem er seine Bettstatt so hergerichtet hat, als würde er darin selig schlummern, verzieht sich unser Held auf den Dachboden der Mühle und lauert mit geladenem Gewehr auf den Unhold. Der lässt nicht lange auf sich warten, entpuppt sich als Vampir, und bekommt von Strahinja eine Ladung Mariengroschen auf den Pelz gebrannt. Bevor die Bestie entwischt, entschlüpft ihr ihr eigener Name: Sava Savanovic. Immerhin ist dies schon mal ein erster Anhaltspunkt für den Bürgermeister, den Pfaffen und die restlichen Dorfbewohner, die nicht schlecht staunen, als sie Stahinja am nächsten Morgen putzmunter vorfinden. Nachforschungen bei der Dorfältesten ergeben: Sava Savanovic war einst ein blutsaufendes Monstrum, das vor neunzig Jahren unter einer Ulme bei einem Taleinschnitt bestattet wurde, und nun wohl zurückkehrte, um den Lebenden ihre Adern zu leeren. Nach langer Suche finden die Dörfler endlich das Grab Savanovis und machen ihm auf erprobte Methode per Pflock ins Herz den Garaus. Lediglich seine Seele schafft es, in Schmetterlingsgestalt davon zu flattern - was, wie es heißt, nicht weiter schlimm ist, denn die Vampirseele, die kann ja nur Kindern was zuleide tun. Strahinja ist man wiederum so dankbar, dass man ihm verspricht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihn mit Radojka zu vereinen.
In Kadijevics Adaption winkt den Liebenden kein Happy End: Die Seele Savanovics kontaminiert Radojka, verwandelt sie in eine Vampirin, die Strahinja, der sie mit Hilfe seiner neuen Freunde aus der Obhut ihres Vaters geraubt hat, eine blutige Hochzeitsnacht beschert. Nachdem die Gefahr zunächst gebannt scheint, verlagert Kadijevic den Terror ins unmittelbare Umfeld seines Protagonisten: Mit behaartem Gesicht und spitzen Eckzähnen sucht ihn der Fluch Savanovics genau dort ein, wo er am wenigsten mit ihm rechnet, nämlich im eigenen Ehebett. Dass LEPTIRICA zu einem der gänsehautinduzierendsten Genrefilme gehört, die ich kenne, liegt nicht nur an seinem Sounddesign – diese Vogelrufe, die klingen wie das Locken von Höllenäffchen! –, an den zwar lyrischen, jedoch unterschwellig beklemmenden Naturaufnahmen oder an der alptraumhaften Mühlensequenz mit dem Close-Up der ins Mehl tauchenden Vampirpranke, sondern auch an dem unerwarteten Finale, bei dem wir mit Grausen aus einer Richtung beschossen werden, aus der wir es, so wie Strahinja, am wenigsten erwartet haben. Da Kadijevic Glisics Text bis zur Entführung Radojkas und dem anschließenden dionysischen Hochzeitsfest quasi 1:1 visualisiert hat – zuweilen hatte ich den Eindruck, dass gar mancher Dialog wortgetreu aus der Vorlage in den Film übernommen wurde –, rechnete ich auf den letzten Seiten von POSLE DEVEDEST GODINA damit, dass auch hier Radojka zum „Schmetterlingsweibchen“ mutiert und Strahinja im Brautbett attackiert – und wurde in dieser Hinsicht enttäuscht: Tatsächlich endet POSLE DEVEDEST GODINA damit, dass Zivan und der Bürgermeister von Zarozje sich miteinander versöhnen, dass Zivan gar einknickt und Strahinja und Radojka seinen Segen zur Hochzeit gibt, dass Strahinja den vakanten Müllerposten übernimmt und mit Radojka ein glückliches und zufriedenes Leben führt. Einziger Wermutstropfen, der am Ende wie beiläufig erwähnt wird: „Jener Schmetterling hat noch lange, so sagt man, kleine Kinder in Zarozje und in Ovcina zu Tode gebracht, doch dann ist auch er verschwunden.“
Die hochinteressante Lektüre von POSLE DEVEDEST GODINA zeigt dementsprechend zweierlei: 1) Wie wenig es offenbar Glisics Ansinnen gewesen ist, eine pure Horrorgeschichte zu verfassen; wenn sein Text in der zweiten Hälfte, nachdem der Vampir relativ unproblematisch beseitigt wurde, zu einem launigen, manchmal gar Slapstick aufbietenden Dorfschwank wird, werden die Prioritäten des Autors deutlich, die definitiv darin liegen, seine Leserschaft mehr erheiternd zu unterhalten statt nachhaltig zu schockieren, sowie 2) Wie sehr es offenbar Kadijevics Ansinnen gewesen ist, einen puren Horrorfilm zu drehen; wenn seine Adaption nach der vermeintlichen Erlösung doch noch ins schwärzeste Unheil kippt, werden die Prioritäten des Regisseurs deutlich, dem definitiv zuallererst daran gelegen gewesen ist, mir eine schlaflose Nacht zu bereiten.
