Originaltitel: Mondo balordo
Produktionsland: Italien 1964
Regie: Roberto Bianchi Montero
Allerdings muss MONDO BALORDO – nach SEXY FOLLIE, AFRICA SEXY, MONDO INFAME und SEXY NUDO immerhin Roberto Bianchi Monteros insgesamt fünfter Ausflug in die Gefilde pseudo-dokumentarischer Illustration vermeintlich haarsträubender und herzschlagerhöhender Sitten und Gebräuche vor allem der lasziveren Sorte – sicherlich zu den „besseren“, sprich, unterhaltsameren, abwechslungsreicheren Nachzüglern sowohl von Jacopettis, Prosperis und Cavaras MONDO CANE als auch den wiederum diesen Genre-Grundstein antizipierenden Nachtclub-Streifzüge à la Alessandro Blasettis EUROPA DI NOTTE gezählt werden. Logischerweise verfügt auch MONDO BALDORO über die genretypischen Ingredienzien wie eine ausführlichen Titelsequenz, mit der der halbseidene didaktische Anspruch des Films untermauert werden soll, einen hitradioverdächtigen Titelsong namens „Crazy World“, den bereits erwähnten frotzelnden, wenig informativen, sich mit allzu menschenverachtenden Zynismen jedoch ebenso im Zaum haltenden Off-Kommentar einer körperlosen, gottgleichen Stimme, und, nicht zuletzt, die Tatsache, dass das Bildmaterial offenkundig aus allen erdenklichen und unerdenklichen Kontexten zusammengeklaubt worden ist. Mit diesen verfährt Montero jedoch ungleich virtuoser als beispielweise der im gleichen Jahr veröffentlichte I MALAMONDO des ehemaligen Jacopetti/Prosperi-Kollaborateurs Paolo Cavara, das heißt, die Passagen, in denen man versucht ist, mit der Stirn die Tischplatte zu berühren – sei es, weil man den dargebotenen Unfug ansonsten nicht aushält, oder weil man es angesichts der unspektakulären Themen, Ereignisse, Personen nicht geschafft hat, die Lider oben zu lassen – halten sich einigermaßen in Grenzen. Englische Ladies beim Lach-Yoga im Freien, oder Travestiekünstler in Berliner Schwulenbars, oder ein Tangotänzer, der sich als lassoschwingender Cowboy verkleidet, das sind zwar nun wirklich keine Schauwerte, die mir nicht schon vergleichbare Filme zur Genüge angeboten hätten, und die ich dort schon, weil sie mich kein bisschen affizieren, dankend abgelehnt habe. Demgegenüber steht dann aber doch eine Handvoll Szenen, die zumindest jemandem, dessen Interesse gerade der Genre-Genese gilt, die Mühe wenigstens ein bisschen lohnen, sich MONDO BALORDO in seiner ganzen neunzigminütigen Pracht anvertraut zu haben.
Dass einige Aufnahmen indes eindeutig gefakt sind, springt einem in vorliegendem Film derart ins Auge, dass die Fakes für MONDO CANE 2 in der direkten Gegenüberstellung Meisterleistungen der Subtilität darstellen. Wenn sich arabische Frauen die Haare angeblich mit Kamelurin blond färben, erkennt wohl schon ein Kleinkind, dass zwischen zwei Schnitten der dunkle Schopf der Damen unter einer schlechtsitzenden Perücke versteckt worden ist. Noch offensichtlicher wird es, wenn Montero für manche Sequenzen auf Filmmaterial zurückgreift, dem man schon von Weitem an der Nasenspitze ansieht, dass es wesentlich älter sein muss als das, auf dem der Großteil von MONDO BALORDO geschossen wurde – seien es nun Aufnahmen aus dem Afrikanischen Busch, in denen Löwen Zebras hetzen, aber auch Elefanten von Wilderern, und indigenen Jägern zur Strecke gebracht werden, und von denen ich mir vorstellen kann, dass sie aus irgendeinem dieser US-amerikanischen Proto-Afrika-Mondos der 50er und 60er wie KARAMOJA oder KWHAERI stammen, oder Szenen, in denen von Montero gekurbelte Bilder per simplem Schuss/Gegenschuss-Verfahren mit offenkundigen Spielfilmmomenten gekreuzt werden: Einmal räkelt sich eine Stripperin auf einer Bühne, die sich mit Sicherheit nicht im gleichen Raum-Zeit-Kontinuum befunden hat wie die Gegenschüsse auf einen Saal voller zufriedenguckender und klatschender Asiaten, die angeblich ihre wollüstigen Zuseher sein sollen; ein anderes Mal besuchen zwei abendländische Touristen eine Beduinenkarawane, wo sie einem sexuell bis zum Knistern aufgeladenen Bauchtanz beiwohnen, der jedoch ursprünglich hundertprozentig nicht für Monteros Helden, sondern für irgendeinen peplum abgehalten worden sein dürfte. Kurioserweise legt MONDO BALORDO solche Täuschungsstrategien relativ früh offen, indem er die Produktion italienischer Sandalenfilme und vor allem deren mythenbildende Kraft dezidiert thematisiert: Nachdem mehrere atemberaubende Aufnahmen irgendwelcher Maciste-, Ursus-, und Herkules-Abenteuer aneinandergereiht worden sind, bleibt die Kamera nach dem Zusammenbruch einer weiteren Studiokulisse fix stehen, und enthüllt, als sich sogleich die Techniker an den kollabierten Tempelsäulen zu schaffen machen, das Ganze nachdrücklich als Filmset.
