La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Alles aus Italien, was nicht in die anderen Themenbereiche gehört.

Moderator: jogiwan

Antworten
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Bild

Originaltitel: La Prova Generale

Regie: Romano Scavolini

Produktionsland: Italien 1968

Darsteller: Guido Alberti, Lou Castel, Laura Troschel, Valentino Zeichen, Maria Monti, Carlo Cecchi
In seinem 1967 erschienen, zweiten Film ECCE HOMO, einer elfminütigen Photo-Collage, die in ihrer radikalen Verweigerung ein bisschen jene dialektischen Essays vorwegnimmt, die Godard in seiner Zeit als Marxist produziert hat, legt der italienische Regisseur Romano Scavolini bereits unmissverständlich offen, worum es ihm in seiner Kunst geht: der Mensch verstrickt und bestimmt von Mechanismen, die er nicht begreift und begreifen kann. Im Falle von ECCE HOMO zielt Scavolinis Anordnung von unbewegten Bildern und bewegtem Sound, bestehend aus einem frühen Elektro-Score Egisto Macchis sowie vereinzelten, in verschiedenen Lautstärken gebrüllten oder geflüsterten Sprachfetzen, vor allem darauf ab, uns seine Sicht des modernen Menschen vorzuführen. Für ihn ist dieser kein selbstbestimmtes, frei agierendes Individuum. Er befindet sich in einem steten Abhängigkeitsverhältnis zu einer immer technischer und immer rationaler werdenden Welt, die es ihm nicht im Geringsten ermöglicht, sich einen Wert zuzuweisen, der nicht zuvor von anderer Seite an ihn herangetragen worden ist. Offenbar wird ein solcher anthropologischer Pessimismus auch in Scavolinis Debut A MOSCA CIECA von 1966, das zumindest in zögerlichen Ansätzen mit etwas Ähnlichem wie einer Narration aufwartet, auch wenn natürlich die darin auftretenden Personen nicht mehr als Schemen sind, so gut wie keine Dialoge geäußert werden - lediglich aus dem Off erklingen Verse von Samuel Beckett -, und sich in der knapp einen Stunde Laufzeit die ästhetischen Schwarzweißbilder selten, was das menschliche Kohärenzbedürfnis angeht, logisch und folgerichtig entwickeln. Gerade diese extreme Haltung des Unangepasstseins ist es, was alle Filme durchzieht, die ich bisher von Scavolini gesehen habe. In A MOSCA CIECA findet sie ihre inhaltliche Entsprechung in der hauchdünnen Story, die von einem jungen Mann handelt, der eines Tages in einem nicht abgeschlossenen, parkenden Auto einen Revolver findet, mit der Zeit eine regelrechte Obsession zu ihm entwickelt bis er dann am Ende, Bretons Ratschlag folgend, besagte Waffe in eine Menschenmenge richtet und ziellos abfeuert. Gewidmet ist A MOSCA CIECA übrigens dem 1969 mutmaßlich ermordeten Abdullah Hadon, einem Führer der südafrikanischen Antiapartheidbewegung. Dass Scavolinis Impuls auch und vor allem ein politischer ist, bestärkt nur noch die geistige Verbindung zu Godard und anderen aufbegehrenden, linken Filmemacher der späten 60er, auch wenn Scavolini, im Gegensatz zu Leuten wie Bertolucci oder Glauber Rocha, wohl hauptsächlich für die Genre-Beiträge bekannt ist und bleiben wird, die er in späteren Jahren abgeliefert hat.

