La Badessa di Castro - Armando Crispino (1974)

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Salvatore Baccaro
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La Badessa di Castro - Armando Crispino (1974)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

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Originaltitel: La Badessa di Castro

Produktionsland: Italien 1974

Regie: Armando Crispino

Darsteller: Barbara Bouchet, Pier Paolo Capponi, Ida Galli, Antonio Cantafora
Als der französische Schriftsteller Stendhal in den 1830er Jahren in Italien weilt, erwirbt er dort einen ganzen Stoß von Foliobänden mit Aufzeichnungen, die wahrscheinlich aus dem siebzehnten Jahrhundert stammen. Sie berichten von skandalösen Ereignissen der frühen Neuzeit, von Intrigen innerhalb angesehener römischer Patrizierfamilien, von Machtkämpfen zwischen verfeindeten politischen Lagern, von Giftmorden, von Räubern, die in weitläufigen Wäldern Revolten planen, von jungen Mädchen, die, weil sie den in den Augen ihrer Eltern Falschen lieben, von diesen gegen den eigenen Willen in Klöster gesteckt werden, aus denen sie ihre Geliebten dann zu befreien suchen, von machtlüsternen Äbtissinnen, Bischöfen und Fürsten – ein Panorama, in das Stendhal sich über Jahre hinweg immer wieder und weiter vertieft bis seine Beschäftigung mit den zumeist anonymen Chroniken ihn zu eigenen literarischen Arbeiten inspiriert. Die bekannteste seiner sogenannten italienischen Novellen dürfte L’ABBESSE DE CASTRO sein, die am 1. Februar und am 1. März 1839 in der Revue des Deux Mondes publiziert wird. Sie stellt, wie alle Texte, die Stendhal unter dem Eindruck seiner antiquarischen Fundschätzchen geschrieben hat, weder eine wortgetreue, reine Übersetzung des italienischen Originals dar noch ist sie eine originäre Schöpfung des Schriftstellers, der sich von besagtem Original lediglich den einen oder anderen Inspirationsfunken hat eingeben lassen. Vielmehr ist L’ABBESSE DE CASTRO ein hochinteressanter Hybrid beider Formen, in den das lyrische Ich ständig kommentierend und erläuternd eingreift, und seine tragische Liebesgeschichte somit wie auf einer Meta-Bühne erzählt, in der alles zugleich Staffage und echtes Leben ist.

Ob Armando Crispino, der im Jahre 1974 seinen Film LA BADESSA DI CASTRO in die Kinos bringt, nun eher von Stendhals Novelle oder von der namenlosen italienischen Chronik beeinflusst ist, die Stendhal als Vorbild gedient hat, kann ich, da ich letztere nicht kenne, mit Sicherheit nicht sagen. Offenkundig ist aber, dass Crispinos Film im letzten Drittel von Stendhals Erzählung einsetzt, und selbst in Details ziemlich genau mit ihr übereinstimmt. Offenkundig ist auch, dass Crispino seinen Film mit zahllosen Details ausschmückt, die so bei Stendhal nicht zu finden sind, und die auf mich wirken wie die üblichen Zutaten, die man Mitte der 70er benötigte, um einen zünftigen Nunsploitation-Genrebeitrag ansprechend zu würzen. Was von beidem LA BADESSA DI CASTRO nun eigentlich sein möchte, entweder exploitativer Nonnensexfilm oder seriöse Literaturverfilmung, dem möchte ich in den folgenden flüchtigen Zeilen kurz nachspüren.

