bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Polizeiruf 110: Jenseits des Rechts
„Er macht Pornos.“
Die Münchner Kommissarin Cris Blohm (Johanna Wokalek) ermittelt zusammen mit ihrem Kollegen Dennis Eden (Stephan Zinner) in ihrem dritten Fall. Dieser wurde von Dominik Graf (sein bereits siebter Beitrag zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe) nach einem Drehbuch Tobias Kniebes inszeniert und am 29. Dezember 2024 erstausgestrahlt, nachdem er seine Premiere bereits am 25. Oktober 2024 auf den Hofer Filmtagen hatte feiern können.
„Ich hab‘ mich stark gefühlt!“
Die junge Mia (Emma Preisendanz, „Tatort: In der Familie“) muss den Verlust ihres Freunds Lukas Bärwein (Florian Geißelmann, „Seid einfach wie ihr seid“), einem von allen nur „Lucky“ genannten Amateurpornofilmer, der in einem Wohnwagen in einem Münchner Künstlerquartier lebte und arbeitete, verkraften. Er hatte auch Mia in die Welt der Amateurpornos eingeführt, nun wurde er ermordet. Alles Grund, gegen diese Liaison und die Aktivitäten Luckys mit Mia zu sein, hatte ihr Vater Ralph Horschalek (Martin Rapold, „Cargo“), ein vermögender Unternehmer aus der Oberschicht, der sein Geld als Leiter der Munich Gold AG verdiente – und dies offenbar nicht immer ganz sauber, wie die Proteste gegen das Unternehmen nahelegen und aufgrund derer er gerade einige Kundinnen und Kunden verliert…
„Ist eigentlich alles fake?“
Ein Stylo-Vierer-Splitscreen-Vorspann geht mit einem Gespräch zwischen Mia und ihrem Therapeuten (Michael Roll, „Herz“) einher, das sich um ihre Beziehung zu Lucky dreht. Mia ist eine hübsche junge Frau, die durch den frühen Tod ihrer Mutter schon Verlusterfahrungen durchmachen musste. Durch die Beziehung zu Lucky und den Sex mit ihm vor dessen Kamera habe sie sich befreit gefühlt. Der „Polizeiruf“ wirft die Frage auf, ob Lucky dies ausgenutzt habe, ohne sie abschließend zu beantworten. Es geht ihm nicht darum, Amateurpornographie zu dämonisieren, und dieses Sujet wird auch nicht sexploitativ ausgeschlachtet. Vielmehr vermischen sich unter Grafs Regie ein Kriminalfall, ein Familiendrama, subkulturelle Milieueinblicke, Kapitalismuskritik und eine Art Justizposse miteinander – insgesamt ein bisschen viel für einen knapp 90-minütigen Fernsehfilm, weshalb manches nur angerissen bleibt und Graf neben wunderschönen sommerlichen Bildern zu Zeitsprüngen und unvermittelten Rückblenden, teilweise inklusive Jumpcuts, greift, um möglichst viel erzählen zu können. Der Schnitt ist modern und rasant.
Daran gemessen steigt er ungewöhnlich früh in die Handlung ein: Lucky lebt noch, Mia und Blohm/Eden begegnen sich auf der Straße – Szenen, die offenbar der Charakterisierung der Figuren dienen. Nach dem Leichenfund steht kurzzeitig auch die Frage im Raum, ob es sich anstelle eines Mords um einen Unfall, Körperverletzung mit Todesfolge oder Totschlag gehandelt haben könnte. Eine DNA-Spur führt einerseits zu einem männlichen Familienmitglied Mias und andererseits zu einer Besonderheit des deutschen Rechts, die die Rechtsmedizinerin (Jule Gartzke) in einen argen Gewissenskonflikt treibt und Blohm derart belastet, dass sie sich gar von einem Rechtsanwalt, der so etwas normalerweise gegen die Polizei verwenden würde, beraten lässt. Der Umstand, dass Blohm durch Informationen, die sie eigentlich gar nicht haben dürfte, den Täter zu kennen glaubt, den sie aufgrund dieser Informationen aber weder belasten noch verhaften darf, avanciert zum neben moderner Polizeiarbeit justiziales Spezialwissen vermittelnden Herzstück des Falls. Ihr Wissensvorsprung erweist sich als problematisch in der Zusammenarbeit mit Eden und mündet schließlich in eine spannend gemachte Home Invasion inmitten der Geburtstagsfeier einer 16-jährigen Social-Media-Daueronlinerin (Falka Klare, „Tonio & Julia“).
Die zur Auflösung führende Pointe ist für die einen vorherseh- und erratbar, für andere sicherlich überraschend. Vollgepackter hätte diese „Polizeiruf 110“-Episode dann auch wirklich nicht sein dürfen; umso bemerkenswerter, dass es Graf gelungen ist, den sommerlichen Bildern zum Trotz melancholische Atmosphäre zu erzeugen und mit interessanten, ambivalenten Figuren zu arbeiten. Von diesen hätte ich gern mehr gesehen; dafür vielleicht etwas weniger Polizeiarbeit, die menschlich wirken soll, mitunter aber eher befremdet. Zu guter Letzt: Der Stranglers-Evergreen „Golden Brown“ wird mehrfach ehrenvoll hervorgehoben – er hat es verdient!
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Kurzschluss hoch drei
„Ich will hier nicht sterben!“
Nach „Kurzschluss“ (2022) und „Der zweite Kurzschluss“ (2023), den beiden von Claudius Pläging geschriebenen, knapp halbstündigen Silvester-Kurzfilmen, machte Pläging mit „Kurzschluss hoch drei“ im Jahre 2024 das Trio voll, sodass man nun tatsächlich von einer neuen Silvesterfernsehtradition sprechen kann. Hinter dem Regie-Pseudonym Jänta Litenbjörn scheint sich Bjarne Mädel zu verbergen.
„Ohne Glückskekse kein Glück!“
Diesmal bleiben Bettina Maurer (Anke Engelke) und Martin Hofmann (Matthias Brandt) erst in einem Aufzug stecken, erreichen nach einer kurzen Unterbrechung dann aber doch ihr Ziel: das zuvor von Martin vollmundig als Dachterrasse angekündigte begehbare Dach jenes Wohnblocks, in dem er zur Miete lebt – bar jeglicher Attraktion. Und dann fällt die Tür zu und die beiden ohne Telefon oder Jacken ausgestatteten Dacherklimmer haben Gelegenheit, ihre Beziehung zueinander zu reflektieren, während sie nach einem Weg suchen, wieder möglichst heil vom Dach herunterzukommen…
Dass die beiden sich nicht wundern, schon wieder an Silvester in einer derartigen Situation festzustecken – wenn auch diesmal aus- statt eingeschlossen –, gehört anscheinend zum Konzept der Reihe. Dass sie noch immer in der Kennenlernphase stecken, die somit nun schon seit zwei Jahren andauert, ist hingegen ein bisschen erschreckend. Und vielleicht auch unglaubwürdig? Nach dem Abarbeiten einiger Berlin-Klischees inklusive pseudowoker Nachbarin (Georgina Philp), der das Schicksal der beiden egal ist (eine vielleicht dann doch etwas arg dick aufgetragene Nebenrolle), erfährt man anhand der Dialoge, was bisher zwischen „Busen-Betty“ und „Doofmann“ gelaufen ist und was nicht, wie schlecht man sich trotz eines gemeinsamen Urlaubs am Meer noch immer gegenseitig kennt, letztlich, nach einem Konflikt, aber eben auch, dass man es nach wie vor eigentlich ganz gern mal miteinander probieren würde.