Seinen bekanntesten Film zum Beispiel, schlicht NIGHTMARE betitelt, kann man bei einer oberflächlichen Lesart abtun als einen weiteren Beitrag zum Slasher-Genre, der einzig durch seine extreme Gewaltdarstellung ein bisschen aus der Reihe spritzt. Wer jedoch erst einmal damit begonnen hat, Scavolini von seinen Underground- oder Gegenkulturwurzeln als durchaus ernstzunehmenden, ambitionierten Filmemacher zu sehen, schafft es gar nicht darum umhin zu kommen, in NIGHTMARE die künstlerische Vollendung zu erkennen, in die seine gesamten, während der 70er entstandenen Genre-Abstecher kulminieren mussten. Ob nun SERVO SUO (1973), der Dekonstruktion des italienischen Thrillers, in der, mal wieder, ein existenzialistischer „Held“, der wirkt, als sei er aus einem Camus-Roman gestolpert, mit der Leere seiner Existenz konfrontiert wird, da er, neben seinem Beruf als Privatlehrer fürs Englische, im Grunde nur zu einer Prostituierten zwischenmenschlichen Kontakt unterhält, für den er natürlich zahlen muss, von einem Gangster-Syndikat aufgegabelt wird, das ihm das Angebot unterbreitet, unter neuer Identität als Killer zu arbeiten, oder SAVAGE HUNT von 1980, eine Art Remake von Antonionis BLOW UP, dessen Hauptfigur ein Photograph ist, der brisante Bilder schießt, von deren Brisanz er selbst nichts weiß, und der deshalb über mehrere Kontinente hinweg von diversen politischen Mächten gehetzt wird, die allesamt die Aufnahmen in die Finger bekommen wollen, oder der farbenfrohe, zuweilen geradezu surreale, auf jeden Fall äußerst traum- und rauschhafte Giallo UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ, dessen Handlung, in einem abgelegenen Gothic-Landhaus angesiedelt, um die Dezimierung einer illustren Partygesellschaft kreist, bei der sich mit steigendem Alkoholkonsum die schlimmsten menschlichen Gründe auftun - immer lassen sich für mich zwei große, miteinander verwobene Themenkomplexe erkennen, die Scavolini unablässig bearbeitet: zum einen die, schon aus ECCE HOMO und A MOSCA CIECA bekannte, Verstrickung des Menschen in ein System, dessen letzten Zweck er nicht versteht, und das ihn tatsächlich wie ein Spinnennetz umfasst hält, und zum anderen die Verlegung dieses Gedankens in das Gebiet der Kunst selbst, denn Scavolinis Filme tragen, mal mehr, mal weniger, ständig eine Metaebene mit sich herum, auf der der Regisseur darüber Überlegungen anstellt, inwieweit denn solch ein System - oder solche Systeme - denn auch dort zu finden ist/sind, wo es/sie aus avantgardistischer Perspektive erst recht nichts zu suchen hat/haben, nämlich im Bereich der Kunst selbst.

Zunächst sind Scavolinis Anti-Helden Dingen ausgeliefert, in die sie keine Einsicht haben, die zu groß, zu komplex sind, um von ihren begrenzten Blicken komplett erfasst zu werden. Die tragische Heldin in UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ ist, wie oft im Giallo, Opfer eines Kindheitstraumas. Der zum Killer mutierende Privatlehrer in SERVO SUO kann es sich immerhin aussuchen, ob er von einer als leer und kalt empfundenen Welt bestimmt wird oder von ebenso kalt operierenden Verbrechern, die sich vermeintlich über diese Welt erheben. Der Photograph, der in SAVAGE HUNT ein grausames Ende findet, ist sowieso bis zuletzt nicht einmal in der Lage, von seinem eingeschränkten Wissen heraus überhaupt erklären zu können, was genau es ist, was in den scheinbar harmlosen Photos so wichtig sein könnte, dass Menschen ihr Leben dafür geben müssen. Andererseits sind diese Figuren natürlich Spielbälle von Scavolini selbst, der daraus keinen Hehl macht und immer wieder Szenen in seine Filme einbaut, in denen dieses Verhältnis des Autors zu seinen Schöpfungen reflektiert wird. Man denke beispielweise an den Moment in den Katakomben des Schlosses von UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ, wenn eine Dame meint, sie würde beobachtet und plötzlich fast direkt in Scavolinis Kamera blickt, so, als sei sie sich plötzlich bewusst geworden, dass sie nur ein Insekt unter einem Mikroskop ist. Omnipräsent sind in NIGHTMARE und SERVO SUO Bildschirme, von denen aus Menschen beurteilt und analysiert werden. Dass in SAVAGE HUNT ein Walter-Gropius-Poster ins Auge sticht, ist da sicherlich auch kein Zufall. Bei Scavolini indes mischt sich diese Kritik an eingefahrenen narrativen Strukturen bereits mit einem Ausweg aus diesen. Man braucht sich nur das Gemeinschaftswerk zwischen Romano und seinem Bruder Sauro Scavolini ansehen, den wirklich großartigen, mich in Entzücken versetzenden Gegen-den-Strich-Giallo AMORE E MORTE NEL GIARDINO DEGLI DIE, um die Erfahrung zu machen, wie leicht und spielerisch hier Narrationsmuster gesprengt und verformt werden. Gerade dieser Film besteht aus einer Ansammlung von Szenen, deren spezifische Struktur sich über jedwede Chronologie und Linearität hinwegsetzt, die aber trotzdem, in die „richtige“ Reihenfolge gebracht, eine kohärente, schlüssige Geschichte erzählen. Für mich wäre AMORE E MORTE NEL GIARDINO DEGLI DEI Scavolinis Triumph über die Starre der Kunst, ein Pusten von Leben in gefrorene Systeme. Dass der Film damals nicht nur kein Erfolg war, sondern die Scavolinis in einer ruinösen finanziellen Situation zurückließ, spricht da im Grunde nur für ihn.