Zunächst: die Handlung. Die titelgebende Äbtissin des Klosters mit dem schönen Namen Castro trägt seit nunmehr zehn Jahren den Schleier. Ganz freiwillig ist sie freilich nicht zur Gottesbraut geworden. Elena di Campireali, so ihr bürgerlicher Name, war Tochter einer angesehenen Adelsfamilie, die standesgemäß hatte verheiratet werden sollen. Leider machte ihren Eltern Amor höchstpersönlich einen roten Strich durch diese Rechnung, und knüpfte Elenas Herz an das des Räubersohns Giulio Branciforti, der mit seiner Bande Ausgestoßener in den Wäldern lebt. Jede nur erdenkliche Intrige ist Elenas Eltern recht, die Liebenden voneinander zu trennen. Letztlich landet Elena hinter Klostermauern, und Giulio wird für tot erklärt, obwohl er es unter falschem Namen ins Ausland schafft. Zutiefst unglücklich über das Scheitern ihrer Hoffnungen stürzt Elena sich in übermäßige Ambitionen. Sie möchte, wo sie nun schon ihr Leben in ihm verbringen soll, wenigstens Äbtissin ihres Klostergefängnisses werden. Dies schafft sie ebenfalls nicht ohne Intrigen, doch sie schafft es, und ihr Regime wird ein strenges, unnachgiebiges. Das ist in etwa die Ausgangsituation, als der Film damit einsetzt, dass der örtliche Bischof Francesco Cittadini das Kloster besucht. Schon früher hat er unserer Äbtissin eindeutige Avancen gemacht. Sein sehnlichster Wunsch ist es nämlich, fleischliche Lust mit der frommen Frau zu erleben. Hierfür ist ihm ebenfalls jedes Mittel recht: wenn es sein muss, lässt er sich wie einen Hund behandeln, oder aber er unternimmt ernsthafte, in letzter Sekunde vereitelte Vergewaltigungsversuche, mitunter probiert er, Elena mittels langer Argumentationsketten zu überzeugen, dann wieder schmiedet er Ränke, um sie mit Gewalt in seine Arme zu bringen. Als Elena sich ihm endlich hingibt und das nicht ohne Folgen für sie bleibt, denn schon bald setzt ihre Monatsblutung aus und sie spürt verdächtige Veränderungen innerhalb ihres Körpers, sich außerdem die Heilige Inquisition für Cittadinis korrupte Amtsausübung zu interessieren beginnt, und es Giulio zufälligerweise in die Gegend von Castro verschlägt, nimmt das Drama seinen Lauf…

LA BADESSA DI CASTRO eröffnet mit Bildern, deren schroffer Realismus sprachlos machen kann. Cittadini nähert sich dem Kloster Castro durch eine Landschaft, die, wie er selbst sagt, der Hölle auf Erden gleicht. Schon seit Wochen hat es nicht mehr geregnet. Die Äcker sind hart, aufgeplatzt, ausgetrocknet. Menschliche Leiber, gezeichnet von Hunger und Wahnsinn, schleppen sich durch die aus baufälligen Hütten bestehenden Dörfer. Selbst die kleinen Kinder haben jeden Respekt vor dem Bischof verloren, und begrüßen ihn, indem sie ihm Steine und Schmutz entgegenschleudern. Ein Mädchen sitzt vor einer Hütte und streckt Cittadini wahnsinnig lachend die Zunge raus. Neben ihr liegt ein Haufen menschlicher Knochen. Im Klosterhof haben sich die Bedürftigten versammelt und schreien wie von Sinnen nach Brot, um ihren Hunger stillen zu können. Die Welt, in die uns Crispino mit diesem Auftakt entführt, könnte abstoßender und faszinierender kaum sein, und ihre Ästhetik ist eine raue, schonungslose, im wahrsten Wortsinne ungeschönte.