Das ist nun weniger satirischer denn vielmehr klassisch romantisch-komödiantischer Stoff, der hier von der starken Mimik des verhinderten Pärchens und den auf niveauvolle Weise voller Mehrdeutigkeiten steckenden Dialogen lebt. Mehrdeutig zu verstehen ist dann auch die Pointe, die in einem Cliffhanger par excellence resultiert. Klar, das ist alles reichlich konstruiert und auch nicht mehr so charmant und überraschend wie der erste Teil der Reihe, aber immer noch sehr unterhaltsam. Ich wünsche mir weitere Fortsetzungen, bis zu denen Bettina und Martin aber gerne mal aus dem Quark gekommen sein und die auch gern wieder etwas frecher ausfallen dürfen.
Nettes Detail: Max Bierhals, Co-Autor des ersten Teils, hat erneut einen Gastauftritt – diesmal als Nachbar.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
jerks. [Staffel 5]
„Ich mach‘ viel mehr Umweltsachen jetzt!“
Die finale Staffel der deutschen, auf den Serien „Curb Your Enthusiasm“ und „Klovn“ basierenden SitCom „jerks.“ von und mit Christian Ulmen, der zusammen mit verschiedenen Koautoren auch für die Drehbücher verantwortlich zeichnet, wurde 2023 vom Video-on-Demand-Anbieter Joyn Plus+ bereitgestellt und im Jahre 2024 im frei empfangbaren Privatsender Pro7 ausgestrahlt. Die Staffel umfasst zehn Episoden von jeweils ca. 25 Minuten Länge.
Auch für diese Staffel wurde das Konzept beibehalten, mit möglichst vielen sich selbst in Zerrbildern spielenden Gaststars aufzuwarten und zum Teil diese, immer aber die Hauptrollen Christian Ulmen und Fahri Yardim in auf maximale Fremdscham ausgerichtete, karikierende Situationen zu bringen, in denen insbesondere letztere – obwohl sich ebenfalls selbst spielend – alles andere als gut dastehen. Ganz ohne zu spoilern komme ich in dieser Besprechung nicht aus; wer grundsätzlich weiß, was ihn bei dieser Serie erwartet, sollte daher besser erst gucken und dann lesen.
Bei der Themenwahl ist man am Puls der Zeit: Ulmen versucht sich am Greenwashing im Zuge einer Klimakonferenz, bei der er auch Fahri trifft, wie üblich auf Schürzenjagd. Während Micky Beisenherz als Lebensretter dasteht, macht sich Christian einmal mehr zum Horst, als er auf dessen dadurch gestiegene Popularität im Camp eifersüchtig reagiert. Der Vorfall zwischen Ulmens Tochter Kala und Fahri am Ende der vorausgegangenen Staffel steht anfänglich noch zwischen den beiden, ist aber rasch wieder vergessen. In einer anderen Episode hat Christian Sex mit einer AfD-Politikerin, später geraten Fahri und er an einen Dorfnazi. Ein anderes Mal versucht Fahri, sich aus Imagegründen an die LGBTQ+-Community (in Person Riccardo Simonettis) heranzuschmeißen und behauptet von sich, pansexuell und schon immer queer gewesen zu sein. Im gleichen Zuge führt er zurückgehende Rollenengagements wenig selbstreflexiv darauf zurück, gecancelt zu werden, weil sich seine Ex-Partnerin Pheline für sein Empfinden negativ in einem Podcast über ihn geäußert habe.
Die Nazi-Dopplung hätte nicht sein müssen, alle anderen genannten Inhalte wurden aber schön zu Heuchelei und Doppelmoral aufs Korn nehmenden Geschichtchen ausgearbeitet. Dem gegenüber jedoch steht beispielsweise direkt die zweite Episode, die einmal mehr mit einem geschmacklosen Krebswitz verärgert und zu allem Überfluss auch noch mit einem Mitglied einer marktextremistischen Splitterpartei aufwartet, der sich hier inklusive Seitenhieben auf die Linkspartei in Selbstironie versucht. Dass beiden Protagonisten recht bald ihre Partnerinnen abhandenkommen, ist zudem erneut Anlass für reichlich Gags, Dialoge und Peinlichkeiten unterhalb der Gürtellinie, die in ihrer Schnoddrigkeit und Überzogenheit zwar häufig amüsieren, zuweilen aber auch arg bemüht und erzwungen wirken. Manch Handlung erscheint gar völlig unmotiviert, so zum Beispiel Christians Masturbationseinlage mit seinem Busfahrer. Das wirkt angesichts des verhältnismäßig langen Atems, mit dem auf diese plumpe Pointe hingesteuert wird, umso befremdlicher. Dass ausgerechnet Klara Lange – wie schon in „Die Discounter“ (eine Mockumentary, aus der sich mehrere Darsteller auch hier in Nebenrollen wiederfinden) – als unattraktives Mauerblümchen besetzt wird, erschließt sich mir auch hier nicht.
Zudem krankt die Narration – wie aus den vorherigen Staffeln gewohnt – daran, dass sie zwar grundsätzlich episodenübergreifend angelegt ist, dabei aber nicht konsequent vorgeht und manch mitunter gar recht harsche Entwicklung in den nächsten Episoden folgenlos bleibt. Dies mag dem Konzept geschuldet sein, möglichst viele, angeblich „auf wahren Ereignissen beruhende“ peinliche Anekdoten unterzubringen und in Christians und Fahris Leben zu pressen.
Umso interessanter sind da jene beiden Episoden, die auf Ulmens und Yardims Teilnahme verzichten, da sie Rückblenden in die Jahre 1986 und 1991 darstellen und einen roten Fanden initiieren, der sich bis zum Finale durchzieht. „Der Anfang“ inszeniert den Beginn der Freundschaft zwischen dem noch sehr selbstbewussten Christian und dem noch sehr schüchternen, verunsicherten Fahri als Schulkinder. Kurioserweise wird der junge Christian von einem langen, dürren Nachwuchsmimen dargestellt. Fahris Verunsicherung äußert sich angesichts einen geistig behinderten neuen Mitschülers: Aufgrund unbedeutender Parallelen befürchtet er, ebenfalls behindert zu sein, was in Kombination mit Christians unreifer Idiotie zu einer Reihe abstruser Ereignisse führt. Schön, wie diese in Gedenken an Ulmens Mutter gedrehte Episode Zeitkolorit in Form von „Hallo Spencer“-Fan-Artikeln erzeugt – vor allem aber, wie sie ihren zwar auch krawalligen, letztlich aber eher nachdenklichen Humor tatsächlich kein bisschen auf Kosten des behinderten Jungen entwickelt.
„Das Erwachen“ führt dann ins Jahr 1991 und zu den mittlerweile geschlechtsreifen Halbstarken Christian und Fahri – und avanciert in Kombination mit Christians ersten Erfahrungen vor einer Fernsehkamera und Fahris von Christian anberaumter sexueller Initiation zu einer Origin Story des „jerks.“-Fahri – werden doch hier die Gründe für seine Selbstüberschätzung und seine Sexsucht geliefert, die letztlich auf einer Art Lüge – wenn auch einer gutgemeinten – basieren. Als, zurück in der Gegenwart, Fahri davon Wind bekommt, droht die Freundschaft zwischen beiden zu zerbrechen, doch durch ein Schaulaufen diverser Promis bekommt Christian sie wieder gekittet. Das ist einerseits schön und versöhnlich, andererseits aber etwas kitschig, vor allem aber unglaubwürdig, denn zu Fahris Rolle passt es einfach nicht, damit Recht zu behalten, dass sich eine ganze Reihe erfolgreicher Prominenter bei ihm zu bedanken habe – der vorausgegangene entsprechende Dialog hätte normalerweise ein weiterer Ausdruck seines Größenwahns sein müssen.