Ebenso radikal, nur vielleicht noch mehr darauf angelegt, seine Zuschauer zu irritieren, zu verführen und zu manipulieren, und damit fast schon so etwas wie ein früher Vorläufer von Hanekes FUNNY GAMES, präsentiert sich NIGHTMARE, den ich, wie AMORE E MORTE NEL GIARDINO DEGLI DEI, nicht unbedingt einen Genre-Film nennen würde, sondern eher eine Spielerei mit Genre-Versatzstücken, da Scavolini hier augenscheinlich zwei unabhängige, geschlossene Filmkosmen, einmal das Psychogramm eines hochgradig derangierten Serienmörders und dann einen reinen False-Scare-Pseudo-Thriller, in dem handlungstechnisch rein gar nichts passiert, außer dass das Publikum von einem fadenscheinigen Schockmoment in den nächsten geworfen wird, mit zunehmender Laufzeit zusammenmixt, so dass daraus eine subtile Parodie des kompletten Slasher-Genres entsteht, die damit endet, dass zwei Filmfiguren sich ihrer eigenen Fiktionalität bewusst werden und sich mit anklagendem und zuzwinkerndem Blick an den Zuschauer wenden. Noch in einem Spätwerk wie DOG TAGS von 1988, einem eher seltsamen Vietnam-Kriegs-Thriller, beackert Scavolini das gleiche Thema, in dem er seine dann doch recht konventionelle Story über mehrere Soldaten, die eine heikle Mission, nämlich das Bergen von im Dschungel abgestürzten Goldkisten, übernehmen sollen und dabei von ihren Vorgesetzen wie Marionetten benutzt werden, in eine Rahmenhandlung presst, deren Sinn sich zumindest mir nicht wirklich erschlossen hat.