Noch öfter wird Crispino auf diesen Anfang rekurrieren, wenn er LA BADESSA DI CASTRO Szenen unterschiebt, die beinahe schon dokumentarischen Charakter haben. Zum Beispiel feiern die Nonnen etwa in Filmmitte ein offenbar ursprünglich heidnisches Volksfest. Anlass hierfür ist ein sogenannter Schlangenmann, der das Kloster bereist, und vorgibt, dadurch, dass er eine lebendige Schlange in einem Lagerfeuer verbrennt, das Böse aus den Mauern und Herzen vertreiben zu können. Als die Schlange es schafft, den Flammen zu entkommen, wird ihr dennoch, in Großaufnahme übrigens, von einem Männerfuß der Kopf zertrampelt. Gleiches gilt für die Karnevalsszenen, die tatsächlich den Eindruck erwecken, Crispinos Kamera sei in der Zeit zurückgereist und unmittelbar in das Faschingstreiben der Frühen Neuzeit hineingeraten. Weder werden die Volkstänze, die verrückten Maskeraden, die Ausgelassenheit, mit der Stände-, Geschlechtergrenzen und die zwischen profaner und sakraler Welt für ein paar Stunden fallen, idealisiert noch für stumpfe Kalauer missbraucht noch in irgendeiner Form zur bloßen Fleischbeschau heruntergezogen. Stattdessen nähert Crispino sich dem Treiben fast schon wie ein Historiker. Er zeichnet auf, registriert, nicht mehr, nicht weniger. Auch eine Nonnenmumie in der Sakristei der Klosterkirche trägt zu dem ungeschminkten Realismus bei, der LA BADESSA DI CASTRO zu seinen beeindruckendsten Szenen verhilft. Die vertrocknete Frauenleiche, wohl die Klosterstifterin in Person, ist Anlaufstelle für Elena, wenn die mit ihren inneren und äußeren Dämonen hadert. Im Gebet vertieft sitzt sie bei der Mumie und nutzt sie wie ein Tagebuch, indem sie ihr ihr Leid klagt und sich Hilfe von ihr erbittet. Der Moment, in der ihr einmal das Gesicht ihres geliebten, totgeglaubten Giulios als Projektion erscheint, die sich über das eingefallene Mumiengesicht schiebt, zeigt indes schon an wie brüchig Crispinos Realismus ist und wie gern dazu bereit, sich Bildern zu überlassen, die ihm nahezu entgegenlaufen.

Jene halb-dokumentarischen Szenen nämlich, die mir so sehr gefallen habe, stellen bloß eine Handvoll dar im Vergleich zum restlichen Film, der mehr als einmal droht, in die Steife eines Kostümdramas voller Theaterdialoge und wortreichen Reden statt unmittelbaren Leidenschaften zu kippen, und es mehr als einmal nicht nur bei einer solchen Drohung belässt. Wenn Cittadini die Äbtissin bestürmt, sie solle seinen Verführungskünsten doch endlich unterliegen, dann geschieht das in einer Staubwolke, die von Bühnenbrettern voriger Jahrhunderte hoch weht, und den Film derart einhüllt, dass man ihn stellenweise leicht für einen halten könnte, dessen Erscheinungsdatum gut zehn Jahre früher veranschlagt werden muss. Ein weiteres Beispiel: Elena hat zwei von Giulios Räuberfreunden in ihre Dienste genommen. Seit sie im Kloster Äbtissin ist, bestellen diese den Garten und kümmern sich um den Verkehr der Nonnen mit der Außenwelt. Einer von ihnen steht eines Tages Giulio auf offenem Feld gegenüber. Erst erkennen sich die Freunde nicht, kämpfen miteinander bis sie sich auf einmal voller Freude in die Arme fallen. Mit ein bisschen Fingerspitzengefühl hätte diese Wiedersehensszene wirklich ergreifend werden können. Dass sie mich komplett kalt lässt, liegt wohl hauptsächlich an Crispinos recht kreativlosem Umgang mit ihr. Es ist tatsächlich, als würden wir auf einer Theaterbühne zwei Männer, die uns nichts bedeuten, bei einer Umarmung zuschauen, die nichts bedeutet, und zudem mit unglaubwürdigen, antiquierten Worthülsen garniert worden ist. Die mir schon nach kurzer Zeit die Nerven zerschießende Orchestermusik von Carlo Savina, bei der mehr noch als ihr klebriger Pathos die Permanenz stört, mit der sie wirklich jede einzelne Szene zukleistert, tut, was sie kann, um die Künstlichkeit des Ganzen hervorzustreichen.