All dies ändert aber nicht viel daran, dass auch diese letzte Staffel viele Lacher zu bieten hat und extrem kurzweilig und unterhaltsam ist – wenn auch eben leider hin und wieder unter dem Niveau, das mit dieser Konstellation erreichbar wäre (und eben auch immer wieder mal erreicht wird). Insbesondere die improvisierten (oder zumindest so wirkenden) Dialoge haben es in sich und korrespondieren erstklassig mit Fahris Hamburger Kodderschnauze. Und dass sowohl Ulmen und Yardim als auch, wie bereits erwähnt, diverse weitere Promis bereit sind, sich selbst dermaßen in die Pfanne zu hauen, ringt mir – insbesondere in Zeiten mangelnder und abnehmender Medienkompetenz – noch immer Respekt ab.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Der 27. Tag
„Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Selbstzerstörung.“
„Der 27. Tag“ ist ein Science-Fiction-Film des US-Regisseurs William Asher („Night Warning“) aus dem Jahre 1957. Er basiert auf einem Roman John Mantleys.
„In 27 Tagen sollen wir lernen, Frieden zu halten, nachdem uns das in vielen Tausenden von Jahren nicht gelungen ist…“
Der US-amerikanische Journalist Jonathan Clark (Gene Barry, „Kampf der Welten“), die Britin Eve Wingate (Valerie French, „Der Mann ohne Furcht“), der deutsche Wissenschaftler Prof. Klaus Bechner (George Voskovec, „Die 12 Geschworenen“), der russische Soldat Ivan Godofsky (Azenath Janti, „Wenn man Millionär wär'“) und die chinesische Landwirtin Su Tan (Marie Tsien, „Die linke Hand Gottes“) werden von einem humanoiden Außerirdischen (Arnold Moss, „Viva Zapata!“) entführt und auf sein Raumschiff portiert. Dieser eröffnet der Fünfergruppe, dass seine Spezies einen neuen Heimatplaneten suche und die Erde auserkoren habe, da ihr eigener Planet in 30 Tagen untergehen werde. Da es ihrem Moralkodex widerspreche, die Erde gewaltsam einzunehmen, drückt er den fünf Erdlingen jeweils eine Kapsel in die Hand, die Massenvernichtungswaffen enthalten. Bleiben diese durch die Menschen innerhalb der nächsten 27 Tage unbenutzt, ist die Menschheit gerettet – und wenn nicht, finden die Extraterrestler einen von der Menschheit gesäuberten Planeten zur Besiedelung vor. Man vertraut dabei auf die Aggression der menschlichen Spezies und streut auf Erden die Information, dass eben jene fünf Bewohner diese große Verantwortung mit sich tragen. Daraufhin sind diese ihres Lebens nicht mehr sicher…
„Ich hab‘ nicht gewagt zu telegraphieren!“
Ashers Film ist eine Low-Budget-Produktion, die einige Szenen aus anderen Science-Fiction-Filmen entlehnt und selbst in Sachen Schauwerte oder klassischer Sci-Fi-Elemente nicht viel zu bieten hat. Dies ändert indes nichts am interessanten Gedankenspiel, das der Handlung zugrunde liegt. Die Entführung wird ansehnlich mit expressionistischen Schatten inszeniert und die unterschiedlichen Muttersprachen der fünf Auserwählten werden mit unterschiedlichen Akzenten verdeutlicht (und so zugleich die Sprachbarriere umgangen). Die damals üblichen eingeblendeten Zeitungsschlagzeilen sind kurioserweise alle auf Englisch, ganz gleich, aus welchem Erdteil sie stammen.
„Das ist Rock’n’Roll.“ – „Rock’n’Roll?“ – „Das ist Musik, Sie werden lachen…“
Leider verflacht der Film recht schnell. Die Chinesin kann mit dem Druck nicht umgehen und begeht schon früh Harakiri, eine obligatorische Romanze darf nicht fehlen. Das Genick bricht Ashers Film eine völlig idiotische Wendung mit eindimensionalem Gut-Böse-Schema, das aus „Der 27. Tag“ auch Jahre nach Stalins Tod einen antisowjetischen Propagandafilm und somit ein typisches US-Produkt des Kalten Kriegs macht. Über weite Stecken erinnert das Geschehen mehr an einen Spionagestreifen denn an einen Science-Fiction-Film. Kurz vorm sehr naiven, peinlich generösen Ende bekommt man noch ein wenig pseudowissenschaftliche Litanei zu Gehör. Gegenüber der (mir unbekannten) literarischen Vorlage hat man das Drehbuch offenbar auf ziemlich ärgerliche Weise stark modifiziert, anstatt zu versuchen, sich dessen gesellschaftlichen Zündstoff bergendes Potenzial auf intelligente Weise zunutze zu machen – beispielsweise indem man die Handlung (wie von Dr. Rolf Giesen im Audiokommentar der Anolis-Blu-ray vorgeschlagen) auf Denunziation aufbaut, ohne zunächst preiszugeben, wer die verheerenden Waffen erhalten hat.
„Demokratien lieben den Frieden!“
Was, ähnlich wie „Der Tag, an dem die Erde stillstand“, zu einem klugen, humanistischen Plädoyer hätte werden können, verkommt in dieser Form leider zu einem Ärgernis und führt seine Grundidee weitestgehend ad absurdum.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
I, Tonya
„Schwein bleibt Schwein, egal, wie man‘s rausputzt!“
Wir erinnern uns: Am 6. Januar 1994, also kurz vor der Winterolympiade in Lillehammer, wurde auf die US-amerikanische Eiskunstläuferin Nancy Kerrigan ein Anschlag verübt: Jemand schlug ihr gezielt mit einer Eisenstange aufs Knie, in der Hoffnung, dass sie die olympischen Spiele verletzungsbedingt nicht würde antreten können. Doch der Plan ging nicht auf, Kerrigan konnte trotzdem teilnehmen. Als Täter stellte sich Shane Stant heraus, der von seinem Onkel Derrick Smith angeheuert und bezahlt worden war. Smith hatte die Tat zusammen mit Bodyguard Shawn Eckhardt und Jeff Gillooly geplant – letzterer ist der Ex-Mann Tonya Hardings, Kerrigans größter Eiskunstlaufrivalin. Harding, die sich für die Olympiade qualifizierte, galt daraufhin als „Eishexe“ und war in aller Munde. Die Medien schlachteten diese Affäre aus und Hardings Ruf war bis auf Weiteres zerstört – wenngleich sie von den Anschlagsplanungen nichts gewusst haben wollte.
„Nancy wurde nur einmal geschlagen!“
Der australische Regisseur Craig Gillespie („Fright Night“-Remake) drehte mit „I, Tonya“ eine Sportlerinnen-Biographie über Tonya Harding, die mit Elementen aus Drama und satirischer Mockumentary arbeitet und damit einen so ungewöhnlichen wie erfrischenden Ansatz für diesen Stoff wählte, für den entweder ein Melodram oder, wenn aus Kerrigans Sicht erzählt, eine kämpferische Erfolgsgeschichte naheliegender gewesen wären. Der Film kam im Jahre 2017 in die Kinos und wurde zu einem großen, vielfach prämierten Erfolg.