Scavolinis zweiter Spielfilm, LA PROVA GENERALE von 1968, den ich nun endlich, einige Jahre nach den obigen Zeilen, endlich sehen konnte, reiht sich problemlos in die von mir damals gemachten Beobachtungen ein. In gewisser Weise führt er fort, was mit A MOSCA CIECA begonnen worden ist. Unterschiede sind: inzwischen sind die Bilder in Farbe, und eine nacherzählbare Narration ist nicht mal mehr in Bruchstücken vorhanden. Das soll sie aber wohl, wenn ich den Filmtitel richtig interpretiere, auch gar nicht. Scavolini möchte seinem Publikum bloß eine Generalprobe vorführen, kein vollendetes Werk. Folgerichtig befindet sich so ziemlich alles im Schwebezustand. Es ist reine Anordnung von Figuren – sofern man das, was die Darsteller verkörpern, wirklich als solche bezeichnen möchte -, von Situationen, Gedanken, ohne dass da irgendwas verbindlich wäre. Mehr als jeder andere Film erinnert LA PROVA GENERALE an Godard. Wie beispielweise in dessen MASCULIN FEMININ von 1966 handelt LA PROVA GENERALE von einer Gruppe junger Leute, die, mehr oder weniger verständlich – für jemanden, der die späten 60er lediglich aus einem Schulbuchkapitel kennt, wohl eher weniger – die politischen Umbrüche ihrer Zeit reflektieren, was vor allem darin besteht, vor der Kamera zu sitzen und Sätze zu äußern, die mehr von Parolen, von Zitaten, von aus dem Moment geborenen Gedanken haben als von dem, was wir als realistisches Sprechen empfinden würden. Von Beginn an verweigert Scavolini seinem Publikum, irgendeine Beziehung zu dieser Gruppe junger Leute aufzubauen, und seinen Figuren, irgendwelche Beziehungen untereinander zu unterhalten. Dementsprechend ist LA PROVA GENERALE ein ungemein sperriger Film, der seinen Betrachter permanent auf Distanz hält. Wahlweise kann man das als verkopfte Ausgeburt und gescheitertes Experiment der zeitgenössischen links-intellektuellen Szene betrachten oder als Fliegennetz, in das Scavolini, ob nun bewusst oder unbewusst, einen bestimmten historischen Moment in der Geschichte westlichen Denkens eingefangen und in Bilder gepresst hat.

BildBild

Diese sind übrigens mal wieder reiner Zucker, und den oftmals statischen Monologen – Dialoge gibt es ja so gut wie keine -, weit überlegen. Vor allem dann, wenn Scavolini mit Intermedialität herumspielt, wird es spannend. Da sind zwei Interviewer, die jungen Frauen scheinbar zufällige Fragen in öffentlichen Parks stellen. Einer fragt eine: warum bist Du glücklich? Sie lacht, weiß es nicht. Das veranlasst den Mann mit dem Mikrofon zu einer langen Litanei über die Hungerproblematik der Welt, westlichen Spätkapitalismus, ungleiche Güterverteilung zwischen Europa und dem Rest der Erdkugel, die heute, nach einem halben Jahrhundert noch genauso von irgendwem gehalten werden könne, und die in die rhetorische Frage mündet, ob die Hungernden denn nicht wüssten, weshalb sie unglücklich sind. Dass das Mikrofon dem Mädchen dabei wie eine Waffe entgegengehalten wird, ist typisch Scavolini. Echte Waffen gibt es aber freilich auch. Jemand schießt mit einer herum, parallel dazu fliegen Billardkugeln auseinander, parallel dazu wiederholt eine Gruppe zusammenstehender Leute die Kugelbewegungen, indem sie in verschiedenen Richtungen auseinandergehen. Arglose, etwas unbedarfte Schönheiten, die von politischen Agitatoren interviewt werden, ein Faible für Billard und Knarren wie in alten Hollywoodfilmen, das findet man – sollte das ein Zufall sein? -, wie mir gerade auffällt, ebenfalls in Godards MASKULIN FEMININ. Trotzdem ist Scavolinis Film weit davon entfernt, eine reine Replik zu sein. Ihm fehlt der Humor, den Godard damals noch gehabt hat. IL PROVA GENERALE ist zu keinem Zeitpunkt witzig. So wie es überhaupt in Scavolinis Gesamtwerk wenig zu lachen gibt, wie mir ebenfalls gerade auffällt.