Lohnenswert ist übrigens die komplette, inzwischen 99 Bände umfassende Reihe „Kabinett der Phantasten“, die obskure Schauergeschichten wie Heinrich Claurens „Das Raubschloss“ von 1812, das als Inspiration für Poes „House of Usher“ gedient haben soll, genauso beinhaltet wie Gruselmären arrivierter Autoren à la Prosper Mérimées „L’vénus d’ille“, die wiederum als Vorlage für Mario Bavas letztes Filmprojekt diente.
Im außerordentlich informativen Nachwort Britzes erhält man tiefergehende Einblicke in Leben und Schreiben des außerhalb seiner serbischen Heimat so gut wie unbekannten Glisic sowie in die historischen und gesellschaftlichen Umstände, in denen der gute Mann geschrieben und gelebt hat. Neben seiner regen Übersetzungstätigkeiten – unter anderem hat der 1847 geborene und 1908 verstorbene Dichter solche Mammutwälzer wie Tolstois KRIEG UND FRIEDEN vom Russischen ins Serbische übertragen –, tat sich Glisic, der selbst aus einer bäuerlichen Familie stammt, vor allem als Autor von Dorfgeschichten hervor, deren mit schwankartigem Humor gewürzter Realismus ihm den Beinamen „Serbischer Gogol“ einbrachten. Die Erzählung POSLE DEVEDEST GODINA nimmt daher nicht so sehr durch ihr Setting eine Sonderstellung in Glisics Oeuvre ein – wir befinden uns in einer ruralen Region Serbiens irgendwann im frühen 19. Jahrhundert unter einfachem Landvolk –, sondern deshalb, weil der Autor hier exzessiv die Schauerfolklore seiner Heimat anzapft: Die Figur des Sava Savanovic, eines berühmt-berüchtigten Blutsaugers innerhalb des serbischen Volksglaubens, spielt eine derart zentrale Rolle in POSLE DEVEDEST GODINA, dass man den Text motivisch durchaus dem Horrorgenre zuschlagen kann. Ohne irgendeine andere Erzählung aus der Feder Glisics zu kennen, scheint er hier, wie Britze andeutet, zum ersten (und einzigen?) Mal phantastische Elemente mit seinem üblichen Repertoire an liebenswert-schrulligen Figuren, amüsant direkt aus dem Leben gegriffenen Dialogen und anekdotenhaften Alltagsszenarien zu vermengen. Das Resultat fasst in der deutschen Buchausgabe gerade mal knapp 50 Seiten, wirkt sehr aktionsgetrieben – wie Britze anmerkt, ist einer der häufigsten Kritikpunkte, die die Literaturwissenschaft an Glisic übt, dass bei ihm eine Psychologisierung seiner Charaktere gänzlich fehlt: Alles, was wir von ihnen wissen (müssen), findet rein an der Oberfläche statt, in dem, was sie sagen, in dem, wie sie handeln –, und erinnert von seiner Stilistik her teilweise an einen Erzähler, der zu später Stunde vorm Kaminfeuer mit engagierter Stimme eine Geschichte von vor langer Zeit zum Besten gibt: Zuweilen wird das Lesepublikum, was, wie Britze feststellt, eine Eigenheit Glisics zu sein scheint, gar direkt adressiert; an dramaturgisch besonders aufregenden Stellen meldet sich die Erzählinstanz mit Überraschungsausrufen oder wertenden Kommentar selbst zu Wort; vermittelt wird der Gang der Handlung zu einem nicht geringen Teil über Dialoge – so wie überhaupt der gesamte Text sich mit seiner offenbar bewusst schlichten Sprache, seinen plastischen Bildern, seinen lebhaften Formulierungen einer kinematographischen Bearbeitung nachgerade anbietet: Die Szene beispielweise, in der der Jüngling