„Ich bin nicht konventionell!“
Tonya Harding, zunächst von Maizie Smith („Stargirl“), dann von Mckenna Grace („Begabt – Die Gleichung eines Lebens“) und als erwachsene Frau schließlich von Margot Robbie („The Wolf of Wall Street“) verkörpert, wächst mit ihrer alleinerziehenden, tyrannischen Mutter LaVona Golden (Allison Janney, „American Beauty“) in Portland, Oregon innerhalb der gesellschaftlichen Unterschicht auf. LaVona erkennt das Eiskunstlauftalent ihrer Tochter und drillt sie zu einer Sportkarriere. Tatsächlich gelingt es der Trainerin Diane Rawlinson (Julianne Nicholson, „Conviction“), Tonyas Talent zu fördern, doch passt die proletarische, athletische Tonya nicht so recht in den von zierlichen Persönchen und Snobs geprägten Eiskunstlaufbetrieb. Und obwohl Tonya als erster Amerikanerin (und zweiter Frau überhaupt) der besonders anspruchsvolle dreifache Axel gelingt, steht sie stets im Schatten ihrer feingliedrigen Konkurrentin Nancy Kerrigan…
„Dumme fickt man – man heiratet sie nicht!“
Das Drehbuch, so heißt es, basiere auf Interviews, die mit den beteiligten Personen geführt worden seien – und diese widersprechen sich in ihren Aussagen durchaus. Regisseur Gillespie und seinem Team gelang das Kunststück, daraus trotzdem einen kohärenten Film zu formen und die Entscheidung, was man als glaubwürdig erachtet und was nicht, dem Publikum zu überlassen. Mit solchen Interviews sowie Schmalfilmaufnahmen beginnt dann auch der Film, womit er seinen Mockumentary-Charakter ausbildet. Die klassischen Spielfilmszenen setzen 40 Jahre früher ein und zeigen Tonya zunächst als vierjähriges Mädchen, das seinen ersten Wettkampf gewinnt, sowie das Unterschichtsmilieu, dem es entstammt – immer mal wieder unterbrochen von Interviewausschnitten. Die nächste Station der chronologischen Rekonstruktion Tonyas Eiskunstlaufkarriere zeigt sie als 15-Jährige, die nun aus dem Off zu kommentieren beginnt, aber auch die vierte Wand durchbricht (wie es im weiteren Verlauf auch andere Figuren tun werden) und direkt zu den Zuschauerinnen und Zuschauern spricht. Von ihrer Mutter und ihrem späteren Ehemann Jeff (Sebastian Stan, „Captain America: The First Avenger“) wird sie geschlagen und von der Jury wiederholt unfair bewertet.
„Trashy Tonya gehört nicht dazu!“
Das medial kolportierte Bild der „Eishexe“ bekommt Risse, man entwickelt Empathie für Tonya, die Jeff heiratet und erleben muss, wie ihre eigene Mutter sie zu sabotieren versucht, als sie sich von ihr loszusagen versucht. Als sie den dreifachen Axel springt und zur Nummer 1 der USA wird, kommt dies fast einem Skandal gleich. Mit Nancy Kerrigan war sie da noch befreundet. Privat liefert sie sich eine On/off-Beziehung zu Jeff. Bei der Olympiade 1992 geht alles schief, Tonya wird die Viertplatzierte hinter Nancy. Der nächste Streit mit Jeff führt zur Scheidung. Jeff bedroht sie mit einer Pistole und droht auch, sich umzubringen, Es kommt zur Prügelei, er schießt auf sie. Immer wieder Gewaltausbrüche, die sich durch Tonyas ziehen wie ein blutroter Faden. Als Olympia vorgezogen wird, trainiert ihre ehemalige Trainerin sie wieder. Doch erneut das alte Scheißspiel mit der Jury. Eines deren Mitglieder gibt sogar zu, dass Tonya nicht ins Image passt und deshalb schlecht bewertet wird.
„Ich wollte geliebt werden!“
Ihrer Mutter ist nie etwas gut genug, sie scheint sie nicht zu lieben, hat keinerlei Mitgefühl mit ihr. Und trotz allem kommt sie doch wieder mit Jeff zusammen. Sie erhält eine anonyme Morddrohung und kann nicht weitertrainieren. Der „Vorfall“ um Nancy Kerrigan wird dann ausschließlich aus Jeff Sicht erzählt, womit der Film einen Perspektivwechsel vornimmt. Angeblich hätten lediglich Drohbriefe versandt werden sollen. Jeffs tumber Kumpel Shawn (Paul Walter Hauser, „Kingdom“) soll dies beauftragt haben – ohne Jeffs und Tonyas Wissen. Er habe auch die Morddrohung an Tonya verschickt… Dessen Idiotie wird in Rückblenden ausführlich gezeigt; spätestens ab diesem Zeitpunkt wirkt der Film wie eine Groteske, derart stümperhaft wurde offenbar vorgegangen. Deutlich wird aber: Wäre Tonya nicht zu Jeff zurückgekehrt, wäre all dies nicht passiert. Die Ursache dafür ist wohl am ehesten bei ihrer Mutter zu suchen, die ihr diesen ungesunden Stil, Beziehungen zu führen, mitgegeben hat.
Der Film richtet im Anschluss seinen Fokus auf die unrühmliche Rolle der Massenmedien und inszeniert ein nervenaufreibendes Finale in Lillehammer mit Schnürsenkelproblemen. Vor Gericht bekommt Tonya ein unfaires Urteil reingewürgt, das verdächtig nach Klassenjustiz riecht. Im Abspann (zu Siouxsies „The Passenger“-Interpretation) bekommt man Bilder der echten Tonya beim Eiskunstlauf sowie authentische Aufnahmen der Interviewpartner zu sehen. Der mit hörenswerter Pop- und Rockmusik bin hin zu Hardrock und Heavy Metal unterlegte Film ist neben einer Mockumentary, einer Biographie und einem Sportfilm nicht zuletzt auch Milieustudie und Gesellschaftsporträt sowie gewissermaßen ein feministischer Beitrag, der Tonyas Ansehen wiederherstellt und sie zu verstehen hilft.
Hat man sich erst einmal auf „I, Tonya“ eingelassen, stehen die Chancen gut, dass er einen bis zum Ende packt und nicht mehr loslässt, da er zu keiner Sekunde langweilt und das Regiekonzept voll aufzugehen scheint. Riesigen Anteil daran haben die hervorragenden schauspielerischen Leistungen, allen voran Allison Janneys und Margot Robbies, vor der ich einmal mehr meinen Hut ziehe. Einer der besten Filme des Jahres 2017. 5,9 von 6 Punkten!
Oder, um im gängigen Schema zu bleiben: 8,5 von 10 dreifachen Axeln!
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Tatort: Animals
„Scheiß Beamtenpack!“
Der Münchener „Tatort“-Neustart mit „Animals“ führte direkt am Neujahrstag 1991 ein neues Ermittler-Duo ein, das eines der langlebigsten werden sollte und bis heute aktiv ist: die Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, „Tatort: Der Pott“) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, „Crash“). Der Wiener Regisseur Walter Bannert („Eis am Stiel, 7. Teil – Verliebte Jungs“) inszenierte seinen ersten von insgesamt fünf Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe, das Drehbuch stammt von Max Zihlmann und Veith von Fürstenberg.
„Die 90er-Jahre verlangen einen völlig neuen Frauentyp!“
Die Tierschützerin Angelika Weiss (Angelika Bartsch, „Tatort: Spuk aus der Eiszeit“) versucht, gegen den Kosmetikhersteller Pelzer (Béla Ernyey, „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“) vorzugehen, weil dieser für seine Produkte grausame Tierversuche durchführt. Bei den Kriminalhauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) blitzt sie jedoch ab, schließlich sei man die Mordkommission und deshalb nicht zuständig. Zu einem Fall für sie wird die Angelegenheit dennoch bald: Als Weiss sich zusammen mit dem Fotografen Fred Grimm (Michael Fitz, „Der Schwammerlkönig“) Zutritt zum Firmengelände verschafft, um die Tiere zu befreien und Beweisfotos anzufertigen, hetzt Pelzer persönlich seinen Rottweiler auf sie, der sie totbeißt…
„Es gibt Leute, die wollen sich nicht wohlfühlen!“
Die kurze Inhaltsangabe ist nicht wirklich gespoilert, denn der Einstand der neuen Münchner Kripobullen lässt weder die Frage nach Täter noch nach dem Motiv offen. Zunächst einmal werden Batic und Leitmayer aber im Auto herumalbernd eingeführt, Hardrock-hörend auf dem Weg zur Arbeit. Während ihrer Konfrontation mit dem späteren Todesopfer reagiert dieses empört, wird gar handgreiflich. Anschließend bleibt die Narration eine ganze Weile bei ihr und gewährt dem „Tatort“-Publikum damit einen großen Wissensvorsprung gegenüber der Polizei. Diese wird zunächst zu einem erstochenen Fixer in einem Bahnabteil gerufen. Batic helfen seine jugoslawischen Sprachkenntnisse am Tatort, im Zusammenhang mit dem eigentlichen Fall steht der Tod im Drogenmilieu aber nicht.