BildBild

Aber staunen, das kann man. Darüber zum Beispiel, mit welchen einfachen Mitteln – man muss bedenken, dass IL PROVA GENERALE wahrscheinlich von Scavolinis Taschengeld finanziert worden ist -, er es schafft, einige eindrucksvolle Szenen zu generieren. Da sind ein Mann und eine Frau, nackt, gefilmt in grellem Licht, statuenstarr vor der Kamera. Sie umarmt ihn. Er umarmt sie. Sie lehnen sich aneinander. Das alles stets völlig steif, und mittels präziser Schnitte voneinander getrennt. Unsere kulturellen Gesten sind, sagt Scavolini hier, genau solche Mechanismen, in die wir uns verstricken, ohne uns zu fragen: woher?, wohin?, warum? Eine Westernstadt wird zur Kulisse, in der Lou Castel – der in LA PROVA GENERALE übrigens alles und jeden an die Wand spielt! – über Kindererziehung, einsetzende Demenz der Eltern und Abtreibungen philosophieren kann. Er steht dabei neben einem Papp-Cowboy mit Herzöffnung, durch die man vielleicht seine Fratze stecken soll. Außerdem gibt es eine schöne Reihe von tableaux vivants, die wohl in irgendeiner abstrakten Weise das Leben des alttestamentarischen Propheten Elija nachstellen sollen. Drei Männer und eine Frau haben hierfür nichts weiter als einen Strand, einen Stecken, eine Decke. Trotzdem fühlt man sich, als würde man den Säulengang einer ziemlich irren Kirche entlangschreiten. Eine Szene wiederum, die schon ein bisschen die Demontage des Vietnam-Kriegsfilms antizipiert, die Scavolini zwei Dekaden später mit DOG TAGS vollführen sollte, zeigt einen Blinden, der Passanten mit seinen Partisanenanekdoten, freilich aus dem Zweiten Weltkrieg, unterhält. Eine Standardsituation wie man sie schon 1968 aus viel zu vielen stumpfen Kriegsfilmen kennt folgt der nächsten. Die Sounds der fallenden Bomben, explodierenden Panzern, ratternden Maschinengewehre macht er allein mit seinem Mund. Was Scavolini später zum wesentlich subtileren Fundament von Filmen wie NIGHTMARE oder eben DOG TAGS machen sollte, wird in dem konsequent mit Handkameras und erneut von einem Macchi-Elektro-Score untermalten Film noch wesentlich plakativer scheinbar mit dem Wunsch nach außen gestülpt, dass nach dem Ende der Vorstellung der Saal so gut wie leer ist – sofern denn LA PROVA GENERALE jemals außerhalb von maoistischen Studentenclubs gelaufen sein sollte.

Bild
Bild
Bild

Zusammenfassend kann man jedenfalls sagen, dass Scavolini es mit seinem Oeuvre, soweit mir bisher bekannt, tatsächlich schafft, sich so zwischen den Stühlen zu positionieren, dass er gleichzeitig auf ihnen allen sitzt und auf keinem richtig. Für Freunde des derben und atmosphärischen Grauens stehen Filme wie NIGHTMARE oder UN BIANCO VESTITO PER MARIALÉ sowieso hoch in der Gunst, und auch von DOG TAGS oder eben SERVO SUO kann ich mir vorstellen, dass sie denjenigen begeistern, der vorrangig nach etwas absonderlicherer Unterhaltung sucht. Gleichzeitig haben all diese Filme, in mehr oder weniger starken Ausmaß, die Qualität von wahren Avantgarde-Werken eben darin, dass sie sich ein Stück weit auf Genre-Territorium vorwagen, nur um es dann aber zu unterwandern und den Zuschauer in das lockere Erdreich einbrechen zu lassen. Scavolini sucht in seiner Kunst nach einer Form, die als Ausgangsbasis nimmt, was die Tradition uns gegeben hat, und sich von dort aus zu ganz neuen Sphären aufschwingt. Scavolini möchte die Kunst von dem befreien, was sie hemmt, weil es sie in reine Standardschemata quetscht, in der kein Platz für Persönlichkeit bleibt. Für mein Leben möchte ich exakt das tun, was Scavolini in und mit seinen Filmen macht.
Benutzeravatar
Nello Pazzafini
Beiträge: 4710
Registriert: Di 16. Feb 2010, 18:50
Wohnort: Roma
Kontaktdaten:

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Nello Pazzafini »

Wunderschön verfasst salvatore! Romano ist ein ganz ganz spezieller und meines Erachtens ein wahrer Künstler. All die konventionelleren Werke waren reine Auftrags- und Geldbeschaffungswerke, so gut wie möglich mit seiner unkonventionellen Handschrift versehen.
Es gibt höchst interessantes Experimentalkino mitte der 60er von ihm und Godard war definitiv ein Bruder im Geiste. Wenn auch ein humorvollerer.
Ich würde ihm wirklich wünschen das er sein "Apocalisse dell' Scimmie" vollendet, es liegt auch nur am geld, und ich kann euch versichern er würde alle vor dem kopf stossen mit seinem Opus Magnum!
Ich habe ihn einmal getroffen und ich habe noch nie so einen überzeugten, passionierten und vollendeten Künstler getroffen wie ihn! Ein 100%er Überzeugungstäter, ein Intellektueller, ab der Norm agierender, sperriger Filmemacher & Künstler. Schwer zugänglich und noch schwerer zu verstehender Mann wenn man das Ouvre betrachtet welches nicht seinem eigentlichen Ziel, seiner Vision eines Filmschaffenden und Querdenker entspricht!
Bild

"Ein Grab im K-Gebiet wünscht dir Dein Ugo"
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Nello Pazzafini hat geschrieben:Wunderschön verfasst salvatore!
Lieben Dank, Dir!
Nello Pazzafini hat geschrieben:Ich habe ihn einmal getroffen und ich habe noch nie so einen überzeugten, passionierten und vollendeten Künstler getroffen wie ihn!
Das ist natürlich von Vorteil, dass Du all die Größen des italienischen Kinos - wie Bianchi, Simonetti oder eben Scavolini - immer auch persönlich getroffen hast... ;-)
Nello Pazzafini hat geschrieben:Ich würde ihm wirklich wünschen das er sein "Apocalisse dell' Scimmie" vollendet, es liegt auch nur am geld, und ich kann euch versichern er würde alle vor dem kopf stossen mit seinem Opus Magnum!
Ach, bei L'APOCALISSE DELLE SCIMMIE handelt es sich um ein work in progress? Bei der imdb ist der ja - wenn auch freilich ohne weiterführende Informationen - soweit ich das richtig sehe, als vollendetes Projekt eingetragen. Hast Du dazu noch irgendwelche Infos? Das würde mich ja nun brennend interessieren...
Benutzeravatar
Nello Pazzafini
Beiträge: 4710
Registriert: Di 16. Feb 2010, 18:50
Wohnort: Roma
Kontaktdaten:

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Nello Pazzafini »