Strahinja sein Heimatdorf Ovcina zu verlassen gedenkt, konnte ich mir vor meinem inneren Auge bereits als veritable Montagesequenz imaginieren: „Strahinja seufzte tief auf, wieder drückte es ihm heftig die Kehle zu, wieder zog er zwei, drei Mal tief an seiner Pfeife, dann eilte er hinab ins Gebiet von Zarozje. Er hatte den Kahlenberg überquert. Vor ihm öffneten sich die tiefen Schluchten von Zarozje, dichtes Gesträuch und steile Wände, aber nur hin und wieder bebaute Flächen und noch seltener Häuser. […] Strahinja drehte sich noch einmal um. Von Ovcina war nichts mehr zu sehen.“
In seiner Verfilmung folgt Kadijevic der Erzählung Glisics zunächst sklavisch: Sowohl LEPTIRICA wie POSLE DEVEDEST GODINA kreisen im Kern um eine verbotene Liebe zwischen dem Waisenjungen Strahinja und Radojka, deren wohlbegüterter und herrischer Vater aus blindem Stolz partout nicht einwilligen will, dass sich die beiden Turteltäubchen miteinander vermählen dürfen. Auf Seiten Strahinjas ist Resignation die Folge: Er beschließt, seine Siebensachen zu packen und in die weite Welt hinauszuziehen, nachdem sämtliche Versuche Außenstehender, Radojkas Vater Zivan umzustimmen, als gescheitert erachtet werden müssen. Im Nachbardorf Zarozje indes trifft er auf den Bürgermeister nebst Entourage, die sich gerade die Köpfe darüber zerbrechen, was mit der Ortsmühle passieren soll. In der nämlich scheint es zu spuken. Sämtliche Müller, die man in letzter Zeit akquiriert hat, sind am nächsten Morgen mit umgedrehten Hals aufgefunden worden, weshalb sich nunmehr freilich niemand mehr finden lässt, der freiwillig eine Nacht in der verfluchten Mühe verbringen möchte. Strahinja, sowieso auf dem Gipfel der Verzweiflung, bietet sich an, das Amt zu übernehmen: Möglicherweise aus Todessehnsucht besteht er darauf, sich in der Mühle einzuquartieren und dem gottlosen Treiben auf den Grund zu gehen. Nachdem er seine Bettstatt so hergerichtet hat, als würde er darin selig schlummern, verzieht sich unser Held auf den Dachboden der Mühle und lauert mit geladenem Gewehr auf den Unhold. Der lässt nicht lange auf sich warten, entpuppt sich als Vampir, und bekommt von Strahinja eine Ladung Mariengroschen auf den Pelz gebrannt. Bevor die Bestie entwischt, entschlüpft ihr ihr eigener Name: Sava Savanovic. Immerhin ist dies schon mal ein erster Anhaltspunkt für den Bürgermeister, den Pfaffen und die restlichen Dorfbewohner, die nicht schlecht staunen, als sie Stahinja am nächsten Morgen putzmunter vorfinden. Nachforschungen bei der Dorfältesten ergeben: Sava Savanovic war einst ein blutsaufendes Monstrum, das vor neunzig Jahren unter einer Ulme bei einem Taleinschnitt bestattet wurde, und nun wohl zurückkehrte, um den Lebenden ihre Adern zu leeren. Nach langer Suche finden die Dörfler endlich das Grab Savanovis und machen ihm auf erprobte Methode per Pflock ins Herz den Garaus. Lediglich seine Seele schafft es, in Schmetterlingsgestalt davon zu flattern - was, wie es heißt, nicht weiter schlimm ist, denn die Vampirseele, die kann ja nur Kindern was zuleide tun. Strahinja ist man wiederum so dankbar, dass man ihm verspricht, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihn mit Radojka zu vereinen.