„Ihr mit eurer spießigen, dreckigen Fantasie…“
Pikanterweise war Angelika Weiss als Fotomodell für Pelzer tätig und konnte sich nur dadurch Zutritt zum Gelände verschaffen, weil sie Sex mit ihrem ehemaligen Chef hatte. Dies soll helfen, Weiss als radikale, mit vollem Körpereinsatz und ohne Rücksicht auf Verluste vorgehende Tierschützerin zu charakterisieren – und ist in Bezug auf die Glaubwürdigkeit vielleicht etwas zu viel des Guten. Wie Pelzer wiederum mit Tieren umgeht – er erschießt kurzerhand seinen Rottweiler –, lässt keine Fragen offen, die Fronten sind geklärt und die Sympathien verteilt. Nachdem Angelikas Leiche an der Isar gefunden wurde, wird’s etwas skurril: Batic trifft einen der Tierschützer bei einer alten Katzenlady, die 20 Stubentiger ihr Eigen nennt und ins Altersheim soll, Leitmayr ermittelt bei einer Model-Kollegin der Toten und Batic kämpft mit dem Computer, bevor endlich Pelzer befragt wird – der gerade versucht, sich illegal neue Versuchshunde zu beschaffen.
„Du bist spießiger als jeder Deutsche!“
Um die neuen Kommissare ebenfalls charakterlich zumindest schon einmal grob zu umreißen, erhält man Einblicke in Leitmayrs Privatleben (in dem seine Freundin zu kurz kommt) sowie in Batics Wohn- und Beziehungsverhältnisse: Der Mann bewohnt eine ausladende Loftwohnung und streitet mit seiner Freundin über ihren Job für Pelzer, der er in diesem Zuge ein Video über Tierversuche vorspielt. Mehrfach kokettiert Batic zudem mit seiner ausländischen Herkunft, bis auch der letzte Zuschauer kapiert hat, dass er kein „biodeutscher“ Kommissar ist. Und dann ist da noch Journalist Peter Turm (Edwin Noël, „Maigret und sein größter Fall“), der mit dem Tierschutz sympathisiert, aber radikale Aktionen ablehnt und von der Polizei kurzerhand für eine Nacht in die Ausnüchterungszelle gesteckt wird, als er betrunken auf der Wache herumpöbelt. Fotograf Grimm wiederum, der seine Aufnahmen konspirativ anzufertigen pflegt, ist kurioserweise stets mit einem superauffälligen Auto unterwegs, wie es in ganz München kein zweites geben dürfte. Gegen Ende gibt’s dann ein bisschen Action, als sich zufälligerweise fast alle Figuren in einer Scheune versammeln.
Ja, Kollege Zufall hilft mit, Narration und Dramaturgie voranzutreiben. Mit seiner Figurenkonstellation, bei der jeder über ein, zwei Ecken mit jedem bekannt zu sein scheint und auch amouröse Verquickungen nicht ausgeschlossen werden, wird der Fall zuweilen unübersichtlich und hat ein bisschen was von einer Seifenoper. Und die Schleichwerbung für „Ferrero Rocher“ ist nur allzu offensichtlich, hier wird sich gern mal die Kugel gegeben. Eine Texttafel am Schluss informiert über Parallelen zu einem realen Fall und tatsächlich ist das Thema Tierversuche bedauerlicherweise alles andere als fiktional. Der „Tatort: Animals“ bringt es aufs Tapet und bezieht eindeutig Stellung dazu, was erfreulich ist und ihn ein gutes Stück weit aufwertet. Ansonsten reißt dieser Münchner Einstand im Spät-‘80er-Look sicherlich keine Bäume aus und leidet ein wenig unter der dramaturgischen Entscheidung, Täter und Motiv von vornherein bekanntzugeben.
Trivium: Der hier Fotograf Grimm spielende Michael Fitz wird das Team ab seinem dritten Fall als Kriminaloberkommissar Carlo Menzinger unterstützen.
„Scheiß Beamtenpack!“
Der Münchener „Tatort“-Neustart mit „Animals“ führte direkt am Neujahrstag 1991 ein neues Ermittler-Duo ein, das eines der langlebigsten werden sollte und bis heute aktiv ist: die Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec, „Tatort: Der Pott“) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, „Crash“). Der Wiener Regisseur Walter Bannert („Eis am Stiel, 7. Teil – Verliebte Jungs“) inszenierte seinen ersten von insgesamt fünf Beiträgen zur öffentlich-rechtlichen Krimireihe, das Drehbuch stammt von Max Zihlmann und Veith von Fürstenberg.
„Die 90er-Jahre verlangen einen völlig neuen Frauentyp!“
Die Tierschützerin Angelika Weiss (Angelika Bartsch, „Tatort: Spuk aus der Eiszeit“) versucht, gegen den Kosmetikhersteller Pelzer (Béla Ernyey, „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“) vorzugehen, weil dieser für seine Produkte grausame Tierversuche durchführt. Bei den Kriminalhauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) blitzt sie jedoch ab, schließlich sei man die Mordkommission und deshalb nicht zuständig. Zu einem Fall für sie wird die Angelegenheit dennoch bald: Als Weiss sich zusammen mit dem Fotografen Fred Grimm (Michael Fitz, „Der Schwammerlkönig“) Zutritt zum Firmengelände verschafft, um die Tiere zu befreien und Beweisfotos anzufertigen, hetzt Pelzer persönlich seinen Rottweiler auf sie, der sie totbeißt…
„Es gibt Leute, die wollen sich nicht wohlfühlen!“
Die kurze Inhaltsangabe ist nicht wirklich gespoilert, denn der Einstand der neuen Münchner Kripobullen lässt weder die Frage nach Täter noch nach dem Motiv offen. Zunächst einmal werden Batic und Leitmayer aber im Auto herumalbernd eingeführt, Hardrock-hörend auf dem Weg zur Arbeit. Während ihrer Konfrontation mit dem späteren Todesopfer reagiert dieses empört, wird gar handgreiflich. Anschließend bleibt die Narration eine ganze Weile bei ihr und gewährt dem „Tatort“-Publikum damit einen großen Wissensvorsprung gegenüber der Polizei. Diese wird zunächst zu einem erstochenen Fixer in einem Bahnabteil gerufen. Batic helfen seine jugoslawischen Sprachkenntnisse am Tatort, im Zusammenhang mit dem eigentlichen Fall steht der Tod im Drogenmilieu aber nicht.
„Ihr mit eurer spießigen, dreckigen Fantasie…“
Pikanterweise war Angelika Weiss als Fotomodell für Pelzer tätig und konnte sich nur dadurch Zutritt zum Gelände verschaffen, weil sie Sex mit ihrem ehemaligen Chef hatte. Dies soll helfen, Weiss als radikale, mit vollem Körpereinsatz und ohne Rücksicht auf Verluste vorgehende Tierschützerin zu charakterisieren – und ist in Bezug auf die Glaubwürdigkeit vielleicht etwas zu viel des Guten. Wie Pelzer wiederum mit Tieren umgeht – er erschießt kurzerhand seinen Rottweiler –, lässt keine Fragen offen, die Fronten sind geklärt und die Sympathien verteilt. Nachdem Angelikas Leiche an der Isar gefunden wurde, wird’s etwas skurril: Batic trifft einen der Tierschützer bei einer alten Katzenlady, die 20 Stubentiger ihr Eigen nennt und ins Altersheim soll, Leitmayr ermittelt bei einer Model-Kollegin der Toten und Batic kämpft mit dem Computer, bevor endlich Pelzer befragt wird – der gerade versucht, sich illegal neue Versuchshunde zu beschaffen.