Salvatore Baccaro hat geschrieben:
Nello Pazzafini hat geschrieben:Wunderschön verfasst salvatore!
Lieben Dank, Dir!
Nello Pazzafini hat geschrieben:Ich habe ihn einmal getroffen und ich habe noch nie so einen überzeugten, passionierten und vollendeten Künstler getroffen wie ihn!
Das ist natürlich von Vorteil, dass Du all die Größen des italienischen Kinos - wie Bianchi, Simonetti oder eben Scavolini - immer auch persönlich getroffen hast... ;-)
Nello Pazzafini hat geschrieben:Ich würde ihm wirklich wünschen das er sein "Apocalisse dell' Scimmie" vollendet, es liegt auch nur am geld, und ich kann euch versichern er würde alle vor dem kopf stossen mit seinem Opus Magnum!
Ach, bei L'APOCALISSE DELLE SCIMMIE handelt es sich um ein work in progress? Bei der imdb ist der ja - wenn auch freilich ohne weiterführende Informationen - soweit ich das richtig sehe, als vollendetes Projekt eingetragen. Hast Du dazu noch irgendwelche Infos? Das würde mich ja nun brennend interessieren...
ja klar, 2014 haben wir (Luigi Porto & ich) uns entschlossen den Soundtrack zu Apocalisse dell Scimmie zu veröffentlichen und nicht mehr bis zur Fertigstellung zu warten. Im Zuge dessen habe ich eben auch Romano kennengelernt und er hat mir 3 Stunden (!) über Apocalisse erzählt......nonstop! Der Film wird um die 7 (!) Stunden dauerrn und soll in 3 Teilen aufgeteilt werden. Zum Schnitt gab es noch keine fertige Musik und er hat u.a. Lustmord verwendet, für einen über 70jährigen mehr als beachtlich :D
Nun ist die Musik schon länger fertig und ich haben eben den Score zu einem teil davon veröffentlicht.
Leider gab es Probleme bei den Tonaufnahmen am Set und er muss alles nachvertonen....sehr kosten- wie zeitintensiv. Laut ihm sind 2 der 3 Teile fertig aber es fehlt nun Geld zur Fertigstellung. Achja, der Film wurde vor über 10 (!) Jahren begonnen, übrigens der letzte Film mit Beteiligung von John Philip Law.
Wenn man Romano nun kennt dann weiß man auch das er kein einfacher ist - er sucht nach Beteiligung um sein Werk endlich fertigzustellen aber dies ist natürlich immer mit Auflagen verbunden. Er hätte gute Möglichkeiten sein Werk nach Beendigung auf verschiedenen großen Festivals zu zeigen aber er verlangt das die 3 teile an einem Tag mit Pausen gezeigt werden muss usw usf
September 2014 gab es in Rom eine kleine Retrospetikve von Sauro Scavolini (Romano´s älterer Bruder, Drehbuch Autor von Die Farben der Nacht!) und da Romano auch eingeladen war schlugen wir ihm vor dort den 30minütigen Teaser von "Apocalisse dell Scimmie" zu zeigen der existiert (und damit auch den eben erschienen Score zu promoten) aber dies schlug er aus da er nicht den Abend von seinem Bruder stehlen wollte. Das ehrt ihn zwar sehr aber ist auch schade da sein unvollendetes Werk immer mehr in Vergessenheit gerät.
Anyway, großartiger Mann und äußerst speziell!
Bild

"Ein Grab im K-Gebiet wünscht dir Dein Ugo"
purgatorio
Beiträge: 15637
Registriert: Mo 25. Apr 2011, 19:35
Wohnort: Dresden

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von purgatorio »

so viel geballte Kompetenz! Ich liebe dieses Forum :knutsch:
Im Prinzip funktioniere ich wie ein Gremlin:
- nicht nach Mitternacht füttern
- kein Wasser
- kein Sonnenlicht
Benutzeravatar
Onkel Joe
Forum Admin
Beiträge: 18223
Registriert: Sa 28. Nov 2009, 08:40

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Onkel Joe »

Es steht für Ende des Jahres ein Avantgarde / Experimental Film Event an, es kann sein das Romano dort auftaucht.
Wer tanzen will, muss die Musik bezahlen!
Benutzeravatar
Nello Pazzafini
Beiträge: 4710
Registriert: Di 16. Feb 2010, 18:50
Wohnort: Roma
Kontaktdaten:

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Nello Pazzafini »

Onkel Joe hat geschrieben:Es steht für Ende des Jahres ein Avantgarde / Experimental Film Event an, es kann sein das Romano dort auftaucht.
da würde er ja perfekt hinpassen aber mit welchen filmen denn und wo?
Bild

"Ein Grab im K-Gebiet wünscht dir Dein Ugo"
Benutzeravatar
Salvatore Baccaro
Beiträge: 3072
Registriert: Fr 24. Sep 2010, 20:10

Re: La Prova Generale - Romano Scavolini (1968)

Beitrag von Salvatore Baccaro »

Nello Pazzafini hat geschrieben:
Onkel Joe hat geschrieben:Es steht für Ende des Jahres ein Avantgarde / Experimental Film Event an, es kann sein das Romano dort auftaucht.
da würde er ja perfekt hinpassen aber mit welchen filmen denn und wo?
Hu! Das würde ich nun aber auch gerne wissen... :shock:
Antworten