In Kadijevics Adaption winkt den Liebenden kein Happy End: Die Seele Savanovics kontaminiert Radojka, verwandelt sie in eine Vampirin, die Strahinja, der sie mit Hilfe seiner neuen Freunde aus der Obhut ihres Vaters geraubt hat, eine blutige Hochzeitsnacht beschert. Nachdem die Gefahr zunächst gebannt scheint, verlagert Kadijevic den Terror ins unmittelbare Umfeld seines Protagonisten: Mit behaartem Gesicht und spitzen Eckzähnen sucht ihn der Fluch Savanovics genau dort ein, wo er am wenigsten mit ihm rechnet, nämlich im eigenen Ehebett. Dass LEPTIRICA zu einem der gänsehautinduzierendsten Genrefilme gehört, die ich kenne, liegt nicht nur an seinem Sounddesign – diese Vogelrufe, die klingen wie das Locken von Höllenäffchen! –, an den zwar lyrischen, jedoch unterschwellig beklemmenden Naturaufnahmen oder an der alptraumhaften Mühlensequenz mit dem Close-Up der ins Mehl tauchenden Vampirpranke, sondern auch an dem unerwarteten Finale, bei dem wir mit Grausen aus einer Richtung beschossen werden, aus der wir es, so wie Strahinja, am wenigsten erwartet haben. Da Kadijevic Glisics Text bis zur Entführung Radojkas und dem anschließenden dionysischen Hochzeitsfest quasi 1:1 visualisiert hat – zuweilen hatte ich den Eindruck, dass gar mancher Dialog wortgetreu aus der Vorlage in den Film übernommen wurde –, rechnete ich auf den letzten Seiten von POSLE DEVEDEST GODINA damit, dass auch hier Radojka zum „Schmetterlingsweibchen“ mutiert und Strahinja im Brautbett attackiert – und wurde in dieser Hinsicht enttäuscht: Tatsächlich endet POSLE DEVEDEST GODINA damit, dass Zivan und der Bürgermeister von Zarozje sich miteinander versöhnen, dass Zivan gar einknickt und Strahinja und Radojka seinen Segen zur Hochzeit gibt, dass Strahinja den vakanten Müllerposten übernimmt und mit Radojka ein glückliches und zufriedenes Leben führt. Einziger Wermutstropfen, der am Ende wie beiläufig erwähnt wird: „Jener Schmetterling hat noch lange, so sagt man, kleine Kinder in Zarozje und in Ovcina zu Tode gebracht, doch dann ist auch er verschwunden.“
Die hochinteressante Lektüre von POSLE DEVEDEST GODINA zeigt dementsprechend zweierlei: 1) Wie wenig es offenbar Glisics Ansinnen gewesen ist, eine pure Horrorgeschichte zu verfassen; wenn sein Text in der zweiten Hälfte, nachdem der Vampir relativ unproblematisch beseitigt wurde, zu einem launigen, manchmal gar Slapstick aufbietenden Dorfschwank wird, werden die Prioritäten des Autors deutlich, die definitiv darin liegen, seine Leserschaft mehr erheiternd zu unterhalten statt nachhaltig zu schockieren, sowie 2) Wie sehr es offenbar Kadijevics Ansinnen gewesen ist, einen puren Horrorfilm zu drehen; wenn seine Adaption nach der vermeintlichen Erlösung doch noch ins schwärzeste Unheil kippt, werden die Prioritäten des Regisseurs deutlich, dem definitiv zuallererst daran gelegen gewesen ist, mir eine schlaflose Nacht zu bereiten.
Lohnenswert ist übrigens die komplette, inzwischen 99 Bände umfassende Reihe „Kabinett der Phantasten“, die obskure Schauergeschichten wie Heinrich Claurens „Das Raubschloss“ von 1812, das als Inspiration für Poes „House of Usher“ gedient haben soll, genauso beinhaltet wie Gruselmären arrivierter Autoren à la Prosper Mérimées „L’vénus d’ille“, die wiederum als Vorlage für Mario Bavas letztes Filmprojekt diente.