„Du bist spießiger als jeder Deutsche!“
Um die neuen Kommissare ebenfalls charakterlich zumindest schon einmal grob zu umreißen, erhält man Einblicke in Leitmayrs Privatleben (in dem seine Freundin zu kurz kommt) sowie in Batics Wohn- und Beziehungsverhältnisse: Der Mann bewohnt eine ausladende Loftwohnung und streitet mit seiner Freundin über ihren Job für Pelzer, der er in diesem Zuge ein Video über Tierversuche vorspielt. Mehrfach kokettiert Batic zudem mit seiner ausländischen Herkunft, bis auch der letzte Zuschauer kapiert hat, dass er kein „biodeutscher“ Kommissar ist. Und dann ist da noch Journalist Peter Turm (Edwin Noël, „Maigret und sein größter Fall“), der mit dem Tierschutz sympathisiert, aber radikale Aktionen ablehnt und von der Polizei kurzerhand für eine Nacht in die Ausnüchterungszelle gesteckt wird, als er betrunken auf der Wache herumpöbelt. Fotograf Grimm wiederum, der seine Aufnahmen konspirativ anzufertigen pflegt, ist kurioserweise stets mit einem superauffälligen Auto unterwegs, wie es in ganz München kein zweites geben dürfte. Gegen Ende gibt’s dann ein bisschen Action, als sich zufälligerweise fast alle Figuren in einer Scheune versammeln.
Ja, Kollege Zufall hilft mit, Narration und Dramaturgie voranzutreiben. Mit seiner Figurenkonstellation, bei der jeder über ein, zwei Ecken mit jedem bekannt zu sein scheint und auch amouröse Verquickungen nicht ausgeschlossen werden, wird der Fall zuweilen unübersichtlich und hat ein bisschen was von einer Seifenoper. Und die Schleichwerbung für „Ferrero Rocher“ ist nur allzu offensichtlich, hier wird sich gern mal die Kugel gegeben. Eine Texttafel am Schluss informiert über Parallelen zu einem realen Fall und tatsächlich ist das Thema Tierversuche bedauerlicherweise alles andere als fiktional. Der „Tatort: Animals“ bringt es aufs Tapet und bezieht eindeutig Stellung dazu, was erfreulich ist und ihn ein gutes Stück weit aufwertet. Ansonsten reißt dieser Münchner Einstand im Spät-‘80er-Look sicherlich keine Bäume aus und leidet ein wenig unter der dramaturgischen Entscheidung, Täter und Motiv von vornherein bekanntzugeben.
Trivium: Der hier Fotograf Grimm spielende Michael Fitz wird das Team ab seinem dritten Fall als Kriminaloberkommissar Carlo Menzinger unterstützen.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Für immer Sommer 90
„Seit drei Tagen denk' ich an dich!“
Der Improvisations-Regieexperte Jan Georg Schütte („Wellness für Paare“, „Klassentreffen“) tat sich für das Impro-Roadmovie-Drama „Für immer Sommer 90“ aus dem Jahre 2020 mit Regisseur Lars Jessen („Dorfpunks“, „Fraktus“) zusammen und verfasste das die Handlung grob skizzierende Drehbuch zusammen mit Hauptdarsteller Charly Hübner („Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“).
„Deine Eier haben geglüht!“
Andy Brettschneider (Charly Hübner) hat seine ostdeutsche Heimat im Wendetrubel verlassen und ist über Umwege im Ausland in Frankfurt am Main als Investmentbanker durchgestartet. Mit seiner Heimat verbindet den millionenschweren Genussmenschen nicht mehr viel. Als ihn in einem anonymen Schreiben plötzlich vorgeworfen wird, im Sommer 1990 ein Mädchen vergewaltigt zu haben, fällt er aus allen Wolken. Er steigt ins Auto und reist in seine alte Heimat, um seinen damaligen Freundes- und Bekanntenkreis aufzusuchen und herauszufinden, was es mit Schreiben auf sich hat – und was genau passiert ist, damals, im Sommer 1990…
„Ich kenn' dich nicht mehr, ich kenn' euch alle nicht mehr...“
Während andere Fernsehproduktionen jener Zeit versuchten, die Thema Covid-19-Pandemie weitestgehend auszuklammern, macht „Für immer Sommer 90“ keinen Hehl daraus und lässt seine Figuren Masken tragen, Abstandsregeln befolgen usw. – was bei seiner Erstausstrahlung für Realismus sorgte, macht den Film auf längere Sicht zu einem interessanten Zeugnis seiner Zeit. Dieses spielt zunächst in Bankfurt, bevor Andy zur Mutti (Walfriede Schmitt, „Die Weihnachtsklempner“) und anschließend zu Katrin (Deborah Kaufmann, „Der Trinker“) nach Salzgitter reist. Er erfährt unangenehme Details über die 30 Jahre zurückliegende Party, verdächtigt Katrin, das belastende Schreiben verfasst zu haben, und vergrätzt sie. Andy belastet die Situation; er ist keinesfalls ein unterkühlter Karrierist, an dem alles rückstandslos abperlt, aber auch kein klassischer Sympathieträger, keine Heldenfigur.
„Wo warst du mein Leben lang?“
Die Regie arbeitet mit einer überdurchschnittlich dynamischen Kamera, mit Jumpcuts und visualisierten Erinnerungen, die unscharf und in Zeitlupe dargestellt werden. Der junge Andy wurde sehr gut gecastet, man kann sich ihn tatsächlich prima als jüngeren Hübner vorstellen. Dass die Dialoge improvisiert sind, merkt man ihnen nicht unbedingt gleich an; dieses Konzept hat aber zur positiven Folge, dass sie recht authentisch anmuten. Andy klappert weitere Stationen ab: Da ist der an Covid-Verschwörungstheorien glaubende Sven (Roman Knižka, „Die Halbstarken“-Remake), der Annett (Christina Große, „Eltern allein zu Haus“), seine Ex, beschuldigt und unbedingt in Andys Unternehmen mitmachen will. Da ist besagte Annett in Leipzig, die auch eine E-Mail bekommen hat, die konkretere Vorwürfe zum vermeintlichen Tathergang enthält. Da ist Marina (Stefanie Stappenbeck, „Ein starkes Team“), die Absenderin der Mail, zu der Andy nach Schwein reist – die das ganze Zeug aber gar nicht geschrieben haben will. Andy muss feststellen, dass in den 30 Jahren, in denen er sich bei niemandem gemeldet hat, aus seinem alten Freundeskreis ganz unterschiedliche Menschen geworden sind.
Abstrahiert betrachtet, stehen sie alle zumindest ein Stück weit für verschiedene deutsche Biographien, Lebensentwürfe, Lebensweisen. Dies gilt auch für Berit (Karoline Schuch, „Seventeen – Mädchen sind die besseren Jungs“) und Ronny (Peter Schneider, „Systemprenger“), Andys ehemaligen besten Freund, die Andy in Grerow aufsucht, wo die Ereignisse in jener Sommernacht 1990 recht schnell aufgeklärt werden und sich der Fokus auf etwas anderes richtet. Man hadert sehr damit, dass Andy mir nichts, dir nichts seinerzeit urplötzlich abgehauen ist. Seine Freunde fühlen sich von ihm im Stich gelassen, was sich mit Frustration über die Entwicklung in der ehemaligen DDR vermischt, über nicht in Erfüllung gegangene Träume nach dem magischen Sommer 1990 und dem vollzogenen Anschluss an die BRD im Herbst. Alle Figuren stehen stellvertretend für jene DDR-Generation, die noch „realsozialistisch“ sozialisiert worden war, sich im Erwachsenenalter aber mit dem Kapitalismus und seinen unfairen Spielregeln konfrontiert sah.
