Der blaue Planet - Franco Piavoli (1981)

Alles aus Italien, was nicht in die anderen Themenbereiche gehört.

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Der blaue Planet - Franco Piavoli (1981)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

MV5BNTQ5M2IzYWYtOWU5ZS00ZTkwLTkzZWYtMTk5OWQ3YjFhZDQwXkEyXkFqcGdeQXVyNjgxNjE1MjM@._V1_.jpg
MV5BNTQ5M2IzYWYtOWU5ZS00ZTkwLTkzZWYtMTk5OWQ3YjFhZDQwXkEyXkFqcGdeQXVyNjgxNjE1MjM@._V1_.jpg (252.84 KiB) 333 mal betrachtet
Originaltitel: Il Pianeta Azzurro

Produktionsland: Italien 1981

Regie: Franco Piavoli

Darsteller: Die Flora und Fauna in ihrer entwaffnenden Schönheit

Als Franco Piavoli 1981 seinen ersten abendfüllenden Film IL PIANETA AZZURRO vorstellt, ist der studierte Jurist und Photograph seit fast zwanzig Jahren nicht mehr als Regisseur in Erscheinung getreten. Zwischen 1954 und 1964 dreht Piavoli mehrere Handvoll experimentelle Kurzfilme, nach denen eine große Lücke in seiner Filmographie klafft, die erst IL PIANETA AZZURRO auf betörende Weise schließt. Zwei Jahre lang dauert die Produktion des Films, in der Piavoli mit seiner Assistentin Neria Poli und einer von Silvano Agosti geliehenen Arriflex-Kamera loszieht, um die Schönheit unseres blauen Planeten in kontemplativen Bildern festzuhalten.

Das Ergebnis erinnert frappant an den „New-Age Mondo“ KOYAANISQATSI von Godfrey Reggio, der wohlgemerkt aber erst ein Jahr später erscheint: Wo Reggio seinen Film allein durch die pulsierende Musik von Philipp Glass regelrecht überorchestriert und die Bilderflut aus unterschiedlichen Kontinenten, geographischen Sphären, kulturellen Kontexten zu einem Rausch werden lässt, der seinen Rhythmus aus der Oppositionsstellung von Gegensatzpärchen speist, verschreibt sich Piavoli zur Gänze eines wesentlich meditativeren Ansatzes - fast könnte man sagen, dass die Sichtung von IL PIANETA AZZURRO im besten Sinne der Stimmung gleicht, in die man sich versetzt, wenn man dem Gras beim Wachsen zusieht.

Bis auf eine Messe von Josquin Deprez in den Schlusseinstellungen verzichtet IL PIANETA AZZURRO komplett auf extradiegetische Musik und macht seine Tonspur zu einer Collage aus Naturgeräuschen wie blubbernden Gewässern, knisterndem Laub, zwitschernden Vögeln, wispernden Baumkronen, gackernden Hühnern. Auch ist die Montage ungleich elegischer als bei Reggio: Piavoli fügt seine Aufnahmen von Eulen, Feldern, Wäldern, Flüssen, nebelverhangenen Lichtungen, kopulierenden Heuschrecken, erleuchteten Gasthausfenstern mit bemerkenswert zurückhaltender Geste aneinander, jedoch nicht ohne seinen Spannungsbogen aus den Augen zu verlieren. IL PIANETA AZZURRO ist strukturiert nach dem Lebenskreislauf: Geburt, Kindheit, Erwachsenenalter, Tod. Ganz ähnlich wie KOYAANISQATSI beginnt er mit Bildern von Sedimenten, Felsen, Gewässern, die auch aus einer archaischen Vorzeit stammen könnten, zeigt uns danach die erwachende Flora und Fauna, führt uns zu existentiellen Stationen eines jeden Daseins wie Arbeit, Schmerz, Liebe, und endet auf einer melancholischen, todestrunkenen Note. Menschen räumt Piavoli keinen exponierten Platz in seinem Film ein: Wenn wir Bauern sehen, die ihre Äcker bestellen, oder Personen, die in ihren eigenen vier Wänden unter die Bettdecken schlüpfen, dann erscheinen sie sehr klein, nahezu unbedeutend vor den atemberaubenden Naturkulissen, denen sich der Großteil der Laufzeit von IL PIANETA AZZURRO widmet. Piavolis Blick auf die Welt ist konsequent anti-anthropozentrisch: Wenn der Regisseur sein Loblied auf die Schöpfung anstimmt, begreift er die Menschheit als nur ein Rädchen im Getriebe des Erdenlaufs, und nicht einmal ein besonders wichtiges.

Zugleich aber liefert er in einer besonders traumhaften Szene dieses traumwandlerischen Streifens eine der schönsten Sexszenen des mir bekannten Kinos: Ein junger Mann und eine junge Frau im Weizenfeld; alles, was wir zu sehen bekommen, sind Detailaufnahmen ihrer Körper, die Augen, die Hände, ihre Silhouetten verborgen zwischen Ähren; zum Abschluss zeigt Piavoli uns die Stelle, wo sie einander geliebt haben, und wo eine vielsagende Kuhle zurückgeblieben ist. Allein für diesen Moment kann man IL PIANETA AZZURRO sein Herz schenken, diesem niemals in Kitsch abdriftenden, unaufdringlich poetischen, visuell überwältigenden Panoramaschwenk quer über all die Dinge, die man gerne übersieht, wenn sie einem nicht in entwaffnender Erhabenheit von einer Filmkamera vor die Augen gestellt werden.
Antworten