Obwohl die Stoßrichtung von MONDO BALORDO mehrheitlich in die Richtung von Menschen zielt, die es amüsant finden, wenn Zootiere physiognomisch mit den sie begaffenden Menschen zusammengewürfelt werden, oder deren Kinosessel sich in einen Elektrischen Stuhl verwandelt, sobald ein vermeintlich Sterbender von indischen Heilern zwecks Lebensrettung in einem rituellen Tänzchen umkreist wird, finden sich in Monteros Film dann aber doch – gemessen an den Sehgewohnheiten des Jahres 1964 – die eine oder andere Schocksequenz: Tiere haben zumindest nichts zu lachen, wenn ein Hund kastriert, oder eine Schildkröte fachgerecht zerlegt wird, und die rassistischen Obertöne späterer Afrika-Mondos werden spielerisch vorweggenommen, wenn der Off-Sprecher sich darüber empört, dass indigene Afrikaner sich nicht an die Restriktionen ihrer Kolonialherren halten, kein Freiwild mehr erlegen zu dürfen, und deshalb von den weißen Farmern selbst zur Beute erklärt werden, die freilich nicht auf dem Speiseteller, sondern vorm örtlichen Kadi landet. Eine wahre Eruption an expliziter Gewalt darf natürlich dennoch niemand erwarten: Geht es der Kreatur an den Kragen, legt sich der Film eine angenehme Zurückhaltung auf, und bis auf die erwähnten Szenen ist Montero sowieso nicht an besonders reißerischen Exzessen interessiert, sondern an den alltäglichen Skurrilitäten, die einem so im Fußballstadion, auf dem Jahrmarkt, oder in der Peepshow über den Weg laufen – (letzteres übrigens noch eine potentielle Meta-Szene, wenn geile Greise immer wieder Münzen in einen Automaten einwerfen, der ihnen nackte Mädels vorführt; genauso wie das zahlende Publikum seinerzeit die Billets für MONDO BALORDO und vergleichbare Filme sicherlich nicht aus edukativen Beweggründen löste.)
Technisch-ästhetisch kommt auch dieses Werk nicht mal in die Suburbs von MONDO CANE, immerhin zwei Szenen aber atmen ein bisschen dessen virtuose Montagetechnik: Dass Stammestänze der autochthonen Bevölkerung Afrikas mit den zeitgenössischen Rock’N-Roll-Riten kontrastiert und parallelisiert werden, mag nun nicht unbedingt die Zugspitze der Kreativität sein, montagetechnisch ist das Zwiegespräch zwischen Archaismus und Moderne aber eine sichere Nummer. Regelrecht großartig indes fand ich folgende Überblendung: Wir sehen eine Sumpflandschaft, die ausschaut, als sei dort höchstens mal vor Jahrmillionen biologisches Leben möglich gewesen, oder als würden wir uns auf der Erde kurz nach der Sintflut befinden. Vom erhabenen Schrecken der Natur wechselt der Film daraufhin zu einem der sich in menschlicher Architektur niederschlägt: Entlang der Berliner Mauer bekommen wir Grenzschützen zu sehen, Kreuze, die auf bei ihrer Flucht Getötete verweisen, und vor allem die sprachlos machende Kälte eines Bollwerks, das eine Stadt mitten entzweireißt.
Leider bleiben solche Momente Mangelware in einem Film, der mehr Gefallen daran findet, abergläubische Italiener zu filmen, die sich mit Talismanen gegen Dinge wie den Bösen Blick zu schützen versuchen, oder, in der Schlussszene, unterschiedliche Männer, die in „komische“ Situationen geraten, weil sie zu lange an ihnen vorbeiwackelnden Frauenhintern hinterherlinsen. Falls es denn unbedingt ein MONDO-CANE-Derivat aus den Jahren 1963 bis 1965 sein sollte, käme MONDO BALORDO wohl in die engere Auswahl. Das wäre dann aber auch der einzige Grund, weshalb ich diesen Film überhaupt irgendwem empfehlen würde.