„Für immer Sommer 90“ ist ein ruhiger und spannend gemachter Roadmovie, der an eine Eskalation im Finale ein nur scheinbar versöhnliches Ende hängt, das von einem ganz anderen, nämlich dicken Ende konterkariert wird. Der Epilog verursacht Gänsehaut und setzt der Melancholie, die sich im Laufe des Films immer stärker in den Vordergrund drängt, die Krone auf. Mit dem richtigen Gespür für seine Figuren und das, was sie umtreibt, skizziert der Film die Ambivalenz dessen, was die Wende-Generation erlebte und durchmachte, die einen in den Wahnsinn treiben kann. Rio Reisers Musik und ein Zitat sind mit Bedacht gewählt und verfeinern diesen unbedingt sehenswerten Film, in dem viel deutsch-deutsche Befindlichkeit steckt – und deshalb Jüngeren helfen könnte, diese zu verstehen.
Ein-Mann-Geschmacks-Armee gegen die eingefahrene Italo-Front (4/10 u. 9+)Onkel Joe hat geschrieben:Die Sicht des Bux muss man verstehen lernen denn dann braucht man einfach viel weniger Maaloxan.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Nach Sichtung der komplett ungekürzten Fassung und etwas intensiverer Beschäftigung mit diesem Film muss ich meine Bewertung um einen Zähler auf 8/10 nach oben korrigieren. De Palmas fast schon Kubrick’scher Perfektionismus insbesondere in Sachen Kameraarbeit ist ein Herausstellungsmerkmal dieses Films. Ferner tat ich der bezaubernden Nancy Allen unrecht, die hier aussieht wie mit der Airbrush-Pistole gemalt. Style with substance.buxtebrawler hat geschrieben: ↑Do 30. Jan 2014, 14:46
Dressed to Kill
Mit seinem 1980 erschienenen Psycho-Thriller „Dressed to Kill“ wandelte US-Regisseur Brian De Palma („Phantom im Paradies“) – obwohl in der Regel als Hitchcock-Hommage betrachtet – vor allem auch auf den Pfaden des italienischen Giallos argentoesker Prägung.Kate Miller (Angie Dickinson) ist eine sexuell frustrierte Ehefrau, der selbst ihr engagierter Psychiater Dr. Elliot (Michael Caine) nicht recht helfen kann, da sie aus Verzweiflung sogar ihn verführen will. Eines Tages trifft sie nach einer Sitzung im Museum einen Fremden und läßt sich auf ein Liebesabenteuer ein, muß danach jedoch feststellen, daß ihr Liebhaber an einer Geschlechtskrankheit leidet. Als sie fluchtartig sein Apartment verläßt, wird sie im Fahrstuhl von einer Blondine mit einem Rasiermesser niedergemetzelt. Zeugin dieses Mordes wird die Edelprostituierte Liz (Nancy Allen), die die Blondine sogar noch sieht. Trotzdem bleibt sie für die unwillige Polizei wegen ihres Standes die Hauptverdächtige. Da schaltet sich Kate Millers minderjähriger Sohn Peter in das Geschehen ein. Der bastelfreudige Junge vermutet nämlich den Killer unter Dr. Elliots Patienten, was er auch beweisen kann. Jetzt wird Liz zum Lockvogel...
Kate Miller (Angie Dickinson, „Der Tod eines Killers“) ist mir ihrer Ehe unzufrieden, insbesondere auch mit ihrem Sexualleben, was in fremdgängerischen Obsessionen mündet. Nach einer Therapiesitzung bei ihrem Psychiater Dr. Elliot (Michael Caine, „Der tödliche Schwarm“) lässt sie sich auf ein solches Abenteuer mit einem Fremden ein, wird jedoch beim Verlassen des Hotels im Fahrstuhl brutal von einer unbekannten Person mit einem Rasiermesser ermordet. Die Prostituierte Liz (Nancy Allen, „Das letzte Kommando“) wird Zeugin der Tat und dadurch für die Polizei zur Hauptverdächtigen. Kates Sohn Peter (Keith Gordon, „Christine“) schaltet sich in die Ermittlungen ein, vermutet einen Patienten Dr. Elliots als Täter. Er setzt Liz als Lockvogel ein, um seine Mutmaßungen zu beweisen und den Täter zu identifizieren…
Hitchcock trifft auf Argento in Brian De Palmas sexualisiertem Whodunit?-Psycho-Thriller, der neben klassischen aus „Psycho“ entlehnten Motiven reichlich aus dem Fundus des exaltierten Italo-Films schöpft, wenn schwarzbehandschuhte Mörderhände mit Schneidwerkzeugen blutiges Unheil anrichten und erst außerpolizeiliche Ermittlungen einer Privatperson die psychopathologischen Hintergründe aufdecken. „Dressed to Kill“ beginnt ohne Umschweife mit einer erotischen Masturbationsszene Kates unter der Dusche, die sich als Traum entpuppt, jedoch nahtlos in eine Sexszene in der filmischen Realität übergeht. Die zunächst vermutete Hauptrolle fällt früh einem Mord zum Opfer und wird abgelöst von der Zeugin Liz, die nun ihrerseits zur Verfolgten wird. All das kommt bekannt vor, wurde jedoch spannend und technisch wie künstlerisch ansprechend umgesetzt, überzeugt grundsätzlich auch im Aufbau einer unheilschwangeren Atmosphäre, verlässt sich mitunter indes recht stark auf den nicht zu verachtenden Erotikfaktor. Die sich in der finalen Retrospektive nach Enthüllung des Mörders als bisweilen etwas arg konstruiert herausstellende Handlung mag ebenfalls eine Ehrerbietung an unsere Lieblingsitaliener sein, wirkt auf mich in Ermangelung des europäischen Charmes der Vorbilder aber wie ein Schwachpunkt des Films. Seine Hausaufgeben vollkommen zweifelsohne gemacht hat De Palma in jedem Falle beim langsamen Aufbau von Spannungsszenen, zu denen der schwelgerische Klassik-Soundtrack Pino Donaggios dramatische Züge annimmt.
Gegen Ende verwickelt sich „Dressed to Kill“ in zwar an Hitchcock gemahnend, im Jahre 1980 jedoch irgendwie anachronistisch und überholt wirkende Erklärungen, die zudem nicht frei sind von etwas naiv wirkenden Thesen zur Transsexualität. Dass es sich um einen (Achtung, Spoiler!) männlichen Täter handelt, war dem halbwegs aufmerksamen Zuschauer eigentlich schon zu einem frühen Zeitpunkt bewusst; um wen es sich genau handelte, blieb dennoch im Dunkeln – Miträtseln ist zumindest in einem gewissen Rahmen über weite Strecken möglich. Stilistisch ist das mehr oder weniger überraschend eingeleitete Finale schon fast dem Slasher-Horror-Subgenre zuzurechnen, De Palma zieht noch einmal in Sachen Härte an. Durch eine erneute Duschszene referenziert er noch einmal zum Beginn des Films und das sich als Traum entpuppende Horror-Ende wird zum perfekten Brückenschlag zur Einstiegssequenz.
Hauptdarstellerin Nancy Allen macht ihre Sache passabel, kann jedoch nie an den naiven Charme Janet Leighs aus „Psycho“ anknüpfen (was vermutlich auch nicht gewünscht war) und schon gar nicht diversen liebgewonnenen Giallo-Königinnen den Prosecco reichen, was angesichts der fiebrigen, fast schon klebrigen, voyeuristischen Inszenierung De Palmas etwas irritiert. Davon einmal abgesehen, ist „Dressed to Kill“ ein gelungener Psycho-Thriller für ein erwachsenes Publikum und ein interessanter, nicht unsympathischer Streifzug über diverse Eckpfeiler des Genres, der Filmkennern zahlreiche Wiedererkennungseffekte beschert.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Ostkreuz
„Wollen Sie ein japanisches Autoradio kaufen?“
Der Fernsehfilm „Ostkreuz“ von Regisseur und Autor Michael Klier („Überall ist es besser, wo wir nicht sind“) aus dem Jahre 1991, ein auf 16 mm gefilmtes Drama, ist der vielleicht erste Spielfilm, der die Tristesse und zerplatzten Träume nach der Wende-Euphorie aufgreift. Bereits am 27. Juni 1991 wurde er auf dem Filmfest München uraufgeführt, anschließend gar zu internationalen Filmfestivals eingeladen. Die TV-Erstausstrahlung erfolgte am 2. Januar 1992.