Mäntel und Degen aus dem Kostümverleih, das sind wenige exploitative Elemente, wird man sagen – und dass Crispino völlig auf die seriöse Schiene ausgewichen sein soll, würde bei einem zwar übersichtlichen, jedoch randvoll mit einschlägigen Titeln wie L’ETRUSCO UCCIDE ANCORA (1972), MACCHIE SOLARI (1975) oder FRANKENSTEIN ALL’ITALIANA (1975) gefülltem Oeuvre dann doch wundern. Zur Entwarnung kann ich melden: natürlich wird sich Crispino seiner Exploitation-Sensibilitäten selbst in den staubtrockenen Kulissen immer mal wieder bewusst, und kommt nicht umhin, ihnen in der einen oder anderen Szenen die Zügel schießen zu lassen. Natürlich muss Barbara Bouchet, wo sie doch schon mal die Hauptrolle bekleidet, mehr als einmal entkleidet werden – meist, wenn sie zu Bett geht, sodass wir noch einmal den nackten Körper der Äbtissin bewundern dürfen bevor er unter der Decke verschwindet -, und natürlich müssen die finalen Folterszenen, recht viele sind es allerdings nicht, graphisch genug in Szene gesetzt werden, dass derjenige Teil des Publikums, der es liebt, hübsche, junge Frauen in Kombination mit Streckbänken oder glühenden Zangen zu sehen, auf seine Kosten kommt, und natürlich wird der Teil des Publikums, der zumindest die softpornographische Andeutung davon sehen möchte wie zwei Menschenkörper den Geschlechtsakt vollziehen, genauso wenig enttäuscht werden – wenn auch, und das muss ich noch einmal mit aller Deutlichkeit unterstreichen, Crispino weit hinter den visuellen Exzessen von vergleichbaren Filmen wie Sergio Griecos LE SCOMUNICATE DI SAN VALENTINO (1974) oder Gianfranco Mingozzis FLAVIA, LA MONACA MUSULMANA (1974) zurückbleibt. Letztlich ist das eines der Hauptprobleme von LA BADESSA DI CASTRO: für die Freunde gepflegter Exploitation-Kost wird der Film zahm anmuten wie ein Schoßhündchen, während die Zuschauer, die sich, statt ins Theater, ins Lichtspielhaus verirrt haben, von den entblößten Brüsten, blutenden Wunden und rammelnden Hüften sich gehörig auf die Schlipse getreten fühlen dürften.

Das größte Problem von LA BADESSA DI CASTRO ist jedoch ein narratives. Hierfür muss ich noch einmal auf Stendhal zurückkommen. Der erzählt seine Version der Geschichte nämlich chronologisch, beginnt mit Elenas und Giulios Jugendliebe, lässt sich viel Zeit dabei, die Fährnisse und Tücken zu beschreiben, die den Liebenden ihr Glück vereiteln, und portraitiert dann erst Elena als Äbtissin des Castro-Klosters, schildert ihre nahezu sadomasochistische Sexbeziehung zu Cittadini und schließlich den Prozess, der den beiden Unzüchtigen gemacht wird. Crispino verfährt, wie man gesehen hat, anders: Die gesamte Vorgeschichte von Elena und Giulio fällt der Schere zum Opfer, einzig eine einzige Rückblende gestattet uns, Einblick zu nehmen in die unglücklich verlaufene Liebe der Beiden. Dadurch jedoch, dass wir Elena und Giulio erst gegen Ende ihrer Geschichte kennenlernen, wird es uns fast unmöglich gemacht, für ihre Liebe zu fiebern. Giulio, bei Stendhal eine der Hauptpersonen, taucht in LA BADESSA DI CASTRO erst nahe des Abspanns auf, und ist ein Fremder für uns, von dem wir zwar viel reden gehört haben, mit dem wir uns aber genauso wenig identifizieren können wie mit Elena, die uns als unliebsame Äbtissin vorgestellt wurde, und nicht als das unschuldig schmachtende Mädchen, das sie noch vor zehn Jahren war. Kalt und fern bleiben mir die Figuren, allen voran der unsägliche Bischof Cittadini, sodass mich eine kurze Nebenhandlung mehr mitgerissen hat als der gesamte Hauptplot: eine Nonne ist in einen Priester verliebt, sie treffen sich zum Stelldichein, werden von Elena ertappt, jedoch, da sie Mitleid mit ihnen hat, nicht verraten. Auf der Flucht jedoch geraten sie doch der Inquisition in die Falle und stürzen sich aus einem Gasthoffenster in den Liebestod. Diese kleine, für die eigentliche Handlung wenig relevante und bei Stendhal nicht vorkommende Episode trägt mehr Leben und Leidenschaft in sich als die vielen leblosen Szenen, die sie umgeben – so wie die Schlange, als man sie den Flammen übergibt, in ihren qualvollen Zuckungen und ihrer raschen Flucht für einen Moment die holprige Montage, die pausenlos tönende Musik, die starren Phrasen und die wenig originelle Inszenierung vergessen macht.
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