Kurz nach der Öffnung der DDR-Grenzen und der Berliner Mauer: Die 15-jährige Elfie (debütierend: Laura Tonke, „Bitte Unschuld“) lebt zusammen mit ihrer alleinerziehenden, arbeitslosen Mutter (Suzanne von Borsody, „Fifty Fifty“) in einem Flüchtlingslager knapp hinter der ehemaligen Grenze. Ihnen fehlen 3.000,- DM Kaution, um eine richtige Wohnung beziehen zu können. Elfie will dabei helfen, an das Geld zu kommen, vertickt mutmaßliche Hehlerware und geht Fensterputzen. Ihre Mutter geht gern aus und lässt sie allein. Elfie schwänzt die Schule und lernt eines Tages den jungen polnischen Kleinkriminellen Darius (Miroslaw Baka, „Ein kurzer Film über das Töten“) kennen, dessen Nähe sie sucht, weil sie sich Vorteile davon verspricht und schließlich mit ihm zusammenzuarbeiten beginnt – wenngleich er sie auch immer wieder übers Ohr haut. Schließlich emanzipiert sie sich von ihm. Im Gleichaltrigen Flüchtling Edmund (Stefan Cammann) hat sie einen Freund kennengelernt, der von seinen Eltern sitzengelassen wurde. Mit ihm bildet sie eine Schicksalsgemeinschaft, nachdem sie tatsächlich die Kaution aufgetrieben hat, sie ihre Mutter aber zusammen mit einem windigen Ausbeuter als Liebhaber, dafür ohne sie, weiter Richtung Westen ziehen lässt…
Klier eröffnet seinen Film mit einem Panoramaschwenk über die triste Plattenbausiedlung. Aus den Wohnparzellen dringen Gebrüll und Gewimmer. Die Flucht Elfies und ihrer Mutter in den Westen wird nicht gezeigt und auch nur marginal, wenn überhaupt, thematisiert. Die Dialoge sind einsilbig und die ins kleinkriminelle Milieu geratende Elfie zieht permanent ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Generell lächelt nie jemand in diesem Film, zumindest, bis Elfie im seltsamerweise Edmund heißenden Jungen einen Schicksalsgenossen findet und mit ihm tatsächlich so etwas wie Spaß hat.
Eine Außenseiterromanze wird jedoch nicht daraus; überhaupt hat der Film über die guten schauspielerischen Leistungen hinaus wenig Erbauliches zu bieten. Es findet keine richtige Kommunikation zwischen den Figuren statt und die Tristesse überträgt sich auf die Zuschauerinnen und Zuschauer. Das muss man aushalten können und auch Lust darauf haben. Klier erweckt den Eindruck, die Ödnis und den Frust für seinen Film noch einmal potenziert zu haben, nach dem Motto: Übertreibung veranschaulicht. Das wäre sicherlich besser und packender, somit nachhaltiger beeindruckend gegangen, aber, gut: Einer musste ja den Anfang machen. Als Pionierleistung einer Art gesamtdeutschen Neorealismus ist „Ostkreuz“ filmhistorisch durchaus interessant.
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Re: bux t. brawler - Sein Filmtagebuch war der Colt
Frau Wirtin bläst auch gern Trompete
„Was bläst sie? Trompete?“
Die Wirtin von der Lahn geht im Jahre 1970 in die vierte Runde, erneut in österreichisch-italienisch-deutscher Koproduktion und wie gehabt unter der Regie Franz Antels. Aus einer Historienfilmgrundlage wird abermals eine chaotische, zotige Kostüm-Musical-Sex-Klamotte gemacht.
„Frauen sind oft sehr viel gescheiter als wir...“
Das Jahr 1814: Napoleon Bonaparte ist gestürzt, Lahn-Wirtin Suzanne (Teri Tordai, „Ferien mit Piroschka“) geht zusammen mit Ferdinand (Harald Leipnitz, „Playgirl“) nach Ungarn. Marodierende Soldaten treiben ihr Unwesen, doch die beiden finden im Komitat Barons Bierrechalet (der eigentlich Bierhäusel heißt; Jacques Herlin, „Der Dämon und die Jungfrau“) Unterschlupf. Mit dem aber ist nicht gut Kirschen essen: In seiner Gier nach dem schnöden Mammon besteuert er alles, was Spaß ist, darunter auch unehelichen Sex. Suzanne und Ferdinand reagieren mit der konspirativen Eröffnung eines neuen Freudenhauses, das sie aus einer verlassenen Schankwirtschaft aufbauen. Als Bierhäusel Wind davon bekommt, versucht er, das Etablissement zu schließen und lässt Ferdinand, der gerade einen Vergewaltigungsversuch durch Soldaten verhindert hat und nun seinerseits den Beischlaf mit Kellnerin Marika (Andrea Rau, „Die liebestollen Baronessen“) vollzieht, verhaften, will ihn gar entmannen lassen. Da taucht der preußische Freiherr von Trenck (Glenn Saxson, „Vajas con dios, Gringo“) auf, der Besitzanspruch auf das Komitat erhebt und den Baron loswerden will. Um sich den Landbesitz zu sichern, müsste Bierhäusel rasch heiraten, was von Trenck mit allen Mitteln verhindern will. Er plant die Entführung der Braut, was Suzanne auf den Plan ruft: Um ihren Ferdinand zu schützen, bietet sie Bierhäusel an, seine Braut zu mimen und sich vom Preußen entführen zu lassen…
Ob nun mit oder ohne Napoleon, auch die Trompeten-Wirtin bietet more of the same; mit jährlich einem Teil der Reihe schlachteten Antel und Co. ihr Sujet aus, solange das Publikum kurz nach der sexuellen Revolution und den damit einhergehenden gesetzlichen Lockerungen noch Interesse an piefig-klamottiger Softerotik zeigte. Bereits im Intro präsentiert Antel vier nackte Mädels, die männliche Hauptrolle Ferdinand erläutert die historischen Umstände aus dem Off. Das berühmte, der Reihe zugrundeliegende Lied von der Lahn-Wirtin taucht wie gewohnt immer wieder mit an aktuelle Umstände angepasstem Text auf. Es gibt Verhaftungen und Befreiungen, Schwertkampf, Täuschungen, Tricks und falsches Spiel, gern mithilfe weiblicher körperlicher Vorzüge. Denn natürlich ist wieder viel nackte Haut zu sehen (u.a. von der graziösen Italienerin Rosalba Neri, „Marquis de Sade: Justine“), dafür aber so gut wie keine Softsex-Szenen.
„Frau Wirtin bläst auch gern Trompete“ verteilt ein paar gelungene Seitenhiebe in Richtung Aristokratie, Ausbeutung, Steuerwillkür und Lustfeindlichkeit, wird aber wie seine Vorgänger schnell wieder sehr albern und eher langweilig – ein weiterer zum Teil ganz charmanter, größtenteils aber unlustiger Kostümfilm mit Nackedeis, der schon kurze Zeit nach seiner Veröffentlichung kaum noch jemanden hinterm Ofen hervorgelockt haben dürfte. Neben den Damen aber ein Hingucker: Die kölsche Frohnatur Willy Millowitsch („Zum Teufel mit der Penne“) als Bürgermeister!
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